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Die Linke als Kulturprogramm

Schon mit seiner inhaltlichen Schwerpunktsetzung war vom „Konkret“-Kongreß nicht die brisanteste Kontroverse über die Terroranschläge des 11. September und ihre Folgen zu erwarten. Neben Auslassungen, viel bekannten und weniger guten Argumenten, konnte beim gegenwärtigen Stand der linken Streitkultur wenigstens auf schrille Töne der üblichen Verrückten gehofft werden. Insofern hielt die Veranstaltung, was sie offiziell nicht versprach.

Auslassungen

Das große Manko stand von vornherein fest. Obwohl in der Zeitschrift „Konkret“ auch Autoren wie Matthias Küntzel und Justus Wertmüller zu Wort kommen, die, wie ersterer, den Antisemitismus islamischer Strömungen oder, wie der andere, die Hypothese emanzipativer Folgen des Anti-Terror-Krieges hervorheben, waren entsprechende Positionen auf dem Podium kaum präsent. Sicher, mit Thomas von der Osten-Sacken hatte man sich einen Prügelknaben eingeladen, der zwar die Gewichtung der Themenauswahl monieren durfte, dem es aber als Koreferenten weder im Guten noch im Schlechten gelang die Kritik des Antiimperialismus stark zu machen.
Vielleicht fürchtete die „Konkret“ den Eklat und dies nicht ganz zu unrecht. Immerhin ist Hamburg nicht nur die homebase antideutscher und antinationaler Gruppen, sondern gleichfalls eines der letzten Refugien einer traditionell veranlagten Linken. Der oft schon totgeglaubte linke Antizionismus läßt sich hier immer noch von den Häuserwänden alternativer Zentren ablesen, das freie Radio (Freies Sender Kombinat) durchlebt alle Jahre wieder einen „Antisemitismusstreit“ und schon der Verkauf der Zeitschrift „Bahamas“ kann hier zum Veranstaltungsabbruch führen.
Da ist es nicht schwer vorstellbar, wie der Reizpegel schon bei der Ankündigung einer „Bahamas“-Beteiligung am Kongreß in die Höhe geschnellt wäre. (Eine Vorstellung, welches Ausmaß an Geiferattacken die Verteidigung von Israel hervorrufen kann, bekam dann das Publikum auch ohne die Anwesenheit von Justus Wertmüller.)
Und trotzdem blieb die Podiums-Politik der „Konkret“ unschlüssig.
Sie als konsequent und engagiert zu bezeichnen, weil sie die strikte Ablehnung der militärischen Intervention in Afghanistan zum Entreebillet bei der Referatsvergabe machte, verbot die bisherige Blattlinie. Auch die Bestellung Osten-Sackens, welcher in der „Jungle World“ als Nahost-Experte und eifriger Sammler von Gegendarstellungen, der militärischen Intervention gegen den Irak entgegenfiebert (vgl. dazu den Beitrag von Alfred Schobert in der „Graswurzelrevolution“ 2/02), spricht nicht für eine Strategie, die rhetorische Kriegserklärungen und andere Ausfälle nicht akzeptieren möchte.
Warum also nicht gleich die Originale? Warum nicht Wertmüller mit Bodygards. Warum nicht Matthias Küntzel, mit seiner wichtigen Kritik, der islamistische Hintergrund der Anschläge dürfe nicht ausgelassen werden?
Sicher beide finden zur Legitimation des Krieges. So wie aber der süffisante Verweis auf Analytiker, die bei der Erklärung der Neuen Weltordnung tatsächlich immer noch Erdölvorkommen und Pipelineprojekte heranziehen, nur zum stinklangweiligen running gag taugt, aber eben noch kein Gegenargument ist, sollte man sich auch nicht in der Gewißheit wiegen, daß allein schon die Rede von den „Kriegsbefürwortern“ in allen ihren Varianten bereits den Beweis für die falsche Position enthält.
