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Das Ende des Selbstbetrugs, 4.3k
Blumefeld, 15.6k

Blumfelds neue
Scheibe heißt
„Testament der Angst“
und erscheint erst,
nachdem die Band
am 10. Mai
im Conne Island
gespielt hat


„Wenn ‘Testament der Angst’ das Protokoll eines Verlustes, eines Abschieds ist, dann schwingt darin auch die Erinnerung an Zeiten mit, in denen Popmusik noch kein Zeichen des Einverstandenseins mit dem Bestehenden, sondern die Stimme des Anderen, des Nichtrealisierten, des Utopischen war.“
(Presse-Info zur neuen Blumfeld-Platte)
 

„Daß die Kultur bis heute mißlang, ist keine Rechtfertigung dafür, ihr Mißlingen zu befördern.“
(Theodor W. Adorno, Minima Moralia)
 

„Allein die wirkliche Negation der Kultur kann ihren Sinn bewahren. Sie kann nicht mehr kulturell sein. So ist sie das, was irgendwie auf der Ebene der Kultur bleibt, die sie jedoch auf ganz andere Weise akzeptiert.“
(Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels)
 

Selbst im bürgerlichen Feuilleton macht sich Unbehagen darüber breit, daß Pop der letzte Husten der Verblödung ist. So tut Die Zeit mittels ihres Redakteurs Thomas Assheuer „zehn Thesen zur Krise des Pop“ kund, die wiederum nichts anderes verlautbaren, als daß dann doch alles okay sei. Assheuer schreibt: „Gegen die Kolonisierung des Pop hilft nur die Anwendung des Pop auf sich selbst“ – und wieder mehrere DM 3,80 an Zeilenhonorar verdient.
Wenn man sich einmal im Kante-schen Sinne (der Band, nicht des Idealisten) vergegenwärtigt, was einem die Summe der einzelnen Teile als ein Ganzes bedeutet, dann kommt man nicht umhin, genau in dieser Reflexion auch das Problem der Pop-Ideologen der Vergangenheit auszumachen: statt des ganzen als Summe, interessierten die einzelnen Teile. Genau darin suchte man sein Seelenheil von Befreiung und Emanzipation, deren Konsequenz der notwendige endgültige Abschluß eines Friedensvertrages mit den Verhältnissen des scheiß Kapitalismus war. Daß die angeblichen Subversionen und Dissidenzen als Blütenträume vom unsäglichen Geplapper über Distinktionsgewinne (P. Bourdieu) und Differenzen (vornehmlich diverser Franzosen und Amerikaner) abgelöst wurden, tut dabei charakteristisch nichts zur Sache, denn Distinktion ist Subversion ist Differenz ist Dissidenz und umgekehrt.
Die vielgefeierten tausend Begriffs-Plateaus (Deleuze) sind entsprechend nichts weiter als minoritäre Tretminen, welche beim Annehmen irgendeiner x-beliebigen Identität die Gesellschaftskritik in die bürgerliche Luft fliegen lassen. Denn Pop ist nichts weiter als reine Geschmackssache – fernab vom Stil. Und als eine solche ist sie nur eine Warenform als Identität – als Urform von Ideologie (T.W. Adorno). Pop ist also die schillernde Einöde der Warenbesitzer und -käufer. Jene Einöde, die die Summe der einzelnen Teile als Ganzes bezeichnet: das Ganze der bürgerlichen Gesellschaft als das Unwahre (Adorno) der Tauschgesellschaft als dem objektiven Verblendungszusammenhang der Totalität. Entprechend gesellschaftlich immanent – denn ein Außen gibt es nicht – tummelten sich die Pseudorebellen der Spex und ihre Freundeskreise in Hoch-Zeiten von mitte der 80er bis anfang 90er, um der postfordistischen Phase des Kapitalismus einen Extra-Totalisierungsschub zu verpassen. Das populärste Opfer als exemplarischer Prototyp jener rezeptiven Sozialisation, die ich mal Generation Spex nennen möchte, ist der bedauerns- und hassenswerte Autor Benjamin von Stuckrad-Barre („Tristesse Royale“), bei dem nicht mal mehr ‘n Ding auf die Schnauze reicht, damit er halbwegs zur Besinnung käme.
Pop, so muß auf den Punkt gebracht werden, ist nichts weiter als der Ausdruck von materieller bzw. geistiger Abhängigkeit und Reproduktion von Kapital als objektives abstraktes Verhältnis der bürgerlichen Gesellschaft, das im einzelnen Subjekt ebenso konkret wird wie in den Strukturen. Popularisierung ist pure Warenförmigkeit der Dinge wie des Bewußtseins und als solche weit entfernt davon, auch nur einen Hauch von Subversion der bürgerlichen Gesellschaft in sich zu tragen.
Popkultur ist somit Spektakel – „als konkrete Verkehrung des Lebens die autonome Bewegung der Leblosen. (...) Der Ort des getäuschten Blicks und des falschen Bewußtseins. (...) Das Spektakel ist das Kapital von einem solchen Akkumulationsgrad, daß es Bild wird.“ (G. Debord, Die Gesellschaft des Spektakels)
