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interview, 3.9k

Heidenspaß statt Höllenqual

Interview mit Mina Ahadi im Vorfeld der gleichnamigen Veranstaltung im April für Menschenrechte und gegen den politischen Islam

CEE IEH: In Ihrem Buch „Ich habe abgeschworen. Warum ich für die Freiheit und gegen den Islam kämpfe“ schreiben Sie, daß der Islam nicht reformierbar sei. Gleichzeitig fordern Sie eine Säkularisierung des Islams, welche aber nur über eine tiefgreifende Reform und Re-Interpretation der islamischen religiösen Quellen sich vollziehen kann. Fordern Sie damit nicht implizit die Abschaffung des Islams statt einer Säkularisierung?

Mina Ahadi: Der Islam ist eine Religion wie alle anderen Religionen. Heute in den europäischen Ländern beobachte ich Diskussion darüber, daß der Islam gar keine Religion ist. Die Leute oder einige Lippenstift, 7.7k Organisationen versuchen so einen Ausweg zu finden. Sie fragen sich, ob man eine Religion oder eine politische Bewegung bekämpft. Ein wichtiger Punkt meiner Arbeit und politischen Auseinandersetzung ist, daß heute der Islam gesellschaftlich viel relevanter als noch vor 30 Jahren ist. Das zeigt, daß es sich nicht bloß um eine Tradition, sondern eine politische Bewegung handelt und ich denke, das islamische Regime im Iran ist da ein wichtiger Punkt. Als die Islamisten im Iran die Macht übernahmen, hat der politische Islam auf einmal einen Stützpunkt im Nahen Osten gehabt, von dem aus er sich ausbreiten konnte, z.B. nach Afghanistan, Palästina, bis zum Sudan usw. Sie sehen, meine Interpretation ist, daß der Islam, mit dem wir es heute zu tun haben, eine politische Ideologie ist und man muß sehr deutlich gegen diese Bewegung und gegen die islamischen Regierungen und Terrororganisationen etwas tun. Aber der Islam an sich ist so wie alle anderen Religionen. Nur hat der Islam bisher keinen Reformprozess durchgemacht – auch die Religion Islam hat auf die Neuerungen der Moderne immer wieder mit Angst und Terror geantwortet, aber trotzdem ist es eine Religion. Ich bin der Meinung, man kann diese Religion heutzutage nicht einfach so reformieren. Ich verstehe nicht, wie man sich das mit der Reform vorstellt. Will man z.B. den Koran re-interpretieren, muß man 90% des Inhalts streichen. Aber wozu brauchen wir dann überhaupt noch dieses Buch? Ich bin nicht der Meinung, daß man den Islam säkularisieren kann. Die Politik sieht gerade so aus, daß die West-Regierungen es mit einer politischen Bewegung zu tun haben, die sie früher als Ganze unterstützt haben, doch jetzt wollen sie nur noch mit bestimmten Teilen zusammenarbeiten. In Deutschland will man z.B. den sog. „gemäßigten Islam“ in sein System integrieren.

Es gibt aber Frauenrechtlerinnen wie Shirin Ebadi oder Fatima Mernissi, die versuchen, mit einer Re-Interpretation über Koran-Exegese Menschenrechte einzufordern, die den Islam nicht als Ganzes kritisieren sondern eine Umdeutung erreichen wollen. Diese beiden setzen sich auch für Menschen- und besonders Frauenrechte ein. Stoßen Sie mit Ihrer Position diese Frauen nicht vor den Kopf?

