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Sabine Grimm

Sexismus ohne Sex

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Während der Komplex Rassismus/Nationalismus ausgiebig diskutiert wird, sieht es hinsichtlich des Sexismus eher dürftig aus.

Ich halte es für eine Reduktion und Bornierung linker Theorie, wenn alles sich nur noch um den neuen „Hauptwiderspruch“ dreht, als ob sämtliche sozialen Machtverhältnisse sich hieraus ableiten und erklären ließen. Umgekehrt ist davon auszugehen, daß auch die Analyse und Politik des Rassismus ihren Gegenstand nicht trifft, wenn sie nicht den Zusammenhang und die Verknüpfungen mit anderen sozialen Verhältnissen berücksichtigt.
Mir geht es jetzt nicht darum, Feminismus gegen linke Theorie auszuspielen. Ich halte diese Separierung für fatal, sie stützt letztlich eine Arbeitsteilung, derzufolge Frauen sich mit sog. Frauenthemen beschäftigen und linke Männer weiterhin das Thema Sexismus ignorieren oder delegieren können. Die Realität dieser Arbeitsteilung ist auch auf diesem Kongreß wieder offensichtlich. Dabei muß man jedoch gleichzeitig klar sehen, daß Frauen, genauer: „deutsche“ Frauen, prinzipiell Zugang haben zu diesen Zusammenhängen und die Linie der Ausgrenzung an anderer Stelle verläuft. Während es genug Frauen gibt, die hier für sich sprechen können, ist die Situation derjenigen, die rassistisch diskriminiert oder gar verfolgt werden, was die Frage ihrer Repräsentation anbetrifft, strukturell anders. Die antirassistische Linke spricht hier gewissermaßen in Stellvertretung, was sich auch bei diesem Kongreß wieder an der Zusammensetzung des Podiums zeigt. In den USA oder in England wäre ein solcher Kongreß undenkbar: Das liegt sicher auch an der unterschiedlichen Situation von „Ausländerlnnen“ in der BRD, wo es eine Organisierung nur in Ansätzen gibt, dennoch hätte man sich darum bemühen können. Ich will damit nicht die rassistisch Verfolgten wiederum auf ihre Opferrolle festlegen. Ich denke mir, daß man diesen strukturellen Ausschluß sehen muß, wenn man selbst unablässig davon redet, die rassistische Gemeinschaft aufbrechen zu wollen. Ich möchte im folgenden auf drei Punkte eingehen:
1) werde ich versuchen, sehr verkürzt nachzuzeichnen, wie in der derzeitigen Rassismus-Debatte „Geschlecht“ und Sexismus theoretisch gefaßt werden,
2) einige Überlegungen zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus anstellen und
3) fragen, inwiefern analog zur These vom „Rassismus ohne Rassen“ (Balibar) auch von einem „Sexismus ohne Sex“ die Rede sein kann.
DIE KATEGORIE „GESCHLECHT“ IN DER RASSISMUSTHEORIE: ZWISCHEN IDEOLOGIEKRITIK UND ESSENTIALISMUS
Bei genauerer Betrachtung scheint das Problem vieler linker Theorien fast weniger darin zu bestehen, daß das Thema Sexismus hier selten auftaucht, sondern wie es behandelt wird. Im wesentlichen gibt es zwei Varianten der Thematisierung, die uns in der aktuellen Rassismus-Diskussion immer wieder begegnen. Beide treten in der Regel vermischt auf, ich unterscheide sie hier nur idealtypisch:

1. die ideologiekritische Analogisierung:
Irgendwie funktioniert Sexismus wie Rassismus, quasi als Sonderform oder als Nebenwiderspruch. Man könnte diese Variante auch als Entlarvungsdiskurs bezeichnen. Er kritisiert die Stereotypen von „Rasse“ und „Geschlecht“ aus aufklärerisch- universalistischer Perspektive und wittert überall dort, wo von Besonderheit, Verschiedenheit oder - noch schlimmer - Differenz die Rede ist, Rassismus und Sexismus. Die in diesem Zusammenhang auftauchenden Formel von der „Naturalisierung sozialer Verhältnisse“ oder der „sozialen Konstruktion“ werden dabei meist im Sinne von Schein oder falschem Bewußtsein eingesetzt - ich gehe später auf dieses (bewußtseinsphilosophische) Mißverständnis ideologie- und diskurstheoretischer Ansätze noch genauer ein.
Der Entlarvungsdiskurs hat innerhalb der Linken zu einer Form von pauschaler Kritik geführt, die keinen Unterschied mehr macht zwischen Multikulturalismus und Ethnopluralismus und ebenso nicht mehr differenziert zwischen feministischen Theorien über sexuelle Differenz und konservativen bzw. rechten Geschlechterideologien (so z.B. der von konkret geplante Titel einer Feminismus-Sektion: „Die deutsche Frauenbewegung - ein etwas anderer BDM?“)(1).