Pop ist längst der Lüge überführt. Der Schein von Befreiung und Emanzipation verdinglicht sich in dem zwanghaften Bedürfnis nach Tauschwert, das der Kulturindustrie als Bedürfnis von oben (im Gegensatz zur Massenkultur) nicht nur immanent ist, sondern die objektive bürgerliche Voraussetzung darstellt: „Die Ausrichtung der Realität auf die Massen und der Massen auf sie ist ein Vorgang von unbegrenzter Tragweite sowohl für das Denken wie für die Anschauung.“ Und so wird unwiderruflich „jede von Grund auf neue, bahnbrechende Erzeugung von Nachfragen (...) über ihr Ziel hinausschießen.“ (Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit)
Nicht zufällig bemißt sich öffentlicher Erfolg am Warenabsatz. Denn dieser ist der bürgerliche Triumph über deren Kritik schlechthin – er ist der Triumph der Lüge über die unumstößliche Wahrheit der Tauschgesellschaft. Denn auch die „Kulturindustrie schlägt den Einwand gegen sich so gut nieder wie den gegen die Welt, die sie tendenzlos verdoppelt.“ (Horkheimer/Adorno).
Die „Aufklärung als Massenbetrug“, die Horkheimer/Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ konstatieren, schließt den notwendigen Selbstbetrug des bürgerlichen Individuums ein, denn „immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht.“ Diese Wiederkehr des Immergleichen in der Warenform hat Karl Marx im ersten Band des „Kapital“, das ja bekanntlich die Kritik der politischen Ökonomie zum Inhalt hat, im Kapitel über den „Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ so beschrieben: „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht (...) darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt. (...) Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist. Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt (...) aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert.“
Dieses Zurückspiegeln ist also ein Schein von den Waren als naturhaft. Aus dem gesellschaftlichen Verhältnis, daß ein abstrakter Wert konkret erscheint, ergibt sich ein Bewußtsein, daß im Marxschen Sinne als ein notwendig falsches bestimmt werden muß. Erst in diesem Kontext macht es Sinn, davon zu sprechen, daß das Sein das Bewußtsein der Menschen bestimmt, die gerade deshalb nur die Ensemble der sozialen Verhältnisse sind und als solche nicht mit sich identisch sein können, sondern nur mit den Verhältnissen, die ihnen objektiv aufgenötigt werden. Der postmoderne Quatsch vom „Patchwork der Minderheiten“ (Lyotard) beschreibt deshalb nicht das veränderte Wesen der bürgerlichen Gesellschaft, sondern nur ihre mögliche Erscheinung: Gruppen halluzinieren sich Identität, weil der Zwang zur Vernunft und Rationalität ihnen dies aufnötigt. Die Menschen tun es eben nicht aus freien Stücken, als autonomes Bedürfnis, sondern weil die Totalität der Warenform auch das Menschen-Kollektiv in seinen Bann zieht ( und z.B. Identität als Warenbesitzer schwarzer oder schwuler Kollektivität durch Rechtssubjektivität zuläßt).
Jeder Traum von Befreiung und Emanzipation muß in der bürgerlichen Gesellschaft und seiner Totalität landen, wenn auf die grundsätzliche Kritik dieser konstitutiven Vergesellschaftungs-Bedingungen verzichtet wird. Dies wurde somit auch den Pseudorebellen der linken Pop-Fraktion zum Verhängnis. Ihr marktgerechter Abgesang war in Deutschland bekanntlich der von Mark Terekessidis und Tom Holert herausgegebene Sammelband „Mainstream der Minderheiten – Pop in der Kontrollgesellschaft“, denen der Text „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ des französischen Pseudorebellen Gilles Deleuze zu Grunde lag. (Zu Deleuze und der fatalen Philosophieströmung des französischen Poststrukturalismus und US-amerikanischen Dekonstruktivismus sowie die Dokumentation des „Postskriptum über die Kontrollgesellschaften“ siehe CEE IEH Nr.76)
Insbesondere die dort veröffentlichte unglaubliche Frechheit des ehemaligen Spex-Chefredakteurs Christoph Gurk über die Adornitisch/Horkheimersche „Kulturindustriethese unter den Bedingungen postmoderner Ökonomie“ war der Offenbarungseid des Selbstbetruges. Allen Ernstes stellt Gurk dort fest, daß es darauf ankomme, „die kulturelle Leistung von Pop gegen seine ökonomischen Funktionen stark zu machen“, als wäre diese Trennung im Sinne der „Dialektik der Aufklärung” überhaupt noch möglich. Und als hätte er das Kapitel zur Kulturindustrie nie gelesen, erdreistet er sich darüberhinaus auch noch, “Popmusik (...) als privilegiertes Erkenntnismedium, das zwar nach kapitalistischen Imperativen funktioniert, aber dennoch subversive Qualitäten besitzt, welche die Gesetzmäßigkeiten der reinen