Ich kenne diese Frauen und ihre Strömung. Im Iran (wie auch in anderen islamischen Ländern) gibt es aber eine nationalistisch-islamische Bewegung, einen rechten Flügel, der gerade an der Macht ist. Und der linke Flügel, zu dem ich z.B. Shirin Ebadi oder Fatima Mernissi zähle, versucht einen „milderen“, „besseren“ oder „humaneren“ Islam dagegen zu setzen.
Shirin Ebadi hat von Anfang an keine prinzipielle Kritik am Kopftuch, den Mullahs und all dem andere Elend des Regimes im Iran. Sie stellt z.B. die Frage, wieso bereits ein neunjähriges Mädchen heiraten kann, aber kritisiert nicht die Rolle der Frau insgesamt. Ich war mit Shirin Ebadi 2000 auf einer Konferenz im Stockholm. Wir haben dort beide Reden als Frauenrechtlerinnen gehalten. Meine Kritik war, daß das ganze Regime weg muß und der (politische) Islam in unserem Alltag nichts zu sagen haben darf. Ihre Kritik zielte nur auf das Heiratsalter, sie denkt aber, daß der politische Islam eine Rolle in unserem Alltag spielen sollte, nur eine „gute Rolle“. Auf der Ebene der Politik halte ich diesen Glauben an einen „guten Islam“ für falsch.
Fatima Mernissi und andere Frauen, die Versuchen, den Koran „besser“ zu interpretieren, hatten nie eine reale Chance mit diesem Ansatz. Islamische Feministinnen haben versucht, auf Treffen mit Mullahs – also mit reaktionären, alten Männern – zu erreichen, daß diese in die Suren schreiben sollen, Frauen und Männer sind gleich. Die Mullahs haben stets alle Anfragen und Forderungen negativ beantwortet. Fatima Mernissi und Shirin Ebadi haben also überhaupt nichts erreicht; ich aber habe etwas erreicht, durch die Forderung, daß die Religion, also auch der Islam, eine Privatsache jeder Person sein kann, aber nicht über mein Leben als Atheistin entscheiden darf. Der Weg des „besseren Islam“ ist falsch und Shirin Ebadi, auch wenn sie kleine Verbesserungen erreicht haben mag, ging es doch immer hauptsächlich um die Verteidigung des („guten“) Islam und nicht um die Menschenrechte.

Wie stellten die Feministinnen sich denn vor, sollte man Suren, die im Islam als „sakral versiegelt'“gelten, ändern oder uminterpretieren können? Was genau wollte Fatima Mernissi in ihren Diskussionen mit diesen Mullahs erreichen?

Sie wollte zeigen, daß man den Koran mit einer feministischen Brille lesen kann. Ich habe vor einem Monat eine Rede in Mannheim gehalten. Eine deutsche Frau und mehrere Islamwissenschaftler dort wollten mir erklären, daß man den Koran anders interpretieren kann. Z.B. wenn man in einer Sure liest, daß Mohammed die ganze Welt als gut bezeichnet, kann man hinter diesem Satz lesen, daß auch die Frauen gut sind. Aber selbst wenn man mit einer feministischen Brille etwas anderes sehen und erklären kann, im Endeffekt muß das immer durch einen Mullah bestätigt werden, sonst ist es nicht gültig.

Die ägyptische Feministin Nawal El Saadawi hat in einem Aufsatz von 2004, der in dem Sammelband „Abschied vom Harem? Selbstbilder – Fremdbilder muslimischer Frauen“ geschrieben, sie habe das Ziel, das orientalische Bild der muslimischen Frau zu dekonstruieren. Also das Bild der erotischen Bauchtänzerin, der Terroristin oder des unterdrückten Opfers, also das Bild, das ihrer Meinung nach im Westen vorherrscht, und hat versucht, für das Kollektiv der muslimischen Frauen ein eigenes Bild zu definieren. In dieser Definition kommt der Begriff des „westlichen Schleiers“ als Pendant zum religiösen muslimischen Schleier vor. Dieser westliche Schleier bestünde aus Schichten von Make-Up, großen Ohringen, Stöckelschuhen etc. So ähnlich hat auch Seran Ates auf der Konferenz „ENTRE EMANCIPATION ET TRADITION: Femmes musulmanes en Europe“ in Paris 2006 das Kopftuch mit dem Bikini verglichen. Wie stehen sie zu solchen Positionen?