Daß in der radikalen Linken zu viel Kelly und Bastian ist, also die generelle Ablehnung von Waffengewalt unabhängig vom Begründungszusammenhang, bleibt eine böswillige Unterstellung, die vielleicht bei Attac & Co. zu einem Argument wird. Aber auch die substanziellere Empörung gegen den Kriegskurs einiger Linker darf sich nicht um die Diskussion des islamistischen Antisemitismus und um die Diskussion der Behauptung, der US-amerikanische Krieg gegen den Terror wirke emanzipativ und schütze Israel, drücken. Denn beide Themenbereiche verweisen auf die zentralen Paradigmen der Linken nach 1945. Zum Streben nach Emanzipation, welches spätestens und zwingend nach dem Holocaust nicht mehr bruchlos gedacht werden konnte, kam der Leitsatz, ein neues Auschwitz zu verhindern, der sich zwar durch grüne Kriegsmethaphorik als politisch instrumentalisierbar erwies, aber mit der Existenz Israels einen bisher unverrückbaren Faustpfand erhielt.
So wie es ein Armutszeugnis für die „Konkret“ war, daß sie die Frage nach dem antisemitischen Charakter der Anschläge vom 11. September, die Gefahr des Islamismus und das zivilisatorische Potential in Folge der US-Bombardements so marginal behandelte, so schwach war auch der diesbezügliche Legitimationsversuch des „Konkret“-Herausgebers Hermann L. Gremliza. Man habe von Anfang an nur die deutsche Rolle in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellen wollen. Demzufolge hatte das Motto „Deutschland führt Krieg“ gelautet. Damit war die Auslassung aber eben gerade nicht begründet, sondern nur wiederholt. Ganz davon abgesehen, daß sich ein nicht unwesentlicher Teil der Kongreßbeiträge dann US-amerikanischer Außenpolitik widmen sollte.

Einlassungen

Der Beginn war furios. Trampert, den man von „Jungle World“ bis „Bahamas“ zum Trottel stilisierte, weil er bei seinen Erklärungsversuchen auf den Kategorien materieller Interessen besteht, glänzte mit einem Vortrag, der an argumentativer Dichte an diesem Tag nicht mehr überboten werden sollte.
Daß sich der Krieg gegen den Terror in Übereinstimmung mit bereits lange vor dem 11. September existierenden Geostratgien vollzieht, wobei die Vereinigten Staaten bei der „Annexion der sowjetischen Erbmasse“ an herausragender Position mit den anderen reichen Industrienationen konkurrieren, wurde nicht nur mit den üblichen, aber deswegen immer noch nicht unrelevanten FAZ-Schnipseln und Brezcynski-Zitaten belegt. Seien es die Kommandoerklärungen der NATO, die O-Töne aus den Planungsstäben der Ministerien oder die Strategiepapiere der Parteifraktionen, eine Vielzahl von Beweisen sprechen ganz unverhohlen aus, daß es den USA um die Aufteilung der Welt, die Schaffung von Stabilität und somit um die in diesem Falle militärische Absicherung einer Ordnung geht, die ihnen den optimalsten ökonomischen Gewinn verspricht. Dem selben Maßstab sehen sich die westlichen Partner in der Anti-Terrorkoalition verpflichtet, deren lächerliche Beteiligungen allerdings nur signalisieren, daß sie bei diesem Prozeß nicht völlig den Anschluß verlieren wollen.
Daß die Terroranschläge der Anlaß für den Krieg gegen Afghanistan waren, wird von Trampert nicht bestritten. Natürlich näherte sich seine Analyse kaum den oben genannten Auslassungen. Ohne sie aber läßt sich eben auch nicht verstehen, warum eine Terrorismusbekämpfung, die sich nach der kapitalistischen Geschäftsordnung richtet, zwar in Kabul zu Verbesserung der Menschenrechtssituation beitragen kann, aber im selben Moment mit Saudi-Arabien einen der gefährlichsten Feinde Israels stärkt. Die Analyse materieller Triebkräfte bezieht sich dabei nicht nur auf den Kampf um Rohstoffe und ihre Transportwege, sondern muß vielschichtiger den Bereich der politisch-militärischen Absicherung der Weltordnung als Grundvoraussetzung für den kapitalistischen Normalbetrieb beachten.
