home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[23][<<][>>]

über die sterne und zeiten, ..., 3.8k
die sterne, 4.4k

Zum Teufel mit der Dissidenz, möchte man manchmal meinen. Da zieht eine „Protest“-Band wie Tocotronic 1000 Leute in’s Conne Island, doch bei der nächsten Demo bleiben ein paar linke Spinner wieder unter sich. Und so wie sich hier eine Trennung zwischen Lebensgefühl und politischer Intention manifestiert - zugegebenermaßen konstruiert -, leiden auch subkulturelle Räume, in denen das eine nicht ohne das andere denkbar schien, und das Conne Island verstand sich mal als solcher, an einer mehr oder weniger sichtbaren Differenzierung. Daß in diesem Zusammenhang die Nachricht, daß die Sterne, eine Band, die für eine Synthese von Pop, Stil und politischer Attitüde steht, im Leipziger Zeitgeist-Etablissement-Nr.1 ihr Potential an Kreativ-Job-Karrieristen verschenken (könnten?), ist zumindestens ein Grund nachzudenken.

Ist es einfach Pop-Musik?

Natürlich Jaein. Die erste Maxi der Sterne aus dem Jahre 1992 heißt „Fick das System“ und mit ihr begann, was zum Glück bis heute anhielt: Musikalisch und politisch dort zu sampeln, wo es sich lohnt und dort im Dunkeln zu stochern und zu suchen, wo einem nichts anderes übrig bleibt. Was auf der einen Seite der P-Funk von Funkadelik und die Anleihen vom Hip-Hop-Prinzip sind, machen auf der anderen die Bezüge auf Ton Steine Scherben („Allein machen sie dich ein“) und linke Utopie („die Sterne“ als besserer Ort). Dabei umgehen sie die Gefahr, zum abgedroschenen Hippi-Remake zu mutieren, denn die Selbstreflexion des mitteleuropäischen Gefühlsradikalen („Wir hatten Sex in den Trümmern und träumten, wir fanden uns ganz schön bedeutend“, „Bist du nicht immer noch Gott weiß wie privilegiert“) läuft immer parallel und verhindert bewußtlosen Eskapismus. Die hörbare Umsetzung dieses Spannungsfeldes machen die Sterne zu einem gerade nicht platten und linearem Genuß. Bei allem Widerstand gegen die immanente Harmonie-Tendenz des Pop-Songs, sei es auf der neuen Platte zum Beispiel durch die Unterbrechung mittels eines Jungle-House-Tracks oder das Sterne-typische Experimentieren mit Song- und Textstrukturen, hört sich das ganze einfach gut an. Nur wenige Textabschnitte/Refrains schaffen es, sich der Einprägsamkeit zu verbergen und der E-Piano-Groove zwingt dir trotzdem Rythmus in die Knie. Addiert man hierzu noch den Charme der Members, der sich nicht nur aus einer „farblich exzellent abgestimmten Kollektion von Second-Hand-Pullovern“ (Band-Info) und dem selbstbewußten Präsentieren einer Zahnlücke ergibt, läge die Versuchung nahe, die Sterne als Inbegriff der Kategorie „Guter Geschmack” positiv abzutun. Aber gerade, weil sich auf den bekanntlich auch Arschlöscher einigen können, reicht das nicht. Irgendwie müßte man tiefer rein in diese Nebelschwaden von Hitkompatibilität, Majordeal und Dissidenz, von linken Cods, kritischem Gestus und deren oft genug erfolgenden Übergängen zur oberflächlichen Tarnung allgegenwärtiger Normalität. häuserkampf in berlin, 16.9k

Ist es die Systematik?

Angenommen sie wäre es und es wäre klar, wie sie funktioniert und eine ganze Menge wäre sich darüber einig, ja dann wäre es auch einfach dagegen zu sein und sie abzuschaffen und vielleicht müßte man dann auch nicht mehr gegen sich sein. Nur wenige meinen den wahren Grund für die Schweinereien in der Welt eindeutig benennen und somit bekämpfen zu können. „Kunst und Kampf“, eine autonome Gruppe aus Göttingen zum Beispiel, lehnen Subkultur als Teil der „imperialistischen Kulturhegemonie“ ab. Ihnen ist auch egal, daß sich für ihre „antagonistische Position“ in Bezug auf Kultur, welche aber trotzdem auf „gesamtgesellschaftliche Orientierung“ drängt, fast die gesamte Gesellschaft nicht interessiert. Das Schlimme dabei ist die Ignoranz gegenüber der Tatsache, daß sich eine linke Haltung nicht mehr mit existentialistischen Lebenszusammenhängen verbindet, der realen Erkenntnis Unterdrückter zu sein. Heutzutage geht es vielmehr darum, jedenfalls als weißer Mitteleuropäer, sich über Denk- und selbstgewählte Sozialisationsprozesse in einen linken Zusammenhang zu stellen. Zwar widerspricht man damit nicht einer Verwertungslogik innerhalb kapitalistischer Produktions- und Besitzverhältnisse, aber die Möglichkeit gegen den Strom zu schwimmen, bietet sich so allemal. Wenigstens hat 68' und Teile des linken „danach“ bewiesen, daß es genügend ideologische Bereiche gibt, denen man sich verweigern oder gegen die man angehen kann und daß hierbei Pop-Kultur eine wichtige Rolle spielen kann. Nicht nur als Transporteur politischer Messages, sondern auch oder gerade als relativ freier sozialer Raum, in dem konservative, reaktionäre Strukturen teilweise aufgelöst oder wenigstens kritisiert werden können. So ergibt sich für einen Bereich und deren einzelne Sub’s die Möglichkeit radikal ANTI zu sein. Diese Bewertung gelingt aber eigentlich nur dann, wenn man linke Radikalität ohne revolutionäre Perspektive begreifen kann, geschieht aber noch lange nicht automatisch.
Zwingend notwendig ist die Erkenntnis, daß nur wenn der Status des Boheme und der des politischen Widerständlers eine gewisse konstruktive Affinität entwickeln, beide eine Perspektive haben.

