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headline, 1.3k
logo, 2.2k Einstmals wurde ihre Musik als „Ästhetik des Widerstandes“ gehandelt. Heute in Zeiten des Mainstreams der Minderheiten bewertet man weniger emphatisch. Was oder wer hat sich geändert? Jedenfalls nicht der Ton, der die Musik macht. Die kommt böhse, brutal und laut daher wie immer. Was heißt hier wie immer? Mit Voivod erwartet man Väter des Techno-Metals, auf deren Erscheinen im Conne Island selbst leidenschaftliche Liebhaber seit Jahren nicht hoffen konnten, weil sie die Schöpfer der „Dimension hatröss“ wahrscheinlich einfach vergessen hatten.
Früher, so Anfang der Neunziger, da war natürlich alles viel besser. Hardcore-Events im Conne Island glichen Vollversammlungen der linken Szene, jedenfalls gaben sich alle ziemlich politisch oder bestanden wenigstens leidenschaftlich darauf, anders als die verpönte große Masse zu sein. Abgesehen davon, daß im Osten etwas boomte, was im Allgemeinen schon seit einigen Jahren den normalen Weg von Kommerzialisierung und Entpolitisierung ging, gab es über Zeitverschiebungen und Zonengrenzen hinweg den gemeinsamen Nenner eines radikalen Lebensgefühls. Kulturell symbolisiert wurde dies eben auch über Hörgewohnheiten und Neurosis gehörten dazu wie das Müsli in die Sojamilch. Obwohl sie eigentlich anders waren. Nicht so der straighte HC für die Mittelstandskids, die aus moralischer Empörung über die Ungerechtigkeiten der Welt vorgaben, auf ihre Genüsse verzichten zu wollen und dafür als Entschädigung einen straight-anspornenden oder/und tröstend-narzistischen Soundtrack benötigten.
Neurosis waren eher düster und böse. Auf den ersten Blick boten sie keine puritanische Therapie für unglückliche Pubertierende auf Identitäts- und Partnerschaftssuche. snake, 10.6k Ihr unrythmisches Spielen, der Wechsel von Ambient und wuchtigen Gitarrenstößen, die eher aus dem Metal kamen als vom HC, sollte Spiegel einer unmoralischen Gesellschaft sein, der man mit guten Vorsätzen, mit einer Beschränkung auf’s eigene Tun und Lassen nicht beikommt. Mit der Musik von Neurosis fühlte man bis ins innerste Innere die eigene hundertprozentige Unversöhnlichkeit mit der „normalen Welt“.
Über die Jahre – Neurosis dürften so ungefähr schon zum vierten mal im Island sein – verselbstständigte sich die Thematisierung der dunklen Seiten der Macht. Zwar sollte sie nie wie bei Black- und Death Metal zu ihrer lächerlich anmutenden Beschwörung werden, dennoch ließ es sich auch mit Neurosis in einem eigenen Tempel einrichten.
Der ist ein bißchen weniger finster aber gleichfalls ohne Ausgang. Am Ende ergibt sich auch die – nennen wir sie mal – „Grindcore-Szene“ um Neurosis der von ihr fortlaufenden beobachteten Binsenweisheit, daß die Gesellchaft eine ganze Menge von Schweinereien hervorbringt.
In Zeiten, in denen sich Bewußtsein für solche Beobachtungen herausbildet, zum Beispiel wenn jugendliches Gerechtigkeitsempfinden nach Reibungen sucht, mag Neurosis immer noch als musikalische Untermalung taugen, nach ein paar Jahren erzeugt der Sound aber deutlich weniger Wut auf die Verhältnisse. Die Welt ist schlecht, das weiß doch jedes Kind, na und? Nichts? Fertig, aus, schlaft trotzdem schön?
Daß man mit Neurosis nicht mehr Protest fühlt muß leider nicht daran liegen, daß man zum linksradikalen Aktivisten geworden ist, eher im Gegenteil. Vielleicht ist man mit oder besser trotz Neurosis phlegmatischer Esoteriker, vielleicht Kunststudent oder einfach nur Musikliebhaber, irgendwas eben, aber wahrscheinlich kein Gesellschaftshasser. Schade eigentlich.
Der Anspruch, die Unversöhnlichkeit mit der Welt zu verkörpern, dürfte auch für today is the day gelten. Musikalisch ein wenig härter, mehr „grindcore“, werden sie ihn für die eine oder andere Person erfüllen, im Großen und Ganzen aber daran genauso scheitern wie schon Neurosis und jede andere Band dieser Welt, die sich ein so hohes Ziel gesteckt hat.
piggy, 13.5k Folgerichtig ließe sich jetzt mit ebensolchen blödklugen Zeug auch der Genuß von Voivod schmälern. Aber die Kulturkritik muß einem ja nicht automatisch das Leben in den Widersprüchen versauen.
Also von vorne: Auch Voivod galten mal als ganz anders als alle anderen. Noch viel früher als Neurosis hatten sie ihre große Zeit und standen für die Begriffserweiterung einer subkulturellen Sparte. Allerdings sollten sie nicht die Traditionslinie des Hardcore aus dem Lot bringen, sondern Mitte/Ende der Achtziger die stockkonservative Metalszene mit technologischen Innovationen verwirren. Auf einmal konnte man in der für andere als gleichgeschaltet daher kommenden Metalszene mit dem Bekenntnis zu Voivod (Napalm Death, Accüsed, Carcass etc.) Distinktionsgewinne einfahren. Und was noch viel ungewöhnlicher war, auf einmal gab es „linke Metalbands“, die deutlich Gesellschaftskritik formulierten. Das wollten dann doch die meisten aus der alten Szene nicht wahr haben und so fanden sie Voivod entweder skuril, „abgefahren“, „krank“ und die simpleren Gemüter unter den Metallern fanden sie einfach nur scheiße. Die Möglichkeit der herrschenden Vernunft und der Langweiligkeit der eigenen Szene mit Bands wie Voivod u.a. zu entkommen war aber zumindestens für einige Leute so attraktiv, daß sie schließlich in der HC/Grindcore-Szene Unterschlupf fanden. Wo sie dann, wie unschwer zu erraten ist, auf die gefühlsmäßig Gleichgesinnten mit den Neurosis-Shirts trafen, um mit ihnen nach einigen lustigen Jahren festzustellen, daß die Wut im Bauch eine untreue, schwer konservierbare Begleiterin ist. Trotzdem schön, daß die eben beschriebene Geschichte (manche würden auch übertriebenermaßen von der Versöhnung des Metal mit Punk sprechen) jetzt in einem Bandpacket ins Conne Island kommt.
Aber was heißt „schön“, wo es doch eigentlich kaum faßbar ist, eine Band wie Voivod im eigenen Laden zu haben. Vielleicht fühlt man ja doch nochmal so „unversöhnlich“ wie früher. ulle


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last modified: 28.3.2007