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Über die Bewegung im Kreis


Zur motorischen und technischen Schulung des politischen Aktionismus


    Man sollte nun, soweit es nur irgend möglich ist, so leben, wie man in einer befreiten Welt glaubt leben zu sollen, gleichsam durch die Form der eigenen Existenz, mit all den unvermeidbaren Widersprüchen und Konflikten, die das nach sich zieht, versuchen, die Existenzform vorwegzunehmen, die die eigentlich richtige wäre. Dieses Bestreben ist notwendig zum Scheitern und zum Widerspruch verurteilt, aber es bleibt nichts anderes übrig, als diesen Widerspruch bis zum bitteren Ende durchzumachen. Die wichtigste Form, die das heute hat, ist der Widerstand, dass man nicht mitmacht, und wenn das nicht möglich ist und wir auf die eigene Schwachheit und die Übermacht der Verhältnisse Rücksicht nehmen müssen, sollten wir wenigstens versuchen, dort, wo wir mitmachen müssen, nicht ganz mitzumachen und es ein bisschen anders zu tun als die, die es von ganzen Herzen betreiben.
    (Adorno Vorlesung zur Moralphilosophie WS 1956/ 57)

    Damit gibt es zwar kein richtiges Leben im falschen, aber ein „richtigeres“.
    (Peter Brückner)

    Denn die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, „weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen.“ (Adorno)

Politik, Macht, Gewalt und Herrschaft

Politik ist eine bewusste und reflektierte Form des Handelns, die sich im theoretischen Verständnis der Wirklichkeit und damit zusammenhängend den eigenen Interessen bzw. Wertsetzungen des handelnden Subjektes bestätigt sieht. Gleichzeitig wird damit ein Willen formuliert, der sich a priori nach außen wendet und praktisch werden muss, um seinen Zweck, der auf Gesellschaft gerichtet ist, gerecht zu werden. Wer politische Handlungen ausführt, sieht in ihnen die Perspektive, im öffentlichen Raum bzw. im privaten Raum der Gesellschaft Verhältnisse wirkungsmächtig zu verändern, zu zerstören, zu verbessern, zu restaurieren oder zu erhalten. Politische Handlungen sind demnach eine besondere Form des sozialen Eingreifens, dem ein Interesse bzw. ein Bedürfnis zugrunde liegt, das sich durch die Wirklichkeit als ein objektiv wahres, aber nicht unbedingt richtiges, bestätigt sieht. Der hier charakterisierte allgemeine Politikbegriff ist zunächst einmal nicht durch einen spezifischen Inhalt gekennzeichnet, aber impliziert immer eine Positionierung zu einem bestimmten gesellschaftlichen Sachverhalt.