2. die essentialistische Unterscheidung, die innerhalb der Linken eher dominiert:
Wird auf einer allgemeineren Ebene von der Analogie ausgegangen, tauchen, sobald man sich dem Phänomen „Geschlecht“ nähert, essentialistische Argumentationen auf, nach dem Muster: „Rassen“ gibt es nicht, „Geschlechter“ schon, was sich bereits darin ausdrückt, daß man von Rasse nur in Anführungszeichen redet, die Kategorie Geschlecht dagegen selbstverständlich zu sein scheint(2).

Ich gebe zwei Beispiele, beide von Theoretikern, die ansonsten ideologie- bzw. diskurstheoretisch argumentieren, sobald es um „Geschlecht“ geht, jedoch auf Natur, Biologie und ähnliches rekurrieren. Das erste findet sich in einem Text von Wolfgang Fritz Haug (Argument-Mitherausgeber), in dem er über Anti-Rassismus nachdenkt und dabei auch ein paar grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von Rassismus und Sexismus anstellt: „Das Komplementär-Verhältnis der beiden Geschlechter findet bei den unterschiedlichen Phänotypen von Menschen, die der Rassismus zu ‘Rassen’ totalisiert, keine Entsprechung ... weil ... die beiden Geschlechter gerade in ihrer ‘Differenz’ unmittelbar aufeinander verwiesen sind, was als ‘natürliches Gattungsverhältnis’ etwas anderes ist als ein bloßer Unterschied und insofern mit dem Verhältnis unterschiedlicher ‘Rassen’ nicht verglichen werden kann ...“ (Haug: 1992, 38). Das „natürliche Gattungsverhältnis“ bezieht sich auf Marx, den Haug im Anhang ausführlich zitiert: „Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe.“ Während also für Haug „Rassen“ erst durch den Rassismus konstruiert werden, entspringt dei Sexismus umgekehrt unmittelbar gegebenen Grundlage der auch für ihn „natürlichen“ und „notwendigen“ Heterosexualität. Dabei ist Haug sicher nur einer von vielen ehemaligen Marxisten, die zwar ausgiebig den Ökonomismus der Marxschen Theorie kritisieren, deren naturalistische Vorstellung von Materialismus aber noch immer in dieser Tradition steht. Besonders deutlich wirkt dieses Erbe des Marxismus dort nach, wo es um die Frage des Geschlechterverhältnisses geht. Und das betrifft nicht nur „alte“ Neue Linke wie Haug, sondern auch „neue“ Neue Linke.

Ein anderes Beispiel: Robert Miles, ein britischer Rassismus-Theoretiker, sieht die Verknüpfung von Rassismus und Sexismus darin, daß „die biologische Reproduktion ja die entscheidende Grundlage für die Reproduktion der ‘Rasse’ abgibt“ (Miles: 1991, 365). Miles argumentiert ansonsten mit der Unterscheidung von sex und gender (biologisches/soziales Geschlecht), was ihn aber - bezeichnenderweise - nicht davon abhält, den Begriff der Reproduktion, wie auch Haug, an das „biologische Geschlecht“ (sex) zu knüpfen. Beide reißen damit die generative Reproduktion aus ihrem sozialen Zusammenhang und stellen sie in den Horizont einer imaginären Natur, statt sie als soziale Praxis zu begreifen.
Die Annahme einer jeden Gesellschaft vorgängigen „natürlichen“ Reproduktion macht zugleich die Zurückweisung eines der Kategorie „Rasse“ entsprechenden Substrats fragwürdig, denn: wenn sich (nationale) Gemeinschaften über die „Biologie“ reproduzieren, dann fragt sich doch, welcher Art das hier Reproduzierte sein soll, wenn nicht „biologisch“.