Kapitalakkumulation überschreiten“, zu bezeichnen. Was „reine Kapitalakkumulation“ ist, wird wohl das ewige Geheimnis von Gurk und anderen bürgerlichen VWL-Ideologen bleiben. Daß Gurk von der Totalität der Warenform in der Tauschgesellschaft nach Horkheimer/Adorno eben auch im Denken überhaupt keinen Dunst zu haben scheint, überrascht letztlich kaum noch. Jedenfalls enblödet er sich nicht, ernsthaft zu behaupten, daß „im Hinblick auf die Musikindustrie (...) Kultur die Warenform an erster Stelle durch den Tonträger“ annehme. Mal abgesehen davon, daß Gurk hier nicht mehr kund tut als eine materielle Bewertung des Produktabsatzes von Platten, kann man über den Gurkschen Begriff von Kultur nur noch Maulaffen feil bieten. Daß Kultur ja wohl in allererster Linie Produkt des menschlichen Geistes als sein Verhältnis zur Natur darstellt, hat Gurk womöglich auf dem Gymnasium nicht zur Kenntnis genommen, weil er zur gleichen Zeit im Plattenladen seines Vertrauens dem Kauf der neuesten geilen Indiescheiben nachging. Schlußendlich kommt Gurk zu einem Schluß, der zwar an Dummheit kaum zu überbieten ist, vermutlich aber gerade deshalb so symptomatisch für den Selbstbetrug der Pop-Infizierten steht. Er schlußfolgert aus seinem Geschreibsel schlicht und ergreifend: „Wie jede andere Kultur vereint Pop sowohl unterdrückerische Momente als auch ihr Gegenteil, meistens in ein und demselben Werk. Gerade das macht sie zum Ort der politischen Auseinandersetzung.“ Besser läßt sich wohl das postmoderne Pop-Geschwafel kaum an sich selbst vorführen, denn hier wird kurzerhand nicht mal alles und nichts behauptet, sondern bloß dämlich geblubbert. Die Krönung der ganzen Gurk-erei stellt die Fußnote zu Günter Jacob im selben Text dar, in der die Rotznase Gurk Jacob tatsächlich dafür disst, daß er aus seiner Kritik an der Lüge von Pop-Dissidenz ein gewinnbringendes Geschäft machen würde. Wer Jacob kennt, weiß, daß er im Gegensatz zu allen anderen Ex-und immernoch-Poppern von einst, seine linke Glaubwürdigkeit nicht im Abort von Zeit, Spiegel, taz etc. heruntergespült hat, und dafür einen materiell unsicheren Lebens-Stand in kauf nimmt, an den eine Kulturindustrie-Hure wie Gurk wohl nicht mal im Traum denken würde.
Mit wem es sich Blumfeld mit ihrer neuen Scheibe „Testament der Angst“ alles verscherzen werden, steht noch in den Sternen. Ein Problem sei aber schon mal benannt. Die tatsächliche explizite Gesellschaftskritik der neuen Platte steht bei Blumfeld wie nicht anders möglich für nichts anderes als für sich selbst. Damit ist das Dilemma benannt, daß auch ihren Kollegen Jan Eißfeld ähnlich ereilt: öffentliche Kritik der Verhältnisse ist der Farbtupfer bürgerlicher Konformität und Langeweile, die von der Einöde ablenkt, mit der die Besinnungslosigkeit der Gesellschaft ihren tagtäglichen Lauf nimmt.
Daß man dazu verdammt ist, mit den Mitteln des Pop quasi gegen ihn zu Felde zu ziehen, ist nicht Lösung, sondern eigentliches verzweifeltes Problem. Warum dies aber nicht anders möglich ist, steht weiter oben ausführlicher im Text. Diese zwanghafte Tautologie des Anti-Pop für Pop und umgedreht ist das Dilemma, das Blumfeld als den permanenten „Moment“ benennen, „in dem der (alltägliche) Weltschmerz politisch wird“.
Die Antwort auf den Wahnsinn ist theoretisch längst klar: Revolte als Rebellion von Popperkloppern gegen das Pop-Biz. Nur sie könnte wieder die Seiten der Barrikaden klären, die eben keine Kulisse für einen neuen Videodreh wären, sondern kämpferische Realität sein müßten. Allein die praktische Umsetzung scheint nicht möglich, weil ein Scheitern objektiv vorprogrammiert ist.
„Testament der Angst“ ist der längst überfällige Beitrag zur notwendigen Rückkehr des dialektischen Denkens im Verhältnis von Ich und Über-Ich, von Liebe und Gesellschaft, von Haß und Kapitalismus. Jochen Distelmeyer beklagt nicht einfach nur den Verlust der gesellschaftlichen Selbstreflexion vieler Menschen als die Vorbedingung von Widerstand. Nein, er offeriert in seinen Texten den Haß gegen die Verhältnisse, die diesen ohnmächtigen Zustand hervorbringen. Genau das macht Distelmeyer zum Ernst Busch des Ich.
Der Subtext der neuen Scheibe läßt keinen Zweifel aufkommen: Der große Knall kommt bestimmt! Genau das ist Ausdruck von radikalstem Optimismus, wie er in Zeiten wie diesen überhaupt nur möglich sein kann. Haß und Liebe gehören für uns Linke nun mal zusammen. Danke, Blumfeld.

Ralf


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last modified: 28.3.2007