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projekt »herkunftszertifikat«

Mit Beginn des diesjährigen Wintersemesters führt eine vom Studentenwerk beauftragte Wachgesellschaft Ausweiskontrollen und Videoüberwachung in einem Bereich der Mensa durch, die früher neben Studenten auch nichtstudierenden Ausländern, Obdachlosen, Drogenkonsumenten und Skatern als Aufenthaltsraum diente. Die Begründungen für diese Maßnahmen offenbaren in unterschiedlichen Schattierungen nicht nur rassistische, sondern auch andere soziale Ressentiments. Praktisch läuft es auf die eifrige Verwirklichung des Konzepts „saubere Innenstadt“ hinaus, in der gesellschaftliche Randgruppen, wenn denn überhaupt irgendwo geduldet oder noch vorhanden, wenigstens nicht auf den ersten Blick sichtbar sein sollen.

wachmaenner, 5.3k Ein kleiner dicklicher Wachmann mit etwas aufgedunsenem Gesicht und überdimensionaler Brille steht vor dem Eingang der meist als Cafe genutzten Mensa. Nur die blaue Kombi deutet daraufhin, daß er hier nicht nur als personifizierter Teil deutscher Stammtischkultur fungiert, sondern auch anderweitig von Bedeutung ist. Ein Schild mit einer in mehereren Sprachen verfaßten Ankündigung der hier stattfindenden „Sicherheitsüberwachung“ und ein Bildschirm, auf dem sich alle Ecken des Mensa-Inneren überblicken lassen, tun das Übrige zu seiner Legitimation. Bereits nach 14tägiger Praxis zücken die meisten Besucher ihre Studentenausweise automatisch, wenn sie an ihm vorrübergehen, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Nein, eigentlich wisse er nichts über die genauen Hintergründe, die ihm zu diesen speziellen Job verhalfen. Doch nach einer Pause, die, weil sie so kurz war, sofort verriet, wie stark sein Interesse an einer aufklärenden Konversation ist, sagt er mit gewichtiger Mine: „Man hätte ja die tollsten Dinger gehört.“ Über fünfzig Prozent des innerstädtischen Drogenhandels wären hier früher getätigt worden. Dazu noch Frauenhandel und selbst Kinderprostitution. Auf die Frage, was für eine Gruppe hier gedealt hätte, kommt die erwartete Antwort: „Na die Asylanten.“ Die Studenten hätten sich deshalb hier auch überhaupt nicht mehr wohlgefühlt. Sie konnten nicht mehr in Ruhe arbeiten und dazu ein Cafe oder ein Bier genießen.Und auch das Küchenpersonal war über die Situation gar nicht mehr glücklich. Ständig wurden auf den Toiletten Spritzen gefunden, die Becken waren mit Papier verstopft und der Papierkorb war voller blutiger Taschentüscher. Pfui! Selbst im Vorraum hätten „die“ ihr Heroin gekocht. Ich solle mir nur mal die beschmierten WCs angucken fleischzertifikat, 6.6k (Außer den obligatorischen Taggs auf einer von Jugendlichen frequentierten Toilette, nichts zu sehen), ob ich mich da noch wohl fühlen könnte. „Ein bißchen Stil muß ja schon noch sein.“ Aber sofort beschwichtigte der etwas aufgebrachte Wachproll wieder. Trotzdem hätten die Maßnahmen nichts mit Überwachung zu tun: „Die Studenten sollen sich in keinster Weise belästigt fühlen, das wäre ja verboten.“ Sie würden sich auch schon sehr oft bei ihm und seinen Kollegen bedanken, denn „die Kriminalität“ wäre mit Beginn der Kontrollen um 98% gesunken und endlich könnten sich die Studenten wieder wohlfühlen; in ihrer Mensa.
Daß die Mensa sowieso schon immer nur für Studenten und Uni-Angestellte offen wäre, betont auch die Sprecherin des Studentenwerks. Auf die Frage, warum es über Jahre keine Anzeichen dafür gab, diese, auch kommerzielle, Einschränkung durchzusetzen und dies jetzt ohne eine offizielle Verlautbarung geschieht, kommen dann im Prinzip die gleichen Argumente, die sich auch der Security-Typ zu eigen gemacht hatte. Verpackt in einem besseren Deutsch und mit der spürbaren Angst, bei einer ausländerfeindlichen Formulierung ertappt zu werden, spricht auch sie von der „Gruppe von Leuten, die Drogen gedealt haben“, den kaputten Toilettenbecken und Frauenbelästigungen.