Das Bild der muslimischen Frau, das in europäischen Ländern vorherrscht, halte ich auch für falsch. Immer wenn ich bei meinem Engagement über Steinigungen von Frauen berichtet habe, die wegen „Ehebruch“ im Gefängnis sitzen und auf ihre Hinrichtung warten, wurde ich mit diesem falschen Bild konfrontiert: Angeblich seien die Menschen in den islamischen Ländern ganz anders, hätten eine ganz andere Kultur. Also sei auch eine Steinigung gar nicht so schlimm. Dieses Bild habe ich immer wieder kritisiert, aber es ist sehr tief in den europäischen Ländern verankert – aber auch das Bild, daß angeblich alle Moslems in Deutschland eine Gefahr seien, gilt es zu kritisieren. Ich erkläre immer, daß die Menschen im Iran, Irak oder in anderen islamischen Ländern nicht anders sind. Keine Frau möchte vergewaltigt werden, keine Frau möchte gesteinigt werden.
Aber ich bin absolut gegen diese Position von Seran Ates oder Nawal El Saadawi. Ich denke, ein Bikini ist etwas ganz anderes als ein Kopftuch. Islamisten erwidern auf den Vorwurf der Unterdrückung durch das Kopftuch immer die Nacktheit im Westen (z.B. eine Werbung für ein Auto, auf dem eine nackte Frau liegt), aber das ist ein ganz anderes Thema. Eine Muslima muß dieses Kopftuch tragen, weil hinter dem Kopftuch ein ideologischer Gedanke steht. Der Gedanke, daß die Frau nichts gilt, und sie von Gott geschaffen wurde, um die Männer zu bedienen. Und wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommt, darf man sie schlagen, vergewaltigen etc.

Wie sehen sie die Rolle des Neo-Islams: Darunter fallen Frauen, die beruflich erfolgreich sind, hohe Bildung haben, gegen das traditionelle Elternhaus rebelliert haben, um sich so Rechte, Autonomie und Freiräume erkämpft haben. Das geht einher mit einer Entdeckung des Islams, eine Koranexegese, die über das Wissen ihrer Eltern weit hinaus geht, ihn stärker verteidigen, freiwillig und selbstbewußt Kopftuch tragen, um sich so auch gegen eine rassistische Gesellschaft abzugrenzen, von der sie wissen, daß diese sie auch nicht assimiliert aufgenommen hätte.

Ich denke, die politische Betrachtung dieses Phänomens ist sehr wichtig. Es ist vergleichbar mit der Rolle der Frau während der Hitlerzeit. Die Frauen damals waren auch auf eine Art emanzipiert, um ihre eigene Rolle im System zu spielen. In europäischen Ländern, auch in Deutschland, werden solche Phänomene überhaupt nicht als politische, reaktionäre und unmenschliche Bewegungen wahrgenommen. Aber Debatten über das Kopftuch, den Moscheenbau usw. sind alle von solchen politischen Bewegungen eingefärbt.
Auf der anderen Seite ist Rassismus ein großes Problem in Deutschland. Alle Menschen in Deutschland, die aus islamischen Ländern kommen (oder auch jeder andere Ausländer) haben schon Erfahrung mit Rassismus gemacht. Sowohl als Rassismus auf der Straße, als auch als versteckter Rassismus im System. Wir werden immer Ausländer sein, unsere Kinder, die hier geboren sind, werden immer gefragt, woher sie kommen usw.
Wie sich damals ausländische Jugendliche mit der 68er- bzw. Hippie-Bewegung identifiziert haben, um sich gegen Rassismus zu engagieren; suchen heutzutage ausländische Jugendliche den Islam als Gegenbewegung zu dem Rassismus. Ich habe letzte Woche eine Frau in Bonn getroffen, eine Atheistin und Kommunistin, die aus dem Iran fliehen mußte. Sie erzählte, daß ihr hier geborener Sohn ist jetzt Moslem geworden ist und einmal die Woche in die Moschee geht, weil dort Rassismus und die Probleme der Migranten angesprochen werden. Und diese Probleme werden von politisch-islamischen Bewegungen genutzt, die dabei sehr aktiv sind.

