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no love for krauts!

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Die Absurdität der deutschen Normalität, denn 1·1=2

Um die Walser-Debatte nach den ersten Regungen nicht wieder unter den Tisch fallen zu lassen und dem Verdrängungsprozeß keine Chance zu lassen, ist es notwendig, den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel immer und immer wieder auf die uns umgebende gesellschaftliche Realität zu projizieren und zu hinterfragen. Denn nichts ist mehr wie es vorher war!
Ich werde mit diesem Artikel versuchen, eine mögliche geschichtliche Rotation (das Ende vom Anfang) aufzuzeigen, im Hinblick auf den Antisemitismus im 19. Jahrhundert im Vergleich zum 20. Jahrhundert. Denn sein Wesen ist nicht eine andere, konkurrierende oder minderwertige Identität, sondern Gegen-Identität: der »ortlose, mächtige« Mittler.
Während die Welt am deutschen Wesen genesen könnte, bleibt für den Juden kein Platz, schon gar nicht mittels der „Moral»keule«“. Die Funktion der Unterscheidung zwischen einer nationalen Identität und einer jüdischen Gegen-Identität ist für den Antisemiten/Nationalisten unverzichtbar. „Wären Deutsche im Grunde so böse, wie es der »Jude« an sich immer schon ist, könnte sich die personale in der Fiktion der nationalen Identität nicht unzweifelhaft festlegen. Dann aber verlöre die »Nation« ihre Bedeutung für das Subjekt.“(1)

Der Berliner Antisemitismusstreit (1879)
Um 1880 manifestierte sich in Deutschland erstmals die „moderne Form der Judenfeindschaft, die sich Antisemitismus nannte“. Das Wort »Antisemitismus« wurde von Wilhelm Marr, einem ehemaligen Liberalen, im Sommer 1879 bekannt gemacht. Der neue Ausdruck war ein ungeheurer Erfolg. Das Wort klang nicht nach Religion oder mittelalterlicher Judenverfolgung, sondern nach Wissenschaft(2).
Ab 1873 erschienen zunehmend antisemitische Artikel und Pamphlete mit einem hohen Verbreitungsgrad. 1878 bildete sich die erste antisemitische Partei Deutschlands, die »Christlich-Soziale Arbeiterpartei«. Am Ende dieses Wandlungsprozesses veröffentlichte der liberale Heinrich von Treitschke einen Artikel „Unsere Aussichten“ in dem er eine gesellschaftliche Diskrepanz zum »Radauantisemitismus« (semantisch vergleichbar mit dem „Straßenantisemitismus“ der NPD/JN heute) propagiert. Damit wird Treitschke zu einem der bedeutendsten Protagonisten des modernen, postemanzipatorischen und postliberalen Antisemitismus. Der entscheidende Punkt dabei ist der Unterschied zu den früheren, religiösen Formen der Judenfeindschaft.
Der Antisemitismus verstand sich als umfassende Weltanschauung und bot ein „alternatives“ Deutungsmuster der „modernen“ Geschichtsentwicklung, das sich vom vorherrschenden liberalen Emanzipations- und Fortschrittsmodell wesentlich unterschied. Durch die Modernität des neuen nationalen(3) Antisemitismus sicherte Treitschkes „Verknüpfung von Antisemitismus und Nationalismus“ in der „Orientierungs- und Legitimationskrise des Liberalismus(4)“ eine „positive Resonanz, zuerst unter seinem Studenten und später in großen Teilen des Bildungsbürgertums. Die Tatsache, daß Treitschke kein Konservativer oder Klerikaler war, sondern als ehemals Liberaler das emanzipatorische Selbstverständnis von „innen“ in Frage stellte, machte seine Lehre so attraktiv. Als Historiker und Publizist genoß Treitschke ein hohes Ansehen (auch ohne Friedenspreis) und machte den modernen Antisemitismus salonfähig und löste damit den Berliner Antisemitismusstreit aus.
Treitschke, der „Vater des modernen Antisemitismus“ (Mommsen).

Die Walser-Rede: eine Art »Gündungsmanifest« der neuen Berliner Republik? (1998)
Man muß heute erneut die Tatsache anerkennen, daß Deutschland eine Weltmacht ist und als eine der stärksten ökonomischen Mächte der Welt gibt es auch politisch den Ton an. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das es sich leisten kann, Deutschland nicht zu hofieren. Deutschland kann im Grunde darauf pfeifen, ob es als normal angesehen wird oder nicht. Damit könnte es auch der politischen „Klasse“ egal sein, ob die Welt nun Deutschland liebt oder nicht. Aber dennoch wollen die Deutschen geliebt werden.
Dieses Liebesbedürfnis kann allerdings erst erfüllt werden, wenn klar ist, daß das deutsche Nationalgefühl genauso normal wie das französische oder auch das italienische ist.
Mit Walsers »Friedens«preisrede wurde eine Grundsatzdebatte der Berliner Republik provoziert und damit leider auch legitimiert. Legitimiert durch die gesellschafliche Oberschicht, welche massenhaft (immerhin 1.200 Zeit»genossen«) dieser Rede standing ovations spendeten. Die Debatte hatte fast unbeachtet im Sommer mit dem von Michael Naumann hervorgerufenen Streit um das Holocaust-Mahnmal begonnen.
Nach Walsers Rede geht es nun auch um die innen- und außenpolitisch reklamierte deutsche Normalität. Die Berliner Republik setzt damit an ihren Anfang die Versöhnung mit den Tätern und die Disziplinierung der Opfer, welchen nun einfach die „Moralkeule“(5) entrissen wird. Ganz im Sinne der historisch bewährten alten Warnung, die Juden sollten es nicht zu bunt treiben, wollen sie in Ruhe gelassen werden. Die Walser-Rede ist ein eindeutiges Zeichen für den Zuwachs des intellektuellen Nationalismus, sowie für einen gesellschaftlich gebilligten „unterschwelligen“ Antisemitismus. Denn Walser ist kein „Rechtsextremer“, er ist der »Friedens«preisträger. Eine gewisse Parallelität zu dem kurzen historischen Abriß des Berliner Antisemitismusstreites ist wohl kaum zu übersehen.
Antisemitismus ist nun wieder salonfähig, ein antisemitischer Friedenspreisträger wird durch die applaudierende Öffentlichkeit bestätigt. „Das ist Gewissensfreiheit, die ich meine.“ (Walser), vom Schuldigen zum »Beschuldigten«, aber deutsche Täter sind keine Opfer und wer schweigt stimmt zu (und es schweigen viele). Die Folgen des Berliner Antisemitismusstreites sind bekannt, die Folgen der Walser-Debatte kann man zu dem jetzigen Zeitpunkt nur erahnen. Also wachsam bleiben!
Tausche Staatsbürgerschaft?!
Gruß Poldi

(1) Vergleich: Antisemitismus als Ideologie? von Klaus Holz, 1995
(2) mehr dazu: Nipperdey, Thomas, 1992: Deutsche Geschichte. 1866-1918
(3) Deutschland war zu dem Zeitpunkt eine junge Nation, worin einige die Identitätskrise begründen und den daraus entstandenen Antisemitismus erklären möchten
(4) der damalige Liberalismus stand für politische und juristische Emanzipation der Juden, einer allgemeinen Gleichstellung aller Staatsangehörigen unabhängig von Religion
(5) die inhaltliche Auseinandersetzung im Hinblick auf den semantischen Gebrauch des Wortes „Moralkeule“ beruht wiedereinmal auf der klassischen Täter/Opfer Umkehrung, wo Walser ja auch noch auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen konnte



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last modified: 28.3.2007