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Redebeitrag zur Abu-Jamal Kundgebung
vor dem amerikanischen Konsulat

Dies ist nicht Amerika
Von „amerikanischen Verhältnissen“, die in punkto Gewalt und Kriminalität auch bei uns in absehbarer Zeit einziehen werden, ist in den letzten Jahren oft die Rede gewesen. Zu gerne wird dabei die Konfrontation verschiedener „ethnischer Minderheiten“ oder subkultureller Minoritäten mit deutschen Ordnungsmaßstäben heraufbeschworen, die, ob Nazi-Skinhead, Graffitisprayer, „Türke“ oder Chaos-Tage-Punk nur ein Beleg des tobenden „Bürgerkrieges“ (Enzensberger) seien. Vermeintlich führe ein One-World-Thing, angeführt von der neuen, sich apolitisch(!) gebährdenden Welt-Moralpolizei mit sauguter Medienschulung (Greenpeace nämlich) zur Transformation „amerikanischer Dekadenz“. Dieser Logik folgend, können wir uns also jetzt schon auf die Einführung der Todesstrafe in (meinetwegen) EU-Europa freuen. Doch halt, spätestens an diesem Punkt legen wir Wert auf die Differenz, denen die „hiesigen Verhältnisse“ unterliegen. Die Tatsache, daß meine Vorfahren und auch heutigen Mitmenschen, die sich voller Inbrunst Deutsche nennen, vor mehr als 50 Jahren endlöserisch klarstellten, daß weder sogenannte „Zigeuner“ oder gar die Juden zahlenmäßig heute eine relevante Minderheit darstellen, und uns mit einem „Bürgerkrieg“ überziehen könnten, zwingt mich dazu, an dieser Stelle einmal mehr die Feststellung zu unterstreichen, daß Deutschland denken für alle Ewigkeiten Auschwitz denken bedeuten muß. Wir sollten uns also wohl kaum damit schmücken, daß andere klarstellen mußten, daß in Deutschland nie wieder die Todesstrafe verhängt wird. Das muß an dieser Stelle schon deshalb angemahnt werden, da ein Vertreter vom VdN in Berlin auf der Demo für Mumia forderte, daß die Geschichte die Deuschen dazu zwänge, die Spitze der Solidaritätsbewegung für Abu-Jamal darzustellen. Warum sollen die Deutschen immer die Besten sein, warum? Warum muß alles, verdammt nochmal, unter deutschem Namen passieren? Niemand muß sich mit Kinkel oder Weizsäcker in einer Reihe wähnen, nur weil sie sich gegen die Hinrichtung Mumias ausgesprochen haben. Will man mit denen zusammen gehen, wird man schlicht und ergreifend instrumentalisiert. Siehe Shell-Boykott, siehe Atomtests, siehe Ex-Jugoslawien. Der Erfolg ist doch gerade der, daß man im Falle Mumias Kinkel und Co. zu seinen eigenen Instrumenten gemacht hat. Und das nicht etwa, weil wir das diplomatische Einmaleins perfekt beherrschen, sondern das Handeln unsererseits NICHT damit verbunden wurde zu fordern, die Politiker sollten handeln damit wir wieder unsere Ruhe haben. (Wie eben im Falle Shell-Boykott, Atomtests oder Ex-Jugoslawiens.) Gerechterweise muß aber auch gesagt werden, daß die zynische Realität die effektive Solidarität erst wirkungsvoll macht. Ob wir wollen oder nicht, für jeden von uns findet folgendes Anwendung, wenn es heißt: Der mögliche Tod eines einzelnen Menschen ist eine Tragödie, der Tod mehrerer Menschen eine Katstrophe, der Tod vieler Menschen eine Statistik.