Ich würde mit diesen neo-islamischen Frauen reden, wenn es ihnen nur um den Glauben ginge, wenn es nur darum ginge, wie man den Koran liest. Aber es geht ihnen um den politischen Anspruch, vergleichbar und unterstützt durch den politischen Islam in Ländern wie Iran und Saudi Arabien. Diese Frauen hatten sicherlich mal normale Ansichten. Ich habe auch Frauen gesehen, die aktiv in neonazistischen Organisationen arbeiten. Man kann diesen Weg der „Emanzipation“ von den Problemen nicht als Modell nehmen. Man kann nicht sagen, es gibt Probleme wie Arbeitslosigkeit, deswegen sind sie Faschisten. Das ist keine Antwort. Ich könnte mit den neo-islamischen Frauen zusammensitzen und reden, weil ich ihre Probleme hier kenne und verstehe, aber es ist heute etwas Anderes, sich aufgrund der gesellschaftlichen Probleme zum Islam zu bekennen, als z.B. noch vor 40 Jahren. Damals hat man es als privaten Ausweg gesucht, jetzt ist es bewußt eine politische Sache und man hilft damit einer politischen Bewegung.

Ihre Kritik am Islam bzw. an dessen politischer Version hat einen klar emanzipatorischen Anspruch, d.h. Sie fordern die Durchsetzung universell gültiger Menschenrechte wie sie in der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen niedergelegt sind. Wie gehen Sie dann aber mit rassistischen und xenophoben Vereinnahmungen Ihrer Kritik um?

Ich weiß, daß das ein großes Problem ist. Beim Thema Islam muß man aber auch rechts und links neu definieren. Traditionell-orientierte linke Organisationen haben bei diesem Thema oft rechte Positionen. Wenn eine Vorsitzende einer linken Partei in Deutschland in einem Interview behauptet, sie sei mit der Widerstandsbewegung im Irak einverstanden, dann haben wir genau dieses Problem. Oder wenn sich in Deutschland linke Organisationen nicht gegen Moscheenbau oder das Kopftuch äußern. Auf der anderen Seite ist natürlich Rechtsextremismus ein ebenso großes Problem in Deutschland. Und je mehr die islamischen Organisationen an Macht gewinnen, je mehr Parallelgesellschaften existieren, desto mehr profitieren davon auch rechte Organisationen. Deswegen ist meine Arbeit und unsere Arbeit auch wichtig, weil man diese Probleme humanistisch lösen kann. Je mehr Organisationen wie der Zentralrat der Ex-Muslime gegen solche Probleme vorgehen, desto weniger Chancen haben rechte Organisationen. Aber wie schon gesagt, halte ich rechts und links hier für völlig durcheinander geraten. Ich gebe auch nichts auf Linke, die mit islamistischen Organisationen zusammenarbeiten wollen. Und deswegen halte ich beim Thema Islam die Linkspartei für noch schlimmer, weil sie versuchen, wie das oben erwähnte Interview demonstriert, islamistischen Gruppierungen noch mehr Möglichkeiten und Macht einzuräumen und nicht sehen, daß dies bedeutet, daß noch mehr Frauen unterdrückt werden, Kopftücher tragen müssen und dass Ehrenmorde begangen werden.

In Ihrem Buch schwören Sie zwar allen Religionen ab aber fordern zugleich, daß die Organisationen des politischen Islams nicht mit der christlichen Kirche in Deutschland gleichgestellt werden sollten. Dennoch haben der Islam, das Christentum und das Judentum unterschiedliche Voraussetzungen dergestalt, daß die letztgenannten eine Säkularisierung hinter sich haben und der Islam nicht. Wie differenzieren Sie also zwischen diesen Religionen?

Auf rein religiöser Ebene differenziere ich das nicht besonders. Auf politischer Ebene ist die Säkularisierung in Deutschland auch noch lange nicht zu 100% durchgesetzt. Die großen Kirchen mischen sich noch immer ein. Es gibt zwei Antworten auf die Frage, ob islamische Organisationen wie alle anderen Religionsgemeinschaften anerkannt werden sollen. Eine oberflächliche Antwort wäre: Wenn die anderen Religionen diese Anerkennung bekommen, muß man den Islam auch anerkennen. Die Deutsche Regierung vertritt genau diese Position. Islamische Organisationen sind verbunden mit einer aggressiven politischen Bewegung, die andere Religionen entweder schon lange hinter sich haben, oder dazu heute nicht mehr die Möglichkeit. Aber meine ideale Lösung wäre, die Einmischung des Islam und auch die aller anderen Religionen zu verhindern. Das scheint hier ein Tabuthema zu sein, sogar unter Intellektuellen. Wieso können wir nicht in die Richtung gehen, allen Religionen entgegenzutreten, anstatt dem Islam in die falsche Richtung entgegenzukommen. Mein Lösungsvorschlag wäre eine immer weiter voranschreitende Säkularisierung.

