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Kameras gegen Nazis.

Wie Bombenanschläge manchen recht gelegen kommen – die derzeitigen öffentlichen Anti-Nazikampagnen im Kontext von Überwachung und Innerer Sicherheit

Alles schon mal gehört: „Die Polizei installiert eine Videoanlage in dem Gebiet an der Secoriusstraße/Monheimer Straße. Damit soll der Platz an der Shell-Tankstelle überwacht werden, da dieser Bereich zu einem Kriminalitätsschwerpunkt wurde. (...) Damit würden die polizeilichen Maßnahmen zum Schutz der Bürger vor Kriminalität und Übergriffen verbessert.“ Es sind dieselben Maßnahmen mit denselben Begründungen, diesmal nur nicht am Connewitzer Kreuz oder in der Leipziger Innenstadt, sondern in Delitzsch-West. An der Tankstelle sammeln sich alltäglich die Nazischläger und einige Male gingen ihre Übergriffe direkt von dort aus.
Der Reflex zur Installation von Videokameras, der nun auch die Kleinstadt nördlich von Leipzig erfaßt hat, ist nur ein anschauliches Beispiel für die derzeitige verlogene Kampagne gegen Nazis.
Spätestens seit dem Rohrbombenanschlag in Düsseldorf engagiert sich die deutsche Öffentlichkeit scheinheilig gegen die doch so plötzlich überall auftauchenden Rechtsradikalen. Nach jahrelangen Dulden und Verharmlosen dieser Szene, ja sogar der Förderung durch akzeptierende Jugendarbeit und den Aufbau neonazistischer Strukturen durch V-Leute staatlicher Behörden, schreien PolitikerInnen von schwarz bis rot–grün und Medien heute nach Zivilcourage, Verboten und Ausweitung von Polizeikompetenzen, um der Deutschland neuerdings überrollenden Welle rechter Gewalt HerrIn zu werden.