Form und Inhalt

Wo liegt nun aber der Kern der Kritik der Politik? In der Immanenz des eigenen Handelns und Denkens? Die Linke kritisiert die herrschendenden Praxen und Theorien und vergisst sich selbst als bürgerlich Entstandenes? Sie setzt auf Öffentlichkeit (Presse, Demonstrationen etc.) und bedient sich deshalb der Mittel des Staates?
Polizeiversicherung, 8.2k
Politik: Damit die Versicherung nicht in die Krise gerät?
1. Die zu erwartenden Antworten werden sich innerhalb dieses Bereiches abspielen: Der politischen Form bleibt die Negation der staatlichen Herrschaft unmöglich.
2. Politik ist an sich schon immer ein Instrumentarium der Herrschaft.
3. Explizit der linke Politikansatz ist ein herrschaftsaffirmierender Handlungsansatz, der sich nicht auf einen neutralen Bereich berufen kann, sondern als gesellschaftlich vermittelter dem Interesse der linken Politik entgegensteht.
Die Kritik an der Politik macht dabei aber einen entscheidenden Fehler: die Form der Politik ist wie jede andere öffentliche und private Handlungsform innerhalb der Verfassung an die „Spielregeln“ des Staates gebunden. Zwangsläufig werden staatliche als auch gesellschaftliche Institutionen und Konventionen im System die Form linker Politik bestimmen, in der sie sich nach Außen wendet, aber auch umgekehrt wählt die Linke notwendigerweise bestimmte gesellschaftlich festgelegte Konventionen und Gesetze, wenn sie sich nach außen wendet (Protestformen, Bündnisgespräche, Podiumsdiskussionen). Dieser Kreis, der sich immer wieder schließt zwischen Kritik, Wirkungsmacht und Öffentlichkeit, kann aber nicht umgangen werden! In jedem politischen bzw. kritischen Ansatz steckt ein affirmatives Moment, das sich auf die Gegebenheiten einer Gesellschaft einlassen muss, um denk- und handlungsfähig zu sein. In wieweit man sich auf die gesellschaftsimmanenten Einrichtungen, Gesetze, Forderungen etc. widerstandslos einlässt, liegt im Ermessen des besonderen Inhaltes und nicht in der Dogmatik der Form. Die Wahl der Mittel bestimmt den zu erreichenden Zweck und nicht die Vorschrift einer ganz bestimmten Form.
Die absolute Negation der Verhältnisse gibt es nicht. Jeder/ jede ist dazu verpflichtet, gesellschaftlich vorgegebene Schemata zu benutzen, auf denen er/ sie seine/ ihre Sprache, sein/ ihr Denken und sein/ ihr Handeln aufbaut, wie z.B. traditionelle Theoriegebäude und stereotype Verhaltensschemata. Menschen müssen sich Konventionen unterordnen, um verstanden zu werden und erst recht, wenn sie wirkungsmächtig sein wollen. Bestes Beispiel dafür ist der sprachliche Ausdruck. Die Forderungen nach Abschaffung der kapitalistischen Verhältnisse impliziert das Einlassen auf die gesellschaftlichen Begriffe und Regeln des Sprachgebrauches, an denen erst eine Kritik formuliert werden kann, wenn verstanden wird, was sie bedeuteten. So ist der Kapitalismus für die einen das Ende der Geschichte und für die anderen ein apersonales Herrschaftsprinzip, an dem die Menschen zugrunde gehen. Danach ändert sich aber nicht die Form des Begriffes, sondern der Inhalt.
Formen wie die „kritischen Veranstaltungsreihen“, die sich einer neuen Beliebtheit erfreuen, weil sie dem Anspruch der KritikerInnen gerecht werden, angeblich nicht affirmierend zu wirken, sind der Form nach nichts weiter als vom Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen und den politischen Staat durch den darin enthaltenen Nachweis der Verfassungsmäßigkeit zu bestärken. Es ist im öffentlichen Raum unmöglich, eine universitäre Veranstaltung von einer linksradikalen formal zu unterscheiden. Auch hier muss man sich auf den besonderen Inhalt berufen, ähnlich einer linksradikalen Demonstration. Die Institutionen und Zusammenhänge, in denen wir uns bewegen, sind nicht an sich kritisch, aber wir müssen sie benutzen, um etwas bewegen zu können.
Denn der Umkehrschluss bietet auch keine Alternative! Bleibt die Linke im privaten Raum, verfehlt sie ihr Ziel, denn es geht ihr nicht um die Erziehung des/ der eigenen PartnerIn, sondern um Gesellschaftsveränderungen, die zwar bei jedem selbst anfängt, aber dort noch keinerlei gesellschaftliche Relevanz besitzen werden, wenn sie in diesen Zusammenhängen verharren.
KritikerInnen der Politik behaupten, dass eine Form jenseits der Politik existiert. (Nebenbei: Wo sie doch selbst von Politik reden. „Kritik der Herrschaft ist mit der politischen Praxis untrennbar verbunden“. Oliver Decker in: Colloquium Psychoanalyse Heft 5 1999). Was in der Vorstellung Kritik alles sein kann, darüber scheint man sich noch nicht wirklich einig zu sein. Die Ansätze reichen von der beharrlichen Erwartung der „historischen MaterialistInnen“, dass sich die Verhältnisse zum Guten bzw. Schlechten wenden werden und man getrost darauf wartet kann, dass die „Wirklichkeit zum Gedanken“ kommt, was den Bruch mit der kapitalistischen Gesellschaft leisten soll; bis zur Ideologisierung und Verschleierung des eigenen Willens zur Wirkungsmacht, die ihre Rechtfertigung in der inhaltlichen Zielsetzung findet, alles Feindliche zerstören zu wollen. Dieser Ansatz verwechselt Form und Inhalt. Was hier als Kritik angepriesen wird, ist der besondere Inhalt einer Politik. Es ist ihnen deshalb auch immer wieder wichtig zu betonen, (unpolitische) Kritik als ihre Form der emanzipatorischen Praxis zu bezeichnen, aber der Form nach trägt sie nun einmal politischen Charakter – wirkungsmächtiges Eingreifen in die Gesellschaft entsprechend der eigenen Zielsetzung.
Eine neue Unterscheidung, weil man seit der Kampagne für Israel sich nicht mehr an der Kritik des Praxisfetisch abarbeiten will, ist die Differenzierung zwischen „richtiger“ und „falscher“ Praxis, die ihre emanzipatorische Maxime in dem viel gesagten Satz von Marx findet: „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtlichtes Wesen ist“ und im kategorischen Imperativ: „Deutschland denken, heißt Auschwitz denken.“ Die Unterscheidung zwischen „richtiger“ und „falscher Praxis“ beruht trotz der Allgemeinheit der Maxime (so mein Eindruck) auf sehr subjektiven Interessen, die sich hauptsächlich nach der eigenen Perspektive des Standpunktes ausrichten, was „falsch“ und was „richtig“ sein kann. Die Diffamierung, Verkürzung und Reduzierung der Inhalte anderer linker Gruppen ist mit diesem subjektiven Prinzip einfach besser handhabbar.

