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Aufruf zu Gegenaktivitäten gegen den Nazi-Aufmarsch am 1. Mai in Leipzig

Die Bilder von 5000 durch die Münchner Innenstadt ziehenden Nazis sind kaum von den Bildschirmen und aus den Zeitungen verschwunden, da zeichnet sich immer deutlicher schon das nächste Großereignis der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) ab.
Bereits seit Anfang 1997 sind Aufrufe der Jungen Nationaldemokraten bekannt, die zu der Teilnahme an einer bundesweiten Demonstration des „nationalen Spektrums“ am 1. Mai in Leipzig auffordern. Am 1.März in München wurde dieser Termin den dort anwesenden neofaschistischen Gegnern der Anti-Wehrmachtsausstellung bekanntgegeben. Mittlerweile mobilisieren alle für die Naziszene relevanten Schaltstellen für diesen Tag. Es werden Mitfahrmöglichkeiten in Bussen angeboten und über regionale Sammlungspunkte der Nazis informiert. Im Internet kursieren bereits Aufrufe. Auf dem Leipziger Arbeitsamt liegen Flugblätter aus, die zur Teilnahme an der „Demonstration des Nationalen Widerstandes“ auffordern.
Die Demonstration ist seit dem 28. Februar angemeldet. Der Aufmarsch wird von den Kreisen vorbereitet, die auch bei der Organisation des bisher größten Nazi-Treffens seit den 60er Jahren am 1. März in München federführend waren. Als Treffpunkt wurde der im Leipziger Stadt-Zentrum liegende Wilhelm-Leuschner-Platz ausgewählt.

Die NPD und JN

NPD und JN gelten derzeit als die aktivsten und erfolgreichsten Organisationen im Nazi-Spektrum. Beide fungieren nach den Verboten einiger neofaschistischer Parteien und Organisationen in den letzten Jahren als Auffangbecken für deren ehemalige Mitglieder. Zwar beanspruchte die formelle Jugendorganisation der NPD – die JN – in der jüngsten Vergangenheit eine stärkere Eigenständigkeit gegenüber der Mutterpartei, doch gibt es inhaltlich und organisatorisch immer noch eine Reihe von Überschneidungen. Beide Organisationen postulieren nationalrevolutionäre Positionen, die auf einer rassistischen, völkischen und antisemitischen Ideologie beruhen. Organisatorisch arbeiteten beide Gruppierungen erst jüngst bei den Vorbereitungen der Aufmärsche in Aschaffenburg und München intensiv zusammen.
In Sachsen und speziell im Leipziger Raum verfügen die NPD/JN über ein großes Potential an Mitgliedern und Anhängern. Im Februar dieses Jahres berichtete der sächsische Verfassungsschutz über einen „gewaltigen Zuwachs“ auf 300 Mitglieder im Freistaat (bundesweit: 2800). Nach Eigenangaben verfügt die NPD allein in Leipzig über 113 Mitglieder. Außerdem ist der stellvertredente Bundesvorsitzende der NPD, Jürgen Schön, in Leipzig wohnhaft. Als weiteres Beispiel für die hiesige Stärke der Organisationen muß auch der im vorigen Jahr in Leipzig stattgefundene Bundeskongreß der JN bewertet werden. Die Zusammenarbeit von JN, NPD und anderen „nationalen Aktivisten“ offenbarte sich in der Messestadt bisher vorallem durch die Organisation und Teilnahme an gemeinsamen Gesprächskreisen und der propagandistischen Offensive der Organisationen in der Kleinstadt Wurzen. Die bundesweit im letzten Jahr bekanntgewordene Nazi-Szene in der nur einige Kilometer entfernten Stadt im Muldentalkreis verfügt über beste Kontakte zu den NPD-Funktionären in der Messestadt. An der geschichtsrevisionistischen Demonstration in München nahmen über 150 Nazis aus dem Raum Leipzig-Wurzen teil, die mit drei Reisebussen in die bayerische Metropole unterwegs waren.
Diese starke regionale Verankerung spricht an sich schon für den gewählten Aufmarschort am 1. Mai. Zumal die Nazis nicht nur in Leipzig, im Muldentalkreis und in Ostsachsen (Bautzen, Zittau etc.), sondern generell in den neuen Bundesländern sehr erfolgreich agieren und besonders in ländlichen Gegenden durch ihre oft jugendliche Klientel eine politische und durch rassistische Überfälle geprägte Hegemonie ausüben.

