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Von den Mythen anti-patriarchaler Gralshüterei
Was beim Pat. noch geht und was nicht und woher der Wind weht, verrät unverrichteter Dinge das Marktsegment der neuen Frauenzeitschrift namens Vivi@n

Vivian-Zielgruppe, 42.3k
„Des Pudelchens Kernchen“ – Grafik aus der Zielgruppenanalyse für Vivian
Daß der Kapitalismus besser ist als sein Ruf, kann für diejenigen nur ein Witz sein, die schon mal länger als nur ‘ne Stunde in Schriften von Marx und Engels geschmökert haben.(1) Daß er zumindest anders und entwicklungsfähiger ist, als ihm zuweilen angedichtet und unterstellt wird, ist eine Binsenweisheit, die der marktsegmentierte Kapitalismus förmlich heraufbeschwört.
Durch den Markt werden die Menschen bekanntlich statt in Subjekte in Zielgruppen unterteilt, kategorisiert und der Verwertung zugeführt, um die sie allenthalben so flehentlich betteln und die ihnen angeblich das Leben so schön angenehmer macht. Die Feststellung, daß diese Zielgruppenunterteilung analytisch fundierter ist als so manche linke Theorie oder linke Möchtegern-Analyse, billigt der Marktforschung gelinde gesagt mehr objektive Sicht zu als der linken antagonistischen Objektivitiätstheorie. Daher macht es durchaus Sinn, den linken Lesestoff auch mal gegen den des Klassenfeindes einzutauschen, weil da manchmal mehr Realitätsgewinn durch protifmaximierte publizistische Getriebenheit zu erheischen ist, als aus den zur knochentrockenen Tautologie – dem Erklären aus sich selbst heraus – mutierenden felsenfesten Unerschütterlichkeiten, die Linke oftmals mit dem wichtigen dogmatischen Denken verwechseln oder gleichsetzen.
Ein Blick auf den kapitalistischen Markt der Möglichkeiten erhöht das dialektische Denkvermögen und lüftet zudem den Schleier vor den Augen.
Und da sind wir auch schon beim Thema. Daß sich nach immer noch populärer links-feministischer Sicht „das“ Patriarchat gegen alle gesellschaftlichen Veränderungen innerhalb des Kapitalismus wie DER Fels in der Brandung schlechthin behaupten würde, gibt nicht nur den Zement für Betonköpfe her, sondern auch jene linke innere Sicherheit, die Frauen wie Männer im Leben angeblich brauchen wie die Christen das Amen in der Kirche vor der Ikone ihres Herrn, an die sich zu klammern besonders dann lohnt, wenn sich etwas ändert, was nicht in den Kram-Laden linker Selbstgefälligkeit gehören soll.
Der Burda-Verlag, ein seit Jahren unerschöpflich brodelnder Kessel voller verlegerischem Markt-Ethos, führt die links-femnistischen Gewißheiten mittels seines neuesten 130000auflagigen Produktes ungewollt zwar nicht direkt auf das Schafott, so doch aber ein ganzes Stück weit in diese Richtung.
Vivi@n nennt sich das seit dem 09. Oktober wöchentlich erscheinende mehr als nur Blatt, daß „ein neues Marktsegment, das sich eigenständig zwischen klassischen Frauen-, Nachrichten- und Online-Magazinen positioniert“, bedienen will. „Vivi@n behandelt (...) die neuen Bereiche, die für Frauen von heute wichtig sind. Die Zusammenstellung dieser Themen spricht die neue selbstbewußte Generation Frauen an“, so wird eine Studie eingeleitet, die im Internet (www.vivian.com) unter dem Titel „vivi@n-Zielgruppe“ eine höchst aufschlußreiche „Markt-Media-Analyse“ unter dem Namen „Typologie der Wünsche Intermedia 2000/01Trend“ (tdwi) beinhaltet: „Die Vielzahl der in Vivi@n aufgegriffenen Einzelthemen werden in fünf Themenfelder, den sogenannten Leitthemen zusammengefaßt. Um als Zielperson zur Kernzielgruppe zu zählen, müssen – neben der Online-Nutzung – mindestens drei der Themenfelder besetzt sein. Diese Zielgruppendefinition stellt sicher, daß bei den Zielpersonen redaktionelle Beiträge aus mindestens drei der fünf folgenden Leitthemen auf Interesse stoßen: klassische Frauenthemen, Politik/Nachrichten, Business/Money, Kultur, Life-Style/Wellness.“
