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Passivrauchen, 35.5k

Zum Hundertsten Hans Mayers


Hans Mayer wurde vor hundert Jahren, am 19. März, in Köln geboren. Er studierte Jura, Geschichte und Philosophie und musste zwischen 1933 und 1945 nach Frankreich und in die Schweiz emigrieren, wo er sich mit Auftragsarbeiten für den Rechtstheoretiker Hans Kelsen und das Institut für Sozialforschung durchschlug. Nach seiner Rückkehr arbeitete er zuerst als Radioredakteur bei einem Sender der amerikanischen Militärregierung in Frankfurt, später als Professor der Literaturwissenschaft in Leipzig und
Passivrauchen, 9.2k

Die postive Darstellung des Passivrauchens in einer Werbeanzeige

Passivrauchen, 19.6k

Eine warnende Abbildung der Nichtraucher-Initiative Deutschland zu den Gefahren des Passivrauchens (um 1998)

Passivrauchen, 21.1k

Das "passive Rauchen" als Belästigung in einer Darstellung des 19. Jhds.


(Siehe auch: Editorial)
ab 1963, nach Zerwürfnissen mit Machthabern der DDR, in Hannover und zuletzt Tübingen, wo er vor sechs Jahren verstarb. Als Publizist hinterließ er ein Werk von über vierzig Bänden.