DER MYTHOS DER GENEALOGIE
Meine These ist, daß, wenn die Kategorien „Geschlecht“ und „Reproduktion“ in der linken Theoriebildung weiterhin in dieser Weise essentialistisch fundiert werden, dies auch die Kritik von Rassismus und Nationalismus an einem zentralen Punkt verstellt, den ich mit dem Begriff der Bevölkerungspolitik im folgenden nur andeuten möchte.
Der symbolische Kern der Idee der „Rasse“, der es ermöglicht, die Individuen zu einem homogenen „Volk“ zusammenzuschließen, ist das Schema der Genealogie, d.h. die Vorstellung, daß die Verkettung der Individuen dazu führt, daß jede Generation der anderen eine biologische oder geistige Substanz übermittelt - biologisch oder geistig, weil die essentialistische Vorstellung eines gemeinsamen „Ursprungs“ sowohl biologistisch als auch kulturalistisch artikuliert sein kann (wie z.B. im Topos der „deutschen Kulturnation“). Die Grundlagen, über die dieses Schema auf die imaginäre Gemeinschaft des „Volkes“ projiziert werden kann, sind zum einen das System der Heterosexualität, d.h. die Normierung des sexuellen und generativen Verhaltens der Menschen im Sinne einer Verschmelzung von Sexualität und Fortpflanzung sowie jener Prozeß der Durchsetzung einer bestimmten Norm des Zusammenlebens, den Balibar als „Nationalisierung der Familie“ bezeichnet hat – also die Durchsetzung der bürgerlichen Kleinfamilie, deren Zerfall derzeit von Konservativen bis hin zu Linksliberalen wie Leggewie beklagt wird. Hier liegt ein historischer Nexus von Rassismus und Sexismus und zugleich ein Grund dafür warum es kaum rassistische Diskurse gibt, die nicht sexuell überdeterminiert wären, warum die ideologische Konstruktion der „rassischen“ Differenzen über Metaphorisierungen der „sexuellen Differenz“ erfolgt.
Der Rassismus ist in dieser Hinsicht als Produktionsweise zu begreifen, als Form der Herstellung von Homogenität - und die für das Geschlechterverhältnis zentralen Fragen der Reproduktion, der „Familie“ und der „Mutterschaft“ erhalten hier entscheidende Bedeutung. (Gerade dieser Zusammenhang wird aber von den meisten Rassismus-Theorien entweder weitgehend ignoriert oder gar affirmiert. Eine einsame Ausnahme stellen Balibars Überlegungen zum Konnex Rassismus/Sexismus dar, auf die ich mich hier u.a. stütze.) Daß es kaum rassistische Diskurse gibt, die nicht in irgendeiner Weise von sexualisierenden Metaphern durchzogen sind, heißt jedoch nicht, daß beide Phänomene einfach zu analogisieren oder aufeinander abzubilden wären. Im Gegenteil: Um die Pro- duktion und Reproduktion der nationalen Gemeinschaft sozial und nicht essentialistisch bestimmen zu können, ist es vielmehr nötig, Rassismus und Sexismus zu unterscheiden. Erst dann läßt sich ihr Zusammenwirken und ihre gegenseitige Verstärkung beschreiben.
Ein grundlegender Unterschied besteht darin, daß als dominantes Prinzip des Sexismus zunächst der Einschluß der Frauen, ihre Unterordnung innerhalb der rassisch und national gekennzeichneten Gemeinschaften bestimmt werden kann, während das dominante Prinzip des Rassismus die Ausgrenzung ist. Formen des Einschlusses der „Anderen“ - wie Assimilation und Minorisierung sind Effekte dieses - Ausschlusses von der Gemeinschaft, Effekte der Spaltung des „Eigenem“ vom „Fremden“; wie andererseits Formen des Ausschlusses von Frauen (historisch vom Wahlrecht oder in Form ihrer Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt etc.). Effekte ihrer Unterordnung im Einschluß sind (s.d. Eichhorn 1992). ln diesem Kontext stellt nun die Bevölkerungspolitik ein Dispositiv dar, über das die sexistische Einschließung und die rassistische Ausgrenzung gleichermaßen reguliert werden.
In der Bevölkerungspolitik der BRD, wie sie sich etwa in der Neuregelung des Paragraphen 218 darstellt, in deren Zentrum der „Schutz des Lebens“ steht, ist die Artikulation einer rassischen/nationalen Gemeinschaft implizit immer vorhanden. Zuweilen wird sie auch explizit, etwa wenn rechtspopulistische Politikerlnnen den Rückgang der „deutschen Geburtenrate“ beklagen oder wenn Fromme in der FAZ den „volkserzieherischen“ Charakter des Karlsruher Urteils betont.