Wirkungsmacht und gesellschaftliche Relevanz

Politisch-kritisches Handeln benötigt zur Verwirklichung ihrer Ziele Wirkungsmacht, d.h. sie beansprucht immer die allgemeine Zustimmung des Einzelnen im gesellschaftlichen Zusammenhang. Die Kritik der Politik will die Frage nach der immanenten Wirkungsmacht negieren, weil sie behauptet, dass jede politische Gruppierung, die einen immanenten gesellschaftlichen Machtanspruch vertritt, zwangsläufig beim Staat (ermächtige Institution) landet und nicht in der Lage ist, die Frage nach der Herrschaft zu negieren. Diese Schlussfolgerung wird aus der Tatsache gezogen, dass politische Wirkungsmacht innerhalb eines Systems lediglich nur durch die formale und inhaltliche Einlassung auf die herrschenden Verhältnisse erreicht wird. In welchem Zusammenhang stehen die Bemühungen um Wirkungsmacht in einem Staat bzw. in einer Gesellschaft und Eingliederung in staatliche Herrschaftsstrukturen? Dabei braucht es das Wissen über die Konstrukte von Herrschaft, Macht und Gewalt, die auseinandergehalten werden müssen, um eine Politik im allgemeinen kritisieren zu können. Wer der Überzeugung ist, „dass es in der Politik immer nur eine entscheidende Frage gäbe, die Frage: Wer herrscht über wen?“ (Hannah Arendt), wird sich in seinem verallgemeinerten Verständnis schwer tun, differenzieren zu können.„Macht (ist) immer von Zahlen abhängig (Extremfall: Alle gegen Einen), während Gewalt (Extremfall: Einer gegen Alle) bis zu einem gewissen Grad von Zahlen unabhängig ist, weil sie sich auf Werkzeuge verlässt.“ Im Falle des kapitalistischen Staates fallen Macht und Gewalt, die der Staat hat und ausführt, in eine politische Form. Wie sich der Staat gegen politische Boykotte und Herrschaftskonflikte absichert, beschreibt Agnoli in seinem Buch: Die Transformation der Demokratie. Aber die wichtigste Quintessenz ist, dass die Bevölkerung eines Staates ihre Kritik nicht am Staat formuliert, sondern ihn als „übergeordnete, enthobene Macht, die durch Ausgleich das Allgemeinwohl herstellt, akzeptiert.“ (Agnoli) Das Moment der demokratischen Herrschaft drückt sich aus, in dem die Machtlegitimation (Zustimmung der Gesellschaft) den Einsatz der Gewaltmittel des Staates rechtfertigen und gegen den Willen von Menschen eingesetzt werden.
Wenn jedoch eine politische Gruppe auf die Form einer Macht setzt, die sich dadurch auszeichnet, dass sie ihre Ziele nicht in einer Staatsform verwirklichen kann, eben weil sie nicht über andere herrschen will, muss es eine Macht geben, die sie dazu veranlasst zu wissen, dass es möglich ist, eine befreite Gesellschaft gemeinsam zu leben. Dazu folgendes Zitat: „Macht entspricht der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“ Das Faktum, Macht zu besitzen, schließt demnach nicht ein, sie mit den Mitteln der Gewalt verteidigen zu müssen. Wenn die Linke also heute keine Wirkungsmacht hat, könnte sie entweder zu illegalen Gewaltakten greifen, um ihre Ziele gesellschaftlich zu erzwingen (wo Gewalt und Gewalt gegenüberstehen, haben sich schon immer die Staatsgewalten als wirkungsvollere Sieger erwiesen – aber nur so lang die Machtstruktur des Staates intakt ist d.h. Polizei und Armee bereit sind, von ihren Waffen Gebrauch zu machen) oder aber sie besitzt, wie im gegenwärtigen Fall, keinerlei gesellschaftliche Relevanz.