Selbst dann ist sie nicht der einzigste, aber ein wichtiger Ausgangspunkt, um die instrumentelle Protegie islamischer Strömungen, derer sich sowohl die USA (Saudi-Arabien, Mudjahedin in Afghanistan, UCK in Ex-Jugoslawien) als auch Euro-Deutschland (Unterstützung von Bosnien-Herzegowina, Iran-Connection, UCK,) bedienen, zu erfassen. Auch wenn man dabei den geschichtlichen Analogien und ideologischen Traditionen den zentralen Stellenwert beimißt - beispielsweise die antiwestlichen Orientierungen deutscher Außenpolitik mit der Unterstützung einiger islamischer Staaten und Gebiete in Zusammenhang bringt, muß dies wie Matthias Küntzel zeigt („Konkret“ 11/01, „JungleWorld“, 5/02) nicht unter Preisgabe einer Analyse strategisch-ökonomischer Interessen geschehen.

Gegen Deutschland?

Bei denjenigen, die den „Krieg gegen den Terror“ in erster Linie aus der Sicht der ideologischen Versprechen beurteilen, zeigt sich eine fatale Leerstelle. Die Rolle Deutschlands, welches mit rasanter Geschwindigkeit seine Optionen in der Staatenkonkurrenz vergrößert, bleibt hier seltsam unterbelichtet.
Auch weiterhin besteht zwar bei „Bahamas-Positionen“ die berechtigte Scheu den Nachfolgestaat des Deutschen Reiches, den EU-Hegemon und wiederholten Aggressor Jugoslawiens in einem Atemzug mit den staatlich sanktionierten Apologeten der deutschen Außenpolitik als Zivil- und Friedensmacht darzustellen. Jedoch drückt man sich entweder um eine Erklärung der deutschen Rolle oder es wird so getan, als gäbe es hierzulande nur die Statements einiger deutscher Intellektueller und Friedensbewegten, die gegen den militärischen Interventionismus wettern (Vgl. „Zur Verteidigung der Zivilisation“, Bahamas, Nr. 37/02). Im Besitz einer solche Scheuklappenmentalität lassen sich dann die Schritte der deutschen Militarisierung, die Normalisierung deutscher Kriegsbeteiligung, die mittlerweile vom Balkan über das Horn von Afrika bis in die afghanische Hauptstadt reicht, mithin ein Großteil auch der innenpolitischen Realität (Wiederaufrüstungsdebatten) recht unkritisch ignorieren.
Aber zurück zum Kongreßgeschehen. Hier sollte es Georg Fülberth sein, der dem Auditorium die Angst vor den Deutschen nehmen wollte. Immerhin beteiligen sich auch die Dänen mit einem Kriegsschiff am Einsatz gegen al Qaida, so der Marburger Professor für Politikwissenschaften. Rechnete man die Besatzung des Pottes auf die Gesamtbevölkerung der Nation, so müsse man feststellen, daß die Dänen mit mindestens so hohem Aufwand wie die Deutschen am neuen kriegerischen Imperialismus beteiligt wären.
Womit erstens bewiesen wäre, daß Deutschland keine besondere Rolle spielt und zweitens es auf keinen Fall um Erdöl und Pipelines gehen könne. Denn wer glaubte schon, daß die Dänen darüber mit den mächtigen USA Händel anfingen.
Mit dem Gestus der betonten Unaufgeregtheit und einer gespielten Widerwilligkeit gegenüber dem Gegenstand der Auseinandersetzung versuchte Fülberth die deutsche Politik in die allgemeine Banalität kapitalistischer Außenpolitik einzuordnen. So wie es bei dieser im Allgemeinen um Innenpolitik mit anderen Mitteln ginge, so müsse die deutsche Expedition in den Mittleren Osten als Schröder-Politik begriffen werden. Statt weltweit ökonomische Interessen zu verfolgen, richte sich diese eher nach den Maßgaben der einheimischen Rüstungsindustrie und der wirtschaftlichen Integration in den europäischen Raum, welche Sonderwege dysfunktional mache. Darüber hinaus könnte sie als ideologische Integrationsmaßnahme für das nationale Kollektiv interpretiert werden.