Mit dem Begriff der Bevölkerungspolitik meine ich aber nicht nur den §218, sondern prinzipiell alle Praktiken und Diskurse, die auf die soziale Reproduktion der nationalen Ge- meinschaft zielen, also z.B. auch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nach dem Muster „Deutsche zuerst“. Dabei stellt allerdings die Normierung des generativen und sexuellen Verhaltens der Individuen eine zentrale Ebene dar. Zum Dispositiv der Bevölkerungspolitik gehören nicht nur die staatlichen Einrichtungen des Standesamtes und des Erbrechts, die demographischen Techniken zur Geburtenkontrolle und zur Messung der Bevölkerung (also auch jene Statistiken, die die sogenannte „Überfremdung“ der Deutschen so anschaulich illustrieren), gesundheitspolitische und medizinische Maßnahmen etc., dazu gehört auch die scheinbar private Ebene der sexuellen Praxen und des Heiratsverhaltens der Individuen. Die Normierung erfolgt nicht nur von „oben“, vielmehr basiert sie größtenteils auf der Grundlage der freiwilligen Unterwerfung der Individuen unter die nationale Gemeinschaft - wie z.B. dann, wenn eine Frau ihrer Tochter nahelegt, sich nicht mit einem Türken einzulassen.
Um die Vorstellung einer ursprünglichen Gemeinschaft der Deutschen anzugreifen, ist es nötig, den Begriff der Reproduktion nicht selbst essentialistisch aufzuladen - wie es etwa geschieht, wenn kritisiert wird, daß der Rassismus der BRD auf eine „Reinhaltung der Deutschen“ ziele, als hätte es etwas „Reines“ je gegeben. Das „reine Deutsche“ muß vielmehr immer erst hergestellt werden, und hier spielt der Sexismus, die Unterordnung der Frauen innerhalb ihres Einschlusses in die nationale Gemeinschaft, eine zentrale Rolle - weshalb übrigens das Motto „Etwas Besseres als die Nation“ auch als Minimalforderung für Feministinnen gelten kann.

RASSISMUS OHNE RASSEN - SEXISMUS OHNE SEX?
Zum letzten Punkt. Ich habe mich gefragt, wieso viele vom „Rassismus ohne Rassen“ reden, es aber vermutlich auf größeren Widerstand stoßen würde, von einem „Sexismus ohne Sex“ zu reden. Mir fiel in diesem Zusammenhang eine Formulierung in einem Papier des Hamburger Wohlfahrtsausschusses auf, die mir die Verfahrenheit der Kontroverse um Essentialismus oder Kon- struktivismus schlagartig zu beleuchten schien, als ich versuchte, den Begriff „Rasse“ einmal probehalber durch „Geschlecht“ zu ersetzen. Die Formulierung lautet: „Weil es menschliche Rassen nicht gibt, sprechen wir von einem Ras- sismus ohne Rassen. Rassen werden sozial konstruiert“ - die andere Version würde lauten: „Weil es menschliche Geschlechter nicht gibt, sprechen wir von einem Sexismus ohne Sex. Geschlechter werden sozial konstruiert.“ Meine Vermutung ist, daß diese Formulierung für viele, die der ersten Version („Menschliche Rassen gibt es nicht“) uneingeschränkt zustimmen würden, unglaubwürdig klingt (abgesehen davon, daß sich „sex“ nicht übersetzen läßt). Warum?
Weil es gerade diese Evidenz der Kategorie Geschlecht ist, über die der Sexismus funktioniert. Mit Evidenz meine ich die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der Individuen als Frauen oder Männer identifiziert werden und sich selbst identifizieren, ein Vorgang, der im Gegenteil hochgradig voraussetzungsreich und - eben - „sozial konstruiert“ ist, so daß diese Evidenz nicht als Grundlage, sondern vielmehr als Effekt der Bedeutungskonstitution von „Geschlecht“ zu verstehen ist. Als Effekt auch der zu ihrer Reproduktion immer wieder notwendigen Anerkennung der bestehenden Geschlechterverhältnisse.