Symbole und Parolen

Desweiteren ist zu vermuten, daß die Nazis mit ihrer Aktion an den Leipziger Mythos einer „friedlichen Revolution“ aus dem Jahre 89 anknüpfen wollen. Der gewählte Auftakttreffpunkt der Nazis, der sich auf dem Leipziger Innenstadtring befindet, auf dem im Wende-Jahr die berühmt-berüchtigten MontagsdemonstrantInnen ihre Kreise zogen, deutet auf ein solches Anknüpfungsverlangen hin.
Nicht ganz unabhängig von jener angestrebten Symbolträchtigkeit bauen die Nazis natürlich gerade im Osten auf den Erfolg ihrer diesjährigen Strategie der verstärkten Thematisierung der sozialen Frage von rechts. Mit ihren Forderungen wie „Arbeit zuerst für Deutsche“ oder „Gegen System und Kapital – unser Kampf ist national“ nutzen sie – und das nicht erfolglos, wie der Blick auf die Mitgliederzahlen zeigt – die hohe Arbeitslosigkeit und die weit verbreiteten rassistischen Ressentiments für ihren antikapitalistisch verbrähmten, rassistischen Populismus. Genau in diese Strategie ordnet sich der Aufruf für den 1. Mai in Leipzig ein, in dem die „rapide zunehmende soziale Verelendung von Teilen unseres Volkes“, welche von den „liberalkapitalistischen Systempateien“ verschuldet wäre, als inhaltliche Fixpunkte auftauchen. Zusammen mit den verwendeten Parolen („Leistet Widerstand jetzt“, „Kampftag der Arbeit“ etc.) zeigt sich auch der seit längeren offensichtliche Versuch der NPD/JN, ehemals per se linke „Floskeln“ für ihre Ziele zu vereinnahmen.
Es steht zu vermuten, daß die Nazis mit dieser inhaltlichen Ausrichtung noch mehr Menschen als am 1. März in München mobilisieren können. Es könnte ihnen das erste Mal gelingen, jene Personen, die sich bisher immer noch von äußerlich erkennbaren Neonazis abgrenzten, für einen gemeinsamen Aufmarsch zu begeistern. Wer am 1. Mai unter den NPD/JN-Fahnen marschiert, hat sich entschieden und gehört mit allen Mitteln bekämpft.

Antifa heißt Ausschlafen

Natürlich wollen wir den Naziaufmarsch nicht dulden. Ganz im Gegenteil: Wir wollen die Nazis mit allen Anstrengungen aus der Stadt jagen! Auf die Anhaltspunkte, die auf ein eventuelles Verbot des Aufmarsches deuten, können wir uns auf keinen Fall verlassen. Selbst wenn eine solche Verfügung ergehen würde, hätten die Anmelder immer noch genügend Zeit, eine rechtliche Revision zu erwirken oder auf andere Städte (z.B. in das in einem anderen Bundesland, aber sehr nah an Leipzig gelegene Halle) auszuweichen. Auch darauf sollten wir vorbereitet sein.
Der 1. März in München hat nicht nur gezeigt, über welch ein beachtliches Potential die Nazis trotz der Verbote und Übernahme rechter Politikinhalte in das etablierte Parteienspektrum verfügen. Er hat auch gezeigt, wie den Nazis erfolgreich begegnet werden kann. Ein breites Bündnis antifaschistischer Kräfte besetzte nach teilweise parallelen Demonstrationen den Abschlußkundgebungsort der Nazis und verhinderte wenigstens den symbolträchtigsten Abschnitt ihres Aufmarsches, direkt vor dem Ort der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. München zeigte aber auch, daß die autonome Antifa alleine eine solche Faschoveranstaltung nicht mehr wirksam behindern kann. In Leipzig wird ein ähnlich breites Bündnis angestrebt, wobei es bekanntlich im Osten sehr viel schwieriger ist ein solches zustande zu bekommen. Auf ein Bündniskonzept zu setzen, heißt aber für uns, trotz der Erfahrung, daß der Naziaufmarsch in München von vielen Antifas nicht genügend ernst genommen wurde, auf die Gegenmoblisierung in autonomen Antifa-Kreisen zu bauen. Wir gehen davon aus, daß nur mit dem Potential, welches bei der antifaschistischen Demonstration in Wurzen im letzten Jahr sichtbar wurde, unser Ziel, die Verhinderung des Aufmarsches erreicht werden kann. Natürlich wissen wir um die „Konkurenzveranstaltungen“, den traditionellen Aktivitäten der radikalen Linken am 1. Mai. Wir maßen uns hier nicht an, über die „revolutionären Mai-Demos“ urteilen zu wollen. Doch wenn auch diesmal wieder die radikale Linke – und mit ihr maßgebliche Teile der autonomen Antifa – die Nazis weitgehend unbehindert marschieren läßt (wie z.B. in den letzten Jahren in Berlin), könnte es sein, daß sie bald nicht mehr die Möglichkeiten für ihre politischen Intentionen vorfindet.

Wir appellieren hiermit eindringlich an alle Antifas, die Nazi-Aktivitäten an diesem Tag nicht zuzulassen. Beteiligt euch an den geplanten Gegenaktivitäten gegen den Naziaufmarsch in Leipzig.

Als Auftakt der antifaschistischen Aktionen in Leipzig sind bis jetzt geplant:

· eine Bündnisdemonstration Treff: 9.00 Uhr, 1.5.1997, Karl-Liebknecht-Str./Ecke Kurt-Eisner-Str. (im Süden Leipzig)
· eine Kundgebung Treffpunkt: ab 10.00 Uhr Sachsenplatz (Innenstadt)
· weitere Aktionen ab 11.00 Uhr Sachsenplatz


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last modified: 28.3.2007