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Scheinheilige Armut

Ein Beitrag zu »Aufstieg & Fall des konzentrierten Spektakels« (CEE IEH #147 und #148)

Da die Aufforderung zum Klassenkampf heutzutage keinen Glamour hat und hemdsärmlich altbacken klingt, wird sie von Zwi, Negator und Biene Baumeister zu einem umständlichen Satz entfaltet: das „Thema“ der „Neuzusammensetzung der Proletarisierten, Prekarisierten und Pauperisierten von der Klasse-an-sich zu neuen Assoziationsformen, zum Zweck einer Selbstorganisierung lohnabhängiger Individuen zur »Klasse des Bewusstseins«, die sich im Weltmaßstab als Proletariat, als automatisches Subjekt/Objekt sich reproduzierender Lohnarbeit und Kapital/Staats-Formen selbst aufheben kann“, sei seit den Situationisten „wieder aufgemacht“.
Bevor sie zu diesem Fazit gelangen, beschäftigen sich die Autoren mit der Kritik der Situationisten am Bolschewismus. Guy Debord, Ikone des Situationismus, wird langatmig zitiert. Doch die kolportierten Stellen besagen nicht viel mehr, als dass die Oktoberrevolution scheiterte, weil sie durch „Spezialisten der Macht“ pervertiert wurde, beziehungsweise durch die „machthabende totalitär-ideologische Klasse“ oder eine „totalitäre Bürokratie“. Debord weiß an den Common Sense zu appellieren. Macht und Bürokratie sind böse, so weiß der geneigte Leser – erst recht, wenn sein Herz links
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schlägt und er für das Lebendige und Konkrete und gegen die Kälte und Abstraktheit der Macht und der Maschinerie Staat ist. Was aber stellt Debord gegen die böse bürokratische Macht? Ist es die „Spontanität“ (Negri, Hardt) oder die „Subversion“ (Agnoli)? So ähnlich – Debord hält was auf die „Kreativität“. Da das Gute vom Bösen erst noch zu befreien ist, hofft Debord freilich auf die „befreite Kreativität“. Zum linken Weltbild fehlen nun nur noch ein paar Richtungsanweisungen, die freilich zu blöd klingen, als dass Debord, Zwi, Negator und Biene Baumeister sie verwenden würden. De facto aber befolgen sie sie: Die Macht sitzt oben, das Subversive, Spontane und Kreative kommt von unten.
In diesem linken Weltbild gibt es ein richtiges Motiv: dass soziales Elend und soziale Unterdrückung abzuschaffen sind und eine gerechte Gesellschaft entsteht. Falsch ist das Weltbild, wenn die unterdrückte Menschheit als automatisches Subjekt der Revolution geheiligt wird, wenn der Mythos von der sancta paupertas als linke Ideologie fortlebt. Selbst der sonst so wissenschaftliche Karl Marx verfiel diesem naiven Glauben. Er beließ es nicht dabei, das Klassenverhältnis zu skandalisieren, sondern prophezeite darüber hinaus die Revolution durch das Proletariat, das so den Weltkommunismus herbeiführen und alle soziale Unbill abschaffen würde. Dieser Grundzug ist bis heute linken Ideologien eigen, wobei der Hoffnungsträger der Revolution je nach ausgemachtem Unterdrückungsverhältnis wechselt: Antiimperialisten und Antikolonialisten hoffen auf irgendwelche unterdrückten Völker, der Antirassist verklärt Ausschreitungen in Banlieus zu emanzipatorischen Revolten, der marxistische Antideutsche beschwört den Charakter der israelischen Armee – als hätte diese nicht schon genug um die Ohren –, „bewaffneter Arm der revolutionären Kritik im Stande ihrer gesellschaftlichen Unmöglichkeit“(1) zu sein, und – womit wir wieder beim Thema wären – die Klassenkämpfer Zwi, Negator und Biene Baumeister verklären die antibolschewistischen Revolten in den Jahren nach der Oktoberrevolution rückblickend zu „weitertreibenden Klassenkämpfen“. Spätestens wenn die beiden Autoren behaupten, dass sich die Bauern „zu selbständigen Aufstandsarmeen mit sozial-revolutionären Klasseninhalten organisierten“, wird deutlich, dass sie dem typisch linken Vorurteil aufsitzen, wonach die Unterdrückten die potentiellen Befreier sind.
Denn die Fakten(2) sprechen eine andere Sprache. Die Bauern waren zwar Unterdrückte und versuchten sich an einer Revolution, waren aber keineswegs, wie Zwi, Negator und Biene Baumeister suggerieren, „anarchistisch und sozialrevolutionär“: Die autonome Republik, die zeitweilig in der südlichen Ukraine durch die Bauernaufständischen errichtet wurde, schmückte sich mit der Losung „Die Ukraine den Ukrainern, ohne Bolschewisten und Juden!” Unter der Parole „Es lebe die Sowjetmacht! Nieder mit den Bolschewiken und Juden!” führten die Aufständigen, d.h. neben den Bauern auch Deserteure der Roten Armee, antisemitische Pogrome durch. Später glaubten die Bauern sogar einen Verbündeten ausmachen zu können: „Heil Hitler!“ ließ man nun in der bäuerlichen Gegenkultur gern verlauten. Stalin, gegen den diese Worte gerichtet waren, begriff die Lektion und machte sich später den Antisemitismus zu eigen, um sich dem Volk anzubiedern. Auch die Arbeiter, auf die Zwi, Negator und Biene Baumeister schwören, waren mitunter reaktionärer als die Bolschewiki: Als Lenin 1919 in einem streikenden Betrieb in Petrograd persönlich eine Rede halten wollte, übertönten ihn die Arbeiter „Nieder mit den Juden und Kommissaren!“. Natürlich wissen Zwi, Negator und Biene Baumeister dies alles nicht. Man will es nicht wissen: schließlich geht es um die linksradikale Identität, die ohne Bezug auf ein revolutionäres Subjekt keine Identität wäre.