Und diese Evidenz gilt ebenso für die Kategorie der „Rasse“ - der aufklärerische Hinweis darauf, daß die Wissenschaft die Vorstellung von biologischen Rassen widerlegt hat, hat noch keinen Rassisten davon abgehalten, genau zu wissen, wen er angreift. Denn für die Individuen, die als „Rasse“ identifiziert werden und sich zum Teil selbst identifizieren, ist es ziemlich egal, ob die Biologie oder der Diskurs, Natur oder Kultur als Erklärungen dafür herangezogen werden, daß sie ausgegrenzt, stigmatisiert oder verbrannt werden. Die scheinbar „objektive“ (natur)wissenschaftliche Widerlegung aber hatten die Autoren im Kopf, als sie den Satz formulierten: Menschliche Rassen gibt es nicht. Und dies scheint mir auch ein Grund dafür, daß viele Linke selbstverständlich „Rasse“ für „fiktiv“ halten, bei „Geschlecht“ jedoch argumentieren, daß es sich hier doch zweifellos um einen „grundlegenderen Unterschied“ oder eine nicht zu leugnende „Tatsache“, kurz um eine „Realität“ handle. Meine Vermutung ist, daß, wenn die Formulierung „Rassismus ohne Rassen“ in dieser ideologiekritischen Weise eingesetzt wird, also im Sinne von „Wie uns die Wissenschaft gesagt hat, gibt es menschliche Rassen nicht“, im Hintergrund immer noch eine naturalistische Vorstellung von Materialismus steht, die Materialität nicht über die soziale Praxis, sondern als Gegebensein denkt und letztlich dem hegemonialen biologischen Diskurs verhaftet bleibt. Und diese Vorstellung tritt vorzugsweise dann zutage, wenn es um „Geschlecht“ geht.
So wird zwar einerseits viel von Diskurstheorie bzw. -analyse und von der performativen Funktion diskursiver Praktiken geredet, dennoch existieren auf der anderen Seite weiterhin naturalistische Vorstellungen von Materialität. Ich denke, daß dies nur dann möglich ist, wenn man die diskurs- oder ideologietheoretischen Ansätze bewußtseinsphilosophisch mißversteht und den in diesem Kontext verwendeten Begriff der ideologischen Konstruktion mit „falschem Bewußtsein“ übersetzt. Das hiermit verbundene dichotome Modell von Basis und Überbau, von „harten Fakten“ und „ideologischem Schein“ (Sein vs. Bewußtsein, Realität vs. Fiktion etc.) versuchen diese Ansätze gerade zu verlassen, indem sie Sprache selbst als soziales Verhältnis fassen, das Realität nicht einfach „abbildet“, sondern selbst konstruiert. „Rasse“ und „Geschlecht“ sind in diesem Sinne real, gerade weil sie ideologisch konstruiert sind. Ich verstehe Ideologie hier als „imaginäres Verhältnis der Individuen zu ihren realen Existenzbedingungen“ (Althusser). Dieses „imaginäre Verhältnis“ ist nicht einfach eine innerliche Vorstellung, vielmehr ist es eingelassen in institutionelle regulierte Praktiken, die die diskursiven Konstruktionen von „Geschlecht“ und „Rasse“ materialisieren - wobei Materialität nicht als Essenz, sondern als soziale Praxis und als Herrschaftsverhältnis, mithin als „Materialität der Zeichen“ (Volosinov) zu verstehen ist. Ideologie und Praxis sind dabei nicht zu trennen, sie bilden einen unauflösbaren Zusammenhang.
In diesem Sinne davon auszugehen, daß die Kategorie Geschlecht von ihrer diskursiven Konstruktion nicht zu trennen ist, heißt nicht, zu behaupten, daß Diskurse die Wirklichkeit hervorbringen. Es bedeutet nicht, die „Materialität des Körpers“ zu verleugnen - ein Vorwurf, der vor allem in der feministischen Diskussion den sog. KonstruktivistInnen oft gemacht wird (s.d. Butler 993). Es heißt lediglich, davon auszugehen, daß „Geschlecht“ von Anfang an eine normative Kategorie, ein „regulatives Ideal“ (Foucault) ist, und die Vorstellung, man könnte eine „wertfreie Geschlechtsnatur“ fixieren, die erst nachträglich kulturell überformt wird, verkennt, daß damit immer eine bestimmte soziale Formierung von Materialität, eine bestimmte Normierung der Körper festgeschrieben wird (z.B. Heterosexualität). Aus dieser Perspektive er- scheint auch die Trennung von sex und gender, von „biologischem“ und „sozialem Geschlecht“ unzureichend, denn: Wo ist die Grenze zu ziehen? Ist die Dichotomie von Natur und Kultur nicht gerade die flexible Matrix, über die der Sexismus (wie auch der Rassismus) funktioniert - nicht nur, indem Natur als unveränderliches Gegebensein und Kultur als veränderliches Geworden-sein konstituiert wird, sondern auch, indem umgekehrt Kultur wiederum „naturalisiert“, d.h. als Unveränderliches fixiert werden kann?

