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Gott und die Leibhaftigkeit

Eine postmarxistische, antiislamische Religionskritik

Karl Marx schrieb vor 150 Jahren, die Kritik der Religion ende mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei. Erst wenn Gott hinterfragt wird und die Menschen sich in den Mittelpunkt stellen, werde sich alles Handeln und Denken daran messen müssen, ob es den Menschen zu Gute kommt. Erst mit der Kritik der Religion begründet sich die Freiheit der Menschen; sind sie nicht mehr einem höheren Prinzip untergeordnet. Mit der Kritik der Religion fangen die Menschen an, ihre individuellen Bedürfnisse ernst zu nehmen – statt diese im Lichte göttlicher Moral zu verleugnen und zu verdrängen. Die individuellen, und damit auch leiblichen, Belange und die Freiheit der Menschen zu würdigen, ist das Resultat der Religionskritik und die Basis aller Humanität.
Die dem Islam entflohene Politikerin Ayaan Hirsi Ali thematisiert die Spannung zwischen Gottgläubigkeit und Humanismus. “Ich glaube, dass der Prophet im Unrecht war, als er sich und seine Ideen über kritisches Denken gestellt hat. Ich glaube, dass der Prophet Mohammed Unrecht hatte, als er die Frauen den Männern unterordnete. Der Prophet war im Unrecht, als er bestimmte, dass Schwule getötet werden müssen. Er war im Unrecht, als er sagte, dass Ehebrecher ausgepeitscht und gesteinigt werden müssen.” Erst wenn Gott in Frage gestellt wird, ist der Mensch so frei, sich und seine Belange zu achten. Die Wahrheit, dass Gott im Unrecht ist, wenn seine Gebote inhuman sind, muss allen Religionen entgegen gehalten werden. Dass Religionen diese Wahrheit nicht wahr haben wollen, ist solange nicht weiter schlimm, wie sie als Privatangelegenheit gelten. Wenn der Islam aber, wie in einigen Ländern Afrikas und Asiens, Staat und Recht bestimmt oder als fanatische Massenbewegung ins Leben anderer Menschen eingreift, ist er Herrschaft und Gewalt, für die man sich nicht mehr privat entscheidet, sondern die einem aufgezwungen werden – beispielsweise werden im Iran, in den von der Hamas kontrollierten Autonomiegebieten, in vielen afghanischen Gegenden, in einigen Teilen Iraks und andernorts eigenständige Gedanken durch islamische Sittenwächter verboten, Frauen innerhalb der Umma unterdrückt, Schwule von staatlichen Polizeikräften erhängt und Ehebrecher vom Mob gesteinigt.

