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Über Klamotten und Musik

Ein Ausblick auf den nächsten
Ska-/Rocksteady-/Reggae-/Soul-Nighter

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skinhead, 24.6k Dieser Artikel richtet sich, obwohl hoffentlich von allgemeinem Interesse, vor allem an einen Teil des Publikums der Veranstaltung. Deswegen könnte die Überschrift auch „A Message To You, Skinhead“ heißen, aber es geht nicht um Belehrung, sondern nur darum, einige Anstöße zum Nachdenken zu geben.
Unter allen Gründen dafür, warum sich junge Menschen einer „(Jugend-)Subkultur“ anschließen, spielen Mode und Musik seit jeher eine wichtige Rolle und dienen als zentrale Abgrenzungskriterien. Was die Äusserlichkeiten angeht, so stellt sich die Situation heute im Vergleich zu vor etwa zehn Jahren für „Neueinsteiger“ wesentlich „konsumentenfreundlicher“ dar. Selbst „richtige“ Skinhead-Klamotten gibt’s inzwischen völlig unproblematisch für mehr oder weniger Geld bei McShit umme Ecke oder per Mailorder XYZ. Die Entscheidung, sich auf eine bestimmte Art zu kleiden oder es nicht zu tun, ist relativ schnell getroffen. Ein individueller Musikgeschmack hingegen entsteht sicherlich nicht über Nacht. Es kostet schon Zeit und Mühe, sich in eine Sache wirklich hineinzuhören und mehr als einen oberflächlichen Eindruck zu gewinnen.
Es ist auffällig, dass zu den Ska-Veranstaltungen im Conne Island seit ungefähr zwei bis drei Jahren viele jüngere Besucher kommen, die mit ihrer Kleidung eindeutig dokumentieren (wollen), dass sie sich dem Skinhead-Kult zugehörig fühlen, und die Aufnäher legen die Vermutung nahe, dass es sich in vielen Fällen um Leute handelt, die mehr Oi!/Streetpunk hören als (klassischen) Ska. Diese Jungs und Mädels haben manchmal die Angewohnheit, sich vor den DJs aufzubauen und „Ey, spiel’ mal das-und-das!“ zu fordern. Diese „Musik-Wünsche“ erstrecken sich im wesentlichen auf die Interpreten Judge Dread (R.I.P.), Madness, Mr. Review, No Sports und Springtoifel (Business gilt leider nicht, weil die eben keine Ska-Mugge machen, nicht mal ein bißchen). Eigentlich sollte bekannt sein, dass diese den Ska nicht erfunden und auch nicht um entscheidende Impulse bereichert haben. Das heißt überhaupt nicht, dass deren Musik keine Berechtigung hätte oder nicht auf einen Allnighter gehört und es stört mich auch nicht, dass nach diesen Bands gefragt wird. Aber es wundert mich, dass eigentlich fast immer nur nach diesen gefragt wird und dann wiederum fast nur nach den größten Hits. Und es nervt spätestens dann, wenn das bereits geschieht, kaum dass die Leute überhaupt den Saal betreten haben, weil es Ausdruck einer Geisteshaltung ist, die den eigenen eingeschränkten Horizont zum Maßstab der Dinge machen möchte (nur mal so nebenbei zur Überprüfung des eigenen Wissens: worauf spielt eigentlich der Name der ersten LP von Mr. Review an?).
Um so mehr stört mich dann anmaßendes und unhöfliches Verhalten – ein DJ ist keine Musikbox, in die nacheinander jeder sein Geldstück einwirft und dafür „seinen“ Song hören kann. Ihr dürft getrost voraussetzen, dass die Personen, die da oben stehen und für Euch auflegen, sich ausgiebig mit der Musik beschäftigen und im Zweifelsfalle auch mehr darüber wissen als die meisten Leute im Publikum. Natürlich kann man mit einigen Titeln kaum etwas falsch machen, aber deshalb muß man sie nicht überall und jedes Mal oder gar mehrfach an einem Abend spielen bzw. sie immer so ins Programm einbauen, dass sie, voraussehbar wie das „Dinner For One“, dem Publikum als Höhepunkte eines jeden Abends „verkauft“ werden.
Von diesen vielleicht 10 Stücken hängt nicht ab, ob ein Abend musikalisch gut ist oder nicht. Die Auswahl an guten Liedern ist riesig, die Fragen beschränken sich aber nahezu ausnahmslos auf ganz wenige bekannte Titel oder Bands, mit denen längst auch fast jeder außerhalb der angeblich so von Hause aus auf Ska festgelegten Skinhead-Szene etwas anfangen kann. Das ist ungefähr so, als würde jemand an einem Abend, an dem alter englischer Punk und Oi! aufgelegt wird, nun dauernd nach „God Save The Queen“ oder „Hier kommt Alex“ fragen (falls das Beispiel so herum für die Betreffenden anschaulicher sein sollte). Ein solches Verhalten legt irgendwie die Vermutung nahe, dass sich die Leute wohl noch nicht allzusehr mit der Musik beschäftigt haben, wozu auch passt, dass Titel, die überall sonst auf allen Festivals und Nightern seit Jahren bewährte Hits sind, in Leipzig manchmal kaum ein Schulterzucken hervorrufen, weil sie wirklich noch immer kaum einer zu kennen scheint. Ein Stück ist in erster Linie gut oder weniger gut, und wenn man die Art von Musik wirklich mag, ist dabei kaum von Bedeutung, ob man es persönlich vorher schon mal gehört hat oder wie betrunken man bereits ist. Gerade ein Allnighter ist dafür gedacht, weniger bekannte Stücke einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Wollten wir uns auf den kleinsten Nenner einigen und nur spielen, was die meisten kennen, wäre die Party nach einer Stunde vorbei oder wahrscheinlich recht eintönig. Ich persönlich bin dagegen, dass hier der Mainstream regieren soll wie in der Moritzbastei, bei der Disco-Irgendwas oder beim Musikantenstad’l. Warum soll den ganzen Abend dasselbe laufen wie auf der Hin- und Rückfahrt im Autoradio?
Den beiden Strömungen in der Interessenlage des Ska-Publikums (traditionell-jamaikanisch oder hektisch-punkig mit etwas Off-Beat) versucht das Conne Island seit einiger Zeit dadurch entgegenzukommen, dass im Anschluss an die Konzerte von neueren oder „schnellen“ Bands meistens Joe R.G. auflegt, während für die traditioneller gehaltenen Acts und die Allnighter eher ich zuständig bin. Und ganz traditionell ist ein Allnighter nun einmal keine Grillparty, wo im Hintergrund der Soundtrack zum kollektiven Besäufnis dudelt (weil Skinhead-Sein ja doch irgendwie mit Ska zu tun hat und man dazu so herrlich trunkig herumtaumeln kann, wenn man endlich seine fünf Bier geschafft hat), sondern eine Tanzveranstaltung für Liebhaber einer bestimmten Art von Musik. Das bedeutet, dass die jamaikanische bzw. klassische Komponente (wozu dann selbstverständlich auch Bands wie Dr. Ring-Ding, Potato Five, Slackers etc. zählen) weiterhin im Vordergrund stehen soll und vielleicht sogar noch verstärkt wird.
Allen, die bereit sind sich darauf einzulassen, wünsche ich für den Abend viel Spaß.
peanut vendor



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last modified: 28.3.2007