„Gesetz zum Schutz der Bürgerfreiheit“

Mitten ins Sommerloch und mitten in die Medien-Debatte um den „zunehmenden Rechtsextremismus“ plazierte Kurt Biedenkopf einen vermeintlich zum Thema passenden Grundsatzartikel: „Vom Schutz der Gesellschaft durch das Zivilrecht.“(1)
Gleich zum Anfang stellt Biedenkopf fest, daß staatlichem Handeln bei Eingriffen in das Meinungs-, Vereins- und Versammlungsrecht relativ enge Grenzen gesetzt wären, besonders im „politischen Bereich“(2). Die Nazis würden immer wieder die „Privilegierung freiheitlichen politischen Handelns“ für sich in Anspruch nehmen, sodaß mensch sie nur schwierig strafrechtlich belangen könne. Er beklagt, die angeblich „umfassend ausgebauten Bürgerfreiheiten“ würden sich nun gegen den „freiheitlichen Rechtsstaat“ wenden. Das lässt die gewaltgeneigten Gruppen sich natürlich wie im rechtsfreien Raum befindlich wähnen und die BürgerInnen fühlen sich diesen hilflos ausgeliefert. Dem kann nach Meinung des sächsischen Ministerpräsidenten abgeholfen werden.
Wenn dieser verweichlicht-liberale Staat seinen Einwohnern schon soviele „Bürgerfreiheiten“ lässt, soll der zivilcouragierte Staatsbürger doch selbst gegen die Extremisten vorgehen: Durch einen Ausbau der „zivilrechtlichen Abwehr- und Handlungsnormen“. Die Idee nennt sich „Gesetz zum Schutz der Bürgerfreiheit, gegen Gewalt und Gewaltandrohung im politischen Wettstreit und gegen jede Art der ‘politischen Umweltverschmutzung’“ und soll aus folgenden Zivilrechtsänderungen bestehen:
  • die Ausweitung der Kategorien, bei denen unzumutbare Belästigungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen, auf politische Forderungen (z.B. eine Stadt zur ausländerfeien Zone zu erklären) und die Möglichkeit, auf Unterlassung zu klagen (incl. Ordnungsgeldern bei Verstoß, §1004,823 BGB);
  • Schadensersatzanspruch bei Gewaltandrohung durch „gewaltgeneigte extremistische Gruppierungen“ und zwar für einzelne oder eine Mehrheit von BürgerInnen;
  • „Haftungsdurchgriff“ – das heißt, wenn einE einzelneR zu Schadenersatz wegen siehe oben verurteilt wird und nicht zahlen kann/will, haftet notfalls auch die Partei/Organisation, die demjenigen/derjenigen die Symbole oder den organisatorischen Background liefert;
  • zugelassene Verbände sollen die Möglichkeit der Verbandsklage gegen Gewalt und Gewaltandrohung im politischen Wettbewerb erhalten, und zwar für Einzelne, „Gemeinschaften von Bürgern“ oder sogar die Allgemeinheit, und
  • die Verbände sollen dabei auch auf polizeiliche Daten zurückgreifen können.
In der Realität könnte das dann so aussehen, daß die sogenannten „anerkannten Institutionen der Zivilgesellschaft“, die Verbände, mit Schadenersatz- und Unterlassungsklagen gegen politische Äußerungen oder Kampagnen vorgehen könnten, bei denen sie meinen, „unzumutbare Provkationen“ erkannt zu haben.
Ganz abgesehen von der wahrscheinlichen Unzumutbarkeit dieser Forderungen für den gesamten bürgerlichen Rechtsstaat inklusive Grundgesetz und Landesverfassungen, versucht Biedenkopf hier, dem bürgerlichen Mainstream der bundesdeutschen Gesellschaft zivilrechtliche Instrumente mit solidem Aktionsradius in die Hand zu geben. Politische Aktivitäten jeglicher Art, die aus diesem Konsens herausfielen, müßten demnach mit Unterlassungsklagen und finanziellem Ruin rechnen.
Auch wenn der CDU-Politiker in seinem Pamphlet immer wieder von Rechtsextremisten schreibt und als Beispiel in Klammern immer wieder die NPD auftaucht, läßt sich die eigentlich dahinterstehende Totalitarismuskeule nur schwer verstecken. Nicht nur, daß die auf den Rechtsextremismus bezogenen Einfügungen teilweise wirken, als wären sie in einen schon länger fertigen Aufsatz der Aktualität wegen reinredigiert worden. Allein der Name für das angeblich vom Freistaat Sachsen demnächst detailliert vorzulegende Gesetz spricht für sich. Dort ist mit keinem Wort von Nazis die Rede.
Damit wird klar, daß es Biedenkopf um etwas ganz anderes geht: Die Einbeziehung der „Zivilgesellschaft“ in den staatlichen Kampf gegen Extremismus. Diese staatlich-zivile Partnerschaft zieht sich wie ein roter Faden durch den Text. Sie soll nicht nur den Staat entlasten, sondern letztendlich die gesamte „Bürgergesellschaft“ auf eine Einheit mit dem Rechts-Staat einschwören. Das ist zwar in dieser Konsequenz neu, fußt aber im Prinzip auf demselben Gedanken wie die allgegenwärtigen Sicherheitspartnerschaften, Bürgerpolizisten und Sicherheitswachten. Auch dort soll die Polizei bei der Bekämpfung vermeintlicher Kriminalität entlastet werden und das Verantwortungsbewußtsein der StaatsbürgerInnen gefördert werden. In bisher allen Fällen kam dabei heraus, was auch bei den im Biedenkopf-Papier geforderten Änderungen die Konsequenz wäre:
Eine abgeschottete Mehrheitsgesellschaft, in der jede Minderheit mit der vollen Breitseite von Ausgrenzung und Kontrolle konfrontiert wäre. Eine Überwachungsgesellschaft, in der Kontrolle und Verfolgung durch staatliche Behörden perfekt mit ziviler Repression durch aktive StaatsbürgerInnen und Mehrheiten-Verbände zusammenspielen würde.
ag öffentliche räume (http://www.nadir.org/camera)

(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.08.00
(2) alle Begriffe in „“ sind Zitate aus dem Biedenkopf–Papier

