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Entweder Oder...

Die deutsche Abwehrschlacht an der Oderfront.

gemeinsam sind wir stark, 9.2k Mittlerweile sind die Pegelstände wieder auf unspektakuläre Maße gesunken, der allgegenwärtige Medien- und Politprominenz-Rummel ist merklich abgeflaut, das „Bruchbauerngesindel“ (T. Fontane) kehrt eilig zurück, um die verlorenen Taler zu zählen und Schadensbilanzisten und Versicherungsexperten betreten nun das Feld, auf dem noch vor einigen Wochen die erfolgreichste Schlacht der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung geschlagen wurde. Das in den überfluteten Niederungen stehende Wasser mit seinen interessanten Zutaten wie Heizöl, Tierkadavern etc. dürfte zuviel spontanen Solidaritätstourismus vorerst verhindern, jedoch stinkt es beileibe nicht so zum Himmel wie die Kriegsmetaphorik und Volksgemeinschaftsideologie, die anläßlich zweier überwässerter brandenburgischer Nester und einiger Ouadratkilometer nun vielleicht überdüngter landwirtschaftlicher Nutzfläche im ganzen Land verbreitet wurde.
Der Spiegel, erfahrungsgemäß weit voraus, wenn es darum geht, einen Schritt zurück in Richtung deutsche Vergangenheit zu machen, überschrieb einen Beitrag zum Hochwasser mit „Die Schlacht an der Oder“. Wer hier nur historische Pietätslosigkeit vermutete, mußte sich eines besseren belehren lassen, denn im Folgenden wurden die Medienarbeiter der Nation eindeutiger und adaptierten nicht selten gleich das Orginal: „Die Abwehrschlacht an der Oder“. Die Erinnerungsleistung, die hier verlangt wurde, geht auf den Winter 1945 zurück als ein letztes Aufgebot von Wehrmachtsteilen und Einheiten des Volkssturms an der Oder die Reichshauptstadt, Führer und Vaterland gegen die Rote Armee verteidigten. Bis zum letzten Blutstropfen, versteht sich.
damm, 12.0k Die Bundeswehr konnte im Sommer 97 den Umständen entsprechend nur „bis zur letzten Sekunde“ verteidigen. Und waren es vordergründig auch nur Deiche - im etwas weiteren Sinne war es der „Lebensraum Oder“ und im Kern die deutsche Identität - der man in Zeltendorf und Hohenwutzen derzeit noch mit Spaten und Sandsack bei Fuß zur Seite stand, haben die Soldaten trotzdem „nicht nur Mut bewiesen, sondern auch ihr Leben eingesetzt“. Der der Nachfolgeorganisation der Wehrmacht solches Lob kredenzt, Matthias Platzeck, Umweltminister von Brandenburg, ist nach eigenen Angaben eigentlich Pazifist. Jene Selbstitulierung hinderte ihn jedoch nicht im geringsten allerorten die Soldaten für ihren „großartigen und selbstlosen Einsatz zur Landesverteidigung“ zu beglückwünschen.
Eigentlich gibt es auch keinen Grund zur Aufregung, wenn die Sozialdemokraten dem Militär salutieren, ist dies doch seit 1914 eine politische Konstante in Deutschland. Wenn aber wiedermal ein Pazifist stramm steht, und der Widerspruch seiner Glaubensbrüder ausbleibt, so ist dies zwar seit der deutschen Intervention in Ex-Jugoslawien nicht gerade ein Novum, zumindest aber ein offensichtlicherer Hinweis, wie fest geschlossen die Reihen hierzulande mittlerweile sind.
Daß die Bundeswehr, der man noch vor kurzem den einen oder anderen öffentlich bekannt gewordenen Nazi-Soldaten übelnahm, vorneweg marschiert, liegt in der Logik der Sache. Denn aus den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung eines Hochwassers wurde eine nationale Wehrübung zelebriert. Der Bundeskanzler schickte seine Einheiten mit Nachdruck ins Gefecht. „Die Bundeswehr hat den Auftrag, jeden Platz, der zu halten ist, zu verteidigen.“ Dreißigtausend Soldaten und zweitausend Fahrzeuge, Hubschrauber („Sandsackbomber“) und Tornados ließen den Spiegel vom „sinnvollsten Bundeswehrmanöver in Friedenszeiten“ schwärmen. Die Rekruten kämpften dann auch heldenhaft – im Sinne ihrer Großväter – um jeden Deichmeter und war es ihnen auch unmöglich, noch das Wunder von Stalingrad zu schaffen, das „Wunder an der Oder“ schafften sie wohl. Da plauderte dann auch die linksliberale SZ wieder ganz freundlich von der „durchaus brauchbaren Truppe, wenn man ihr nur eine vernünftige Aufgabe gibt“.