Obwohl die lapidare Beweisführung Fülberths die Vorstöße und materiellen Resultate deutscher Interessenpolitik ignoriert, die auf dem Balkan, im Nahen und Mittleren Osten aber auch in Süd- und Lateinamerika sowie in China, also überall dort, wo die deutsche Industrie auf die Vergrößerung ihrer Absatzmärkte setzt, mit immer größerem Selbstbewußtsein und in zunehmend offenerer Konfrontation mit den USA agiert, wurde sie von großen Teilen des Publikums mit Beifall bedacht. Allerdings wohl eher, weil Fülberth mit seiner „Haltet mal die Bälle flach“-Performance kulturell überzeugen konnte. In seinem „Jungle World“-Kommentar über den Kongreß sah sich Joachim Rohloff jedoch zu einem Lob höherer Art hingerissen (vgl. „Jungle World“, 7/02). Fülberth hätte „ohne größeren argumentativen Aufwand“ die „Röhrenlegende“, also die Bezugnahme auf geostrategische und ökonomische Interessen à la Trampert, vom Tisch gewischt. Euphemistischer hätte man den Umstand, daß hier jemand inhaltlich fast nur Dünnes zu bieten hatte, nicht ausdrücken können. (Ganz abgesehen davon, daß die Entschuldigung des Referenten, der am Ende der Veranstaltung bekannte, er habe einige Belehrungen erhalten, weshalb er seine Thesen überdenken müsse, im Rohloff-Kommentar unterschlagen wurde. Entweder bekam er die Relativierung nicht mit, weil er schon out of area war, nachdem er gehört hatte, was er hören wollte, oder aber er hat überhört, was bei der funktionalistischen Lobhudelei nur stören kann. Genauso wie die Tatsache, daß sich Fülberth auch aus der Klassenkampf/Imperialismus-Schublade bedient, einen Ansatz, welchen der „Jungle World“-Autor bei Trampert noch der Lächerlichkeit preisgeben möchte.)

Geht es noch um was?

Es war die Sache Hermann L. Gremlizas die falschen Banalitäten des Marburger Professors zurechtzurücken. Seine Position, verschloß sich nicht vor der Erkenntnis, daß die Deutschen auf einen Machtgewinn gerade dort hinarbeiten, wo die US-Hegemonie Lücken aufweist. Dabei wird die Verfolgung der deutschen Interessen, ohne deren Berücksichtigung man laut Gremliza nicht von der Weltpolitik reden sollte, von einem ideologischen Orchester begleitet, welches mit Trara und deutlichen Bezügen auf die Tradition der Geopolitik die Rückkehr der Deutschen auf der Weltbühne und die Entgrenzung ihrer Handlungsspielräume feiert.
Weil der „Konkret“-Herausgeber den Vortrag Fülberths wohl wie die meisten als guten Witz nahm, entgegnete er jedoch ohne Anzeichen größerer emotionaler Erregung.
Es schien dann noch des öfteren so, als seien all die Vorwürfe, Streitereien und Unterschiede, die innerhalb der trauten „Konkret“-Familie ausgetragen wurden, zu einem guten Teil nur Attitüden, die bei Anwesenheit fundamentalerer Gegenpositionen gar nicht sichtbar geworden wären. Daß alles nicht ganz so ernst zu nehmen sei, und auch wenn Deutschland Krieg führt, unsereinem das Lachen nicht vergehen soll, dafür sprach ebenso der zweifelhaft humoreske Abschluß der Veranstaltung mit Hilfe des hauseigenen Dichters Horst Tomayer. Krampfte man sich früher bei vergleichbaren Veranstaltungen einen ab, um auch noch dem krudesten Verlauf, den Anschein sinnhafter Perspektive anzufügen, war auf dem „Konkret“-Kongreß ein gegenteiliges Extrem zu beobachten. Der realpolitischen Katastrophe linker Opposition begegnete man mit einer als Spaß verkleideten Anspruchslosigkeit. Und wer wollte die mit überzeugendem Hintergrund hierzulande richtig übelnehmen?
Na ja, vielleicht Jürgen Elsässer. Seit Jahren erweckt er immerhin den Eindruck, er wolle mit seinem Einfluß als Autor wirklich noch linke Politik anschieben. Anfang der 90er warb er für Netzwerke notfalls auch mit britischen und französischen Konservativen gegen die deutschen Großmachtambitionen, später dann das Plädoyer für eine rückhaltlose und praktische Unterstützung Milosevics und serbischer Nationalisten gegen deutschgesteuerten Separatismus und NATO-Intervention. Auch der Antifa machte der Autor das Angebot zum Schulterschluß. Zusammen mit den Arbeitslosen müsse man gegen die Nazis mobil machen, deren Dasein er nicht unwesentlich als die Folge von unbefriedigendem Sex erklärte. Es ging immer ganz schön durcheinander bei Jürgen Elsässer und noch sein großzügigstes Bündnisangebot kam nicht ohne derbe innerlinke Feinderklärungen aus.
