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Deutsch ist mein ganzes Herz

Die Kulturfabrik Werk 2 sucht den Anschluß an chauvinistische Diskurse: Pop als nationales Identitätsangebot.
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Wie jede und jeder weiß, ist das Werk 2 eine Kulturstätte, die sich durch ein besonders unauffäliges Veranstaltungsprogramm auszeichnet. Die MacherInnen scheinen weitgehend ahnungsfrei, die Gastronomie ist ok, viele nette Menschen verdienen dort echtes Geld. Also eigentlich alles nicht der Rede wert, wollte das Werk 2 nicht plötzlich mit einer Messe „Neue Beiträge zur deutschen Popkultur“ bei der Nationalisierung des kulturellen Feldes mitmischen. Auf Deutschland geschissen!, 2.7k Vielleicht auch das nicht der Kritik wert, mögen einige erwidern: das Werk 2 ein kleines Licht, die Debatten sind anderswo längst entschieden worden. Wenn im Bundestag nun zum dritten Mal Ästhetikdiskussionen geführt werden(1), wenn auf viva 2 zu mehr als 50% deutsche Popproduktionen rotieren und selbst in angestaubten Kunsthistorikerkreisen gefordert wird, Kulturgeschichte weniger international zu verhandeln, wenn solange der Neue Deutsche Film (und Roman) herbeigeschrieben wird, bis es ihn tatsächlich gibt, dann bleibt dem Werk 2 nur ein zaghaftes Nachtreten in der Provinz. Allerdings stutzt man sich in der Provinz die Ellenbogen, wenn in der Hauptstadt die Fingernägel geschnitten werden.
So heißt es unter „www.deutsche-popkultur.de“ mit dem Festival „soll aufgezeigt werden, daß der Standort Deutschland über ein unglaublich großes Potential anspruchsvoller und innovativer musikalischer Beiträge verfügt“. Doch wer hat danach gefragt? Die Industrie? Die weiß das schon lange und setzt entgegen der immer wieder zitierten Kulturindustriethese weniger auf die Homogenisierung des Marktes als viel mehr auf das Differenzbedürfniss der Konsumentinnen via der Integration des sogenannten Undergrounds. Ein Entgegenkommen? Oder vielleicht „Quotensänger“ (konkret) Heinz Rudolf Kunze, der schon 1996 eine 60/40-Lösung für deutschsprachige Musik in Radio und TV forderte? Oder auch kleine Veranstalter wie Ilse’s Erika oder auch das Conne Island, die unbekanntere Bands nicht deswegen auftreten lassen, weil die MusikerInnen über deutsche Pässe verfügen, sondern weil es rockt? Nein, wissen will das der kulturchauvinistische Konsument und Standorthysteriker, dem der amerikanische Einfluß auf dem deutschen Markt seit den Anfängen des Jazz ein Dorn im Ohr war.
Unklar bleibt, weshalb beispielsweise eine Kathrin Achinger (ex-Kastrierte Philosophen), die mit ihrer Band 1993 noch unter der Headline „Etwas besseres als die Nation“ durch verschiedene Ost-Städte tourte, sich heute für solch einen Scheiß vereinnahmen läßt. Die Aussöhnung mit Deutschland? Auch andere Beteiligte wie das Label Flittchenrecords oder auch die Weilheimer Hausmusiker sind frei von dem Verdacht, im nationalisierten Kulturgemehre mitmischen zu wollen. Egal, wer nicht in der Lage ist, Einladungsschreiben auf ihren ideologischen Gehalt hin zu lesen, verdient es nicht besser. Denn selbst wenn man die nationalistischen Töne beiseite läßt, springt einem erstaunlich Dummes in die Augen. So gehe es den Veranstaltern darum, „grundlegende und gegenständliche Aussagen in der Musik verstärkt zu ermöglichen“. Natürlich wird auch die arme „Globalisierung“ und „der Konsum“ in den Begründungszusammenhang bemüht. Wegen beiden Phänomenen sei es „nötiger denn je, im gesellschaftlichen Raum einen Platz zu schaffen, der klare Forderungen in Form von Musik, Bild und Ton gegenüber der Gesellschaft, Geschichte, Politik, Architektur, Kunst uvm. ermöglicht“. Klare Forderungen!
Die Festivalsponsorin und Kulturexpertin „junge welt“ präsentiert am Samstag, den 6.5. eine Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Pop, Politik und Macht“. Das wird uns sicher schlauer machen, wenn nicht, werden wir wohl auch da korrigierend eingreifen müssen.
heike

(1) Gemeint sind die Sitzungen zu Christos Reichstagsverhüllung, zum Holocaustmahnmal und zur Installation von Hans Haake im Reichstag


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last modified: 28.3.2007