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Nutztiere und Heuschrecken

Über deutschen Antikapitalismus

      Du wirst viel Samen auf das Feld säen, aber wenig einsammeln; denn die Heuschrecken werden’s abfressen.“ (5. Mose, 28, 38)

      Da wendete der HERR den Wind, so dass er sehr stark aus Westen kam; der hob die Heuschrecken auf und warf sie ins Schilfmeer, dass nicht eine übrig blieb in ganz Ägypten.“ (2. Mose, 2,19)
„...die Heuschrecken werden’s abfressen...“ – Kapitalerneuerung

Sogenannte Private-Equity-Gesellschaften erkaufen sich die Kontrolle über Unternehmen (mittels Aktien oder Krediten), um diese zu sanieren und dann weiterzuverkaufen. Die Rendite betrug in den letzten Jahren durchschnittlich 25 Prozent. Es handelt sich bei den Unternehmen um welche, die wegen ihrer wirtschaftlichen Situation billig zu erwerben sind und nach erfolgreicher Sanierung gewinnbringend verkauft werden können. Die Sanierung verläuft radikal. Zumeist werden viele Arbeitskräfte entlassen und unrentable Produktionsbereiche samt eventuell veralteter und unbrauchbarer Produktionsmittel verhökert. Die Sanierungen seien keine Wohlfahrtveranstaltungen, wie ein Chef einer Privat-Equity-Gesellschaft zu Protokoll gibt, sondern knallharte Kuren, in denen die gekauften Unternehmen auf Wachstum und Gewinn getrimmt werden. Die Privat-Equity-Gesellschaften haben über die Sanierung hinaus, die meist wenige Jahre beansprucht, und den renditeträchtigen Verkauf kein weiteres Interesse an den betroffenen Unternehmen – warum auch. Derzeit verfügen sie in Deutschland über 5 000 Unternehmen mit etwa 400 000 Arbeitskräften. Gegen Vorwürfe, sie würden Arbeitsplätze und Unternehmensteile vernichten, wehren sich die Private-Equity-Gesellschaften mit dem Hinweis, durch ihre Sanierungsaktivitäten würden Unternehmen
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wettbewerbsfähig und Arbeitsplätze erhalten, die sonst mit dem Unternehmen baden gegangen wären. Auch würden die Unternehmen schneller wieder fitt als durch die langwierigen deutschen Insolvenzverfahren.
Fakt ist, dass die Privat-Equity-Gesellschaften einen Vorgang übernehmen, der an sich nichts neues ist. Denn, so Karl Marx, jedes „Kapital erreicht mit der Zeit den Moment seiner Erneuerung an Haupt und Gliedern“.(1) Da bestimmte Produktionsmittel und ganze Produktionsbereiche „moralisch“ (Marx) verschleißen, d.h. durch die Produktivkraftentwicklung überholt und daher relativ uneffektiv werden(2), und das langsamste Glied innerhalb des Produktionsprozesses eines Unternehmens das Gesamttempo bestimmt(3), muss das konstante Kapital samt seinem mehrwertträchtigen Anhängsel, dem variablen Kapital, auf den neuesten Stand gebracht werden. Schließlich ist ein Unternehmen nicht die Heilsarmee und muss sich innerhalb der Konkurrenz behaupten: „Was [...] als individuelle Manie erscheint“ – die sogenannte Gier –, „ist beim Kapitalisten Wirkung des gesellschaftlichen Mechanismus, worin er nur ein Triebrad ist. [...] [D]ie Konkurrenz herrscht jedem individuellen Kapitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise als äußere Zwangsgesetze auf. Sie zwingt ihn, sein Kapital fortwährend auszudehnen, um es zu erhalten, und ausdehnen kann er es nur vermittelst progressiver Akkumulation.“(4) Will ein Unternehmen innerhalb der Konkurrenz nicht übervorteilt werden und dadurch untergehen, so muss es die Kosten für das eingesetzte Kapital, einschließlich der Arbeitskräfte, möglichst gering halten und das eingesetzte Kapital auf dem neuesten Stand der Produktivkräfte halten. Das bedeutet für die Arbeitskräfte, möglichst schnell und effektiv zu arbeiten, und das bedeutet die ständige Erneuerung der Produktionsmittel gemäß der technischen Standards. Und letztlich bedeutet das oftmals auch die Aufgabe bestimmter uneffektiver Produktionsmittel oder gar Produktionsbereiche und die Entlassung von Arbeitskräften. Unterliegt ein Unternehmen in der Konkurrenz, dann wird es von einem Siegerunternehmen übernommen oder geht ein. Wenn es übernommen wird, dann unternimmt das Siegerunternehmen die Sanierung: „Die Konkurrenz [...] endet stets mit Untergang vieler kleinerer Kapitalisten, deren Kapitale teils in die Hand des Siegers übergehn, teils untergehn.“(5) Dass der ständige Akkumulationsdruck der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht im Sinne der Menschen ist, weil er sich über sie hinwegsetzt, sie zu Arbeitstieren degradiert(6), die Akkumulation von Elend(7) inhäriert und den Planeten langfristig zerstören wird, und daher abgeschafft gehört, versteht sich von selbst. Falsch und gefährlich hingegen ist es, beispielsweise Privat-Equity-Gesellschaften statt der Produktionsverhältnisse verantwortlich zu machen. Denn sie haben innerhalb einer arbeitsteiligen Gesellschaft einen „Job“ übernommen, der in den kapitalistischen Produktionsverhältnisse quasi natürlich ist. Die „Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist“(8) geschieht heute vermittelt durch sie, indem sie das übervorteilte Unternehmen recyceln und an ein potentes Unternehmen weiterverkaufen. Früher hätte letzteres sich um das Recycling selbst kümmern müssen. Anstößig an Privat-Equity-Gesellschaften erscheint ihre Stellung im Reproduktionsprozess des Kapitals. Sie zeigen sich nur für das Recycling zuständig, das als Zerstörung wahrgenommen wird, und scheinen somit nicht produktiv, sondern nur zerstörend tätig zu sein. Und dann erzielen sie auch noch – richtige Deutsche finden das schlimm – sehr hohe Renditen. Dass sie einen logischen Part im kapitalistischen Produktionsprozess ausfüllen, wird nicht wahrgenommen – schon gar nicht von deutschen Ideologen.

