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mein freund der rock, 7.9k

Seit Jahren schon bietet der Rock einen Anblick des Schreckens. Man findet ihn nicht einmal mehr in Agonie verstrickt. Jede aktuelle Poptheorie überführt ihn gerade in die Annalen der Musikhistorie.
Warum, das werden heute leider nur wenige verstehen - morgen aber um so mehr spüren.



„Sie alle haben noch einmal daran geglaubt, daß die direkte, handgemachte Musik im Rock-Kontext möglich ist, der direkte Kick über die Gitarrensaiten, die ungefilterte Message ohne doppelten Boden, die Live-Intensität, egal ob auf der Bühne oder im Studio.“ (Martin Büsser)

„Zahlreichen Indie-Hörern geht es nicht um die Treue zu einer Form, die einmal als die gültige verstanden wurde und fortan als Folie über jeder Wahrnehmung liegt. Sie wollen das Interesse an Musik auf jenem Energielevel halten, das die einst auf MUDHONEY, THE SMITHS, HÜSKER DÜ stoßen ließ - und was in den Sparten Elektronik, Dub, Techno seit längerer Zeit passiert, entspricht genau diesem Energielevel .
So ist eine Szene entstanden, die noch keinen Ort, keine Mode, kein Forum besitzt. Zum ersten Mal scheint es möglich, Teil einer Bewegung zu sein, die ihre Jugend zwar hinter sich hat, aber nichts auf sie kommen läßt.“ (Martin Pesch)


Die Statik der Rockmusik ist zu ihrem eigenen Totengräber geworden. Der Koloß Rock, dafür geschätzt, „unverfälscht“ und „unmittelbar“ rezipiert werden zu können, besitzt jene strukturellen Fangarme, die alles vereinnahmen und erdrosseln, was sich nur ansatzweise neu entwickeln will. Crossover war wohl der letzte Versuch, eine Authentizität zu entfalten, ohne den Rock-Habitus aufzukündigen.
In den Achtzigern standen Labels wie „SST“, „Dischord“, „Alternative Tentacles“, „Homestead“, „Shimmy Disc“, „Touch & Go“, „Am Rep“ und „Sub Pop“ für den Ansatz, aus dem Scheitern des Punk innerhalb eines Rockkontextes die Schlüsse zu ziehen, daß „die direkte, distanzlose und irgendwie authentische Rockmusik noch möglich ist“ (M. Büsser). Spätestens im Jahre 1991 jedoch lief jener Versuch in Sphären, wo die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens offensichtlich der Übermacht der Majors weichen mußte. Der Wechsel etlicher Bands oder der Aufkauf von Labels, stellten jeden Underground-Anspruch auf das Abstellgleis. Die Independentstruktur der Achtziger transformierte sich, bzw. wurde transformiert. Aus ihr entstand der „Alternative“-Marktsektor, für den zum Beispiel in Deutschland Magazine wie das „Visions - Musik für die Neunziger“ entworfen wurden, oder in dessen Sog die Fashion-Industrie via TV eine Generation („X“) zu klonen versucht. Eine Unterscheidung zwischen Freund und Feind scheint für viele seitdem tabu zu sein.
Rockmusik ist quasi an einem Endpunkt angelangt, über dessen Zustand PAVEMENT nur von außerhalb sprechen wollen. Verständlich. Ist sie doch dort gelandet, wo sie bisher jeden neuen Sound, jede Innovation aus dem ihr ureigenen Katalogisierungsmechanismus heraus genormt hat. Rock erweist sich heute als stagnativer Monolith, dem die Perspektive ausgegangen ist. Dafür zeichnet in gebührendem Maße die immer wieder neu forcierte Distanz zwischen Musiker und Rezipient verantwortlich. „Aus Prinzip haßt der Rockhörer DJing und jegliche Weiterverarbeitung von Sounds und Strukturen“ (ZAP, Jan. ‘96).
Das entlarven auch TORTOISE, wenn sie ihre eigenen Aufnahmen zum Ausgangspunkt für weiteres machen. („Das ist genau der Gegensatz zur Herangehensweise der meisten Rockbands.“) Der vermeintliche Schluß, die Verkehrung der Vorzeichen sei der rettende Anker des Rock, ist genauso zum Scheitern verurteilt, wie die Meinung, der Rockismus sei damit gekippt. Diesem Irrtum unterlag, zwar anfangs unbewußt, schon einmal der Punk.

too pure, 1.6k
Kann Rockmusik in Europa überleben?

Der entscheidende Fehler liegt im Charakter des Bandkonzeptes. Durch dieses wird Rock eigentlich erst „konstituiert“ (Joe Carducci). Und mit ihm das Abschleifen des Dekonstruktivismus als Endlosloop des eigenen Gefangenseins; der Unfähigkeit, vorgezeichnete Bahnen verlassen zu können. Diese Einsicht verlangt nach der Konsequenz des Enthaltens, die einige Gruppen und Labels inzwischen gezogen haben. So auch die Macher des Londoner „too pure“-Labels. Deren entscheidende Frage lautet: „Kann Rockmusik in Europa überleben?“ Dabei geht es ihnen gerade nicht um die Ehrenrettung des Rock-Modells, sondern um dessen Verhinderung. „’Too pure’ vermeidet alles, was Stars schaffen, Identifikationen stiften und Authentizität kreieren könnte“ (Martin Büsser). Negiert also auch die Felder, über die kommunikative Vernetzbarkeit „im Kampf um Märkte und Generationen, aber auch in dessen Umgehung durch radikale Vereinzelungsstrategien und unversöhnliche Ästhetiken“ (Tom Holert) notwendig ist, um Veränderungen zu erzielen, aus denen sich im Nachgang die Avantgarde-Zuschreibung rechtfertigen könnte, die nicht als historische Kategorie dienen soll, sondern bestätigen würde, ob „dies zum Handeln zwingen“ (Tom Holert) kann. So also umschreibt sich die Situation vor einem aufgestauten Umbruch, an dem ebenso Labels wie „Mille Plateaux“ in Frankfurt, „Säkhö“ in Finnland oder selbst „Warp“ (SEEFEEL) arbeiten. „Und falls es irgendwann tatsächlich zur Aufhebung der bislang noch nebeneinander koexistierenden Stilsegmente Rock, Techno und Ambient in eine neue Popmusik jenseits der traditionellen Unterscheidungen zwischen ‘Authentizität und Künstlichkeit’, ‘Individualität und Kollektivität’ oder ‘Komposition und Improvisation’ kommen sollte“ (SPEX, August ‘95), dann braucht es jene Elemente, die Vermarktungsmechanismen der Industrie zumindest vorübergehend abhalten können, um wenigstens die Zeit zu finden, Abwehrmodelle zu diskutieren. Aus Fehlern lernt man schließlich. Auch, wenn sie sich immer wiederholen.

Ralf


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last modified: 28.3.2007