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Andreas Dorau, 39.0k

Flucht aus der Realität

Andreas Dorau, Mapache

      „Doch, es stimmt schon, die Kulturpessimisten haben ja recht: Pop ist eine Flucht aus der Realität. Die Antithese zu Hartz IV gewissermaßen. Und im Prinzip bleiben uns bloß zwei Richtungen, in die das Weglaufen lohnt: Entweder dorthin, wo die wilden Kerle wohnen, mit all ihren primitiven, rebellischen Exzessen. Oder ins Reich der Schönheit und Wahrheit, um sich emphatisch an eine Welt zu verschwenden, die das hoffentlich auch zu schätzen weiß. Wenn sich diese unterschiedlichen Wege einmal kreuzen, was sehr selten ist und ein großes Glück bedeutet, dann spricht man gerne mal von Großem Pop – dem Königsweg, der perfekten Balance.“ (Jürgen Ziemer – Aus der Biografie von Andreas Dorau)
Wer ist eigentlich Andreas Dorau, fragte mich neulich wieder jemand. Ich überlegte kurz und dann fiel mir der unumgängliche Identitätspunkt ein: ich fing an, die Melodie von „Fred dem Jupiter“ nachzusummen, und schon wusste mein Gegenüber, wer gemeint ist. „Fred vom Jupiter“, das war 1981, das war der Beginn der neuen deutschen Welle. Ein analoger Sequenzer-Beat, fröhlich zwitschernde Billig-Elektronik und die gutgelaunte Unschuld der Marinas, fünf singende Schulmädchen im Alter zwischen 12 und 14. Das Lied erzählt die niedliche Geschichte eines Außerirdischen, der auf der Erde notlandet, weil sein Raumschiff keinen Sprit mehr hat. Die simple Schönheit dieses Songs wurde oft verkannt, weil er nicht nur in den coolen Neon-Bars und abgewrackten Punker-Höhlen lief, sondern auch in den Charts und im Radio. Es war also der Beginn einer Reise, die durch das Tal und über den Berg führen sollte. Nach der anfänglichen Independent-Euphorie kam die dauergrinsende Fröhlickeit der neuen deutschen Welle und ergoss sich über Labels wie What’s So Funny About und Atatak. Andreas Dorau machte weiter Musik mit den Marinas und das Album „Die Doraus und Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen“ wurde durch Fehler des damaligen Engineers an Sony lizensiert.
Und wenn man denkt, dass es eigentlich nicht mehr weiter gehen kann, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. So auch im Leben von Herrn Dorau. Er bekam das Angebot, in einer Fernsehsendung der dritten Programme vier Stücke zu spielen und hatte dabei komplette künstlerische Freiheit. Er ging zu seinem ehemaligen Gitarrenlehrer Holger Hiller, dem Sänger von Palais Schaumburg und Studenten der Improvisierten Musik. Die beiden beschlossen, eine surreale Oper zu schreiben. Aus Textfragmenten bastelten die beiden ein Libretto, das sie von Putzfrauen und Gemüsehändlern singen ließen. Jeder Charakter hatte sein Instrument – wie bei „Peter und der Wolf“ – die komplette Oper spielte in einer Küche. Die Kamerafrauen haben dann zwei Tage lang die Arbeit verweigert, so einen Quatsch würden sie nicht mitmachen. Doch letztlich mussten sie.
Danach hatte Dorau vom Zusammenarbeiten mit einer Band genug und es zog ihn nach München. Dies schien in gewisser Hinsicht der Ort der Umwälzungen zu sein. House und Techno regierten die Clubs und niemand brauchte nun mehr eine Band, um Musik zu machen. Die Richtung seiner Reise war damit klar. Die anonyme, instrumentale Clubmusik zwischen gebrochenen Beats und Techno wurde für Dorau zur Matrix seines Songwritings. Die ganze Sache entwickelte sich dann bis zum Hit „Girls in Love“ (1997). Eigentlich lief alles gut für Andreas, jedoch war er unzufrieden mit sich. Die Clubstücke und Songs drifteten immer weiter auseinander – der laute Dorau will Party machen und rocken, der sensible Andreas legt weiterhin Wert auf große Gefühle und subtile Arrangements. Der große Erfolg von „Girls In Love“ in Frankreich bringt die beiden widersprüchlichen Naturen zumindest vorübergehend wieder zusammen: „Girls In Love“ wurde von Ladomat an ein belgisches Techno-Label lizenziert, kurz danach entwickelt sich Wolfgang Voigts Grungerman-Remix zu einem massiven Hit. Trotz dieses Triumphs war Dorau lange Zeit unzufrieden mit dem Musikgeschäft. Es gibt Maxis, Remixe, Gastauftritte – doch auf ein neues Großwerk warten die Fans vergeblich. Nun ist es endlich soweit. „Ich bin der eine von uns beiden“, das neue Werk des „Brain Wilson der Song-Elektronik“ erscheint. Und das ausgerechnet bei Mute – dem Label, das 1984 „Fred Vom Jupiter“ weltweit veröffentlichte.
Das neue Werk enthält 12 Songs, welche sich um 40 Frauen mit langen schwarzen Haaren, den Monat September oder den Beweis für das Nichtbefreundetsein drehen. Auf keinen Fall gibt es ein Liebeslied – und so heißt die aktuelle Singleauskopplung „Kein Liebeslied“. Darin stellt Andreas Dorau fest, dass erstens schon genug Liebeslieder geschrieben wurden und dass es zweitens auch noch andere Themen im Leben gibt. Z.B. die Arbeitslosigkeit. Wenn Pop also die Flucht aus der Realität ist, dann ist Arbeitslosigkeit ein schöner Traum oder Andreas Dorau der neue Popdialektiker.
Aber egal, wie sehr dialektisch Andreas Dorau bewandert ist, große Musik und einen großen Songwriter gibt es am 28.09.2005 im Conne Island zu sehen und zu hören.

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last modified: 28.3.2007