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Nazipack in Aktion.

Rassistische und faschistische Überfälle sind auch in Leipzig an der Tagesordnung. Die Spitze des Eisbergs bekommt schon mit, wer regelmäßig die regionalen Zeitungsseiten danach untersucht. Doch wer läßt sich schon gerne von der Party oder dem Studium ablenken. Selbst vermeintlich alternative Projekte wie das Plaque deckeln die Naziattacken und geben brav die Möglichkeit des Widerstandes aus der Hand. Trotzdem an dieser Stelle Infos und eine Einschätzung – für Unverbesserliche.

In der Nacht vom 24.10 zum 25.10. wurde das „Plaque“, ein alternatives Wohn- und Kneipenprojekt im Stadtteil Plagwitz von ca. 30 Nazis überfallen. Die Angreifer zerstörten fast alle Fenster der Vorderfront des Hauses, drangen aber auch in die Kneipe ein und demolierten Teile der Einrichtung. Zwei Besucherinnen wurden von den Faschos durch Fußtritte verletzt, ein Gast – ein Kulturredakteur der LVZ – verletzte sich auf der Flucht. Noch mal Glück gehabt, meinten auch einige der Betroffenen, weiß man doch, daß Nazis auch vor Brandschatzung, Mord- und Todschlag nicht zurückschrecken. Ist diese Einschätzung als erster Eindruck nach dem Geschehen noch nachvollziehbar, bleibt sie heute, Wochen nach dem Überfall, nichts als die Angst des Hasen vor dem Jäger. Sie offenbart eine politische Ohnmacht, eine defensive Haltung, die im Endeffekt einer Einladung der Nazis zu neuen Attacken gleicht. Waren ähnliche Angriffe noch vor Jahren der Anstoß um aufgeregte „Kiez“-Plenen einzuberufen, ist mittlerweile das oft kritisierte, jedoch nicht unwirksame „Feuerwehrprinzip“, welches darauf basierte, solche Vorfälle öffentlich zu machen, sie politisch zu behandeln und mit den Nazis in der Folgezeit Tacheles zu reden, einem bewußt- und tatenlosen Dauerzustand gewichen. Die alternative Szene hält ihren politischen Winterschlaf über das ganze Jahr und selbst, wenn der sonst so behütete Bau ausgehoben wird, läßt man von der Träumerei nicht ab.
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Allee-Center, Grünau
Das „Plaque“ forderte nicht die Solidarität anderer Projekte, ja die angebotene Hilfe wurde eindeutig abgelehnt. Eine Stellungnahme zu dem Überfall, ein Diskussionsangebot über mögliche Verteidigungsmaßnahmen, über eine bessere Vernetzung der Projekte etc. wurde weder im KlaroFix noch beim Offenen Antifaschistischen Plenum versucht. Was kann da anderes vermutet werden, als daß die Leute vom „Plaque“ weiter an einem Burgfrieden in „ihrem Viertel“ basteln, weiterhin auf Fortuna vertrauen und dem Anspruch, ein alternatives Projekt zu sein, nicht mehr viel Bedeutung beimessen.
Und genauso, wie in Plagwitz der Mythos „Projekt der Autonomen – wer hier Händel sucht, sollte gut versichert sein“ verspielt wurde, scheint sich dies auch in Connewitz abzuzeichnen. So etwas geschieht nicht plötzlich. Auch in Plagwitz hatten sich die Nazis nach und nach an das „Plaque“ herangearbeitet und dessen Widerstandspotential ausgelotet. Erst wurden im Haus Aufkleber und in unmittelbarer Nähe NPD-Plakate verklebt. Dann gingen die ersten Autos der BewohnerInnen zu Bruch und als daraufhin immer noch keine Sanktionen der „Antifa“ den Faschos Einhalt oder wenigstens größere Vorsicht geboten, durften sie sich auch nicht mehr vor dem direkten Angriff scheuen.
Ganz in diesem Sinne, sind die Nazi-Aktionen in Connewitz zu betrachten. In der Nacht vom 17.10. klirrten die Scheiben einer Kneipe in der Biedermannstr. und die eines Autos in der Stöckartstr. (ehemaliges Herzstück der Hausbesetzerszene). Als Bekennerbrief hinterließen die Täter jeweils Aufkleber der JN. Am Sonntag darauf wurden dann NPD-Plakate am Connewitzer Kreuz verteilt. Noch vorsichtig zwar, aus einem fahrenden Kleinbus, aber noch können die Faschos nur ahnen, daß sie ihren Fuß in eine Tür setzen, die kaum jemand mehr zuhält.
Wer bei dieser Faktenlage nicht als erstes davon ausgeht, daß der Brandanschlag, der am frühen Morgen des 20.10. eine Halle des Kulturzentrums Werk II in Connewitz zerstörte (vgl. CEE IEH, November 97), den linken politischen Veranstaltungen galt, die in anderen Räumlichkeiten des Werk II an diesem Wochenende stattfanden, darf sich hiermit in Vertretung der Bundeszentrale für politische Bildung brave staatsbürgerliche Gutgläubigkeit attestieren lassen.
