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Der große Klesmer-Bluff

An dieser Stelle dokumentieren wir einen Artikel aus der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung vom 23. Dezember 1999
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aufwind, 10.8k Klesmer-Musik ist seit einigen Jahren hierzulande en vogue. Doch die wenigsten, die diese Musik konsumieren – und wahrscheinlich auch nur eine Minderheit unter denen, die sie produzieren – wissen, was Klesmer wirklich ist. Der Klarinettist Joel Rubin und die Musikwissenschaftlerin Rita Ottens haben jetzt ein Buch veröffentlicht, das die Klesmer-Musik historisch, soziologisch und musikalisch einordnet. Die Autoren befassen sich dabei auch mit der zum Teil fragwürdigen Renaissance des Genres in Deutschland heute. Ein Auszug aus dem Buch
Besonders in Deutschland – mit seinen restriktiven preußischen Ausländergesetzen und seinen Pogromen in den zwanziger Jahren, nicht erst seit der Schoa, für Angehörige des ostjüdischen Kulturkreises ein unwirtlicher Ort – ist die „Klesmer“-Musik zum exponiertesten Genre der jiddischen Kultur geworden, ja, zum Synonym für jüdische Kultur und jüdisches Leben insgesamt: Wie ein Automatismus setzt bei jedem der zahlreichen Berichte und Filme des deutschen Fernsehens über Holocaust und jüdische Thematik eine mittlerweile als „Klesmer“ identifizierbare Musik ein und stellt sogleich eine scheinbar kausale Relation zwischen Juden und Judentum und einer antiquierten Jiddischkeit her.
Die Motive der Klesmer-Klarinette, eher Sinnbild des zerstörten Ostjudentums als geschätzter und geförderter Bestandteil europäischer Musikkultur, sind mittlerweile in vielfältiger Weise verwoben mit der bundesrepublikanischen Kultur sowie der Herausbildung nationalistischer Bestrebungen: Der Klesmer ist der Botschafter der guten alten Zeit und einer goldenen Zukunft zugleich und ersetzt die durch den Holocaust in Verruf geratenen Begriffe Volk und Vaterland durch Identität – eine Identität, die in der Vereinigung mit Juden und ihrer Musik gesucht wird. Der Klarinettist Giora Feidman – der „die Klesmer-Tradition gar nicht vertritt“, wie der Experte für chassidische Musik in Israel, Yaakov Mazor von der Hebräischen Universität Jerusalem, in der Jerusalem Post kommentierte, „sondern nur eine eigene pseudo-kabbalistische Philosophie“ – tritt in Kirchen, in Weihnachtssendungen, im Bundestag, bei der deutschen „Grand Prix d’Eurovision“-Vorentscheidung und in der Wagner-Festspielstadt Bayreuth auf.
Vergleicht man Feidman in seiner Rolle als Versöhner, der demonstrativ die Musik des Antisemiten Wagner im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau spielt, und den Klesmer-Virtuosen Josef Gusikow, so ergeben sich gewisse Parallelen, die der Klesmer-Musik eine historische Rolle in Deutschland zuweisen: Sowohl Gusikow als auch Feidman sind den positiven mythisch-jüdischen Figuren zuzurechnen. Während Gusikow seine großen Erfolge just in den Jahren des 19. Jahrhunderts feierte, in denen vornehmlich Nichtjuden von der bürgerlichen Verbesserung der Juden eine Signalwirkung für gesamtgesellschaftliche Veränderung erhofften, läßt sich auch Feidmans Attraktion in einer Zeit des Umbruchs ansiedeln. Sein Erfolg wird bedingt von einem gesellschaftlichen Klima, in dem sich einerseits eine neue Haltung zur deutschen Vergangenheit herausbildet und andererseits das Ausland den Umgang mit Juden und Ausländern in Deutschland weiterhin als Gradmesser für die Vergangenheitsbewältigung Deutschlands und seine zukünftige Einbindung in die Weltpolitik ansieht.