In Ihrem Buch thematisieren Sie mehrmals das Kopftuch und lehnen dieses strikt ab. Wie weit würden Sie dieses Verbot fassen wollen (Schule, alle öffentlichen Räume etc.)? Und inwiefern können Sie diese notwendige politische Emanzipation des Kopftuchverbotes, das mit den Mitteln eines autoritären Staates durchgesetzt wird, mit Ihren marxistischen Überzeugungen vereinbaren?

Beim Kopftuch muß man immer wieder erklären, daß es nicht nur ein Stück Stoff ist, sondern daß es eine religiöse und ideologische Bedeutung hat. Es drückt aus, daß eine fremde Person, ein fremder Mann meine Haare nie sehen darf; aber nicht nur das. Es sagt ebenso, daß ich als Frau eine völlig andere Aufgabe in der Gesellschaft habe. Der Gedanke hinter dem Kopftuch führt soweit, daß man gesteinigt wird, wenn man fremdgeht. Das Kopftuch ist wie ein Gefängnis, eine Einzelzelle, die man immer mit sich herumträgt. Man zeigt sehr deutlich, dass man seine Sexualität nicht ausleben darf. Das Kopftuch hat aber auch noch eine andere Bedeutung. Im Iran wurde nach der Revolution von dem Regime vehement für das Kopftuch gekämpft, d.h. es war wie eine Art Fahne einer politischen Ideologie. Deswegen kämpfen auch in Deutschland alle islamistischen Organisationen wie z.B. Milli Görüs jeden Tag für das Kopftuch. Ich denke, das Kopftuch sollte auch in diesem Zusammenhang als Privatsache definiert werden, wie alle anderen religiösen Zeichen auch. Alle Religionen gehören nach Hause, also auch der Islam und das Kopftuch. Ich bin 100% für ein Kopftuchverbot für Kinder und ein Verbot auf Arbeitsplätzen. Wenn ich in ein Arbeitsamt gehe, möchte ich nicht wissen, wer welche ideologische Überzeugung hat, ob jemand Marxist ist – ich möchte auch kein Photo von Marx dort sehen – oder wenn ich in ein Krankenhaus gehe, ist es für mich persönlich sehr wichtig, daß Religion keine Rolle spielt. Ich gehe nie zu einem moslemischen Arzt oder einer Ärztin die Kopftuch trägt. Der Arbeitsplatz sollte neutral bleiben. Man geht in ein Amt oder eine Institution und möchte etwas erledigen, man geht nicht zu einer politischen Diskussion. Aber das Kopftuch transportiert beim Tragen immer die genannten Bedeutungen und deswegen muß es verboten werden.
Sie haben mich nach meinen marxistischen Überzeugungen gefragt. Erstmal ist es sehr wichtig zu sagen, was für eine Art von Marxistin ich bin. Ich würde mich eine humanistische Kommunistin nennen – orientiert an einer generellen Menschenrechtsbewegung. Deswegen würde ich gerade auch aus marxistischer Perspektive sagen, daß Frauen selbst über ihre eigene Sexualität entscheiden sollen; das Kopftuch verhindert dies, deswegen lehne ich es ab.

Aber ist es nicht schwierig zu trennen, das Kopftuch Privatsache sein zu lassen, aber in der Öffentlichkeit zu untersagen? Die Bedeutung, das Kopftuch zu tragen, ist doch aus der Perspektive der Trägerin allumfassend. D.h. aus dieser Perspektive kann man es ja nicht nur teilweise tragen.

