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So’n Zirkus


Zum Abschluss der Ausstellung und Veranstaltungsreihe „/In/welcher/Haltung/arbeiten/Sie/bevorzugt? – Kunst im Verhältnis zur Konstruktion von Arbeit“ an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sprach Britt Schlehahn am 10. April 2002 unter dem Motto „Der Zirkus um die Arbeit“ über die „Architektur von Arbeitsämtern“. Sie versuchte, den Zusammenhang vom jeweils vorherrschenden Arbeitsverständnis und Architektur von Arbeitsämtern im historischen Kontext zu belegen. Dies gelang ihr allerdings nur im ersten Teil des Referates.

Dass die Geschichte der Arbeitsämter mit einer Kapitalismuskritik begann und endete, mag verwundern. Tatsache allerdings ist, dass die ersten Arbeitsämter Ende des 19. Jahrhunderts auf Betreiben der Frauenbewegung (Die Leipzigerin Louise Otto-Peters spielte dabei eine nicht unwichtige Rolle) und der Gewerkschaften eingerichtet bzw. von diesen selbst betrieben wurden. Während die Frauenbewegung darauf drängte, endlich den Frauen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen – die Arbeitsämter sollten der Beratung und Berufsförderung von Frauen dienen – hoffte die ArbeiterInnenbewegung mit den Arbeitsämtern ihrem politischen Ziel „Arbeit für alle“ und ihrer sozialen Mission „Hilfe für die Arbeitslosen“ näher zu kommen. Die Arbeitsämter spielten auch eine wichtige Rolle im Klassenkampf. So stellten z.B. Arbeitsämter ihre finanziellen Leistungen ein, wenn gestreikt wurde, um die Auseinandersetzung zuzuspitzen.
Erst recht spät erkannte der Staat die Nützlichkeit einer Institution, die Arbeitslose temporär finanziell unterstützt und wieder für den Arbeitsmarkt fit macht. 1926 wurde in der Weimarer Republik ein Erlass verabschiedet, der die Förderung zum Bau von Arbeitsämtern regelte. Erst ab diesem Zeitpunkt kann von einer staatlichen Arbeitslosenpolitik die Rede sein. In dem Erlass wurde betont, dass die Arbeitsämter kein Kampfmittel (der ArbeiterInnenklasse) mehr sein sollten, sondern vielmehr dem Einzelnen die Hoffnung geben, wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden zu können.
Das Ende der Arbeitsämter wird jetzt im Zuge des Sozialabbaus eingeläutet. Während Schröder die Arbeitslosen als Faulenzer beschimpft, plant der neue Chef der Bundesanstalt für Arbeit die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Die ArbeiterInnenklasse ist nicht mehr existent, die realsozialistische Alternative stellt keine Gefahr mehr dar und Arbeitsplätze gibt es sowieso nicht mehr zu vermitteln. Die soziale Absicherung und Arbeitsvermittlung wird abgebaut oder privatisiert. Dieser Prozess geht wiederum mit einer antikapitalistischen Rhetorik einher: Mein Arbeitsvermittler erzählte mir (und natürlich auch allen anderen) bei meinem letzten Besuch auf dem Leipziger Arbeitsamt in aller Ausführlichkeit, dass der Kapitalismus ein unmenschliches System sei. Niemand würde sich um mich kümmern, nicht mal mehr das Arbeitsamt. Die halbstündige Vorrede, die den Charakter einer kommunistischen Agitation hatte, mündete allerdings nicht im Aufruf zur Revolution, sondern in der Aufforderung, dass ich mein Schicksal endlich in eigene Hände nehmen sollte und mich selbständig machen – denn der einzige, der sich in dieser brutalen Gesellschaft um mich sorgen würde, müsste ich selber sein. Der „aktivierende Staat“, von dem ich bislang immer nur in linken Zeitschriften gelesen hatte, war also endlich in der schäbigen Kammer meines Arbeitsvermittlers angekommen.