Der Suppen-Kaspar, 26.1k

Der bürgerliche Staat lässt sich gemäß seinem Anspruch kritisieren, die Freiheit und Integrität seiner Bürger gewähren zu wollen. Die Lehre, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, wird im Grundgesetz festgehalten. Wenn die Realität oftmals anders aussieht, kann man sie so wenigstens an den humanistischen Idealen messen. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Demokratien besteht aber der Anspruch der islamischen Staaten, Massenbewegungen und Rackets darin, nicht die Humanität, sondern die religiösen Gebote bis in den letzten Winkel der Gesellschaft durchzusetzen. Das höchste Wesen für die Menschen soll Gott samt seiner menschenfeindlichen Gesetze sein – am deutlichsten findet das in der Opferbereitschaft der fanatischsten Anhänger Ausdruck. Die Selbstmordattentäter werfen alles, was sie haben, weg: ihr diesseitiges Leben. Der leibhaftig existierende Mensch ist nicht Maß der Dinge, sondern Mittel, um sich und andere zu vernichten. Auch in den Empörungen gegen die Karikaturen Mohameds wird das deutlich. Die Proteste haben sich nicht entzündet, weil Menschen in Guantanamo Bay unter fatalen Bedingungen in Haft sind, sondern weil der Prophet dargestellt wurde. Sie haben sich nicht angesichts von Hunger und Armut ereignet, sondern weil eine religiöse, d.h. nicht leibhaftig anwesende Figur verhohnepiepelt wurde. Sie haben sich eben nicht gegen antihumane Gewalten gerichtet, wie sie in den islamischen Gesellschaften zuhauf existieren, sondern mit diesen paktiert. Eine entscheidende Frage stellte Baha Al-Musawi angesichts der Karikaturen-Proteste: “Warum sind wir ... nicht so wütend ... wegen dieser islamischen Gruppierungen, die Frauen abschlachten und foltern und sich in vielen Ländern der Welt inmitten von Unschuldigen in die Luft sprengen?”
Doch wie kam es, dass der Religionskritiker Marx selbst zum Urvater einer sozialistischen Entwicklung wurde, unter der Hunderte Millionen zu leiden hatten und in der die individuellen Belange und die Freiheit der Menschen wenig zählten? Nicht die Menschen waren im real existierenden Sozialismus Maß der Dinge, sondern der objektive historische Prozess, der – dialektisch – von der Urgesellschaft in den Kommunismus führen sollte. Dieser Gesetzmäßigkeit der Geschichte hätten sich die Bürger mit samt ihren Bedürfnissen zu unterwerfen, hieß es in der Sowjetunion, der DDR, Kuba und vielen anderen Staaten. Die Kritik der Religion hatte vom Regen in die Traufe geführt. War einst Gott das übergeordnete Prinzip, dem die Menschen verpflichtet waren, so sollten sie ihre Bedürfnisse und ihre Freiheit nun zu Gunsten des objektiven Geschichtsverlaufs aufgeben. An Stelle der einen trat die andere Heilsgeschichte. Die paradiesische Gesellschaft, d.h. der Kommunismus, war keine Frage der Hoffnung, die Menschen hegen oder nicht, kein Zustand, dem sie zustreben oder nicht, sondern galt als gesetzmäßiges Resultat eines Prozesses, dem sie zu dienen hätten. Dass an die Stelle der Hoffnung die Objektivität eines Prozesses gesetzt wurde, ist das Resultat einer pseudokonsequenten Religionskritik. Denn an die Stelle des Paradiesglaubens setzte Marx einen scheinbar wissenschaftlichen Nachweis: auf den Kapitalismus würde gemäß der Dialektik der Geschichte mit Notwendigkeit das Paradies auf Erden, der Kommunismus folgen: “die kapitalistische Produktionsweise erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation [...], die Verwandlung des [...] kapitalistischen Eigentums in gesellschaftliches.” Wegen solcher Aussagen nannte Friedrich Engels Marx den Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus. Diese wissenschaftliche Einsicht in den Gang der Geschichte triumphierte gegen jedes kritische Raisonnement der Bürger in den realexistierenden sozialistischen Staaten. Im Namen des Ziels und des dahin treibenden Geschichtsverlaufs wurde in den sozialistischen Staaten Herrschaft ausgeübt. Das einzelne Individuum hatte sich dem neuen kommunistischen Gott, dessen Stellvertreter auf Erden die Partei war, zu unterwerfen. Wieder war an die Stelle der Freiheit ein Prinzip und an die Stelle des Respekts gegenüber den Belangen des Individuums die Herrschaft über es getreten. Ihre Radikalität hatte sich als Augenwischerei erwiesen, die Religionskritik war im entscheidenden Moment pseudoradikal gewesen. Solcherart inthronisierte sie einen neuen und verpuppten Gott – im Widerspruch zu ihrer ursprünglichen Lehre, der zufolge der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei.
