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Blumfeld

INTERVIEW

Im Vorfeld des Auftrittes von BLUMFELD sprachen wir mit Jochen Distelmeyer - dem Sänger der Band.

"BLUMFELD im Rock. Supersexy Rock, der durch die Erfahrungen von Punk, US-Hardcore und Britpop gegangen ist. Aber sie sind eben auch durch andere "privatere" ungleichzeitigere Geschichte gegangen. Durch Beach Boys, Gainsbourg, Cohenfrüher, Hip Hop und House heute".(Klaus Walter in Konkret 10/94)

Cee Ieh: Du bist beispielsweise involviert in die ganze Wohlfahrtsausschußsache, Du warst 93 hier in Leipzig zur "Etwas Besseres als die Nation" - Tour. Dort war von Ost-Seite, wenn man das so pauschal sagen kann, permanent davon die Rede, daß, wenn wir der ganzen politischen Scheiße etwas entgegen können, dann ist es ein "Lebensgefühl". Bei BLUMFELD merkt man, daß ihr das Gefühl, das ihr sicher habt, ebenfalls als ein Lebensgefühl versteht. Aus einem Community-Gedanken heraus. Trotzdem schließt sich die Frage nach einer Ich-Bezogenheit an und dort konkret, wie Ich-Bezogenheit für Dich besetzt ist.

Distelmeyer: Sicherlich sind wir da an ein Kollektiv oder an Soziales angedockt, was auch funktioniert. Also auch sozial funktioniert und auch von dem, wie es sich dann auch politisch begreift. Nur, das hat man möglicherweise auch gemerkt auf der wohlfahrtsausschuß-Tour, daß da so diese einzelnen kleinen Gruppen, die ja ihr Funktion& auml;re eben auch herstellen müssen und auch langfristig sichern möchte, immer an Momente kommen, wo es merkt: Oh, jetzt kann es kritisch werden, jetzt kann es dazu führen, das etwas kaputt geht,- daß sich das wie die Konstruktion von Familie oder wie Nation nicht nur nach außen auswirkt, als da bleiben welche außen vor, sondern auch nach Innen, wo beispielsweise, und das ist ein Kritikpunkt an der Platte der Goldenen Zitronen, obwohl ich sie supergenial finde, an deren Vorstellungen von einem Individuum und einem Subjekt, alles nur entwickelt werden kann, vor dem Hintergrund des Zusammenarbeitens im Kollektiv, nur das funktioniert. An diese Kollektive appellieren sie auch, aus einem Kollektiv heraus. Was ist denn aber mit Leuten die meinetwegen auf BLUMFELD-Konzerte gehen, die solches Soziales gar nicht für sich reklamieren können. die gar keine Vorstellung davon haben, daß es das gibt, als Möglichkeit, die in der Provinz leben, dort ein paar Kumpels haben, aber eine Vorstellung von einem Kollektiv, das nachdem Motto:, Gemeinsam entsteht ein starker Entschlu ß gar nicht wirklich erleben? Haben die überhaupt eine Möglichkeit sich als Individuum selbst politisch zu begreifen oder geht das wirklich nur um den Moment, wo sie aufgehoben sind oder in einem Zusammenhang tätig sind? Meine These dabei ist, ich will gar nicht die Möglichkeit der die Option von Kollektivisierung in Frage stellen, auch wenn es genügend Momente gibt, wo es kritisch wird, wichtig ist mir nur darzustellen, auch die Leute, die da allein vor dem Plattenspieler sitzen, die aus einem Gefühl versuchen, Dinge für sich klar zu kriegen, denen zu sagen, "He, davon handeln wir dann", das sich daraus auch gleich ein Begriff von einem politischen Subjekt ergeben kann.

Cee Ieh: Die Frage, die sich stellt, nach der Wertung einer Ich-Bezogenheit. Also negativ oder positiv?

Distelmeyer: Was wäre denn Ich-Bezogenheit?

Cee Ieh: Wenn Du Dich so abkapselst vom Sozialen, um aus Onanie und aus Selbstzweckgründen Dich so mit Dir selbst beschäftigst, daß Du im Endeffekt nur noch auf Dich selbst zurückgeworfen bist. Diese Andockung an ein Kollektiv, die Du zumindest suchst, ist nicht mehr gegeben, weil Du den Anschluß verlierst.

Distelmeyer: Ich finde es ziemlich schwierig, das zu werten. Weil es ja faktisch passiert. Diese Zurückgeworfenheit auf sich selber ist nicht das Problem. Das Problem ist, wie geht man damit um.

Cee Ieh: Speziell auf Ost-Verhältnisse bezogen die Frage nach der Rezeption von Musik. Im Speziellen, wer heutzutage "Ton Steine Scherben" hört und sich in diesen Slogans verliert und die für die heutige Zeit anwendet, ist nicht in der Lage, die heutige Zeit zu verstehen. Das heißt, entweder man steht drüber oder man verliert sich dermaßen, daß man sich auf sehr lange Sicht in diesen vordergründigen Parolen, die sicherlich zu ihrer Zeit ihre Berechtigung hatten aber für die heutige Zeit eher irrelevant sind, so sehr verliert, daß man einfach nicht versteht, was momentan passiert.

Distelmeyer: Da sind wir bei der Sache von Geschichtsauffassungen. Es kann nicht funktionieren, wenn man glaubt diesen historischen Kontext oder Zusammenhang Eins zu Eins abbilden zu wollen. Wenn man also "Ton Steine Scherben" wie ein 68er mit dem ganzen Gestus, mit der ganzen Einstellung hört, und hier und jetzt etwas machen will, dann produziert man entweder Kitsch oder etwas, wo ich auch sagen würde, daß es falsch ist, daß es nicht angemessen ist. Natürlich kann man "Ton Steine Scherben" nehmen und gucken, wie die ganze Geschichte unter gegenwärtigen Bedingungen aussieht. Wie könnte man einen Satz wie "Macht kaputt, was euch kaputt macht" heute sagen. Dieser Gedanke oder Antrieb, der dahinter steckt, ist etwas, das man kennt, wenn es auf Selbstverteidigung oder so etwas hinausläuft. Es wäre ein Angebot zu sagen, "macht verrückt, was euch verrückt macht". Ich würde es also nicht verloren geben, als etwas, das total jenseits oder von gestern ist.

Cee Ieh: Ist eure Musik "Widerstandsmusik"?

Distelmeyer: Für mein Leben ist das effiziente Widerstandsmusik. darüber definiere ich meine Form des Widerstandes. Als eine Möglichkeit, wie sich eine Form von Widerstand ausdrücken läßt. Alles weitere versuchen wir natärlich schon so unmißverständlich und explizit darzustellen. Nicht nur unbedingt über Musik oder Text. Wir machen eben keine Interviews mit Spiegel, FAZ, Tempo, Musikexpress, Focus usw. Oder halt die Sachen mit dem Wohlfahrtsausschuß...


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last modified: 28.3.2007