Die Linke, die sich gern auf eine Tradition der Unterdrückten bezieht, will einen wesentlichen Zug in der Geschichte der Barbarei nicht wahrhaben. Ginge es nach ihr, sollen am Schlechten immer nur „die da oben“ Schuld haben, d.h. Regierende und Kapitalisten, Spekulanten und Imperialisten oder – im Falle der Sowjetunion – machtgierige Bürokraten oder eben „Parvenüs, die sich im Staat festgesetzt haben“(3). Selbst die Verbrechen der Nazis und des deutschen Volkes sind diesem Schema entsprechend zurechtgebogen worden. Während in der DDR der Staat seinem Volk pauschal und rückwirkend Antifaschismus verordnete – als Proletariat könne es nicht schuldig gewesen sein an dem Verbrechen des deutschen Imperialismus – brüllte man lauthals auf linken westdeutschen Demos: „Hinter dem Faschismus steht das Kapital!“. Sofern man die Beteiligung des einfachen Volkes an den Verbrechen nicht leugnen konnte, schwätzte man – wie etwa Ernst Bloch(4) – von Manipulation: das Volk sei verführt worden und hätte nicht im eigenen Bewusstsein gehandelt. Heutzutage kann man sich recht leicht vom Gegenteil überzeugen, nämlich davon, dass die Barbarei auch oder sogar maßgeblich „von unten“ herrührt. Man muss nur die ostdeutsche Provinz inspizieren: vagabundierende, Bier saufende und Knüppel schwingende Nazirabauken nebst ihren Erziehern und Claqueuren sorgen hier für den Verfall menschlichen Zusammenlebens, während Kapital und Staat darum bemüht sind, einen letzten Schein von Zivilisation aufrecht zu erhalten.
Besonders in der Geschichte des Antijudaismus und Antisemitismus haben die „Unterdrückten“ und „Verlierer“ der Geschichte eine unrühmliche Rolle inne – von Anbeginn: Die ersten großflächigen antijüdischen Pogrome überhaupt gingen mit den so genannten Kreuzzügen der Armen einher, die im Hinterland der offiziellen Kreuzzüge ungerufen und ungehalten auf ihre Weise und ihrem Verständnis entsprechend gegen den Antichrist kämpften, während es oftmals die reicheren Bürger und Bischöfe waren, die den Juden Schutz zu geben versuchten. Diese Konstellation besteht bis heute fort: auf den jüdischen Staat haben es insbesondere wirkliche und vermeintliche Underdogs und diejenigen abgesehen, die im Namen der Unterdrückten Politik betreiben.
Kommunisten wie Zwi, Negator und Biene Baumeister müssen mit der Erkenntnis zurecht kommen, dass sie verdammt allein sind und die Kraft ihrer Gedanken eine praktische Entsprechung vergebens sucht, da diejenigen, die eine besonders beschissene Stellung im Produktionsprozess einnehmen, gerade aufgrund dieser Stellung alles andere als ein revolutionäres Subjekt sind. Es gibt keine eigentliche, gute Kreativität oder Spontanität, die sich nur organisieren und das Korsett der Macht sprengen müsste. Zuerst einmal gibt es Menschen, die – gerade weil sie ausgebeutet sind und elendig leben und nie die Fähigkeit ausbilden konnten, auf sich und die Verhältnisse zu reflektieren – die Verhältnisse Zeit ihres Lebens und ungefiltert verkraften müssen und damit eine „geistige und körperliche Verkrüppelung“(5) erleiden. Gerade weil darin nur Neid, Groll und Grobheit gedeihen, müssen Elend und Unterdrückung abgeschafft werden. Und gerade deswegen kann man nicht, wie Zwi, Negator und Biene Baumeister, auf eine „Selbstorganisation“ und „Selbstaufhebung“ des Proletariats setzen oder von der Arbeitklasse als der „Klasse des Bewusstseins“ schwadronieren.
Leo Löwenthal sprach es aus: „Ich sympathisiere nicht mit dem Proletariat […] Das Proletariat soll aufhören!“(6) Aber wie?

Hannes Gießler

Anmerkungen

(1) Initiative Sozialistisches Forum, Karl Marx, Israel und die Militanz der Vernunft [www.isf-freiburg.org/isf/jourfixe/jf-2006-2_militanz.vernunft.html]

(2) Die folgenden Informationen zur reaktionären Ideologie der Bauern- und Arbeiteraufstände sind nachzulesen in: Nicolas Werth, Ein Staat gegen sein Volk, in: Stéphane Courtois u.a., Das Schwarzbuch des Kommunismus, München u. Zürich 1998; Gabor T. Rittersporn, Das kollektive Dorf in der bäuerlichen Gegenkultur, in: Manfred Hildemeier, Stalinismus vor dem Zweiten Weltkrieg. Neue Wege der Forschung, München 1998

(3) Victor Serge, Erinnerungen eines Revolutionärs, Hamburg 1991, S. 455

(4) vgl. meinen Text: Blochs Faschismusanalyse, CEE IEH #116 [www.conne-island.de/nf/116/19.html]

(5) Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, MEW 23, S. 384

(6) Leo Löwenthal, Mitmachen wollte ich nie, Frankfurt am Main 1980, S. 225

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last modified: 25.11.2007