Man muß die Funktion des Kopftuchs in einer Community verstehen. Es ist ein Zeichen des Chauvinismus und einer patriarchalen Kultur. Auch Frauen kämpfen für das unbedingte Tragen des Kopftuchs, diese sind dann zumeist auch politisch motiviert. Ich denke, höchstens 2% der kopftuchtragenden Frauen wollen dies auch, 98% sind dagegen – das muß man erstmal begreifen. Es existiert ein großer Druck innerhalb der Community und der Familie. Männer haben mit diesem Stoff Kontrolle über die Frau und ihre Sexualität. Deswegen versuchen sie, auch in europäischen Ländern das Kopftuch durchzusetzen. Ich finde es erschreckend, daß Leute aus dem Iran oder Afghanistan hierherkommen, hier leben, erst hier Moslems werden und dadurch hier ebenso Frauen unterdrückt werden. Dem muß man Beachtung schenken und nicht den 2 % der Frauen, die emanzipiert sind aber trotzdem unbedingt ein Kopftuch tragen möchten.

Wie beurteilen sie als Exil-Iranerin die Ambitionen des Mullahregimes, Atomtechnologie nutzen zu wollen? Und welche (außen-)politischen Konsequenzen erwarten Sie von Deutschland und Europa?

Es wird so viel über die Atompolitik gesprochen, als gäbe es im Iran nur dieses Problem. 30 Jahre lang hat das faschistische Regime sehr brutal Menschen umgebracht. Die europäischen Regierungen haben nichts zu dieser Diktatur gesagt, weil sie ein Interesse an ihr hatten. Deswegen bin ich, was Konsequenzen für den Iran angeht, sehr kritisch gegenüber Europa. Atomwaffen zu bekommen ist für das islamische Regime ein sehr wichtiger Faktor. So kann es sich länger halten und eine noch größere Rolle im Nahen Osten spielen. Sie sind jetzt schon so ungemein gefährlich, wie gefährlich werden sie erst mit einer Atomwaffe sein. Aber auf der anderen Seite bin ich gegen eine Politik wie die der USA und ihrer Verbündeten sie gegenüber dem Irak gezeigt haben. Ich bin absolut gegen einen Angriff. Aber was kann man tun? Als erstes die Hilfen einstellen, die man dem islamischen Regime schon immer gegeben hat.
Gegen das Apartheidsregime in Südafrika haben internationale Bewegungen und strikte Isolation sowie Nicht-Anerkennung der „Rassen-Apartheid“ auch sehr geholfen. Im Iran herrscht eine Geschlechter-Apartheid, die man mit der damaligen in Südafrika vergleichen kann. Wir, die Arbeiterkommunistische Partei Iran (API), möchten, daß dieses islamische Regime weltweit isoliert wird, daß die Botschaften in allen anderen Ländern geschlossen werden. Alle finanziellen und politischen Hilfen sollen eingestellt werden. Wenn so etwas passieren sollte, könnten meiner Einschätzung nach die Menschen im Iran das Regime schon in nur einem Monat stürzen. Aber die Hilfen der westlichen Regierungen und antiimperialistische Organisationen weltweit – auch in Deutschland – haben das iranische Regime stabilisiert. So auch jetzt bei der Diskussion um die Atomwaffen. Das iranische Regime nutzt dieses Diskussionsklima, es lenkt auch ab und so können noch mehr Todesstrafen und Hinrichtungen durchgeführt werden, ohne daß es international Beachtung findet.

Aber wenn sie für die Methode der Isolation des Iran sind und auf einen Regime-Change von innen hoffen, gibt es im Iran dafür überhaupt Anknüpfungspunkte an eine oppositionelle Bewegung oder ist diese, aufgrund der faschistischen Verfaßtheit des Staates nur im Exil möglich?

Z.B. meine Aufrufe werden gehört, wenn ich sage, daß ich als eine Politikerin einer Partei aus dem Iran rede. Diese API ist im Iran und international aktiv. Ich möchte diese Partei weltweit noch bekannter machen, weil man den Iran nur durch eine große, gemeinsame politische Bewegung retten kann. Es existieren im Iran sehr viele oppositionelle, säkulare, humanistische Bewegungen, aber hier bekommt man nichts davon mit. Auch viele linke Organisationen – aber links auf der Ebene, wie ich es verstehe, also für universelle Menschenrechte.
Wenn das iranische Regime gestürzt ist, wird das politische Klima im Nahen Osten und weltweit sich ändern. Wenn man in Deutschland Probleme mit islamischen Organisationen hat, ist ein Teil dieses Problems auch das Regime im Iran. Wenn dieses Regime mächtiger wird, wird auch die Rolle des Islams in der Welt mächtiger. Deswegen ist es so wichtig, weltweit die iranischen Oppositionen wahrzunehmen und zu unterstützen.