In der Debatte geht es allerdings nur um das weltweite Ansehen des Standorts Deutschland. Nach dem Motto: „Auch der Ausländer, der morgen abgeschoben wird, muß sich heute sicher fühlen.“ (Bayerns Innenminister Beckstein) soll dem seit Düsseldorf spätestens aufmerksam gewordenen Ausland der Eindruck vermittelt werden, daß die Randerscheinung „kleiner Nazis“ von der Gesellschaft bekämpft oder wenigstens nicht toleriert wird. Denn ausländische InvestorInnen und Hightech-ArbeiterInnen sind gern willkommen. Ein wichtiger Zweck der Kampagne ist, dem Ausland zu vermitteln, bei Deutschland handele es sich immer noch um einen erstrebenswerten Standort.
Gleichzeitig muß der „moderne“ Kampf gegen Rechtsradikalismus dafür herhalten, den staatlichen Bestrebungen nach mehr Überwachung und Innerer Sicherheit genüge zu tun. So ist der Naziterror wieder nur ein neuer, willkommener Vorwand für den weiteren Ausbau des „starken Staates“.
Neben der ausgeleierten Sprechblase der Zivilgesellschaft fordern PolitikerInnen letztlich Polizeigewalt statt wirksamer Maßnahmen gegen Nazis: So etwa das heiß diskutierte Verbot der NPD oder das juristisch auf wackeligen Füßen stehende Blood&Honour-Verbot. Die Versammlungsfreiheit soll durch örtliche und zeitliche Beschränkungen bzw. Auflagen, welche Demonstrationen ihren eigentlichen Sinn nehmen, ausgehöhlt werden. Immer häufiger kommt es auch zu Verboten. Wie wenig das Versammlungsrecht Behörden galt und gilt, äußerte sich schon bisher in zahlreich durchgeführten Personenkontrollen bei Versammlungen und Durchsuchungen von DemonstrantInnen auf der Grundlage von absurden und herbeigeholten Gefahrenvermutungen. Daß diese sich in der Vergangenheit nicht ausschließlich gegen Rechtsradikale richteten, ist hinreichend bekannt. Damit etabliert sich ein neuer, einschränkender Umgang mit dem Versammlungsrecht, der sich auch zukünftig nicht nur auf Naziaktivitäten beschränken wird.
Darüber hinaus werden die Kompetenzen des BGS erweitert. Eines seiner neuen Aufgabengebiete soll nun der bundesweite Kampf gegen Rechtsradikalismus sein.
Dem sächsischen Ministerpräsident Biedenkopf jedoch gehen die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten nicht weit genug. Er fordert einen Ausbau der zivilrechtlichen Handlungsnormen – ein „Gesetz zum Schutz der Bürgerfreiheit, gegen Gewalt und Gewaltandrohung im politischen Wettstreit und gegen jede Art der ‘politschen Umweltverschmutzung’“. So sollen BürgerInnen und Verbände die Möglichkeit erhalten, auf Unterlassung und Schadenersatz bei sogenannten unzumutbaren Belästigungen in der Politik zu klagen (siehe Kasten).
Parallel wird das in Deutschland seit Blockwartszeiten tiefverankende Denunziantentum gefördert. Die Einrichtung von BGS-Telefonnummern, an die sich die Bevölkerung vor allem an der Ostgrenze Deutschlands wenden kann, um MigrantInnen zu verraten, klappt vorzüglich. Nun werden BürgerInnen wiederum angehalten, beim Kampf gegen das Böse aktiv mitzuwirken, indem staatliche Telefonnummern und Websites für die Anzeige von Nazi-Homepages geschalten werden sollen.
In diesem Zusammenhang soll die Zensur des Internets verschärft werden, bis hin zu der irrsinnigen, weil unmöglichen Einrichtung von „Filtern“, wie ein bayrischer Innenpolitiker einklagte. Und das Justizministerium will Domainnamen mit Nazibezug aufkaufen, weil Versuche fehlschlugen, diese zu verbieten. Sicherlich wird auch das nicht auf Seiten mit recht(sradikal)en Inhalten begrenzt bleiben, wenn die Sicherheit und Ordnung durch das plötzliche Auftauchen eines neu konstruierten Feindbildes bedroht erscheint.