Wenn man Balibars These vom „Rassismus ohne Rassen“ so versteht, wie er sie einsetzt, nämlich als rhetorischen Hinweis auf eine Verschiebung der dominanten rassistischen Artikulationsweisen hin zu einem kulturalistischen Neorassismus, ließe sich die Analogie (Sexismus ohne Sex) in verschiedener Hinsicht weitertreiben:
So wäre zum einen, vergleichbar dem in der aktuellen Rassismustheorie diskutierten Substitutionsverhältnis der Kategorien „Rasse“ und „Kultur“, ebenso von einem gegenseitigen Determinierungsverhältnis der Begriffe sex und gender auszugehen. Auch hier könnte man von einer „Ambivalenz des Sexismus“ reden, wie Balibar sie für den Rassismus feststellt: einem ständigen Changieren zwischen biologistischen und kulturalistischen Artikulationen von „Geschlecht“. Ebensowenig wie rassistische Aussagen explizit von „Rasse“ reden müssen, müssen sexistische vom „biologischen Geschlecht“ reden.
Meiner Ansicht nach ist zweitens auch hinsichtlich des Sexismus eine Verschiebung der dominanten Artikulationsweisen zu beobachten: ähnlich wie beim Neorassismus sind in die aktuellen Formen des Sexismus feministische Argumentationen eingegangen, gibt es Retorsionseffekte und eine Verschiebung hinzu kulturalistischen Artikulationen. Vorherrschendes Thema ist nicht mehr die Inferiorität der Frau, sondern ihre Andersartigkeit. Der sexistische Universalismus, der Mensch sagt und Mann meint, tritt zurück hinter dem sexistischen Partikularismus, der die Unterschiede betont. Insofem könnte man auch von einem Neosexismus reden - der aus Feminismus und Antifeminismus gelernt hat - und dessen zentrales Thema nicht mehr die Überlegenheit des Mannes ist, sondern der sich darauf „beschränkt“, die „Schädlichkeit jeder Grenzverwischung“ und die Komplementarität und Unvereinbarkeit der Geschlechter zu behaupten(3).