So wunderte es nicht wenig, daß genau diese Praxis der Vergangenheit, mit einer gehörigen Portion Selbstkritik versehen, von ihm getadelt wurde. Des Rätsels Lösung folgte bald.
Zunächst allerdings wurde eine krude Theorie aus der Taufe gehoben, die zwar dem guten Zwecke dienen sollte, der „Bauch frei statt Burka“- und „Fanta statt Fatwa“-Fraktion den Glauben an den westlichen Werteuniversalismus zu erschüttern, letztendlich leider nur als belesenerer Antiamerikanismus zu verstehen war. (Der sich im Übrigen bereits in Elsässers neuem Buch „Make Love and War“ nachlesen läßt)
Daß große Problem bestehe nach Elsässer darin, daß die USA mit Zivilisation und Menschenrechtsuniversallismus verwechselt würden. Dabei zeige sich bei einer Untersuchung der amerikanischen Revolution , daß diese bereits die Grundlagen für den Privatismus in der Konkurrenz nicht aber für überall geltende Menschenrechte gelegt hätte. Einer Auslassung bei der Abfassung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, in welcher nicht von „public happiness“, sondern nur noch von „pursuit of happiness“ die Rede ist, habe die Verwechslung von öffentlichem Glücksstreben und privatem Wohlergehen begünstigt. In Folge dessen wurde das individuelle Streben nach eigenen Vorteilen, welches auf andere keine Rücksichten nimmt und nicht die Ausübung und Sicherung bürgerlicher Freiheiten zur zentralen Ideologie des amerikanischen Kapitalismus. Ganz im Gegensatz zur Wirkungsgeschichte der französischen Revolution, meint Elsässer. Deren Ideale „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ wären bis heute lebendig und könnten als „klassische und klassenunabhängige Ideale jeder Zivilisation betrachtet werden.“ Das amerikanische Glücksstreben hingegen, bedeutete von Anfang an nichts anderes als eine „kapitalistische Deformation dieser Ideale unter der Prämisse gegeneinander konkurrierender Marktsubjekte und Konsummonaden.“
Bis heute zeigen sich der Unterschied in den Konzeptionen der amerikanischen und französischen Revolution in den Emmanzipationsgehalten der jeweiligen Gesellschaften. Mit Hilfe soziologischer Studien, die belegen, daß „nur 1,2 % der weißen amerikanischen Männer eine schwarze Frau finden“, während 23% der weißem französischen Männer Frauen aus den ehemaligen Kolonien ehelichen, wollte Elsässer beweisen, daß es einen ungebrochenen Differenzialismus in den USA gibt. Bewiesen hatte er damit aber auch, daß er in Kategorien denkt, nach denen nur weiße Männer schwarze Frauen suchen, finden und heiraten. Von einer weniger patriarchal-ethnozentrischen Auslegung entsprechender Statistiken, die auch umgekehrte Ansinnen berücksichtigt, machte er jedenfalls nicht gebrauch.
Selbst mit soziologischer Argumentationshilfe, konnte Elsässer nicht den Eindruck verhindern, daß er mit dem Lob des französischen Universalismus den Fehler der Gleichsetzung von Glücksversprechen und realer Einlösung - nur in andere Nationalfarben gehüllt - wiederholt. Auf dem Podium wies Thomas Ebermann als erster daraufhin, daß Elsässer einem solchen Ansatz, der die bürgerliche Ideologie nicht generell auf ihren materiellen Hintergrund untersucht und ihren Beitrag zur zwanghaften Durchsetzung kapitalistischer Verhälnisse wiederum nur sehr differentialistisch konstatiert, automatisch über die Verbrechen des französischen Kolonialsystems geschwiegen werden muß, während die Vernichtung der nordamerikanischen Indianer in den Vereinigten Staaten als besonders schwerwiegend erscheint.
