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9.11.

Als Erinnerung an die sogenannte Reichskristallnacht sollte der 9.11. in den Köpfen der Menschen in diesem Lande verankert sein. Der Tag bzw. die Nacht, die zeigte wie nah dieses Land der „Dichter und Denker“ doch den finstersten Zeiten des Mittelalters verwurzelt ist.
1938 9.November. In dieser Nacht werden 20.000 Menschen jüdischen Glaubens verhaftet, zahlreiche Synagogen niedergebrannt (191), Warenhäuser und Geschäfte jüdischer Besitzer geplündert und in Brand gesteckt (834), 36 Menschen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde ermordet und weitere 36 schwerverletzt. Soweit die offiziellen Angaben der Plünderer und Mörder (Telegramm Heydrichs an H. Göring). Die Zahlen der Getöteten und Verletzten dieser Nacht liegen wesentlich höher, in einem späteren Bericht Heydrichs werden 91 Tote genannt aber selbst diese Zahl dürfte nicht ausreichen.
War das Leben jüdischer Menschen schon vor diesem Datum, nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, schon mehr als schwierig, wurde es danach fast unmöglich. Und da in Deutschland schon immer alles seine Ordnung hatte, gab es für diesen Pogrom auch einen höchst offiziösen Anlaß: Die Erschießung des deutschen Botschaftsrats von Rath durch Herschel Grynspan in Paris (Grund dafür war die Ausweisung mehrerer tausend osteuropäischer Juden aus Deutschland nach Polen, wobei sich Polen weigerte diese aufzunehmen und die Ausgewiesen wochenlang im Niemandsland vegetieren mußten.). Der Verzweiflungsakt Grynspans, dessen Eltern unter den Ausgewiesenen waren, erweckt den Eindruck als sei ihm die Pistole in die Hand gedrückt worden. Ein Prozeß gegen ihn, vor dem Volksgerichtshof, kam jedenfalls nie zustande, obwohl sich Grynspan nach der Besetzung Frankreichs in der Hand der Gestapo befand und Goebbels solch einen Schauprozeß ausdrücklich wünschte.
Deutschland wäre nicht Deutschland wenn nicht auch die Durchführung der „Reichskristallnacht“ geregelt worden wäre. Zitat aus den Notizen eines SA-Führers: „Sämtliche Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören (...) Die Verwaltungsführer der SA stellen sämtliche Wertgegenstände einschließlich Geld sicher (Umschreibung für Diebstahl). Die Presse ist heranzuziehen. Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken. (...) Die Polizei darf nicht eingreifen (...).“
Der größte Teil der restlichen Bürger verhielt sich so wie erwartet, teilnahmslos bis zustimmend, mehr zustimmend denke ich. In den Köpfen der Bewohner dieses Landes trafen 5 Jahre antisemitische Hetze und jahrhundertealte antijüdische Ressentiments aufeinander - ein Gemisch aus kleinbürgerlicher Enge, konfessioneller Beschränktheit und heruntergekommener Wissenschaftlichkeit. Die „Reichskristallnacht“ (ein verharmlosender Begriff für die Reichspogromnacht, enstanden dadurch, daß am nächsten Morgen die Strassen voller Glassplitter waren...) war der Auftakt zur Auslöschung der jüdischen Bevölkerung Europas über die Stationen Nürnberger Gesetze und Wannsee-Konferenz.
Nun möchte man glauben nach dem Ende des 2.Weltkrieges hätten Antisemitismus und damit eng verbunden Nationalismus in seiner miesesten Ausprägung der Deutschen keine Chance mehr. Doch schon in den 70iger Jahren machte sich auch die Linke auf die Suche nach der nationalen Identität und antiimperialistisch verbrämter Antisemitismus war zu beobachten (so begrüßten linksradikale Gruppen den Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft in München mit Argumenten hinter denen die böse Fratze des internationalen Finanzjudentums hervorlugte, wie sie Veit Harlan nicht besser hätte zeichnen können). Allseits wird die besondere Verantwortung Deutschlands für die Welt, welche sich aus der Geschichte ergibt betont und gemeint ist damit, die Deutschen hätten aus der Geschichte gelernt. Und im gleichen Atemzug wird versucht die Verbrechen in Auschwitz zu relativieren, in dem man diesen Namen für alles mögliche verwendet, so sprechen Ex-DDR-Bürgerbewegte vom „Auschwitz in den Seelen“, in Ex-Jugoslawien wird ein neuer Genozid gesehen und das ganze mit Auschwitz verglichen, und so weiter und so fort. Die Geschichte soll „bewältigt“ werden und wird verdrängt, der ehemalige Täter steht als Opfer da und ist fein raus, kann er sich doch solcherart gereinigt wieder den weltpolitischen Aufgaben zuwenden und Europa nach seinem Gutdünken ordnen.
Und der Antisemitismus blüht, in der Rechten unverblümt und dumpf wie eh und je, die Redakteure der Hass-Postille „Der Stürmer“ hätten ihre helle Freude dran und in der Linken (gemeint ist hier eher die „Betroffenheitslinke“) gibt es Erscheinungen, die man vorsichtig mit „positivem Antisemitismus“ umschreiben kann (die Bewunderung für die palästinensischen Befreiungsorganisationen und im gleichen Atemzuge die undifferenzierte Charakterisierung Israels als faschistisch).
Jüdische Friedhöfe zu schänden ist in den letzten Jahren zum beliebten Zeitvertreib jugendlicher Neonazis geworden und ehemaliger jüdischer Besitz der im 3.Reich arisiert wurde, ist immer noch in der Hand derer die sich damals daran bereicherten. (z.B. die Kaufhausketten Kaufhof, Hertie, Horten) Der in der deutschen Bevölkerung schon seit Jahrhunderten latente Antisemitismus hat sich auf Grund des Mangels an Sündenböcken in andere Rassismen gewandelt. Jetzt sind es Flüchtlinge und Einwanderer, die den armen Deutschen die Luft zum Atmen wegnehmen (man höre sich an diversen Stammtischen um und lerne dort das Fürchten). Ich bin mir nicht sicher ob sich das, was am 9.November 1938 passierte nicht in anderer Form in diesem Lande wiederholen könnte (Übung im Pogrome veranstalten gab es ja in den letzten Jahren genug). Die Ursachen und Grundlagen die zu Rassismus und seiner Zuspitzung dem Antisemitismus führen sind hierzulande noch allgegenwärtig.
Von offizieller Seite her wird im Zuge des allgemeinen Geschichtsrevisionismus versucht, die Erinnerung an den 9.11.1938 durch die Ereignisse am 9.11.1989 zu ersetzen. Man erinnere sich, an diesem Tage wurden in der DDR die Mauern geöffnet und ein Alkohol- und einheitstrunkener Mob überflutete „Deutschland“ brüllend und fahnenschwenkend den Westteil Berlins. Ob Günther Schabowski wußte was er damit angerichtet hat? Um mit der Geschichte dieses Landes leben zu können und um mit ihr umzugehen, denke ich, hilft nur ein altes Motto auch wenn es oft benutzt werden muß, zu oft, „Kein Vergeben kein Vergessen“. Den Mörder vergeben hieße die Millionen Ermordeten noch einmal in den Dreck zu treten und Vergessen würde sie nocheinmal zu töten. KAY

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last modified: 28.3.2007