Die gegenwärtige Situation erscheint paradox: Einerseits sind viele feministische Themen in den gesellschaftlichen Konsens eingegangen und selbst die CSU kann es sich heute nicht mehr erlauben, das „Frauenthema“ auszulassen, andererseits lassen sich verschiedene Entwicklungen der letzten Jahre, wie die ideologische Refamiliarisierung oder die Entscheidungen zum [[section]] 218, nur als „backslash“ begreifen. Ideologisch funktioniert dieser sexistische Gegenschlag jedoch nicht einfach nur über antifeministische Argumentationen, vielmehr finden sich darin auch Versatzstücke aus feministischen Diskussionen, vor allem solche, die die „Geschlechterdifferenz“ betonen. Wenn meine These vom Neosexismus, der selbst universalismuskritisch argumentiert, zutrifft, stellt sich u.a. die Frage, inwiefern der Differenz-Feminismus der 80er Jahre an der Verschiebung der Artikulationsweisen beteiligt war, indem er die andere „weibliche“ Moral, Sprache, Sexualität etc. beschwor und dabei gängige Weiblichkeitsstereotypen affirmierte. Das soll nicht heißen: der Feminismus ist an allem schuld - das liefe auf eine Verkennung der Machtverhältnisse hinaus. Allerdings ist nun, im Unterschied zur Situation Ende der 60er Jahre, von einer qualitativ anderen Stufe feministischer Theorie und Praxis auszugehen: ihrer gegen Ende der 70er Jahre einsetzenden und während der 80er Jahre voran getriebenen Institutionalisierung, Akademisierung und Etatisierung. Gleichzeitig wurde nicht erst mit dem Ausbleiben einer radikalen Kritik am Karlsruher Urteil deutlich, daß es eine Frauenbewegung nicht mehr gibt. Feministinnen, die an der Kritik des Geschlechterverhältnisses festhalten, sehen sich nun nicht mehr allein vor die Aufgabe gestellt, (Neo-)Sexismus und Antifeminismus anzugreifen, zugleich sind sie zur Kritik dessen gezwungen, was derzeit unter den Etiketten „Feminismus“ und „Frauenpolitik“ läuft.

Anmerkungen:

(1) Gegen den „multikulturellen Rassismus“ führten die „Ökolinken“ (Ditfurth u.a.) in Frankfurt ihren Wahlkampf gegen Rot-Grün und erklärten dabei Daniel Cohn-Bendit zum Hauptfeind. Gleichsetzungen von Cohn-Bendit und Alain de Benoist sind hier üblich. Es wird nicht mehr analysiert, in welcher Weise jeweils „Differenz“ artikuliert ist (multikulturalistisch als „Recht auf Differenz“ oder ethnopluralistisch als „Pflicht zur Differenz“?), sondern draufgehauen, sobald bestimmte Begriffe auftauchen.

(2) Obwohl es auch hinsichtlich der Kategorie „Rasse“ essentialistische Positionen gibt, wie nicht erst Christoph Türcke auf dem Konkret-Kongreß offenbarte, indem er den Rassebegriff affirmativ einsetzte und eine, scheinbar durch ihre kapitalismuskritische Pointe für viele akzeptable „Rassenlehre“ vortrug. In diesem Kontext sei auch auf die „rousseauistische“ Traditionslinie der Linken verwiesen, d.h. auf jene Zivilisationskritik, die sich in ihrer Bezugnahme auf „Natur“ nicht selten als Exotismus gegenüber den „Anderen“ (wie auch gegenüber der „Frau“) äußert, insofern mit ihrer größeren Nähe zur Natur, mit ihrer geringeren „Entfremdung“ etc. argumentiert wird. Das Genre der Zivilisationskritik funktioniert nicht zufällig oft als bevorzugtes Feld für Positionswechsel von links nach rechts.

(3) Ein eindrucksvolles Beispiel für diese Verschiebung und den Einsatz feministischer Argumentationen bietet die gerade erschienene „Schering-Frauenstudie“, durchgeführt vom Allensbacher Institut für Demoskopie. Die „Frauen in Deutschland“ sind der Untersuchung zufolge recht zufrieden mit ihrer Situation. In der Einführung wird dies folgendermaßen erklärt: „Der Erfolg der Emanzipationsbewegung wurde oft einseitig danach bemessen, wie weit es Frauen gelungen war, mit Männern gleichzuziehen, gemessen an der Repräsentanz in verantwortlichen Positionen, in Ausbildungsgängen und Berufen, in den Interessensgebieten und Einstellungen. Unterschiede zwischen Männern und Frauen, z.B. in den Interessensgebieten und bei der Berufswahl, wurden entsprechend meist als zäh weiter bestehende Defizite interpretiert ... Erst allmählich wurde bewußt, daß diese Sichtweise männliche Einstellungen, Interessen und Lebensmuster zum entscheidenden Maßstab für ...“



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last modified: 28.3.2007