Der Antifa bleibt in dieser Situation, die durch Desinteresse und Verharmlosung gegenüber Nazi-Aktivitäten selbst in den Kreisen gekennzeichnet ist, in denen die autonome Antifa dachte, noch als politische Kraft akzepiert und unterstützt zu werden, nicht mehr viel übrig, als die Ausmaße der faschistischen und rassistischen Angriffe reflexhaft zu archivieren und im eng begrenzten Raum zur Sprache zu bringen. Jedenfalls vermochte es sie bis jetzt noch nicht, adäquat auf die Attacken der Nazischläger zu reagieren, die auch im November ungebrochen anhielten.
Eine Woche nach dem Überfall auf das „Plaque“ verprügelte eine Nazi-Clique einen Migranten und seine Begleiterin in der Straßenbahn. Die Täter kamen gerade von einer Zechtour in ihrem Kneipenareal, welches vom Adler bis zum Lindenauer Markt eine handvoll Anlaufpunkte zu bieten hat (z.B. „Steinhaufen“, „Wilde Sau“, „Café zum Schotten“) und befanden sich auf dem Weg nach Grünau. Dieser Stadtteil ist genauso wie Lindenau, Stötteritz, Wahren, Möckern usw. fest in der Hand der rechten Schläger. Die Unmengen von Propagandamaterialien der NPD und JN, die in diesen Vierteln überall verklebt sind, gäben die Arbeitsgrundlage für den täglichen Einsatz von zwanzig antifaschistischen Putzkolonnen. Aber auch wenn hier von jeder Ecke ein Aufkleber der Antifa eine gewisse Drohgebärde signalisieren würde, steht fest, in diesen Vierteln marschiert der „Nationale Widerstand“ alltäglich und hier sucht er sich auch regelmäßig seine Opfer.
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Allee-Center, Grünau
Am 7.11. berichtet die LVZ über einen brutalen Überfall von Nazis auf ein 16jähriges Mädchen – ebenfalls in einer Straßenbahnlinie Richtung Grünau. In ihrer „grellen Haarfarbe“ erkannten die ordentlichen Deutschen ein Signum des politischen Gegners und gingen ohne lange zu fackeln zum Angriff über: „Durch die Wucht des Schlages zerbrach die Zahnspange des Opfers und zerschnitt die Wange...“ (LVZ, 7.11.97) Ein paar Tage nach Bekannwerden dieses Überfalls, am 12.11., gingen zwei Nazis in der Bernhardstraße auf ein Mädchen los. „Die 15jährige wehrte sich, schrie: ‘Nazischweine!’ Da ritzten sie ihr vermutlich mit einem Messer ein ‘n’ neben dem Bauchnabel in die Haut.“ (Bild, 13.11.97) Und am 15.11. erfährt man dann ebenfalls in der „Bild“ von einem weiteren Naziüberfall in der Straßenbahnlinie 15 – Richtung Grünau –, bei dem das Opfer krankenhausreif geschlagen wurde.
Es ist klar, daß die Berichterstattung der Presse viel mit der „Wucht des Schlages“ zusammenhängt. Die meisten Angriffe der Nazis werden aber nie bekannt, es sei denn, die den Polizeiberichten abgeluxten Fälle sind unter der Rubrik „überbordende Gewalt“ ausschlachtbar. Die politischen Motive der Täter sind dann sowieso ganz schnell weggelassen und für das Publikum ist mit der Schlagzeile „Zu viele Überfälle – Bimmel fährt jetzt unter Polizeischutz“ (Bild) im sicherheitsstaatlichen Sinne alles geklärt. Wen würde auch eine Konkretisierung der Dunkelziffer großartig anheben? Der rapide geschwundene Betroffenheitstypus quält sich höchsten noch bei Todesfällen auf die rauhe Straße und der Aktionsplan der Autonomen wird so uneinholbar von den Nazi-Aktionen, meist ihren Großereignissen, bestimmt, daß sie nur noch... Aber das hatten wir ja schon mal.
Wer denkt, dies wäre der Tiefpunkt einer pessimistischen Sichtweise, der/die sollte abwarten, was eventuell geschrieben werden muß, wenn die Nazis im nächsten Jahr ihren anhaltenden Aufschwung mit neuen Großereignissen beflügeln können. Die Planungen lassen da einiges befürchten. Im Februar ein Auftakt-Kongreß zum Wahlkampf in Passau, zu welchem mehrere tausend Teilnehmer erwartet werden. Schon im Monat davor eine Demonstration gegen die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ in Dresden. Und im Mai wollen dann 10.000-15.000 Kameraden für „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“ in Leipzig aufmarschieren. Die gegenwärtigen Nazi-Aktionen sind also nur eine gewalttätige Overtüre auf der Straße vor den anstehenden öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen des organisierten Flügels der Fascho-Szene. Erfahrungsgemäß ging es nach erfolgreich verlaufenen Naziveranstaltungen, bei denen sie sich ihrer Stärke bewußt werden konnten (z.B. im März diesen Jahres in München), noch viel schlimmer ab. Die Hegemonie der Faschos auf der Straße und in der Jugendkultur schaukelt sich in ihrer aktionistischen Ausrichtung derzeit von ganz alleine hoch. Genau in dem Maße, wie sie zugelassen wird. Es liegt auch am Verhalten solcher Projekte wie dem „Plaque“, inwieweit ein antifaschistisches Potential hier – bescheidene – Grenzen setzen kann. xxx

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last modified: 28.3.2007