Ist es der Gestus, die Sprache, der Kontext?

Es ist ja mittlerweile immer schneller nachzuvollziehen, wie die „Klugheit des Systems“ (also doch), von kritischen Tendenzen Gebrauch zu machen, versteht und in innovative Stabilisatoren einer nahezu unbeeinträchtigt scheinenden Entwicklung wandelt. Um sich im Pop die Option des „dagegen seins“ zu bewahren, bedarf es neben dem selbstreflektiertem Standpunkt auch noch der Beobachtung, wie, wo und von wem, zum Beispiel die Sterne wahrgenommen werden. Die Grenzen zwischen dissidentem Sprechen und dem harmlosen Freizeitspaß sind durch den Zugriff der Mainstream-Medien für Bands und Rezipienten fließend und so bedarf es einer ständigen, für alle Beteiligten nicht immer angenehmen Hinterfragung der speziellen Situation. Doch stehen die Sterne für diese mehr als günstig. Auch wenn es vielleicht nervt, die Hamburger Schule bleibt ein Hort der Anti-Haltung mit Stil. Das Privileg mit im Kreativstrudel der Blumenfelds, Zitronen und Co’s zu kreisen, macht manches echt, was echt sein sollte. Zumal hier schon immer der Soundtrack zum Lebensgefühl mit einem realem Schuß von politisch anders denken (und handeln) korrespondierte. Von der Teilnahme an der Tour „Etwas besseres als die Nation“ bis zum 96’er „Eure Suppe esse ich nicht“ zieht sich so was, wie ein roter Faden und man kann es auch auf der neuen Platte der Sterne wieder hören, daß „die Festung Europa und die Wiedergroßmacht Deutschland (...) Spuren hinterlassen (haben) in den Texten der Sterne“ (Band-Info).

die sterne, 7.4k
„Eure Suppe esse ich nicht“

Doch die Erfahrung zeigt, daß besonders solche Issues mit Vorliebe von einem breiteren Publikum harmonisiert oder bei der Rezeption ausgeschlossen werden. Deshalb auf plakativere Aussagen zu bauen oder eine sowieso imaginär bleibende Fraktion, durch Verkomplizierung des musikalischen Konzeptes auszuschließen, hieße den Esel bei den Hörnern zu packen. Prinzipiell läßt sich „falsche“ Fremdwahrnehmung eh nicht ausschließen und dies wäre wahrscheinlich sogar stink langweilig. Aber man kann es den nur noch subversiv getarnten Genuß- und Ignoranz-Formen schwerer machen, in dem ein Rahmen gewählt wird, der dem eigenen Konzept entspricht. Es ist klar worauf dies hinausläuft - zu dem Rahmen gehört auch der Konzert-Ort -, dort, wo ein Conne Island gehypt gehört, muß eine Zeitgeistkaschemme, wie es das Markt 9 nun mal ist, gedisst werden. Die Referenzen der Sterne an Ton Steine Scherben sind der positive Bezug auf eindeutige Widerstandsformen (Häuserkampf), deren kulturelle Kommentierung und Propagierung. Und trotz des Fakts, daß solche Eindeutigkeiten heute phrasenhafte Kopfgeburten blieben, der subtile Umgang der Sterne mit der Geschichte der Linksradikalen trifft sich unter anderem mit dem Versuch des Conne Islands, während des BesetzerInnenkongresses 1995 herauszufinden, was von dieser Bewegung in kultureller und politischer Hinsicht (beides ging nie so eng beieinander, wie dort) noch übernehmbar ist.

Ist es im Endeffekt also ganz einfach?

Nicht ganz. Aber bleibt die Entwicklung der Sterne ihren bisherigen Bezugspunkten verhaftet und unterscheiden sie Erfolg von gesellschaftlicher Relevanz, dann lassen sich MTV- und Levis-gesponserte Konzerte und Plattenfirma-gesteuerte Ausrutscher in Pseudo-Szene-Kreise als selbstbewußter Umgang mit dem Popmarkt verkraften. Und daß innerhalb jener Zwänge Dissidenz möglich ist, hatten wir schon mal.

ulle


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[23][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007