Die US-Verfassung gründet sich auf ein Staatsgebilde, dessen Bürger sich vormals als Angehörige verschiedener Nationalitäten begriffen. Doch es gab in ihr keinen Platz für afro-americans. Seit der Abschaffung der Sklaverei leugnete die US-Geschichtsschreibung die Meriten der schwarzen Minderheit. Die Riots in den Sechziger Jahren, angeführt von der Black Panther-Party, gaben den Ausschlag für Veränderungen in den Rechten der afro-americans. Doch diese, nennen wir es „Einbürgerung“, führte nur formal zur Chancengleichheit. Die Sozialisation und deren damit verbundene Stigmatisierung führte zu einer neuen Qualität der Ethnisierung als Schwarze. Zum einen als Selbstzuschreibung, zum anderen als Abgrenzungsterminus durch die weiße Vorherrschaft. Die gegenwärtige Situation ist aber gekennzeichnet durch das Aufleben von Zuschreibungen verschiedener Rassen und Ethnien.

Mit Sicherheit ist die Aufrechterhaltung der Todesstrafe ein Relikt der weißen Vorherrschaft in einer konstituierten Gesellschaft, die sich anerkennend auf die Pluralität verschiedener Rassen und Ethnien bezieht.

Man muß alle die warnen, die, wie die Leipziger Volkszeitung vom 9.August, von einer „barbarischen Wirklichkeit der amerikanischen Justitz“ sprechen, aber im selben Duktus die bundesdeutsche Judikative für die politischen Prozesse gegen die RAFler in Schutz nehmen. Und somit Haftbedingungen das Wort reden, die, wie Mumia sagt, im Gegensatz zu ihm zwar „ein Licht am Ende des Tunnels“ sehen lassen, jedoch bei der ungebrochenen Vergangenheit der deutschen Justitz nichts anderes als Antiamerikanismus sein können, der nicht die amerikanische Politik ins Visier nimmt, sondern schlimmerweise das amerikanische Gesellschaftsmodell, und da im speziellen versucht zu erklären, wie doch eine „Multikulti-Idee“ scheitern muß.

Die Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA im Jahre 1976 setzte das vom Obersten Gerichtshof 1972 gefällte Urteil außer Kraft, in dem die Todesstrafe für verfassungswidrig erklärt wurde. Die Autoritätsgläubigkeit so gut wie aller verantwortlichen Politiker und Beamten, der unantstbare Status des Obersten Gerichtshofes macht es so gut wie unmöglich, der auf diffusen Patriotismus beruhenden „Volksverbundenheit“ so entgegenzutreten, daß ein politischer und moralischer Druck erzeugt werden kann, der die Todesstrafe abschafft. Abu-Jamal meint: „ Der Oberste Gerichtshof gibt nicht nur Orientierungen. Er gibt die ganze Richtung vor, er setzt die Grenzen dessen, was in der Politik zulässig ist. Wären sie standhaft geblieben, als sie die Todesstrafe für verfassungswidrig erklärten, dann hätte die Aufregung sich gelegt. Jeder Gouverneur, jeder Staatsabgeordnete hätte gesagt: `Bis hierher und nicht weiter.´ Der Gerichtshof hat das Feld den offen politischen Kräften überlassen, die an das gesunde Volksempfinden eines Volkes appelieren, dessen Empfinden ziemlich krank ist.“ Der Spiegel nennt dieses Volksempfinden „populistische Impulse“ und mag damit sogar nicht mal unrecht haben. So zum Beispiel setzt sich der Gouverneur von Pennsylvania, Bridge, selbst unter Druck, als er nach seinem Wahlsieg im Jahr `94 versprach, nach einer Pause von über drei Jahrzehnten wieder die Todesstrafe zu vollstrecken.

Machen wir uns jedoch nichts vor. Würde bei uns ebenjenes „gesunde Volksempfinden“ zur Entscheidungsfindung erhoben, wir ständen vor einem ähnlichen Problem. Nur die Vorzeichen wären eben andere, weil die amerikanische Historie nicht die deutsche ist, wie eingangs dargestellt.


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last modified: 28.3.2007