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das Letzte, 1.2k

Only four days



Wohlgeneigte Leserin und ebensolcher Leser! Im vorangegangenen „Allerletzten“ versprach ich mich von Israel zu melden. Das dieser Text nun, auch zur mich immer wieder treffenden Kritik des Layouters, doch erst danach geworden ist, hat was mit der Adressatin und der Reflexion der Reise insgesamt zu tun. Nicht mit allen Details werde ich euch zukünftig ungefragt überschütten, aber für einige Denunziationen sollten die Israel Erfahrungen schon noch ausreichen.
Der Text ist diesmal in der Briefform, weil er so die direkte Antwort an jene Israelin namens Chawa (für christlich sozialisierte Menschen – das ist der Name der Tora für die christlich-biblische Eva) darstellt, die uns als Quartiergeberin und Freundin, die wir sie kennenlernten, danach gefragt hat, was wir denn so erlebt hätten, nach unserer Begegnung im Kibbuz nahe Tiberias.

Liebe Chawa,
da wir es nun einmal von dir erfahren haben, nachträglich alles Gute zu deinem Geburtstag. Vielleicht ist es am Besten, wenn ich dir den Verlauf unserer vier letzten Tage in Israel schildere und deine Fragen implizit beantworte.
Wir sind am Donnerstag gegen Mittag, dann doch direkt von Tiberias nach Jerusalem, also durch das Westjordanland, gefahren. An der Businformation hatte man uns nochmals bestätigt, dass es für Touristen keine Beschränkungen zum Durchqueren der Autonomiegebiete gibt. Dass die Fahrt nicht eine gewöhnliche Linientour über Land würde, war uns schon vorher klar, weil wir uns vor unserem Urlaub mit der Situation in und um das Land intensiv auseinandergesetzt haben. Aber spätestens als wir beim Einsteigen in den Bus feststellten, daß wir die wahrscheinlich einzigen unbewaffneten Menschen im Fahrzeug sein würden, erinnerten wir uns sofort deines Vorbehaltes gegen die direkte Tour nach Jerusalem, wie wir uns gleichermaßen sicher fühlten.
Auch als wir die Doppelverglasung bis über Kopfhöhe im Inneren des Busses sahen, beschlichen uns ähnliche Gefühle. Doch verlief die Fahrt recht komplikationslos. Insgesamt haben wir wohl so sechs oder sieben Straßenkontrollposten passiert, mussten aber nur einmal wegen eines kleinen Staus kurz anhalten. So konnten wir lediglich feststellen, dass Autos mit palästinensischem Kennzeichen öfters und möglicherweise auch länger, warten mußten.
Auffallend war uns weiterhin, dass im Westjordanland, außer an einem Armeestützpunkt – das war übrigens lustig, wie wir dahin kamen; plötzlich bog unser Bus von der gut ausgebauten Fernstraße auf eine holprige Betonpiste ab, die gewiß nicht wie ein Abzweig nach Jerusalem aussah, aber noch bevor Thomas oder ich überhaupt unsere Überraschung zur Frage artikulieren konnten, sahen wir schon den Armeestützpunkt, wo deutlich sichtbar mehrere Soldatinnen und Soldaten auf unseren Bus warteten; es war also nur ein für uns doch sensible Touristen unvermittelter Abzweig – und an einer Raststätte etwa auf der Hälfte der Strecke keine Menschen in den Bus oder aus ihm stiegen. Trotz der, mit all der Bewaffnung, martialisch anmutenden Situation im Bus war die Stimmung unter den Menschen doch recht entspannt. Ob diese scheinbare Widersprüchlichkeit nun Resultat einer Verdrängung des Lebens außerhalb des Busses war oder, was ich eher glaube, eine aus der konkreten Erfahrung beinahe täglichen Geschehens in Israel hergeleitete mögliche und zudem immer noch vernünftige Verhaltensweise ist, sei dahingestellt. Bedauerlich war nur, dass wir während der ganzen, über zweistündigen Fahrt mit niemandem ins Gespräch kamen, um so einige unmittelbare Eindrücke reflektieren zu können.
