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schlechte zeiten - gute zeiten, 4.6k

Sozialabbau geht alle an. Warum die Bürgerrechtler schuld sind, die Linken Traditionen fortführen wollen und Arbeit trotzdem scheiße ist.

Das größte Verdienst der Bürgerrechtler ist in der jüngsten Vergangenheit kaum gewürdigt worden. Um so erfreulicher, daß der Leipziger Knochen-Jochen Lässig (Ex-Bürgerrechtler; Bündnis 90/Grüne) das Bundesverdienstkreuz strahlend in seinen Händen halten darf. Als von der Muse geküßter Barde, gilt er gemeinhin als unerträglich, und schneidet damit immer noch besser ab, als seine politischen Fähigkeiten es zulassen. Kurzum, auch ihm gebührt die Ehre, dafür gesorgt zu haben, daß das Kapital endlich ungehinderten Zugang zu allen Märkten und Rohstoffen finden kann. Logischerweise verstehen die Bürgerrechtler die Tragweite ihres Tuns nicht. Da Marx ihnen nur so viel wert ist, nicht davor zurückzuschrecken, sein Werk zu besudeln, verstehen sie bei Begriffen wie Kapitalfluß nur, nie wieder „Kommunismus“ zuzulassen. Nun gut, auch Bürgerrechtler sind nur Geschöpfe im Wechselspiel zwischen Täter und Opfer.
Wenn der ehemalige Ostblock etwas gutes bewirkt hat, dann war es ganz sicher sein Status als Kapitalhemmnis. Die Entwicklung der Alt-BRD zum Wohlfahrtsstaat ist nicht zuletzt Ergebnis zweier um Attraktivität ringender, sich bekämpfender Gesellschaftssysteme, in dem das eine besser sein wollte, als das andere. So ist der Kapitalismus auch nicht „übrig geblieben“, sondern hat tatsächlich gewonnen. Daß er diesen Sieg in seinem ihm ureigensten Sinn feiert, verstehen hierzulande nur sehr wenige: Allgegenwärtig geistert das „Ende des Sozialstaates“ herum, und tatsächlich, werden sich in naher Zukunft gravierende Einschnitte im Sozialsystem bemerkbar machen.

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»keine rosigen Zeiten für Kulturlinke«

Daß das grundsätzlich scheiße ist, braucht an dieser Stelle sicherlich nicht explizit erwähnt zu werden. Deshalb soll es darum gehen, wie und warum es notwendig sein könnte, aus dem Sozialisationsstatus einer kulturalistischen (Rest-)Linken heraus, dagegen mit geeigneten Mitteln zu intervenieren.
Der (sub-)kulturellen Verortung geschuldet beruht die eigene Identität - ob recht oder schlecht sei jetzt mal dahingestellt - auf der Abgrenzung/Distanzierung zum bürgerlichen Kulturbegriff und dessen klobiger Unfähigkeit, Strömungen unvereinnahmend akzeptieren zu können. Eine selbst getroffene(!) Wahl der Position, die auf Subversion, Destruktivität und Dissidenz nicht vezichten will, muß also - tatsächlich immer noch - kritische Distanz wahren.
Das Blöken wegens des Kulturabbaus funtioniert bekanntlich im Gleichklang mit denen, die den Sozialabbau beklagen. Wohl kaum prallen dort Welten aufeinander, die etwas mit einem unterschiedlichen Wertegefüge zu tun haben könnten. Jenes Wertegefüge aber legt den Unterschied fest, den es zu konstatieren gilt.
In jüngster Zeit wird die Forderung in linken Kreisen immer lauter erhoben, den Rechten „nicht die soziale Frage zu überlassen“. Noch vor wenigen Monaten galt es als hip, sich darauf zu beziehen, daß in den zwanziger und dreißiger Jahren die Anbiederung an die Masse, wie sie heute nicht mehr existiert, die Kapitulation vor Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus war. Auch in jenen Jahren galt die Forderung nach der Themenbesetzung mit gleichen Inhalten. Verhindert hat sie jedoch nichts. Nun läßt sich mit Sicherheit festhalten, daß der klassische Charakter des Subjektes Arbeiterklasse in der Postmodernität aufgegangen ist. Daraus aber abzuleiten, dieselbe Frage zu stellen, weil sich die Vorzeichen geändert haben, geht mir nicht ganz auf. Die Unterschiedlichkeit des Ansatzes von traditioneller und undogmatischer Linken kommt nirgends so sehr zum Tragen, wie an diesem Punkt. Glücklicherweise sind wir inzwischen so weit, daß nur noch PDS-Spinner, DKPler und ihnen nahestehende Splittergrüppchen den Vorwurf des „Sektierertums“ erheben.
Trotzdem geht der Sozialabbau alle an. Ein Plädoyer für Individualisierung verlangt aber immer das Konstatieren unterschiedlicher Wertegefüge zwischen denen, die sich nicht davor scheuen, gemeinsam mit Rassisten für den Erhalt von Arbeitsplätzen zu demonstrieren und denen, die gar keinen Arbeitsplatz wollen, da ihnen das Stigma der „Asozialität“ viel mehr wert ist, als die wöchentlich fünftägige Knuffe.

gewerkschafter, 16.9k
»Das Stigma ‘Asozialität’ ist viel mehr wert.«

Das klassische Feld der Linken birgt die Grundlage in sich, daß Lohnarbeit den Lebensmittelpunkt ausmacht. Das Buhlen um die „wahren Interessen“ der Lohnabhängigen gerät dann zur Farce, wenn das harmonisierte Verhältnis zur Reproduktion der Arbeitskraft durch hedonistisch-subversive Individuen gestört wird. Da aber im „Kampf gegen Sozialabbau“ die Versuchung schlummert, einen Ersatz für ausbleibenden Klassenkampf zu finden, kann sich eine Kultur-Linke schon jetzt auf nicht gerade rosige Zeiten einstellen. Traurig, aber wahr. So wahr, wie die Chance, daß aus dieser Tendenz eine wiederauflebende Dissidenz der Subkulturen erwächst.
Und Bürgerrechtler? Die dürfen auf gar keinen Fall Zugang finden.

Ralf


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last modified: 28.3.2007