Aus dieser Notsituation heraus versucht man weiterhin handlungsfähig zu bleiben und setzt unter anderem auf die Erweiterung gesellschaftlicher Relevanz durch die formale bzw. inhaltliche Kompromissbereitschaft mit dem Staat. So ist auch nicht verwunderlich, dass in der Vergangenheit als auch in der Zukunft dem Bündnis gegen Rechts (BGR) Vorwürfe gemacht worden und werden, affirmativ zu wirken, weil es auf praktische Erfolge setzt und so vermittelnd ihre inhaltliche Kritik den staatlichen Formen anpasst. Doch was diese „Kritik der Politik“ des BGR abverlangt, ist das Wegsehen im konkreten Fall und die Verantwortungslosigkeit gegenüber Missständen in der kapitalistischen Gesellschaft. Das Problem, was bei solch einer Betrachtung immer wieder außer Acht gelassen wird, ist die Notwendigkeit, aus der z.B. Bündnisse, reformistische Forderungen, Einlassungen auf staatliche Institutionen entstanden sind und entstehen werden. Dem BGR ist es wichtig, handlungseinschränkende Folgen und Beschlüsse der Staatspolitik, staatliche und gesellschaftliche Diskriminierungen etc. zu thematisieren, zu verhindern bzw. zu zerstören. Solche Formen der staatlichen Einschränkungen, die linke Politik unmöglich machen, damit auch immer mehr Perspektiven verschwinden lassen, wo und wie sich in Zukunft linke Potentiale entwickeln können, dahinter steckt nicht die Ignoranz gesellschaftlicher Zustände, sondern eine reflektierte Form des Handelns, die sich nicht auf Gesinnung berufen will. In Deutschland steht der „Verfassungsdissens schon unter Verbot. Nirgendwo wird so klar als Norm festgelegt, dass die Kritik an den Normen verfassungswidrig und als solche polizeilich verfolgungswürdig sei – es versteht sich: Sofern die Kritik sich organisiert und praktisch wird. Beschränkt sie sich auf wissenschaftlich – akademische Erörterungen, so bleibt sie unbehelligt.“ (Agnoli)

Prozess oder Ereignis

Wer nicht anerkennen will, dass die Revolution ein Denk- und Handlungsprozess ist und kein Ereignis, das sich stringent durch die Subjekte und ihre materiellen Verhältnissen hindurch entwickeln muss, wird weiterhin nach der „Aushaltung der spannungsreichen Widersprüche“ fordern. Es ist wichtig für eine linke Gegenkraft, dass sie aktiv in die Gesellschaft hineinwirkt mit dem Ziel, kritische Bewusstseinsinhalte zu vermitteln (heißt: nicht anpassen an die Gesellschaft, sondern ideologischen Schein der Herrschaft zu beseitigen), die sich ausgehend von den Widersprüchlichkeiten zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit verdeutlichen lassen. Die Kennzeichnung dieses Widerspruches ist der notwendige Ausgangspunkt jeglicher Kritik, die darüber hinausreichend die Möglichkeit schafft, Ursachen zu benennen, die für das Nichteinlösen des bürgerlichen Glücksversprechens im kapitalistischen Systems Schlussfolgerungen zu lassen. Dass diese bürgerliche Norm nicht „an sich“ gut ist und lediglich durch die Macht der Verhältnisse eine derartige Ausrichtung bekommen bzw. sie stützt, muss in die gesellschaftskritische Auseinandersetzung einfließen. Daraus erwächst erst die Möglichkeit einer Ablehnung des Systems. Wer dies nicht tut, verharrt in den gesellschaftlichen Strukturen.
Alle Gesellschaftsformen bauen ihr Funktionieren auf moralischen Werten auf. Diese Werte sind keine natürlichen, sondern immer soziale Kategorien, die sich auf einen Konsens berufen können. Ein Interesse, das den herrschenden Werten einer Gesellschaft entgegensteht, nämlich die Abschaffung der Herrschaft, lässt antagonistische Konflikte zwischen den Werten der Gesellschaft entstehen. Der Konflikt wäre dann nicht die Reform einer begrifflichen Auslegung der Verfassung des Staates, sondern die Dekonstruktion der Begriffe innerhalb dieses Herrschaftsprinzips, was es abzuschaffen gilt.