„...die Heuschrecken werden’s abfressen.“ – deutsche Produktionskrise

Hätte es doch solche Gesellschaften zu Zeiten der Weltwirtschaftkrise gegeben. Und hätten sie sich doch über die deutsche Schwerindustrie hergemacht. Sie hätten den NS vereiteln können.
Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte besonders die deutsche Schwerindustrie eine immense Konjunktur. Die deutsche Schwerindustrie war größtenteils zuständig, das Volumen an Reparationsforderungen durch das Ausland in Form von Sachleistungen zu bewerkstelligen, hinzu kamen eine Investitions- und Baukonjunktur als Ergebnis der Zerstörung im Ersten Weltkrieg und eine weltweite Rationalisierungswelle, die eine große Nachfrage nach Produkten der Schwerindustrie bewirkte. All diese Faktoren verschwanden Ende der zwanziger Jahre so schnell, wie sie hinzugetreten waren. Der Auftragsbestand sank plötzlich auf 20 Prozent der Produktionskapazität. Die Anlagen der deutschen Schwerindustrie wurden extrem unrentabel. Schließlich verschlangen sie weiterhin Wartungskosten und waren darauf ausgelegt, ihre Kosten durch den Verkauf der durch sie produzierten Waren erst über einen längeren Zeitraum zu kompensieren. Sie waren demnach noch nicht abbezahlt, produzierten aber gleichzeitig nicht mehr das Warenvolumen, um die laufenden Kosten abzustottern. Sie waren dem Untergang geweiht. Doch statt sich von anderen Kapitalisten expropriieren zu lassen oder unterzugehen, setzte ein großer Teil der Schwerindustrie auf die Nationalsozialisten und finanzierten deren Aufstieg (Wahlkampf etc.). Die Nationalsozialisten versprachen der deutschen Industrie zum einen eine immense Staatsnachfrage nach Rüstungsgütern, die die Schwerindustrie herzustellen habe, und zum anderen die Aufwertung der deutschen Schwerindustrie mittels der Umsetzung eines so gigantischen wie wahnsinnigen Autarkieplanes. Die freie und internationale Konkurrenz, unter der die deutsche Schwerindustrie litt, sollte de facto durch eine Planwirtschaft im Sinne Deutschlands ersetzt werden. Wie an anderer Stelle ausgeführt wurde(9), lag zum einen diesem Autarkieplan der gleiche Wahn zu Grunde, der im eliminatorischen Antisemitismus zu sich fand, zum zweiten legte er die Grundlage zur nationalsozialistischen Konjunktur, die notwendig einen Raubzug aus sich entfalten sollte. Hingegen schloss zur gleichen Zeit der New-Deal in den USA ein, dass der Staat den Ab- und Umbau von wettbewerbsunfähigen Produktionsstätten zu kreditieren hat(10), statt in deutscher Manier Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu finanzieren und Autarkiepläne zu entwerfen und umzusetzen.
Angesichts dieser geschichtlichen Tatsache bleibt nur zu hoffen, dass Privat-Equity-Firmen sich perspektivisch über alle deutschen Industrien, die unrentabel produzieren, hermachen, sie ausschlachten und an Siegerunternehmen weiterverkaufen. Es bleibt also zu hoffen, dass das Geplapper von deutschen Ideologen über das „fluchwürdige Rentabilitätsprinzip“ und die „plan- und sinnlose Wirtschaft“ (Werner Sombart) diesmal heiße Luft bleibt und nicht zum Sturm wird.