Außerdem fordern Polizeibehörden den Ausbau und eine bessere Vernetzung von Personendatenbanken. Dabei verschweigen die MacherInnen, daß in den Polizeidatenbanken der Schengen-Länder nach wie vor hauptsächlich Informationen über MigrantInnen gespeichert sind. Und daß sie natürlich gegen alle (politischen) GegnerInnen, also auch die Linke, gerichtet sind, muß hier nicht ausführlich behandelt werden. Es reicht die Erwähnung der zwangsweisen DNA–Proben bei mutmaßlichen Antifas in Glauchau und Leipzig.
Einige PDS–Mitglieder beteiligten sich an der Debatte mit der irren Forderung an die Telekom, den Nationalen Infotelefonen doch kurzerhand die Leitung zu kappen.
Und zu unguter Letzt sollen bundesweit noch mehr Bahnhöfe videoüberwacht werden. Den Bahnhöfen folgen dann Innenstädte, weil Nazis sich auch dort bewegen oder Parkplätze und Tankstellen, weil Nazis auch Auto fahren und hin und wieder tanken müssen. So schließt sich der Kreis: Weil Nazis nun auf einmal kriminell sind, werden ihre Treffpunkte zu „Kriminalitätsschwerpunkten“ und müssen zur Rechtfertigung von Videoüberwachung herhalten wie im Beispiel Delitzsch.
All diese im Rahmen der Sommerlochdebatte geforderten obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen lassen in ihrer Wirksamkeit gegen Faschisten jedoch alle Wünsche offen. So mag zum Beispiel ein NPD-Verbot es den Nazis schwerer machen, sich als normale Demokraten zu präsentieren, es wird jedoch kaum weniger von ihnen geben. Und auch die Videoüberwachung wird nicht mehr als ihren typischen Verdrängungseffekt bewirken. Vielmehr kann mensch annehmen, daß bei einer permanenten Orientierung auf staatliche und autoritäre Maßnahmen der Hang zu Rassismus und autoritärem Faschotum eher zu- als abnehmen wird. In einer Gesellschaft, in der immer noch nach Hautfarbe und ökonomischer Nützlichkeit sortiert wird, in der Menschen nach Blutsrecht Privilegien zugeteilt bekommen und in der die Rechte des Staates mehr zählen als die Menschenrechte, ist Faschismus und Rassismus einfach unheilbar eingebaut – da helfen keine Pillen.
Die Nebenwirkungen der geforderten Maßnahmen wiegen ungleich schwerer als die behaupteten Erfolge. Immerhin soll die Freiheit aller in Reichweite des Staates befindlicher Menschen noch stärker eingeschränkt werden, als sie es bisher schon waren. Im Frühjahr dienten die Hooligans der Ausweitung staatlicher Vollmachten, danach die KampfhundebesitzerInnen, heute die Nazis, morgen wer weiß wer. Daß nach dem Bombenattentat in Düsseldorf weniger Menschen gegen den Anschlag demonstrierten als auf einer Demo gegen die Verschärfung der Hundehaltungsvorschriften, sagt genug darüber, was den Deutschen eher am Herzen liegt. Abgesehen davon ist es schizophren, im Namen der Demokratie demokratische Grundrechte abzuschaffen.
Wir dürfen bei der im Rahmen der Anti-Nazi-Debatte diskutierten Verschärfung der Inneren Sicherheit und Kontrollgesellschaft nicht vergessen: Was heute widerstandslos legalisiert wird, kriegen wir später ungleich schwerer wieder los. (Zumindest bis zur endgültigen Abschaffung von Kapitalismus und Staat.) Deshalb ist kritischer Blick und Widerstand gegen die als „Gegen Rechts“ getarnten Heucheleien unverzichtbar.

AG Öffentliche Räume beim Bündnis gegen Rechts (Leipzig)

Videokamera, 6.0k


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last modified: 28.3.2007