Die Rolle der Klesmer-Musik bleibt in diesem Prozeß eine rein symbolische. Zwar lassen auch manche Äußerungen über Gusikows Musik den Schluß zu, daß ein Schuß exotische Verklärung der Ostjuden eine Rolle gespielt haben mag, aber niemand wird bestreiten können, daß er von den bedeutendsten musikalischen Zeitgenossen an den führenden klassischen Virtuosen seiner Zeit gemessen wurde. Feidmans Musik vollzieht sich dagegen in einem Vakuum: enthistorisiert, von zeitgenössischen musikalischen Diskursen ferngehalten und tabu für jegliche kritische Auseinandersetzung. Für die jüdischen Gemeinden im heutigen Deutschland ist Klesmer ein peinliches Topos, dennoch beugen sich ihre Funktionäre den Ansprüchen der nichtjüdischen Umwelt und produzieren immer mehr Festivals und Veranstaltungen mit immer mehr „jüdischen“ Waren und Gesten, die einerseits zur weiteren Neugründung von Klesmer-Gruppen und – daraus resultierend – zu der Annahme führen, in Deutschland bilde sich wieder neues „jüdisches“ Leben. Eine Auseinandersetzung mit der eigentlichen Musik als religiösem und kulturellen Bestandteil traditionellen jüdischen Lebens wird vermieden; in dieser unaufgearbeiteten Form eignet es sich, die Vereinnahmung der jüdischen Kultur und Geschichte durch die übermächtige nichtjüdische Umwelt zu kritisieren. Die offenkundige und allgegenwärtige Entstellung und Instrumentalisierung der Klesmer-Musik wird nun zu Lasten der Musik selbst ausgelegt: In der jüdischen Presse erscheint Klesmer-Musik heute zumeist im negativen Kontext. Die Gemeinden und ihre Repräsentanten ahnen wohl instinktiv, daß sich hinter der Klesmer-Begeisterung und ihrer musikalisch erzwungenen Homogenität des Judentums eine wenig schöne Wahrheit verbirgt: die Symbolisierung ihrer eigenen Existenz und damit alte Vorurteile für neue Generationen.
Das heutige „Revival“ ist aber keineswegs der erste Kontakt zwischen Deutschen und Klesmer-Musik: Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts bildeten sich Kapellen christlicher Musiker in niedersächsischen Orten wie Salzgitter, Lewe und Leibenburg, die sich als „Klesmorim“ bezeichneten. Es wird angenommen, daß sie diese Bezeichnung wie auch den eigentlichen Beruf und die ersten Instrumente von böhmischen Musikern in Niedersachsen oder in Böhmen übernahmen. Allerdings ist nicht belegt, ob es sich bei diesen Musikern um wirkliche „Klesmorim“ handelte. Ebenso wenig, wie über die Musik der Mitglieder der jüdischen Spielleutezunft aus Prag zu erfahren ist, vermögen auch Titel und Inhalte der Stücke in den handschriftlichen Notenbüchern der „Klesmorim“ aus Salzgitter keine Hinweise auf irgendeine wie auch immer geartete Verwandtschaft mit jüdischen Ursprüngen aufzuzeigen. War es Anfangs so, daß „die Musik der ehemaligen Untermenschen von den Enkeln der Opfer vor den Enkeln des Herrenvolkes“ – wie die Stuttgarter Zeitung über das Konzert einer amerikanischen Revival-Band in den achtziger Jahren schrieb – gespielt wurde, haben sich mittlerweile unzählige nichtjüdische und jiddische Festivals, Gedenkveranstaltungen, Multikulti-Feste und Kleinkunstbühnen beliefert. In Deutschland, in dessen südlichen Gebieten die jiddische Kultur vor tausend Jahren entstand, hat sich die traditionelle Musik des jahrhundertealten jüdischen Berufsmusikerstandes in eine eigene Post-Holocaust Grassroots-Bewegung verwandelt, getragen von Instrumentalisten, deren einzige Verbindung zum Judentum vielleicht darin besteht, daß ihre Groß- und Urgroßväter an der Ostfront nahe Vilnius während des Ersten Weltkrieges eine zaristische Militärkapelle mit „Püppchen, du bist mein Augenstern“ gehört haben mögen – gespielt von dem damals zwanzigjährigen Dave Tarras.

Aus: Rita Ottens/Joel Rubin:
Klesmer-Musik,
Bärenreiter-Verlag und
Deutscher Taschenbuch Verlag,
München 1999,
335 S., 19,90 Mark


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last modified: 28.3.2007