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Alles nur Show?

Die vermeintliche Abschaffung des Rassismus.

Im Sommer 2000 knallte es in Deutschland an allen Ecken und Kanten – leider nur nicht von der radikalen Linken. Den Zündfunken für das rot-grüne Sprengstoffgemisch lieferte der Bombenanschlag in Düsseldorf, bei dem zehn jüdische AussiedlerInnen (zum Teil schwer) verletzt wurden. Danach gab es ein buntes Feuerwerk, wie es die Linke lange nicht mehr erlebt hat. Dementsprechend konnte sie damit auch nicht richtig umgehen. Sollte sie nun freudestrahlend auf die Initiatoren zurennen und für das „bessere Deutschland“ mitböllern oder lieber dem Feuerwerk (getreu der alten Parole „Brot statt Böller“) skeptisch gegenüberstehen? Alles nur Show oder doch der Übergang ins antifaschistische, antirassistische Jahrtausend? Wie umgehen mit Holocaust-Mahnmal, Zwangsarbeiterentschädigung, Homosexuellenehe, Staatsantifaschismus, NPD-Verbotsantrag, Greencards, Bluecards und der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes? Wohlgemerkt alles keine Erfolge der radikalen Linken, sondern rot-grünes Reformprojekt der letzten zwei Jahre.
Während einige von purer Heuchelei sprachen und so die Realität zugunsten des korrekten Feindbildes aus den Augen verloren, sahen sich andere bestätigt (schließlich haben sie schon seit Jahren die Forderungen gestellt, die sich nun erfüllen und in „Basisorganisationen gegen Rechts“ rumgewerkelt) und bettelten um ein Stück des Kuchen der Macht oder wenigstens um ein bißchen Kohle aus dem 10 Mio.-Fördertopf.
Daß dann immer noch ein Großteil der Linken weder der einen noch der anderen Position nahe stand, ist auch nicht viel erfreulicher. Schließlich lag dies weniger an ihrem Durchblick als an der allgemeinen Sprachlosigkeit.
Daß es sich bei den Veränderungen und Diskussionen im letzten Jahr weder um pure Heuchelei noch um die Einlösung der Ideale der französischen Revolution handelt, soll im folgenden exemplarisch anhand der Einwanderungsdebatte gezeigt werden.
Im Gegensatz zum liberalen Nationenbegriff der Franzosen war für die Entstehung der deutschen Nation der Bezug auf den Begriff „Volk“ maßgebend. Demzufolge setzte sich in Deutschland auf dem Grundsatz von Blut und Boden ein völkischer Rassismus(1) durch, der seinen Höhepunkt in der Shoah – der Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen – fand. Doch nach Auschwitz und der Übernahme des westlichen Wertemodells mussten die rassistischen Argumentationen eine Wandlung durchmachen. Ab nun wurde verstärkt kulturnationalistisch(2) argumentiert. Kultur wurde zum Ersatz des Rassebegriffs. Aktuelles Beispiel dafür ist die „Leitkulturdebatte“, in der zwar nicht streng völkisch argumentiert wird(3), aber durch den Bezug auf die deutsche Leit-“Kultur“ die Bedingungen für EinwanderInnen klargezogen werden. Wer die deutsche Sprache nicht beherrscht kann sich nicht erfolgreich in die Gemeinschaft integrieren und wer sich nicht positiv auf die deutschen Leitbilder bezieht, will sowieso nichts mit dem deutschen Volke zutun haben.(4) Also haben EinwanderInnen entweder die deutsche „Leitkultur“ zu akzeptieren oder sie können sich gleich ein Rückfahr- (bzw. -flug)ticket zulegen.
Während des Antifasommer knallte die Bundesregierung zuerst die Green-Card und dann den Vorschlag eines Einwanderungsgesetzes auf den Tisch. Nun war es also auch bis nach Deutschland durchgedrungen, trotz abgeschotteter Grenzen: Europa braucht eine veränderte Migrationspolitik, um ökonomisch weiterhin prosperieren zu können. Nachdem in Spanien und Frankreich schon seit einiger Zeit Legalisierungskampagnen u.a. mit diesem Hinweis begründet und durchgeführt werden und sowohl in Großbritannien als auch in Italien Zuwanderungsquoten eingeführt wurden, kommt nun auch in Deutschland Bewegung in die Migrationsdebatte. Dabei setzt sich verstärkt ein Leistungsrassismus durch, der nach „nützlichen“ und „unnützen“ EinwanderInnen unterscheidet. Nicht umsonst drängen gerade Industrie und Handel auf die Öffnung Europas für den globalen Arbeitsmarkt und die Lockerung der Zuwanderungsbeschränkungen für ArbeitnehmerInnen. Die globalisierte Ökonomie fordert neben dem freien Waren- und Kapitaltransfer auch die freie Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Von daher soll ein neues Einwanderungsgesetz das Konzept der Arbeitsmigration für Deutschland regeln.
So weit, so gut (bzw. schlecht), aber: Was bringen Green-Cards, wenn ausländische Arbeitskräfte wegen des hiesigen alltäglichen Rassismus Deutschland ihre Arbeitskraft verweigern? Der alltägliche, ungebrochene Rassismus der Bevölkerung wird jetzt zum entscheidenden Standortnachteil, da gerade die ExpertInnen im Bereich der New Economy sich ihren Arbeitsplatz in verschiedenen kapitalistischen Zentren aussuchen können.