Als wir dann gegen sechzehn Uhr in die „Central Busstation“ in Jerusalem einfuhren, mussten wir uns zuallererst durch eine intensive Sicherheitskontrolle in einer Art einseitiger Schleuße begeben, die uns von der Realität der Fahrt durchs Westjordanland ungebrochen in jene der Jerusalemer Verhältnisse warf.
Obwohl wir auch in Tel Aviv Sicherheitskontrollen z.B. am Eingang zum Campus der Universität, in Museen oder im „Dizengoff Center“ erlebt hatten, schien uns die Situation auf dem Busbahnhof doch gespannter, auch wegen der Intensität mit der unser gesamtes Reisegepäck begutachtet wurde, was wir so nicht einmal bei der Flugabfertigung während der Hin- und Rückreise feststellen konnten. Immerhin waren wir aber schon soweit in israelischem Sicherheitsdenken befangen, dass es uns wenn schon nicht schön, immerhin aber vernünftig vorkam und wohl auch ist, sowohl an der Einfahrt der Busse in die Station, als auch beim Betreten der Station von der Stadt aus, Sicherheitskontrollen zu installieren.
Entsprechend unserer typischen Touristen-Reiseführer u.ä. haben wir uns auf unserem Weg ins Zentrum natürlich einmal verfahren. Wir wollten sozusagen die Hotels, Hostels, Jugendherbergen von der Altstadt ausgehend absuchen, wo günstigste Übernachtungen möglich seien. Entschieden hatten wir uns dann direkt für das „Jaffa Gate Hostel“, in der Altstadt. Unmittelbar hinter dem Tor am Platz um die Zitadelle gelegen. Die Lage und der Preis schienen für uns günstig, und waren es auch, weil vorallem die billigen Übernachtungsmöglichkeiten in und um die Altstadt, so die spätere Auskunft eines Hostelgastes aus Kanada, seltsamerweise ausgebucht waren. Das Hostel ist aber trotzdem nicht zu empfehlen, warum das stellte sich endgültig erst am Samstagabend heraus, doch dazu in der Abfolge des Geschehens. Wenn es in der Altstadt außer dem dir bekannten „Hospiz Austria“ noch eine billige Empfehlung gibt, dann ist es „Petras Hostel“, ebenfalls am Jaffa-Tor gelegen. Diesen Tip hatte ich von einem Chabbad-Lubawitscher erhalten, mit dem ich beim Einkauf vor dem Schabbat, im Jewish Quarter in der Altstadt, eine kurze Unterhaltung hatte – dieses Gespräch übrigens eine Erfahrung die wir während unseres gesamten Aufenthaltes in Israel mehrfach machten: Nachdem wir uns ob unseres touristischen Outfits (Sommerkleidung und Fotoapparat) schnell selber identifiziert hatten, wurde uns fast immer die Frage nach dem woher gestellt. Unsere Antwort – Germany – löste dann meist noch mehr Fragen aus, wenigstens immer die nach dem „Wieso gerade jetzt in Israel?“ Und wenn wir dann zunächst recht kurz – bedenke bitte auch unser schlechtes Englisch – darauf verwiesen, daß wir schon ein wenig „crazy“ seien, brachte uns dies immer wieder wenigstens verständnisvolles Lächeln ein, die Verkäuferinnen in euerm Kibbuz haben sogar lauthals gelacht, um dann eventuell weiter zu fragen.
Jedenfalls war mit der Quartiersuche, einem Spaziergang in der Yaffo-Street und einem Besuch im „Cafe Hilllal“ (es wird noch eine Rolle spielen) wo wir Pläne für den nächsten Tag machten, der Donnerstag für uns gelaufen.
Am Freitag dann sind wir morgens 9 Uhr bereits in Yad Vashem, dem für uns wichtigsten Ziel in Jerusalem, gewesen. Nachdem ich bereits 1999 an zwei aufeinander folgenden Tagen und diesmal damit zum dritten male in Yad Vashem war, bedürfte es eines eigenen langen Briefes, wollte ich dir alles schildern, was mich dort immer noch und immer wieder bewegt. Ich werde es auch gern tun, wenn du es lesen möchtest. Meinen Freunden und Genossen hier sage ich nur immer wieder, Yad Vashem kann man nicht erzählen. Nur was einen bewegt – und das auch nur schwer und selten, weil es leider hier Zuwenige hören wollen. Aber auch darüber gerne bei einer anderen Gelegenheit. Bei der örtlichen Nähe, waren wir auch gleich noch auf dem Hertzl-Berg und haben uns die Gräber von Rabin und Hertzl angesehen.