„Es war die Zeit des spanischen Bürgerkriegs. Ich glaube mich zu erinnern, daß Eisler von Spanien sprach im Zusammenhang mit der Geschichte von der Flaschenpost. Er habe dort, so berichtete er, mit Adorno am Meer gelegen. Der befreundete Musiker und Soziologe, Schüler Alban Bergs, so wie Eisler ein Schüler Arnold Schönbergs gewesen war, habe monologisiert. Adornos Konzept vom Kunstwerk, das unabhängig und in strenger Abgrenzung von aller Kulturindustrie entstehen müsse und einer Flaschenpost zu gleichen habe, ist heute wohlbekannt. Es gehörte zum Grundkonzept einer negativen Dialektik. Wahrscheinlich hat Adorno damals auch am Meeresstrand in solcher Weise argumentiert. Worauf Hans Eisler in folgender Weise repliziert hat: »Weißt Du, Teddy, ich stelle mir das genau vor hier am Meer. Da wird nun Deine Flasche herangespült. Ich bin ein alter Säufer, stürze mich darauf. Erste Enttäuschung: sie enthält keine Flüssigkeit. Dann öffne ich die Flasche. Sie enthält nur einen Zettel in Deiner Handschrift. Darauf steht geschrieben: 'Mir ist mies.' Was soll ich damit nun anfangen?«“ Hans Mayer überliefert diese Anekdote nicht nur zur Erheiterung: „Die tiefere Bedeutung liegt wohl darin, daß hier die Konzepte der negativen Dialektik und des Prinzips Hoffnung gegeneinander stehen.“ (1996, 288f.) Während Theodor W. Adorno sich in die kritische Theorie zurückzog und sein Werk als Felsenmelodie wahrgenommen werden sollte, wandte sich Eisler dem Volk zu und komponierte unter anderem das Solidaritätslied. Mayer kann keinem der Konzepte abschwören und befindet sich im Zwiespalt. Er will mit Eisler der Praxis nicht entsagen, aber mit Adorno nach Auschwitz keine positive Dialektik gelten lassen, also keine, die sich mit der gesellschaftlichen Praxis versöhnt zeigt oder gar mit deren spekulativen Ausgang eins weiß. Das Thema lässt ihn auch in seinem berühmtesten Werk Außenseiter nicht los. Dieses hebt in der Auseinandersetzung mit Ernst Blochs Prinzip Hoffnung an und schließt in einem Rekurs auf Adornos Negative Dialektik.
Für Mayer ist mit der bürgerlichen Aufklärung zugleich auch die Arbeiterbewegung, in der er einst organisiert war, in Frage gestellt. Er zitiert aus Stephan Hermlins Ballade von der Dame Hoffnung: „Verwehter Hahnenschrei im Dämmerland,/ Stets wiederauferstanden, stets verloren:/ Von den Bedrängten Hoffnung bist genannt.“ Er kommentiert: „Dies war in der Tat, im Jahre 1947, reale Dialektik des Prinzips Hoffnung [...].“ (1999, 252) Als Marxist, aber als einer, der den 30. Januar 1933 als „Tag des Widerrufs“ all seiner Bürgerrechte nicht ausblenden kann und will, nimmt er die Arbeiterklasse auch dort in die Verantwortung, wo sie nicht als revolutionäres Subjekt, sondern ganz im Gegenteil als Akteurin der Gegenaufklärung auftritt. Unter anderem in den Stücken Gotthold Ephraim Lessings findet er den Teil der Wahrheit über sie, der mit 1933 auch ihm offensichtlich geworden war. Dort vertreten die unteren Schichten den Antisemitismus, etwa in Gestalt der Dienerin Deja in Nathan der Weise. Lessings Blick ist weniger getrübt als der sozialistischer Intellektueller, die dazu neigen, das Proletariat als Opfer oder Spielball der Herrschenden zu entschuldigen. Mayer erhärtet Lessings Vorwürfe. So wäre der besonders unter Stalin grassierende Antisemitismus nicht allein den Herrschenden zuzurechnen, sondern rühre von den einfachen Bauern und Arbeitern her. Mayer erwähnt zudem Pressekampagnen der Arbeiterbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts, in denen einzelne Kapitalisten als Homosexuelle entlarvt und als abschreckende Beispiele bürgerlicher Dekadenz denunziert wurden.
Der intellektuellen Beziehung Eislers zu Adorno wäre nur eine Wiederholung derjenigen des Schülers Eislers zu seinem Lehrer Schönberg gewesen. Während dieser sich in dem Maße, wie er sich seiner Kunst zuwandte, von den Massen entfernte, floh Eisler geradewegs der Einsamkeit. Mayer sieht in Schönbergs Oper Moses und Aron eine Spiegelung dieser Konstellation. Moses wie Aron wollen die Humanität verkünden. Aron vertritt dabei die Rhetorik: „So mache dich dem Volk verständlich, auf ihm angemessene Art.“ Doch was heißt das für den Gedanken, der kommuniziert werden will? „Er sucht ihn als ein Pragmatiker so gut wie möglich zu verwirklichen. Was freilich auch heißen muß: so unrein wie nötig.“ (1998, 76) Moses schlägt den entgegengesetzten Weg ein und versucht an der göttlichen Wahrheit wider alle Konzessionen an ihre Kommunikation festzuhalten. Damit scheitert auch er: „Oh Wort, du Wort, das mir fehlt!“ Diese Aussage steht ungewollt am Ende des Werkes, ein dritter Satz wurde nicht fertig. Den offenen Schluss hält Mayer, wie er an anderer Stelle mitteilt, für notwendig: „Das Werk selbst widersetzt sich, aus inneren Gesetzen, dieser zusätzlichen Vertonung. Der Zwiespalt bleibt ungelöst.“ (1996, 154) Weil ihn das Thema nicht loslässt, kommt er in einem weiteren Essay nochmals auf den gescheiterten dritten Satz und dessen Fragmente zu sprechen: „Plötzlich hat Moses gesiegt, und Aron ist sein Gefangener. Allein das ist ein Hirngespinst Arnold Schönbergs.“ (1999, 187)
Ähnlich beurteilt er auch den letzten Satz der Dialektik der Aufklärung, nach dem die zur Gewalt gewordene Aufklärung ihre Grenzen zu durchbrechen vermag: „Hier wird der Satz von Marx paraphrasiert, daß auch die Idee zur materiellen Gewalt werden könne, wenn sie die Massen ergreife. Allerdings ist an dieser Stelle der »Dialektik der Aufklärung« von Massen nicht mehr die Rede. Aufklärung, wie sie in diesem Buch verstanden werden soll, stellt sich gegen die begrenzte und dank solcher Begrenzung erstickte bürgerlichen Aufklärung. In wessen Namen? In jenem der Ohnmacht, nicht der Macht, einer Idee ohne begleitendes Interesse.“ (1977, 458) Doch hätten Adorno und Horkheimer aufs Volk bauen, hätte Schönberg es seinem Schüler gleichtun sollen? „Die Abkehr Hanns Eislers von seinem Lehrer war als Ausbruch aus einer Theorie und Praxis der Einsamkeit zu verstehen. Allein die ersehnte und erstrebte Gemeinschaft, verstanden als Begründung einer plebejischen Tradition, war trügerisch.“ (1996, 305) Der 3. Satz der Oper Moses und Aron ein Hirngespinst, das Solidaritätslied trügerisch. Gab es für ihn selbst denn noch eine Alternative zur Einsamkeit, gar soziale Integration?
Ein solcher Weg war für Mayer als Juden nicht mehr möglich, für ihn war er durch die Geschichte des Antisemitismus und dessen Zuspitzung im Vernichtungsantisemitismus endgültig verstellt. „Theodor Herzl hatte nach den Grundsätzen des Assimilation gelebt und erfolgreich gewirkt. […] Zwei geschichtliche Ereignisse am Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts aber zwangen ihn, alle seine bisherigen Denkweisen und Handlungen in Frage zu stellen. […] Theodor Herzl und die frühen Zionisten konnten davon ausgehen, daß die angebliche Assimilation weder im Deutschen Reich noch gar in Österreich-Ungarn zur Integration der Juden geführt hatte. Wenn dies aber nicht zu leugnen war, so hatte sich das Prinzip der Assimilation als trügerisch erwiesen.“ (1996, 439f.) Wiederum, wie im Falle Eislers, warnt Mayer davor, einem Trug zu erliegen. Allerdings geht es Mayer notgedrungen weniger um die Hoffnung auf eine gerechte, soziale Gesellschaft, sondern für ihn stellt sich seit dem „Tag des Widerrufs“ die Frage des Überlebens. An anderer Stelle macht er das nochmals deutlich: „Für Shylock aber lautete, nicht widerlegt durch Bucharin und Trotzki, die Alternative immer wieder: Auschwitz oder Israel.“ (1977, 309)
Die Reinheit des Gedankens zählt nicht mehr, wo es ums Überleben geht. Das macht auch Aron in Schönbergs Oper geltend: „Ein beklagenswertes, ein Volk von Märtyrern wäre es dann.“ Dann besser, in Mayers Worten, ein „Volk, welches überleben wird im Kompromiß“ (1998, 86). Dass der Kompromiss nicht zur Identifikation taugt, sondern selbst eine Gestalt des Rückzugs und der Einsamkeit ist, macht Mayer in der Bezeichnung „verzweifelter Notzionismus“ geltend.

Hannes Gießler

Literatur

Außenseiter, Frankfurt am Main 1977
Der Widerruf. Über Deutsche und Juden, Frankfurt am Main 1996
Reisen nach Jerusalem, Frankfurt am Main 1998
Zeitgenossen, Frankfurt am Main 1999


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last modified: 24.3.2007