Eine solche sahen auch die Arbeitslosen der Republik mit dem Oderwasser heranschwimmen und attackierten in Ermangelung eines zentralen Reichsarbeitsdienstes das Arbeitsamt in Frankfurt/Oder mit ihrem vorauseilendem Gehorsam und dies mit einem Einsatz, der hinfort jedem rechten Populisten das Gerede von den Sozialschmarotzern verbieten müßte. Aber nur die Wendeverlierer aus dem Osten konnten in großen Mengen die begehrten Plätze auf den umkämpften Deichen und damit den gemeinschaftlichen Prestigegewinn ergattern. Die PDS wird’s bei den nächsten Wahlen büßen müssen.
grosse aufgaben, 12.5k
Die Naturkatastrophe an der Oder bzw. der öffentliche Umgang mit ihr entwickelte sich so zum neuerlichen Lackmustest zur Lage der Nation. Und diejenigen, die sie geschlossen und zu allem bereit sehen wollen, sollten mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Naturkatastrophe – einzig mit diesem Begriff kommt man dem tatsächlich geschehenen nahe, auch wenn zu bedenken ist, daß er in erster Linie auf die betroffenen Gebiete in Polen und Tschechien anzuwenden ist, denn dort verursachte das Hochwasser wirklich eine Katastrophe mit über hundert Toten und Schäden, die weder von den Opfern noch von ihren Regierungen ohne ausländische Hilfe behoben werden können und somit mehr bedeuten als ein neuerlicher Motivationsschub für ohnehin fanatische Eigenheimbastler und ein genialer Promotionhit für Oderbruchgemüse.
Doch die Deutschen machten aus ihrem Hochwasser einen Akt des Krieges und der damit notwendig einhergehenden Sinnstiftung. So wie die Soldaten an der Oder „Mamor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Deiche nicht“ sangen, stimmten die Politiker und ihre journalistischen Handlanger das Lied der Identität, der deutschen Schicksalsgemeinschaft an. Wie früher brauchte es dazu die schier übermächtige Bedrohung von außen, vorzugsweise aus dem Osten. Nun erwies es sich als geradezu unmöglich den Flutwellen der Oder den jüdischen Bolschewismus anzudichten, da das Wasser aber nachweislich aus Polen kam, gab dies wenigstens die Möglichkeit zur Verbreitung des einen oder anderen ausländerfeindlichen Ressentiments und zur Auffrischung des Anti-Postkommunismus.
Den deutschen Bewohnern des Oderbruchs war schnell klar, daß polnische Kampftaucher einen Damm sprengten um Slubice, das polnische Gegenüber von Frankfurt, vor dem Wasser zu bewahren, und damit die Überflutung der Ziltendorfer Niederung verursachten. Und generell ist dem Landser vertraut, daß die verlotterten Polen an ihren Flüssen sowieso keine ordentliche Hochwasservorsorge zu stande bekommen, wofür die Wehrbauern an der Oderfront jetzt den Wasserzoll entrichten müssen.