Ein erster kurzer Besuch an der Westmauer kurz vor dem Schabbat und ein Einkaufsbummel (Lebensmittel) beschlossen den Freitag für uns. Den ganzen Schabbat über wirkte Jerusalem auf uns wesentlich ruhiger als Tel Aviv, wo wir den Feiertag eine Woche zuvor verbracht hatten. Nur auf dem arabischen Basar in der Altstadt und in Ostjerusalem, wohin wir, immer in Sichtweite der Altstadtmauer, bei einer Tour rund um die Altstadt kamen, war natürlich betriebsame Geschäftigkeit zu sehen. Daß die Schabbat-Ruhe für uns in Jerusalem spürbarer war, liegt sicher an dem deutlicheren Kontrast zwischen Ost- und Westjerusalem. Am Samstagnachmittag war aber auch unser „offizielles“ Reiseprogramm beendet, denn bereits Montag am frühen Morgen sollte unser Rückflug von Tel Aviv erfolgen. Für uns stand also nur noch die Frage einige Stunden in Jerusalem und einige auf dem Flughafen zu verbringen. Am sinnvollsten erschien es uns, bei einem gemütlichen Kaffee in einem ebensolchen, sich der Tage in Israel noch einmal zu erinnern. Dazu hatten wir uns das von uns schon einmal besuchte „Cafe Hillal“ in der Yaffoo-Road ausgewählt. Anbetracht des noch nicht beendigten Schabbat war dieses am Samstag jedoch mindestens bis 18 Uhr geschlossen. Um die Zeit zu überbrücken haben wir einen ausgedehnten Spaziergang beidseitig der Yaffo-Road gemacht und sind dabei auch in Bet Yisrael gewesen. Was dort kaum zwei Stunden später geschehen sollte konnten wir nicht ahnen, wenigstens nicht für den Ort und die Zeit. Wir hatten nur Straßen und Häuser wahrgenommen, und weil wir die Ruhe der Menschen dort nicht durch unsere touristische Langeweile stören wollten. uns auch bald wieder herausbegeben. Andererseits haben wir auch den Beginn einer Demonstration von „Gush Shalom“ (Frieden Jetzt) am Zion Sqare mitbekommen. Das schien uns spannend, da wir uns aber als Touristen sowieso nicht einmischen wollten, und wir leichtsinnigerweise gerade unsere Pässe nicht dabei hatten, haben wir uns auch wegen der hohen Präsenz von Sicherheitskräften lieber entfernt gehalten und sind dann gegen 18.30 Uhr in das nunmehr geöffnete Cafe gegangen. Alle weiteren Zeitangaben sind dir dann sicherlich aus den Medien bekannt. Wir bemerkten jedenfalls plötzlich zunehmende Präsenz von Sicherheitskräften vor dem Cafe. Entsprechend unserer Erfahrungen aus Deutschland ordneten wir dies zunächst der Demonstration und ihrer notwendigen polizeilichen Begleitung zu, immerhin war der Auftakt auch nur wenige hundert Meter von unserem Cafe. Als dann aber immer mehr, und teilweise mit gezückten oder im Anschlag befindlichen Waffen, Sicherheitskräfte auftauchten, der Chef des Cafés die offene Tür, obwohl nur aus Glas, schloß und die anderen Gäste scheinbar hektisch anfingen mittels Handy zu telefonieren, wußten wir zwar nicht ob und wie gefahrvoll die Situation für uns war, aber das etwas passiert sein mußte, von dem wir zwar wußten, daß es in Israel auch physisch in unserer Nähe geschehen kann, wir es aber zumindest aus unserer gedanklichen verdrängt haben, war uns schon klar. Wir fühlten uns gewissermaßen im Moment unwohl, soetwas wie Angst vor dem Unmittelbaren. Ich habe das noch nie kennen gelernt und bin, nicht zuletzt mit diesem Brief dabei es weiter zu verstehen. Doch mit der ungewissen Situation im und beim Verlassen des Cafés, nachdem wir uns erfragt hatten, ob es auf Grund der Polizeiabsperrungen überhaupt möglich sei, sollte alles erst beginnen. Wir wollten nur heraus aus jenem Gebiet, der uns auf Grund der zahlreichen Polizisten unsicher erschien.