normale studenten, 6.3k
Normale Studenten

Normale(!) Studenten hätten sich abends nicht mehr wohlgefühlt usw usf. „Natürlich wollen wir auf keinen Fall ausländerfeindlich sein“- und somit wäre die „Gruppe von Leuten“ auch hinreichend beschrieben. Nach einigem Überlegen berichtet sie dann noch - quasi hinter vorgehaltener Hand - von einem Gespräch mit einem Freund, der gesagt hätte, wenn man ausländerfreundlich sei, dürfe man nicht in die Mensa gehen. Auf das meinerseitige Unverständnis gegenüber dieser These, erklärt sie dann - und ich hätte es wissen müssen - mit ihrer und der persönlichen Meinung ihres Freundes, wie man hierzulande Opfer zu Tätern macht. Die sich ehemals in der Mensa aufhaltenden Asylbewerber wären durch ihr Auftreten mit dafür verantwortlich, wenn andere Leute zu Rassisten würden und diskreditierten somit die überwiegende Zahl der anständigen Ausländer. Trotz dieser „Junge Freiheit“-kompatiblen Argumentation schien das Studentenwerk noch nicht jegliches Problembewußtsein im Zusammenhang mit ihrer Maßnahme verloren zu haben. Man wisse schon um die Tatsachen, daß die betroffene „Gruppe“ von Asylbewerbern kaum Möglichkeiten hätte, sich in öffentlichen Räumen zu treffen, daß sie keine großartigen Alternativen habe, ihre finanziell prekäre Lage aufzubessern, es also nicht der Logik entbehrt, griffen sie wirklich zu vor allem für sie risikoreichen Erwerbsmöglichkeiten, wie Schwarzarbeit, Drogenhandel etc. Und auch, daß Drogenabhängige und Obdachlose einen halbwegs warmen und hygienischen Platz brauchen, ist ihnen durchaus bewußt. Aber bitte schön nicht die Uni. Man wolle eben nur das Problem vor Ort „lösen“. Auf die Idee mit den Betroffenen zu sprechen, kam man nach Aussagen der Sprecherin des Studentenwerks nicht. Außerdem mußten spätestens, als es den Rektor der Universität verärgerte, auch auf seinem Klo eines Spritzenbestecks angesichtig zu werden, Taten folgen.
jemand spritzt, 7.2k
Wer würde schon auf dem Klo spritzen, gäbe es fixerräume? fixerraum, 6.4k
Auch wenn die Begründungen für die mittlerweile eingeleiteten Überwachungsmaßnahmen in unterschiedlichem Maße und teilweise in einer abgeschwächten Form rassistisch und sozial regressiv sind, die praktischen Konsequenzen lassen sich damit kein bißchen beschönigen. Auch der Rat ausländischer Studierender sieht hier eine Diskrimminierung, „weil die Praxis zeigt, daß vorwiegend Ausländer von der Security kontrolliert werden.“ Trotzdem begrüßt er die Maßnahmen, denn auch der Rat ausländischer Studenten, und dies war besonders deprimierend festzustellen, fürchtet die Schädigung des Ansehens als „Ausländer“. Statt einer Solidarisierung - auf der Basis eines alltäglich erfahrenen Rassismus - mit den ausgegrenzten Asylsuchenden, auch wenn man deren Handlungen nicht alle akzeptiert, wissen die ausländischen Studenten um ihren begrenzten aber relativ sicheren Aufenthaltsstatus, der es ihnen mit einigem Glück auch möglich macht, sich leichter in die hiesige Gesellschaft zu integrieren (z.B. aufgrund von Wissen, Sprachfähigkeiten, „deutschen Freunden“ etc). So wird denn der politische Background, in dem auch die Reinhaltung der Uni-Mensa verankert ist, von allen an der Entscheidung beteiligten Gruppen nicht wahrgenommen bzw. verwahrt man sich dagegen, in diesem Zusammenhang gehandelt zu haben. Anstatt die Auswirkungen des defacto abgeschafften Asylrechtsparagraphen zu thematisieren oder die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Heimen und Abschiebeknästen zu kritisieren, löst man das „Problem“ lieber mit Sanktionen und begründet diese mit nur zum Schein anderen Stereotypen, die auch manchen Neonazi zum Zuschlagen motivieren. Und dies nicht zum ersten mal. Bereits als der Studentenclub „mb“ eine Türpolitik durchsetzte, bei der anhand äußerlich erkennbarer Merkmale wie Hautfarbe und Sprachakzent, Menschen klassifiziert und besonderen Einlaßbedingungen unterworfen wurden, argumentierten die Verantwortlichen durchaus im Sinne der einheimischen Stammtische. Von immer wieder randalierenden und dealenden Ausländern war da die Rede, deren einzige Motivation für einen Besuch in der „mb“ Frauen und Klauen wäre und deshalb behielte sich der Club bei Asylbewerbern das Recht auf Einlaßverweigerung vor. Ein breiterer Widerstand gegen die neuen Mensa-Praktiken ist auch diesmal nicht zu erwarten, schon gar nicht von studentischer Seite. Diese sind höchstens dann aufgebracht, wenn für sie in der Mensa die Gefahr bestünde mit BSE verdächtigem britischen Rindfleisch abgespeist zu werden. Dementsprechend nirgendwo Anzeichen von Protest, dafür aber mehrere „Herkunftszertifikate für Deutsches Jungbullenfleisch“. ulle


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last modified: 28.3.2007