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headline, 1.4k
For me
HARDCORE IS STILL MORE THAN MUSIC
Einem Großteil der HC-Sympatisanten der frühen Neunziger wird die Überschrift sicher höchstens ein müdes Lächeln abringen. Verständlich, sind sie doch mit Reaktions- oder später mit Eiskeller-Konzerten konfrontiert worden, als HC-Konzerte zu einem Treffpunkt politischer, alternativer oder linker Menschen jeder Couleur avancierten und für sie quasi eine Art Gegenkultur darstellten. Daß seit Nirvana’s ‘Nevermind’ oder den kommerziellen Erfolgen von Offspring/Green Day dem nicht mehr so ist, muß ich wohl keinem erzählen. Und auch wenn die genannten Bands keinen typischen HC-Sound produzierten, waren sie doch Wegbereiter für den ‘Sell Out’ oder die ideele Verwahrlosung unzähliger Combos.
Mit Hardcore ließ sich plötzlich Geld verdienen und viele Bands dachten in Folge dessen bei der Aufnahme eines Tonträgers zuerst daran, wie das wohl bei den Kids ankommen würde. Die Gesetze des Marktes vereinnahmten eine Bewegung. Biohazard waren, glaube ich, eine der ersten Kapellen, die mitspielten. Und das die Musikindustrie in nahezu jeden Hype investiert, der auch nur im Ansatz erfolgsversprechend ausschaut, ist nichts neues. Und so waren es Labels, Agenturen, Vertriebe und Merchandise-Artikel, die überall aus dem Boden schossen, daß dabei Inhalte/Ideale auf der Strecke bleiben, liegt auf der Hand, muß aber nicht zwangsläufig so sein.
Sicherlich kann man im Jahr 2000 konstatieren, daß HC-Gigs wie Modenschauen anmuten, die Szene von Ganzkörpertatoos und Prollgeschwafel beherrscht wird und selbst Nazis inzwischen auf den Sound von Agnostic Front, Sick Of It All oder Slapshot abfahren. Trotzdem versprüht ein HC-Konzert immernoch ein subversiveres Flair als Hip Hop-, Dancehall-, Pop- oder D’n’B-Veranstaltungen. Geschuldet sei dieses subjektive Empfinden Bands wie R.A.T.M., Propagandhi, Refused (R.I.P.), Grey Area, Ignite, Snapcase... ,die neben exzellenter Musik auch Texte transportieren, die radikal, humorvoll, emotional, politisch, zynisch, gesellschaftskritisch oder einfach nur sehr gut sind. Ja, es gibt sie, noch intelligente, bisweilen linke HC/Punk Bands und zwei dieses Kalibers werden am 24.10. die Bühne des Conne Island entern. Newschool meets Oldschool oder um auf den Punkt zu kommen, SNAPCASE trifft AVAIL. Ohne die nächsten Nächte schlecht schlafen zu können, möchte ich behaupten, daß uns das Highlight der laufenden Konzertsaison ins Haus steht.
Avail aus Richmond/Virginia feiern dieses Jahr ihr zwölfjähriges und haben selbstredend ihr neues Album (-one wrench-) am Start, welches musikalisch nahtlos an seine Vorgänger anknüpft. Daran änderte der Wechsel zu Fat Wreck Chords nichts. Auch die Trennung von Drummer Erik, im Frühjahr diesen Jahres, hatte keinen Einfluß auf den einzigartigen Avail-Sound. Noch immer solider Punkrock mit energiegeladenen HC-Parts, melodischen Gitarren und rotzig/emotionalem Gesang – in jedem Fall abwechslungsreich. Genau wie Avail können auch Snapcase (ich denke mal der Headliner des Abends) auf eine fast 10-jährige Bandgeschichte zurückblicken, die mit Straight Edge-Metal begann, sich über die Jahre jedoch musikalisch wie lyrisch veränderte. Das aktuelle Album (-designs for automotion-) der Herren aus Buffalo/N.Y. zeugt von mehr Grips als dem ewigen Herunterbeten des vegan Lifestyle. Schon seit dem höchst erfolgreichen ‘progression through unlearning’ Release sind Individualismus und Selbstverwirklichung zu tragenden Inhalten ihrer Texte geworden. Und daß es in dieser hochmodernisierten, kapitalistischen und überwachungsgeilen Welt ein bißchen schwer geworden ist mit Selbstverwirklichung, haben Snapcase auch begriffen: „... Natürlich ist dies ein Land, in dem mittlerweile mehr verboten als erlaubt ist. Ich habe durchaus registriert, daß wir auf dem Weg zu einem Polizeistaat sind. Wer glaubt, daß die regierenden Demokraten diesen Apparat wieder entschärfen, hat nichts kapiert. Auch deshalb bin ich ein wenig traurig über das Desinteresse der Kids an Politik ...“. Und auch musikalisch haben sich Snapcase weiterentwickelt. Ging es auf ‘progression through unlearning’ noch sehr heftig und straight zur Sache, muß man ‘designs for automotion’ attestieren, ruhiger als sein Vorgänger zu sein, dafür um einiges verspielter. Die Einflüsse von Melody-Core, Alternative oder Jazz sind nicht zu überhören.
Nicht vergessen, will ich den Opener Landmine Spring aus Tschechien, doch was einen da erwartet, entzieht sich meiner Kenntnis. So bleibt nur noch, euch einen schönen Abend zu wünschen und nicht vergessen: wenn es nur noch um Musik geht, dann war alles nur ein Irrtum.
Hummel
avail, 14.1k


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last modified: 28.3.2007