Erst in einer kleinen Bäckerei haben wir uns dann zwischenzeitlich gefangen und den Inhaber gefragt was den passiert sei, worauf er uns von der Autobombe in Bet Yisrael und den zum Zeitpunkt so angegebenen zehn getöteten Menschen erzählte. Mit der, wie wie sich später herausstellen sollte, Illusion wenigstens noch ein paar Stunden Ruhe in unserem Hostel zu finden und nächsten Tages dann einen traurigen Abschied von der Stadt Davids nehmen zu müssen, begaben wir uns in die Altstadt. Gewissermaßen froh aus etwas, was wir blödsinnigerweise als Zone mit Gefahr für uns definiert hatten, heraus zu sein. In unserem Hostel angekommen, sahen wir daß der arabische Besitzer, seine zwei Söhne, ein Gast aus Südafrika und einer aus Kanada im Foyer gerade das Programm des israelischen Fernsehens mit offensichtlichen Bildern vom Attentat verfolgten. Als ich auf die Frage unseres Daherkommens, bei Verweis auf die Fernsehbilder mitteilte, daß wir ganz in der Nähe, wenn nicht gar am Ort des Attentates waren, erweckte das nur bei den beiden Ausländern Fragen, während die drei Araber sichtlich desinteressiert waren, sich mit uns über allgemeine Folgen der Situation für den Tourismus unterhielten oder mit erkennbarem Lachen das Bild eines am Kopf blutenden Mannes kommentierten.
Ich muß dazu ergänzen, daß uns bereits am Ankunftstag im Hostel, ein im Foyer ausliegendes Buch, mit dem Titel „Forward Gunner Ash“, und dem Abbild eines Wehrmachtssoldaten samt blonder Frau im Arm, auf dem Einband, aufgefallen war, ein für uns, als sich erinnernde Menschen, zumal in Deutschland auch für alles was Nazis ausschließt engagiert, fataler Anblick. Wir waren so und auch durch eine Äußerung eines Sohnes, daß unsere Dollars zwar willkommen, wir aber, so wir US-Amerikaner, und nicht aus „germany“ wie wir angegeben hatten, sein würden, es nicht wären, hinreichend sensibilisiert. Aber was dann folgte ging über unseren Vorstellungshorizont. Das Fernsehbild wechselte und zeigte eine Demonstration unter roten und grünen Fahnen alle mit arabischen Schriftzeichen. Daraufhin fragte der Mann aus Südafrika den Hostelbesitzer: Für was demonstrieren sie? Antwortete der: Für Frieden! Als dann aber im unmittelbar anschließenden Bild eine weiße Fahne mit dem eingesickten Bild des Felsendomes erschien, herrschte Schweigen im Raum. Nur der Mann aus Südafrika schaute mich erstaunt an, hatten wir doch beide bei der vorherigen Übertragung vom Attentatsort, obwohl kein hebräisch sprechend, mitbekommen, daß die „Al Aksa“ Brigade der Palästinenser die gerade aktuelle Anschlagsverantwortung übernommen habe, was er mir bei einem Gespräch unter vier Augen auch bestätigte. Auf meine Fragen an die drei Araber, die offensichtlich die Einzigen des Hebräischen mächtigen im Raum waren, und trotzdem nicht ein Wort ins Englische übersetzten, ob jene Demonstration gerade jetzt und ob sie in Ramallah, wie ich glaubte verstanden zu haben, stattfinde erhielt ich von einem der beiden Söhne des Hostelbesitzers jeweils eine bejahende Antwort, um nur wenig später von ihm zu hören: You look like a Jew. You only need a kippa. You look like a settler. It’s better when you go home!
Liebe Chawa, das war etwa gegen 21.00 Uhr. Wenn ich dir sage, daß wir bereits vier Stunden später auf dem Flughafen in Tel Aviv saßen, dann war unser Handeln schon ganz schön von Angst bestimmt.
Shalom Andreas

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last modified: 28.3.2007