Diese Geschichte der Sozialpolitik spiegelt gleichzeitig auch das sich wandelnde Arbeitsverständnis wider. Während die Vordenker des fordistischen Produktionsprozesses die Menschen als Maschinen begriffen, deren Arbeitsabläufe sich technokratisch effektivieren ließen, ist inzwischen bekannt, dass mit Sozialtechniken mehr aus dem Menschen herauszuholen ist. Der Mensch wird inzwischen nicht mehr in der eigentlichen Produktion benötigt, sondern nur in den kreativen Prozessen, die sich um die Produktion gruppieren (Verkauf, Dienstleistung, Werbung). Insofern ist es logisch, dass Arbeitsämter früher dazu dienten, die Menschen auf die Fließbandproduktion in einem hierarchischen Betrieb zuzurichten, heute eher auf die Gründung einer eigenen Internetklitsche. Dass sich diese Anforderungen auch in der Architektur der Arbeitsämter wiederfinden, ist ein interessanter Gedanke, der bei genauerer Betrachtung meines Erachtens wenig Bestand hat. Die Leipziger Kulturwissenschaftlerin Britt Schlehahn versuchte in ihrem Vortrag „Über die Ideologisierung des Arbeitsbegriffes und dessen Einschreibung in die Architektur von Arbeitsämtern“ allerdings genau diesen Zusammenhang herauszuarbeiten.
Nach einer guten Einleitung, in der sie mit Marx und Foucault den Arbeitsbegriff und die Machttechniken beschrieb, kam sie zu ihren Beispielen: die Arbeitsämter in Wien, Dessau (beide erbaut in den 20er Jahren) und Leipzig (90er Jahre). Sie versuchte nun zu belegen, dass sich in Wien und Dessau das fordistische Arbeitsprinzip wiederfinden lässt, während die Architektur des Arbeitsamtes Leipzig den Postfordismus symbolisiert.
Das Arbeitsamt in Dessau, entworfen vom Bauhaus, perfektionierte die Bewegungsabläufe der Menschenströme. Es war radial gebaut, die ideale Form von Gebäuden, in denen mit wenig Aufwand viel überwacht werden soll (der ideale Grundriss von Gefängnissen, Psychiatrien, Fabriken – zur Abrichtung der Menschen – aber auch des Zirkus – zur Dressur der Tiere – ist kreisförmig), hatte viele Ein- und Ausgänge und im Fließbandprinzip wurden die Menschen von Station zu Station durchgeschleift. Die Beleuchtungsverhältnisse entsprachen denen einer Fabrik. Die Nazis hielten die Architektur für so „unmenschlich“, dass sie planten, das Gebäude abzureißen (inwieweit da nicht vielmehr die fortschrittliche Ausrichtung des Bauhauses eine Rolle spielte, wurde von der Referentin nicht ausgeführt).
Das Arbeitsamt Leipzig hingegen erinnere in seiner Architektur an einen Ort der öffentlichen Kommunikation. Das viele Licht, die verschiedenen Sitzgruppen, die Ausrichtung zum Park, der zentrale Ein- und Ausgang sollen sowohl MitarbeiterInnen als auch Arbeitslosen ein Gefühl der Lebensfreude, Kreativität und Hoffnung vermitteln. Es wurde versucht, dies mit Dutzenden Dias zu belegen – die dem Referierten aber eher widersprachen. Jeder, der einmal auf dem Arbeitsamt Leipzig war, weiss, dass es erstens wie ein Knast aussieht und zweitens auch diese bedrückende Atmosphäre vermittelt. Diese Tatsache war sogar Anlass für eine aufgeregte Debatte in der Leipziger Volkszeitung kurz nach der Einweihung des Arbeitsamtes. Den krassen Unterschied zwischen postfordistischem Anspruch des Architekten, der schon etliche Arbeitsämter in der ganzen BRD entworfen hat, und der fordistischen Wirklichkeit der Architektur, versuchte die Referentin mit Ironisierungen beizukommen: so zeigte sie die öden Skulpturen im Park und las parallel dazu vor, was dem Architekt vorschwebte. Sie hatte damit natürlich die Lacher auf ihrer Seite, so absurd war das; sie beharrte im ernsten Teil trotzdem darauf, dass das Arbeitsamt Leipzig seinen Anspruch gerecht würde und eben nicht wie ein Knast konzipiert sei.
Es sieht aber danach aus, dass sich in der alten Hülle, der Architektur des Leipziger Arbeitsamtes, der neue Inhalt, die „aktivierende“ Beratungs- und Vermittlungspraxis, verbirgt.

Mela Schubarth

Informationen zur Veranstaltungsreihe und Ausstellung: www.hgb-leipzig.de/dock, CEE IEH #86, S. 39 f.

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last modified: 28.3.2007