Der größte Gegner des Kritikers ist er selbst

Die Kritik der Verhältnisse als Selbstkritik durch Selbstreflexion ist das neue bzw. alte gepredigte Allheilmittel, das die wahre Erkenntnis über Staat, Gesellschaft, Kapital bringen soll. Wobei man eher Autoritäten befragt, was sich in den eigenen Denk- und Handlungsstrukturen alles finden lassen soll, als seine eigene Identität ernsthaft zu hinterfragen. Bei genauerer Betrachtung der Selbstkritik ist es jedoch wieder nur die Auseinandersetzung mit dem Anderen, zu dem man sich selbst nicht zählt und die Verschonung des eigenen Egos. Das eingesetzte Freund-Feind-Schema (Carl Schmitt) verspricht die Verschonung und Sicherung der eigenen Existenz (Hoch lebe der Kritiker!) Die Distanz, die sich immer noch gegenüber der eigenen Person bewahrt wird, führt eben nicht zur schonungslosen Kritik der Verhältnisse, sondern zur Bestätigung der eigenen Genialität und zur Glorifizierung der eigenen göttlichen Identität. Das Bedürfnis, möglichst sichtbar in den Vordergrund zu treten, ist in der bürgerliche Gesellschaft nicht moralisch verwerflich, aber ein durch und durch kapitalistisches, was kritisch hinterfragt werden müsste. Der Wunsch, endlich aus der Masse der Anonymitäten zu entfliehen und etwas Besonderes zu sein, unterscheidet sich nicht vom Streben zur Selbstverwirklichung des Künstlers. Beide betrügen sich immer noch selbst, in dem sie vom Zweck der Gesellschaftskritik schwafeln. Das Streben nach der Verwirklichung des eigenen Willens bzw. der eigenen Wünsche zur befreiten Gesellschaft verkehrt sich in die Umsetzung derselbigen in der „falschen“ Gesellschaft. Die Kritik bezieht sich eben dann nicht mehr auf der gesellschaftlichen Verhältnisse, die zu einer Befreiung führen sollen, wenn das Machtstreben nur noch den eigenen Narzissmus bestärkt. Seinen eigenen Willen anderen aufzuzwingen: wo der Wille zur Herrschaft einem förmlich ins Gesicht springt, wird der Weg des geringsten Widerstandes gegangen. Auf die Hinterfragung des Verhaltens kommt die „kritische Antwort“: Triebumleitung bzw. Sublimierung. Die Erklärungsstrategie eignet sich in jedem Fall und braucht dann auch die Form des Verhaltens nicht mehr zu hinterfragen oder zu erklären. Es ist zur Natur geworden. Doch die Frage nach dem affirmativem Moment bleibt aus.
Narzisstische Bedürfnisse tragen wir alle in uns, aber wenn die Gesellschaftskritik das Mittel zur Befriedigung dessen bietet, ist der Zweck der Kritik weit verfehlt und man hat sich von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen. Die eigene Bespiegelung „ist Produkt einer höchst dürftigen und oberflächlichen Blasiertheit gegenüber dem Sinn menschlichen Handelns, welcher keinerlei Verwandtschaft hat mit dem Wissen um die Tragik, in die alles Tun, zumal aber das politische Tun, in Wahrheit verflochten ist.“ (Max Weber)

Frederike Schweins (Bündnis gegen Rechts)


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last modified: 28.3.2007