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Das Ende des Taumelns(1)


Offensichtlich brennt die Frage „Was ist antideutsch?“ allerorten unter den Fingernägeln. An Antworten konnte man in den letzten Wochen von einem besonders viel hören und lesen: Manfred Dahlmann. Erst gab es zwei Artikel in der Bahamas von denen wohl vor allem der Begriff der „Gegenidentifikation“ hängengeblieben und ins griffbereite Vokabular eingegangen ist.(2) Es folgte ein inhaltlich ähnlich gelagerter Vortrag auf der Antideutschen Konferenz in Berlin und vor kurzem hat man auch in der Jungle World das Thema erst auf die Titelseite und dann in die Disko-Rubrik gehoben.(3) „Versöhnung ist mitten im Streit“, sagt Hölderlin, „und alles Getrennte findet sich wieder.“(4) Ob im Streitgespräch(5) zwischen Justus Wertmüller, Jürgen Elsässer und Dagmar Liebers die von Manfred Dahlmann im ersten Teil seiner in der Bahamas Artikelserie angegebene und erkenntnistheoretisch unterfütterte Strategie, den Gesprächspartner „in die Krise zu stürzen“, zum Erfolg geführt hat, soll an dieser Stelle dahin gestellt bleiben, ebenso wie die trotz alledem dringliche Auseinandersetzung mit den Details seiner Ausführungen, die an anderer Stelle geführt werden soll.
Wer die Bahamas aus Ressentiment oder Desinteresse meidet oder wem die von Dahlmann auf hohem Abstraktionsniveau geführte Argumentation zu tief ging, der bekam in der Jungle World eine abgespeckte Version geliefert. Im Gegensatz zu den Bahamas-Texten ist „Antideutsche wissen es besser“(6) ein formalistischer Qualitätenkatalog zum Abhaken, der so gar nicht zu der von Dahlmann sonst überzeugend demonstrierten Prämisse passt, dass niemand dort abzuholen sei, wo er oder sie steht, was eben auch heißt, dass Gesellschaftskritik sich nicht ohne Schaden zu leichtverdaulichen Slogans herunterdestillieren lässt. Da gerinnen Aussagesätze zu Imperativen, zwischen den Zeilen wimmelt es nur so von Ausrufezeichen und es entsteht der Eindruck, dass, wer solcherart Manifeste schreibt, scheinbar doch auf den Anschluss an eine Bewegung hofft, der er mal schnell eine holzschnittartige Beschreibung des (männlichen) Antideutschen im 21. Jahrhundert an die Hand geben möchte.
Nun ist es banal, dass nicht immer der ganze philosophische Unter- und Überbau mitgeliefert werden kann und vielleicht ist ja auch so, dass der Duktus des Textes der Angst vorm Abrutschens in einen bestimmten Jargon entsprungen ist. Allen Ausführungen und besonders den zwei Texten in der Bahamas ist ja gemeinsam, dass sie es unternehmen, eine sich ernstnehmende Ideologiekritik und die Pragmatik (und Rhetorik) der politischen Praxis irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Dass man sich angesichts der reaktionären Friedensbewegung zu Beginn des Irak-Krieges entschloss, für die USA und ihre Intervention Partei zu ergreifen, durfte um Himmels willen nicht der politischen Intuition und den Einsichten in die Qualität des Gegners geschuldet sein, sondern wurde zum notwendigen Vorgehen
Schaufensterpuppe, 3.5k