Welche Oppositionen im Exil existieren denn noch, mit denen so eine emanzipative Politik möglich ist? Anhänger des Shahs sind es ja sicherlich nicht, mit denen Sie zusammenarbeiten möchten.

Natürlich ist eine Zusammenarbeit mit Monarchisten nicht möglich. Die Monarchie gehört der Vergangenheit an. Meiner Meinung nach arbeitet man mit Menschen zusammen, nicht mit Organisationen. Es gibt sehr viele politische iranische Bewegungen. Es stellt sich die Frage, auf welcher Basis man zusammenarbeiten kann. Man muß Gemeinsamkeiten finden. Ein Beispiel ist meine Arbeit gegen die Todesstrafe in Form von Kampagnen, wie z.B. die zur Rettung von Nazanin Fatehi. Ich habe bei der Unterstützung dieser Kampagne nicht darauf geachtet, ob die Unterzeichner Monarchisten sind. Dadurch haben wir 500.000 Unterschriften bekommen. Man kann nicht nur mit wenigen Organisationen arbeiten. Die Menschen im Iran benötigen eine Renaissance. Deswegen ist eine solch breite Zusammenarbeit wichtig. Wir haben dadurch nicht nur eine Person gerettet, sondern den Menschen dort ein Bild vermittelt, das zeigt, daß die Todesstrafe nicht richtig ist – und dann ist es egal, welche Partei oder Opposition das vermittelt. Die Renaissance kann über die Auseinandersetzung mit solchen Problemen entstehen, denn die Menschen, insbesondere die Jugendlichen, haben daran sehr viel Interesse. Wenn man etwas erreichen möchte, muß man also die Menschen und Jugendlichen im Iran auf diese Art zusammenbringen, nicht bloß einzelne Organisationen.

Sie erwähnten ein breites Bündnis. Wie konnte es während der Muharramproteste 1978 gegen den Schah, bzw. schon davor zu einer Zusammenarbeit von Kommunisten und Islamisten kommen? Was erwartete man sich davon bzw. was waren die vermeintlichen Gemeinsamkeiten? War es einzig ein Zweckbündnis gegen den Schah und der ideologische Kitt des Antiimperialismus? Warum nahm man auf Seite der Kommunisten das Marxsche Diktum „Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik“, nicht ernst? Gerade hier zeichnete sich doch ab, wie ernst man es hätte nehmen müssen.

Den Kommunisten, die Sie meinen, stand ich immer kritisch gegenüber. Damals gab es viele maoistische und pro-sowjetische Bewegungen, die tatsächlich durch ihren Antiimperialismus den islamischen Bewegungen verbunden waren. Die Parolen, gesellschaftliche und kulturelle Vorstellungen usw. waren denen der islamischen Organisationen sehr ähnlich. Ich habe diese Parteien damals schon abgelehnt und mich an Mansoor Hekmat orientiert, der als Kommunist eine große Rolle in der Linken im Iran, Irak und Afghanistan gespielt hat. Er ist ein bekannter Marxist, der viel über die antiimperialistischen und religiös-nationalistischen Bewegungen geschrieben hat. Die marxistischen Strömungen von damals, die noch heute aktiv sind, sind noch immer sehr gegen meine Ansichten und meine Arbeit. De Zentralrat der Ex-Muslime wurde von ihnen heftig kritisiert, ich wurde sehr unter Druck gesetzt, es wurde in persischen Medien sehr viel über mich geschrieben. Ich sei eine Imperialistin und arbeite mit dem Pentagon zusammen. So etwas steht dort über mich.
Meine Sicht auf die Ereignisse von damals und heute ist, daß keine Person oder Partei von Kritik an der Religion oder Menschenrechten reden kann, und vom politischen Islam schweigen. Man muß sich mit dieser politisierten Religion auseinandersetzen. Es haben sowohl der Militarismus der USA, als auch der politischer Islam das Wesen der Politik dieser Welt verändert. Man muß sich aber besonders mit der islamischen Bewegung als ein neues weltweit politisches Problem auseinandersetzen. Antiimperialisten haben immer schon – wie ich das ja auch tue – die Politik der USA-Regierung kritisiert, aber der Islam wird von ihnen nicht kritisiert. Entweder sie verbünden sich mit ihm der sie schweigen.