Also muß den gesetzlichen Änderungen ein Einstellungswandel der Bevölkerung folgen. Insofern haben sowohl die Bundesregierung als auch die Wirtschaftsunternehmen durchaus ein ernstgemeintes Interesse an der Abschwächung des völkischen Rassismus und müssen der Bevölkerung vermitteln, daß sich aus den Fähigkeiten von bestimmten EinwanderInnen Kapital für Staat und Volk schlagen läßt. Anstatt des Ariernachweises soll in Zukunft der Leistungsnachweis erbracht werden. Erwünscht sind Personen, deren besondere Fähigkeiten und Know-How (Bsp. IT-ExpertInnen) oder deren besondere Rechtlosigkeit (Bsp. „Illegale“ in prekären Arbeitsverhältnissen) einen hohen Nutzen versprechen.
Doch durch diese Veränderungen wird Rassismus nicht zum Modell der Vergangenheit. Indem MigrantInnen nach ihrer Nützlichkeit eingeteilt werden, heißt das zwar eine Öffnung der Grenzen für bestimmte – ausbeutbare – Menschen, impliziert aber gleichzeitig die Abschottung gegen den weitaus größeren Teil der nicht verwertbaren.
Der deutsche Staat versucht, die kontrollierte (Arbeits-)Migration mit eine restriktiven Abschottung gegen die verarmten Menschenmassen aller Welt zu kombinieren. Dazu wurde ein Gesetzesapparat geschaffen, der den hier lebenden Menschen ohne deutschen Paß immer mehr Rechte abspricht und sie in die „Illegalität“ drängt und sie letztlich mittels einer perfektionierten Abschiebemaschinerie entsorgt. Doch neben dieser „starken Hand“ gegen unerwünschte ImmigantInnen existiert ein unausgesprochenes Prinzip, „Illegale“, die die Grenzen einmal überwunden haben, unter bestimmten Voraussetzungen gewähren zu lassen. Denn gerade Menschen in der „Illegalität“ sind besonders rentabel und viel leichter ausbeutbar. Gerade durch ihre Rechtlosigkeit und ihren unsicheren Status versprechen sie ein Maximum an Profit. Bei niedrigster Lohnzahlung haben sie die wenigsten (oder besser gesagt gar keine) Rechte. Sie können sich weder organisieren, noch können sie ihren Lohn vor einem Arbeitsgericht einklagen. Und wenn sie diese Rolle nicht akzeptieren, können sie sich sicher sein, daß zig andere es an ihrer Stelle tun werden und die stillschweigende „Duldung“ für sie ein Ende hat.
Anders hingegen sieht die Lage bei Fachkräften, SpezialistInnen und FacharbeiterInnen aus. Ihre besonderen Kenntnisse, ihre Ausbildung und ihre speziellen Fertigkeiten sind Eigenschaften, die den Unternehmen und der gesamten Volkswirtschaft zugute kommen. Von daher besteht an ihnen ein ganz anderes Interesse (wie in den 60er Jahren auch an den „Gastarbeitern“) und es muß ihnen ein angenehmes Arbeits- und Lebensumfeld geboten werden, damit sie auch weiterhin ihre Arbeitskraft anbieten. Von daher verwundert es auch wenig, daß viele global agierende Unternehmen Antidiskriminierungsklauseln in ihren Arbeitsverträgen festschreiben. Außerdem muß hochqualifizierten MitarbeiterInnen – die auf dem globalen Arbeitsmarkt heiß begehrt sind – auch eine attraktive Reproduktionsatmosphäre (Freizeit) geboten werden. Dazu gehört auch, daß sie sich relativ gefahrlos in ihrem sozialen Umfeld bewegen können und nicht ständig Angst vor rassistischen Überfällen haben müssen. Von daher sind die Anzeigen und Aufrufe der Unternehmen gegen rassistische Diskriminierung und für Toleranz ernstgemeinte und doch knallhart kalkulierte Kampagnen.
Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß mit der selektiven Aufnahme von ausländischen Arbeitskräften einerseits zwar alte Schranken und Instrumentarien der rassistischen Abschottungspolitik aufgegeben werden, anderseits wird aber gerade durch die Einteilung in „nütz“ und „unnütz“ eine neue Klassifizierung getroffen. Insofern erscheint es also durchaus logisch von einem neuen Leistungs- bzw. Verwertungsrassismus zu sprechen, der einerseits alte rassistische Vorurteile über Bord wirft, sich aber andererseits neue Kriterien schafft und sich lediglich an die aktuelle Situation anpasst.
heike

(1) Dieser unterscheidet Menschen aufgrund biologischer Merkmale und konstruiert aufgrund angeborener biologischer, naturgegebener Differenzen, sogenannte „Rassen“, in denen Menschen nach diversen Merkmalen kategorisiert und hierarchisiert werden.
(2) Der Kulturalismus bestreitet zwar die Existenz unterschiedlicher biologischer Rassen, vertritt jedoch die These einer „kulturellen Identität“. Diese kann je nach Bedarf unvereinbar mit der eigenen oder aber assimilierbar sein.
(3) indem der deutschen „Rasse“ eine biologische, natürliche Überlegenheit angedichtet wird
(4) als weiteres anschauliches Beispiel sei nur die „Kopftuchdebatte“ genannt


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last modified: 28.3.2007