Schaufensterpuppe, 3.4k
antideutscher Ideologie- und Erkenntniskritik erklärt und damit auch für die Zukunft als Marschrichtung ausgegeben – alles in allem mündend im Begriff der „Gegenidentifikation“. Die Grundannahme ist: Jeder Schritt der politischen und theoretischen Praxis muss mit Notwendigkeit, Bestimmtheit – eben festen Schrittes – getan werden und kein Stolpern oder Taumeln, kein dialektisches Herumlavieren darf mehr sein.
Im nun in der Jungle World erschienenen Text wird diese festere Gangart, in Abgrenzung zum „dialektischen Taumeln“, wie es Jean Améry durchaus auch wohlwollend einmal umschrieb(7), fast vollends zum Stechschritt der Einwandfreien und denen, das wusste schon Adorno, passiert ja tatsächlich nichts.(8) Um nur einen Punkt herauszugreifen: Es bleibt mir unerklärlich, was es heißt, die „Gegenidentifikation“ oder in abgeschwächter Jungle World-Version, die „Parteinahme“ unter Einsatz der „ganzen Person“ zu vollziehen. Nicht nur, dass man es sonst allerorten zu recht kritisiert, wenn irgendwo das Subjekt als Ganzes aufgefordert wird, sich in irgendeine Sache zu werfen (wie es in ähnlicher Weise übrigens auch schon Helmuth Plessner in Grenzen der Gemeinschaft getan hat). Es widerspricht auch der Vorstellung von kritischer Vernunft als einer Art freigeschaufeltem oder zurückgehaltenem Raum des Bewusstseins, der die Distanz zur, auch im Kritiker vorherrschenden, instrumentellen Vernunft überhaupt erst einmal möglich macht. Diese oft mühsam geschaffene und niemals endgültige Trennung wird notwendig aufgehoben, will man sich zum Zwecke der „Gegenidentifikation“ als Ganzes wieder mit dem Ganzen gleichsetzen. In einem taktischen oder strategischen Verhältnis bliebe sie jedoch erhalten; aber genau das weist Dahlmann an jeder Stelle entschieden zurück. Im Stakkato-Duktus des Jungle World-Textes ist dann auch nicht einmal mehr Platz für all die Einschränkungen und das Zurückrudern der anderen Beiträge (die man, selbst wenn die Rede dem „Konsensprinzip“ entstammt, auch als Differenziertheit verstehen kann).
Wenn also am Ende ein Text in Inhalt und Form so daherkommt, wie er es eben in „Antideutsche wissen es besser“ tut, dann legt das die Vermutung nah, dass hier (bzw. in den vorhergehenden Texten) etwas zusammengezwungen wurde, was einfach nicht zusammen geht. Oder, um auf die Metapher der „Gangart“ zurückzukommen: Ein Stechschritt muss nicht umsonst erzwungen werden, denn schließlich fällt niemandem ein, freiwillig sein Knie nicht mehr zu benutzen und die Beine 90deg. in die Höhe zu werfen. Dieses „Erzwungene“ gibt dem Stechschritt seinen steifen, ungelenken, ja fast komischen Charakter. In gewisser Weise spiegelt Dahlmanns Text eben das wider und vielleicht geschieht es deswegen nur recht, wenn man sich in der Folgeausgabe der Jungle World von Spezialisten wie Tobias Rapp die „nicht gezogenen Konsequenzen“ der antideutschen Politik vorrechnen lassen musste.(9) Na vielen Dank!
Walther Schrotfels

Anmerkungen

(1) Dieser Essay stellt den Anfang einer, hier natürlich nur angedeuteten, Auseinandersetzung mit den erwähnten Texten Manfred Dahlmanns dar. In einer umfassenden Analyse käme dem in der Jungle World Nr.48/2005 veröffentlichten Beitrag „Antideutsche wissen es besser“ dann „lediglich“ die Rolle zu, dass er Probleme offenbart, die in den ausführlicheren Texten in der Bahamas angelegt sind und dort benannt werden müssen.
(2) Manfred Dahlmann: „Auf die Frage: Was ist antideutsch?“. In: Bahamas Nr.47/48.
(3) Vgl. Jungle World Nr.46/2005. Manfred Dahlmanns Beitrag „Antideutsche wissen es besser“ erschien in der Jungle World 48/2005.
(4) Zit. Nach: Oskar Negt: Achtundsechzig – Politische Intellektuelle und die Macht. Göttingen 1998. S.371.
(5) Vgl.: „Ausgedeutscht. Ein Gespräch über Vergangenheit und Gegenwart der antideutschen Bewegung“ In: Jungle World Nr.46/2005.
(6) Zur Verteidigung Manfred Dahlmanns muss hier allerdings gesagt werden, dass der Duktus des Textes durch die von der Jungle World vorgenommenen Absätze, die Überschrift und einige Auslassungen noch verstärkt wird. Auf der Website der ISF findet sich eine „unverhunzte Version“: http://www.isf-freiburg.org/isf/beitraege/dahlmann-antideutsch.html
(7) Vgl.: Jean Améry: „Hegel – Befreier oder Oppressor?“. In: Ders.: Widersprüche. Stuttgart 1980. S.43.
(8) Vgl.: Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Frankfurt a.M. 1967. S.45.
(9) Vgl.: Tobias Rapp: „Angst vor der Konsequenz“. In: Jungle World Nr.49/2005.

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last modified: 28.3.2007