land unter, 15.0k
Früher war das anders, erinnert sich ein „vertriebener Schlesier“ in einem Leserbrief an die FAZ, zum Beispiel in seiner „Heimatstadt Breslau“: „Die schlesische Stadt und siebte Stadt im Deutschen Reich durfte keinen Schaden nehmen. Mittels „technischer Wunderwerke“ wurde aufkommendes Hochwasser um die Stadt herumgeleitet. Hochwasserschutzeinrichtungen an der Oder und ihren Nebenflüssen konnte man ohne Übertreibung als bedeutendes Kulturwerk deutscher Wasserbaukunst bezeichnen.“ Und das der Nazi den Köder riecht, der ihm mit der „Jahrtausendflut“ vor die Nase gespült wird, zeigt sich vollends, wenn er sich zu einem Satz wie dem folgenden bekennt: „Deutsche Politik wird es wieder möglich machen, trotz leerer Kassen dem so heimgesuchten Nachbarland finanzielle Hilfe zukommen zu lassen, anstatt Schadenersatz nach dem Verursacherprinzip von Polen einzufordern.“
Doch die alten Kameraden werden sich gedulden müssen, auch wenn ihnen die Sache mit Polen jetzt besonders auf den zittrigen Nägeln brennt. Die deutsche Elite ist noch nicht bereit, aus erhöhten Wasserstandsmeldungen ein neues Gleiwitz zu zaubern, es reicht ihr, daraus einen Gemeinschaftsmythos zu stilisieren, der die Voraussetzung für alles weitere ist. Mit verräterisch lüsternem Pathos verkündete ihn der Kanzler. „Es zeige sich, wie sehr sich die Menschen in Deutschland als eine Gemeinschaft verstünden, wenn es darauf ankäme. Angesichts der Katastrophe gebe es keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West.“ Gerne wollte er „ein Stück von jenem Geiste“ wachhalten, propagierte der Kanzler weiter, „der in der Stunde der Katastrophe die Deutschen solidarisch vereint.“ Der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe verkündete nicht weniger gefühlsbetont im Bundestag: „An den Deichen in Brandenburg habe die deutsche Nation im siebten Jahr der Einheit ihre Bewährungsprobe bestanden.“ Natürlich klatschten auch die Liberalen Beifall. Ihr Abgeordneter Türk rief Verteidigungsminister Rühe zu: „Herr Rühe, Sie haben eine tolle Truppe.“
Der Spiegel feierte diese „Bewährungsprobe der Nation“ und heizte, nicht ohne genügend Eigenlob zu verbreiten, den größten „Caritasboom“ seit dem Winterhilfswerk an, um befriedigt feststellen zu können: „Ganz Deutschland wird von einer Welle der Hilfsbereitschaft überrollt.“ Und wirklich, die Millionen überschlagen sich in den eingerichteten Spendenzentralen und dies nicht nur weil sich einige Konzerne am Katastrophenhilfe-PR beteiligen, sondern eben auch, weil der schlichte Sparer, der noch den erbarmungswürdigsten Bettler am liebsten von schwarzen Sheriffs aus seiner Einkaufspassage herauseskortiert sieht, seinem deutschen Spießerabbild im Oderbruch die Hunderter in den Hintern schiebt. Für die Betroffenen in Polen und Tschechien bleiben bestenfalls die Kleidersammlungen des DRK und vergrößern dort die nach dem Hochwasser ohnehin riesigen Müllberge.
alle packen mit an, 8.1k Bei soviel nationalem Heldenmut war der diesbezüglich würdigende Orden nur eine Frage der Zeit – jeder deutsche Krieg braucht sein eisernes Kreuz. Die Kämpfer von der „ostdeutschen Wasserfront“ (Spiegel) werden demnächst die Hochwassermedaille erhalten, so, daß eigentlich nur noch der Märtyrer fehlt, der für den Lebensraum Oder sein Leben gab. Leider, leider liegt wahrscheinlich ein solcher auch nicht mehr im übrig gebliebenen Schlamm.
So hat das Hochwasser die ganze Realität der zusammengerückten und kampfbereiten Nation an die Oberfläche gebracht. Steuerstreit und anklingender Wahlkampf wurden als die Makulatur des Pluralismus entlarvt, die vor dem Ernstfall kommt.Es gibt in diesem Land keine fundamentalen Differenzen zwischen Rechts und Links, zwischen General und Pazifist und zwischen Arm und Reich auch nicht.
Wer das deutsche Ticket buchen darf, der bekommt den Platz im nationalen Rettungsboot, da können Oder und Rhein, die beiden Schicksalsflüsse der Deutschen, dereinst zusammenfließen, das macht denen dann auch nichts. Fast möchte man den Volksgemeinschafts-Protagonisten ein Liedchen anstimmen „...und wenn die ganze Welt ins Wasser fällt...“, aber so weit sind sie wie gesagt noch nicht, aber auch nicht mehr weit davon entfernt. ulle


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last modified: 28.3.2007