Die Relationen gesellschaftlicher Veränderungen, in denen sich nicht etwa zu denken lohnt, sondern die der Realität unverzerrter Weise schon deshalb entsprechen müssen, weil beim Geld im Kapitalismus die Männer- wie Frauenfreundschaft aufzuhören hat – auch wenn Frauen im Durchschnitt immer noch deutlich geringer bezahlt werden, als ihr vermeintlich biologisches Pendant –, sind beeindruckend und gereichen der unverbrüchlichen antipatriarchalen Emanzipation nicht gerade zur feministischen (linken) Ehre, weil der Kapitalismus gnandenloser Weise sich zwar nicht selbst abschafft, aber gnädigerweise scheibchenweise „das“ unheilvolle Patriarchat abzutragen gedenkt wie das von Hand geführte Schmirgelbrett die Oberflächenlackierung, was dank tdwi zu belegen ist: Die von tdwi ausgemachten „Zielgruppenpotentiale“ bei Frauen in Deutschland können erschrecken, erfreuen oder ernüchtern – ganz wie gewollt. So verfügt das „Leitthema 1: klassische Frauenthemen – Mode, Schönheit/Kosmetik, Ernährung/Rezepte, Gastlichkeit/Bewirtung“ über ein „Zielgruppenpotential“ von 20,34 Mio. Frauen, das „Leitthema 2: Politik/Nachrichten – politisches Geschehen in der Bundesrepublik, politisches Geschehen im Ausland/Weltgeschehen, politische Magazine und Interviews mit Politikern, politische Dokumentationen und Reportagen, Wirtschafts- und sozialpolitische Magazine und Sendungen, Nachrichten“ über ein „Zielgruppenpotential“ von 22,53 Mio. Frauen. Für das „Leitthema 3: Business/Money – Beruf und Arbeit, Wirtschaft/Preise/Löhne, Verbraucherfragen, Versicherungen/Geldanlagen, moderne Technik“ kommen laut tdwi 17,84 Mio. deutsche Frauen in Frage. Dem „Leitthema 4: Kultur – klassische Musik, Kultur (Kunst, Literatur, Theater), Geschichte und Zeitgeschehen, Kunst- und Kultursendungen“ widmen sich 11,79 Mio. Thema Nummer 5, „Lifestyle/Wellness – Gesundheit/Medizin, Wohnen/Einrichten, Urlaub/Reisen“ fühlen sich 21,78 Mio. Frauen verpflichtet.
Zusammengenommen macht das laut Analyse für die Zeitschrift Vivi@n eine „Gesamtzielgruppe auf Basis der Leitthemen“ von 33,36 Mio. Frauen, wobei sich das „Interesse an Themen aus mindestens drei der fünf Leitthemen“ auf eine Größenordnung von 19,94 Mio. Frauen beläuft. Von diesen 19,94 Millionen wiederum, nutzen 4,02 intensiv das Internet, woraus tdwi schließt: „Kernzielgruppe 4,02 Millionen Vivians“.
„Vivians“ lassen sich laut Studie „soziodemographisch und psychographisch folgendermaßen beschreiben: Vivians sind jung (73,6 % sind zwischen 20 und 49 Jahren alt, sind gut gebildet (82,9% haben eine hohe Ausbildung), sind berufstätig (60,7% stehen mitten im Berufsleben), sind kaufkräftig (60,4 verfügen über ein Haushaltnettoeinkommen von DM 4 000,- und mehr). Dabei sind die Vivians besonders karrierebewußt. 52,7% ist der berufliche Erfolg besonders wichtig. Vivians sind besonders kommunikativ und lernen gerne neue Menschen kennen. In Alltagssituationen können sie sich besonders gut durchsetzen. Sie sind vielseitig interessiert. Zu ihrem Leben gehören selbstverständlich Literatur, Kunst und Theater. Die Wirtschaftspresse (z.B. Wirtschaftswoche, Capital) ist (...) von besonders hohem Interesse.
Zusammenfassend gilt: Vivians sind für die werbungtreibende Wirtschaft nicht nur eine äußerst attraktive Zielgruppe, sondern auch eine Zielgruppe, die über ein enormes Wachstumspotential verfügt.“ So zeigten „die aktuellen Entwicklungen in den USA (...), daß dort bereits mehr Frauen (50,8%) als Männer im www surfen. Von den derzeit 146,4 Millionen Internet Usern insgesamt sind 74,3 weiblich. Die Zuwachsrate an Frauen mit Internetanschluß lag dort im Jahresvergleich (August 1999 bis August 2000) bei 40%. Diese Entwicklung wird mit Sicherheit zeitverzögert auch in Deutschland eintreten.“
Gebrauchsgegenstände wie Vivi@n sind verräterisch. Nicht nur deshalb, weil der Markt den Gebrauchsgegenstand zur Ware macht, die sich Mehrwert-schöpfend behaupten muß, so sie eine Perspektive haben will. Das Erkennen des kapitalistischen Markt-Darwinismus der tausend kleinen wie großen Dinge schärft nicht nur den Blick auf den Wahn-Sinn dieser Gesellschaftsordnung, sondern er schafft auch Problem-Bewußtsein für des Pudelchens Kernchen: 30 Jahre Frauenbewegung haben ihre Spuren hinterlassen. Denn die Pluralisierung von Fauen-Lebenswelten sind geprägt von Bedürfnissen – genauso wie sie diese ausprägen.
Es gilt, Dinge zu verstehen, die hier passieren, und somit sich von den Mythen antipatriarchaler Gralshüterei ein für allemal zu verabschieden. Es sei denn, man behaupet z.B., das Internet ist – entgegen der sonstigen vorwürflerischen Männerbünderei, die daran geknüpft wird – Ausdruck patriachaler Tradition, bei der die Nutzung des www zum Charakteristikum der für Frauen alleinig vorgesehenen Reproduktionssphäre verkommt.
Was allerdings, und darum ist im Zweifelsfall zu bitten, zu beweisen wäre ...
Ralf

(1) Ehrlicherweise muß man sagen, erfüllt diesen Zweck sogar schon ein Blickchen in die Schriften des Kapitalismus-Theorie-Urvaters Adam Smith



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last modified: 28.3.2007