Aber wenn Sie sagen, daß diese Parteien oder diese Kommunisten von damals noch immer sehr schlecht über Sie und ihre emanzipatorische Ausrichtung schreiben, welche Konsequenzen wurden denn dann überhaupt aus dem damaligen Bündnis gezogen? Denn die Parteien, die mit den Islamisten zusammenarbeiteten (wie z.B. die Tudeh-Partei) wurden ja selber schon kurz nach der Revolution verfolgt und verboten. Welche Debatten gab es darüber?

Debatten gab es viele. Anhänger der kommunistischen Parteien, die den Islamisten geholfen haben, die Macht im Iran zu übernehmen, wurden hingerichtet. Es gab viele Todesstrafen für die Leute aus der Tudeh-Partei. Aber nichtsdestotrotz ist der Kerngedanke dieser Parteien gleich geblieben. Sie haben zwar Kritik an Achmadinedschad, verteidigen aber Mohammed Khatami. Der ideologische Kern des Antiimperialismus ist noch immer der gleiche und deswegen sehen sie den politischen Islam auch immer als eine heilige Volksbefreiungsbewegung und greifen mich dafür an, daß ich mit meiner Kritik am Islam das Volksgefühl oder die Volksehre verletze. Aber diese Parteien gehören der Vergangenheit an. Sie sind sehr klein und isoliert im Iran. Keiner nimmt mehr die Tudeh-Partei ernst. Unsere Partei, die Arbeiterkommunistische Partei Iran, wird im Moment sehr ernst genommen, weil Sie neu und jugendorientiert ist, weil sie nicht den Westen dämonisiert und Muslime für bessere Menschen erklärt. Und diese Orientierung wird sehr ernst genommen – vor allem auch hier im Westen.

Sie sagen, sie sind gegen diesen einfachen Antiimperialismus, der ja eine der Hauptgemeinsamkeiten der damaligen Kommunisten und den Islamisten war, aber wenden sich gleichzeitig kritisch gegen die USA. Dennoch besteht Antiimperialismus ja immer aus dem Hass gegen den „großen Satan“ USA und dem „kleinen Satan“ Israel. Wie lösen sie diesen schwierigen Widerspruch auf?

Ich denke, die Regierung der USA möchte eine neue Weltordnung schaffen. Sie haben damals schon Islamisten in Afghanistan und auch Iran geholfen und jetzt, nach dem Kalten Krieg, möchte sie ihre Macht weltweit festigen. Im Irak haben wir gesehen, daß die Standards der Menschenrechte von beiden Seiten gleichermaßen mißachtet wurden. Und auch die israelische Regierung betreibt sehr unmenschliche Politik im Nahen Osten. Der Unterschied zwischen mir und einer Antiimperialistin ist aber, daß ich zusätzlich auch gegen die Hamas bin, daß ich Selbstmordattentate scharf verurteile. Ich kritisiere auf der Ebene der Regierung und die Politik dieser Regierungen. Die Menschen in Israel sind genau so wie Sie und ich und keine Diktatur darf zu ihrer Vernichtung aufrufen, so wie Achmadinedjad es getan hat. Ich bin zwar kritisch gegenüber der israelischen Regierung, aber Israel als Gesellschaft ist sehr säkular und es besteht ein großer Unterschied darin, wie eine Gesellschaft aussieht, wenn sie von der Hamas regiert wird.

Mina Ahadi veröffentlichte im Februar 2008 zusammen mit Sina Vogt das Buch Ich habe abgeschworen. Warum ich für die Freiheit und gegen den Islam kämpfe, erschienen im Heyne-Verlag.

Das Interview führten KP und Abe.


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last modified: 20.5.2008