Das Hoffen auf einen paradiesischen Zustand hätte eine Kritik der Religion nicht zu Gunsten eines wissenschaftlichen Nachweises des Kommunismus tilgen dürfen – gerade um den Bedürfnissen der Menschen und deren Freiheit die Treue zu halten. Die Möglichkeit der Transzendenz wird von diesem Hoffen bewahrt, welches seinem religiösen Ursprung in der Abwendung von Gott und der Zuwendung zum leibhaftigen Menschen entflieht. Als Hoffen auf Transzendenz ist es unverzichtbar, damit sich die Bedürftigen nicht mit dem, was im Bestehenden möglich ist, abspeisen lassen und darauf beharren, dass jenseits des Vorstellbaren eine Einrichtung der Welt möglich ist, in der die Leiden ein Ende haben. Zum zweiten koinzidiert dieses Hoffen mit dem Bilderverbot, d.h. an Stelle der wissenschaftlichen Garantie, der paradiesische Zustand stünde bevor, tritt das Nichtwissen über ihn. Wir haben nichts in der Hand, betonte Theodor W. Adorno. Die Wahrheit des Bilderverbots, das von der Religion überliefert wurde und die Nichtdarstellbarkeit Gottes beinhaltet, besteht für eine Kritik der Gesellschaft darin, die Utopie nicht auszumalen, in welcher die Menschen von Mangel und Leid befreit sind. Im jetzigen Bestehenden kann niemand über das Bild der Utopie verfügen, weil der Zustand der Freiheit kein vorentschiedener sein kann und das zu überwindende Bestehende seine Schatten in jegliche utopische Konzeption wirft. Das Bilderverbot ist der Möglichkeit der freien Entfaltung der Menschen verpflichtet, während die ausgemalte Utopie oder die Frage: Wie soll den eine Gesellschaft eures Erachtens aussehen? eine fertige, also unfreie Gesellschaft einfordern. Auch das Weltbild, demnach die jetzigen bürgerlichen Demokratien das Menschenmögliche an verwirklichter Freiheit darstellen, die Heilsgeschichten diverser Religionen, die den Menschen ihren festen Platz zuordnen, und die wissenschaftlich verklausulierte Heilsgeschichte des Marxismus, welche nicht das Hier und Jetzt, aber den Gang der Geschichte durch dieses hindurch bestätigt, stellen die Menschen in einen fertigen, also nicht offenen Zusammenhang. Diesem opponiert das Bilderverbot als Statthalter einer offenen Gesellschaft, soweit es nicht blinden Gehorsam – vertraue und folge uns, es wird schon! – erheischen will.
Der Islam steht den humanistischen Aspekten des Bilderverbots völlig entgegen. Er verkündet ein göttliches Regelwerk, die Sharia, für das Hier und Jetzt. Er glaubt also, das Reich Gottes antizipieren zu können – mit einem Regelwerk, das nicht der Freiheit der Menschen entsprungen, sondern dieser zuwider ist. Im Großen und Ganzen bekämpft der Islam in seiner heutigen Gestalt die Freiheit und die individuellen Belange der Menschen. Sexualität und überhaupt Genuss werden verteufelt – einer der Gründe für die Verschleierung von Frauen in den islamischen Gesellschaften. Vielleicht ist dieser Hass auf alles Körperliche auch das tatsächliche Motiv für das neuerdings akzentuierte islamische Bilderverbot. Vielleicht entzündete sich die islamistische Wut letztlich nicht an der Darstellung des Propheten, sondern an der Verschmutzung des göttlichen Prinzips – einer Verschmutzung dergestalt, dass es körperlich vorgeführt worden war und somit wider seinem Sinn an die leibhaftigen Begierden erinnert hatte, welche – Himmel Herr Gott noch mal! – des Teufels sind.
Der Hass auf den Leib und die Verfallenheit ans nichtkörperliche Prinzip Gott zeigen sich ganz deutlich in dem von einer iranischen Zeitung ausgerufenen Wettbewerb, den Holocaust in Karikaturen darzustellen. Diese Zeitung will das als Retourkutsche gegen die Mohammed-Karikaturen verstanden wissen. Ihr Respekt gegenüber Gott ist dermaßen, dass mit ihm eine absolute Respektlosigkeit gegen Menschen einhergeht. Um ihren Gott zu rächen, wird das Quälen und Töten leibhaftiger Menschen karikiert, d.h. ins Lächerliche gezogen. Um den Respekt gegenüber leibhaftigen Menschen zu lehren, hilft langfristig nur, Gott ins Lächerliche zu ziehen.

Hannes Gießler


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last modified: 28.3.2007