Die „Baguette statt Hamburger und Wurstschnitte“-Theorie, wurde nach diesem resoluten Einwand nicht mal mehr von ihrem Urheber verteidigt. Der wollte auch nicht nur die Franzosen als möglichen Gegner des US-Imperialismus anbieten, sondern fühlte sich durch eine Anti-Kriegserklärung des IG-Metall-Vorstandes zu der Frage inspiriert, „ob vielleicht die Arbeiterbewegung ja doch kein so toter Hund ist, wie man bisher glaubte“. Deshalb also die Entschuldigung vorab. Sie galt nicht Antinationalen und dekonstruktivistisch argumentierenden Linken, die von Elsässer in der Vergangenheit ihr Fett abbekamen, sondern dem ehemaligen Angstgegner „deutsche Arbeiterbewegung“.
Daß war dann so ein Moment, an dem sich die Erkenntnis Bahn brach, daß sich der Besuch der Veranstaltung auf jeden Fall gelohnt hat. Durch die linke Praxis der letzten Jahre bis zur Abstumpfung daran gewöhnt, daß die großmäuligsten linken Strategen mit Vorliebe den Feind von Gestern als originären Bündnispartner von Heute anempfehlen, nimmt man auch sowas als guten Gag. So schimpfte niemand wirklich darüber, daß hier ein Verein nationalistischer und antiamerikanischer Sozialdemokraten zum hypothetischen Bestandteil einer „linken Sperrminorität“ (Elsässer) gegen den Krieg geadelt werden sollte. Die Mehrheit des Auditoriums quittierte den Plan mit Gelächter.

Aufklärung und Küchenpsychologie

Es war Ebermann zu verdanken, daß er die Kritik am linken Bellizismus in ein besseres Licht rückte. Am Zitat belegte er die instrumentelle und willkürliche Argumentation, die den Antisemitismus der Linken noch vor nicht zu langer Zeit zum vernachlässigbaren Phänomen erklären wollte, um ihn heute als angeblich konstituierendes Moment einer linken Kriegsgegnerschaft wieder in Stellung zu bringen. Als ähnlich beliebig und denunziatorisch wies er den Umgang mit der Feststellung, daß auch die Nazis Kriegsgegner seien, nach. Noch während der NATO-Attacken auf Ex-Jugoslawien, wußte man um die Unterschiede. Heute findet man schon die Nennung „Nazis und andere Kriegsgegner“ erklärungskräftig. Die Latte der Kritikpunkte war lang. (Zu lang für den Vortrag, der so nicht zu dem Hörvergnügen wurde, welches man sonst von Ebermann gewohnt war. Auf das Buch zum Kongreß darf man sich deshalb um so mehr freuen). Die Einschätzung islamistischer Strömungen, die bei den linken Befürwortern militärischer Schläge keine Empirie mehr kennt, der von ihnen ignorierte Zusammenhang zwischen dem Elend und entsprechenden Heilsversprechen in der Peripherie mit der Macht der Zentren, die Tendenz wie dazumal Enzensberger in vorschnellen Analogien den Faschismus und Nationalsozialismus zu pluralisieren und in den Nahen- und Mittleren Osten zu entsorgen, all das wurde benannt.
Jedoch war auch Ebermann nicht frei von der Versuchung den innerlinken Kontrahenten auch jenseits belegbarer Beweisführung eins um die Ohren zu hauen. Die Frage, warum denn linke
Bellizisten ihr angelesenes Wissen und vormalige Grundeinstellungen über Bord werfen, versuchte er mit der Vermutung zu beantworten, daß eben auch Linksradikale sich nach Macht und Entscheidungskompetenz sehnen. Was sie real nicht haben, versuchen sie sich durch die linke Legitimation der faktischen Kriegspolitik zu halluzinieren. Als Metapher für den Vorwurf, daß es sich bei den Bahamiten und ihren Apologeten um Riesenrinder handelt, läßt sich sowas vielleicht gutheißen. Richtig erklärt wird er durch die küchenpsychologische Variante der uralten linken Schmähung „Selber bürgerlich!“ nicht.
Da lag Günther Jacob näher am Problem. Für ihn erklärt sich der tiefe Graben zwischen den Positionen vielmehr aus einer immer noch nicht genügend zur Kenntnis genommenen Differenz in der methodologischen Herangehensweise. Während die einen sich zu forderst aus dem Register „Klassenkampf, Imperialismus“ bedienten, stelle für andere Linke Auschwitz den Ausgangspunkt ihres Erkenntnis- und Handlungsinteresses dar. Zwar haben schon Adorno und Horkheimer Kapitalismus- und Ideologiekritik integriert, die Linke sei aber danach oft hinter deren Erkenntnisse zurückgefallen und würde mit einer überdeterminierten Inanspruchnahme des einen oder des anderen Registers sich in eine bescheuerte Hysterie versetzen, die sinnhafte Diskussion verhindert.
Es wäre nicht der schlechteste Abschluß des Kongreß gewesen. Doch auch „Konkret“ tat so, als ginge es noch um Basisdemokratie und ließ das Auditorium zu Wort kommen. Erfahrungsgemäß sehen in solchen Momenten die Verrückten aller politischen Fraktionen ihre Chance gekommen und während die meisten noch darüber nachdenken, wie sie ein aufgetauchtes Problem, eine nicht ausgeräumte Fragestellung etc. in rhetorisch halbwegs nachvollziehbarer Weise ins Mikrofon sagen können, plappern und geifern dort schon die, die ganz unabhängig vom Kongreßverlauf, ja von jeglicher Veranstaltungsspezifik überhaupt, wußten, was sie sagen wollen.
Angeheizt durch ein Intro von Elsässer, der vom Podium eine Mitwisserei amerikanischer Geheimdienste an den Anschlägen vom 11. September suggerierte, wurde im Folgenden die Methode „man wird ja noch mal fragen dürfen“ zum Programm. Das Potpourri der angedeuteten Verschwörungstheorien beinhaltete dann u.a. die Fragen, warum man denn als Linker ausgerechnet einen so rechten Nationalstaat wie Israel verteidigen müsse, oder warum der Anschlag auf das WTC ausgerechnet an einem jüdischen Feiertag stattgefunden hätte, weshalb die entsprechenden Religionszugehörigen an diesem Tag nicht zur Arbeit erschienen wären? Das Publikum reagierte wenigstens zum Teil mit Entrüstung. Was jedoch eben nur zum Teil als Entwarnung vor linken Antisemitismus gewertet werden kann. Vielmehr bekam der Vortrag von Thomas von der Osten-Sacken, der am vehementesten vor jenem gewarnt hatte zum Abschluß noch eine ganz andere Relevanz.
Am skurrilsten wurde die Vorstellung als eine empörte Frau den „Konkret“-Herausgeber nach dem Zusammenhang von interplanetarischen Energiefeldern mit der hohen Kindersterblichkeit befragte und dieser die Antwort nicht geben konnte.
Auch danach blieb es bei Scince Fiktion. Da problematisierte der ehemalige Hasser und jetzige Autor der „Jungle World“, Sören Pünjer, den Zustand der Welt bei einer anzunehmenden Abwesenheit der Vereinigten Staaten. Auch wenn es diesem Redebeitrag an der Suggestivkraft des vorangegangenen mangelte, sahen doch die, die es sehen wollten, das furchterregende Antlitz Bin Ladens, der auf seinem Weg zum Obermufti einer islamischen Weltgesellschaft nach den USA zunächst China, Europa und Rußland mit Hilfe der Taliban und anderer Wunderwaffen in die Knie gezwungen hatte.
Daß ein solcher Prophet aus dem „Konkret“-Cover der Januarausgabe (Bush vor Stars and Stripes, Titel: Barbar in Zivil) eine deutliche NPD-Nähe ableiten kann, war zwar ein weiterer Kalauer aus dem Kuriositätenkabinett linker Interpretationsgabe, wurde vom Podium dann aber trotzdem ganz ernsthaft als diskursive Grenzüberschreitung zurückgewiesen.
So war den der Kongreß bis zum Schluß eine lustige Angelegenheit. Mit einem Schmunzeln wird man noch in Jahren daran zurückdenken. Aber nur die Historiographen von Karnevalsvereinen wissen dann noch, um was es ging.
ulle



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last modified: 28.3.2007