„Da wendete der Herr den Wind...“ – Deutsche Eigentlichkeit

Der SPD-Chef Müntefering hat Private-Equity-Gesellschaften als „asozial“ und als „Heuschrecken“ beschimpft, die ihre demokratische und patriotische Verantwortung nicht wahr nehmen würden. Und um nicht der Tatenlosigkeit nach großen Tönen gescholten zu werden, hat er durch seine Partei eine Liste erstellen lassen, auf der konkrete Namen von „Heuschrecken“ aufgeführt sind. Müntefering erhält nicht nur aus den eigenen, sondern teilweise auch aus den Reihen der CDU Rückendeckung, etwa von Norbert Blüm (seine Meinung zur Praxis der „Heuschrecken“: „Das ist pervers.“) und Gerald Weiß („Wenn Gier grenzenlos ist und die Rendite zum Goldenen Kalb wird, dann muss das angeprangert werden.“). Der Partei-Genosse Münteferings und stellvertretende SPD-Vorsitzende Ludwig Stiegler präzisiert die Rhetorik seines Vorsitzenden: „Da gibt es welche, das sind Nutztiere, und es gibt auch welche, die sind Heuschrecken.“ Nutztiere seien laut Münteferings Grundsatzrede auf dem dritten Programmforum der SPD diejenigen, die sich „für den Standort mitverantwortlich fühlen“, statt „Markwirtschaft pur“ zu zelebrieren. Weiter heißt es, dass die Menschen von einigen Unternehmen als reine Funktionen behandelt werden. Der deutsche Arbeitnehmerpräsident Dieter Hundt lässt diese Schelte nicht gelten und meint im Namen deutscher Unternehmer: „Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt aller Bemühungen.“
Ob Müntefering, Stiegler, Blüm, Weiß oder Hundt. Sie alle reden mehr oder weniger gefährlichen Unsinn. Wer sich Unternehmen als mögliche „Nutztiere“ halluziniert und welche, die dies nicht sind, als asozial und antipatriotisch beschimpft oder als Unternehmer behauptet, der Mensch stehe im Mittelpunkt aller unternehmerischen Bemühungen, macht sich was vor. Haben wir es mit deutscher Ideologie zu tun? Karl Marx denunziert diese: „Der deutsche Bürger [...] verkleidet sich ganz idealistisch den geistlosen Materialismus, und dann erst wagt er, nach ihm zu haschen. [...] Er scheut sich, von Konkurrenz zu sprechen, und spricht von einer nationalen Konföderation der nationalen Produktivkräfte, er scheut sich, von seinem Privatinteresse zu sprechen, und spricht von Nationalinteressen.“ Der deutsche Bürger will der „deutschen Publici und seinem eigenen Gewissen“ beweisen, „daß er nicht den ungeistigen, materiellen Gütern nachjagt [...]. Der deutsche Bürger ist viel zu uneigennützig, um dabei an seinen Privatvorteil zu denken [...] Er bläht sich nach außen hin zur ‚Nation’ auf und sagt: ich unterwerfe mich nicht den Gesetzen der Konkurrenz, das ist gegen meine nationale Würde, ich bin als Nation ein über den Schacher erhabnes Wesen.“(11)
Der Staat übernimmt in den kapitalistischen Produktionsverhältnissen die Aufgabe, deren Rahmenbedingungen zu setzen und die Partikularinteressen seiner Bürger so aufeinander zu beziehen und miteinander zu vermitteln, dass möglichst viele Bürger halbwegs zufrieden sind und das Gemeinwesen nicht gefährden. Deutsche Ideologie hingegen pflegt das Irrtum, das Gemeininteresse sei kein Ergebnis der Vermittlung der Partikularinteressen, sondern werde durch diese nivelliert. Der Staat wird demzufolge nicht als Vermittler der Partikularinteressen, sondern als Bewahrer des Gemeininteresses angesichts diesem feindlicher Partikularinteressen verstanden. Das Gemeininteresse wird in der deutschen Ideologie als wahlweise deutsches, europäisches oder menschliches zu Grunde gelegt, von dem die Partikularinteressen entfremdet seien(12). Angesichts kapitalistischer Produktionsverhältnisse, in denen es nun mal um die Akkumulation von Kapital geht – vermittelt durch die Konkurrenz –, führt das Irrtum eines angeblichen substantiellen Gemeininteresses in den Kollektivwahn, der den Ausfall von Reflexion auf den tatsächlichen Zweck der kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch Projektion kompensiert: „Weil seine eigene Theorie geheime Zwecke verbirgt, ahnt er [der deutsche Bürger] überall geheime Zwecke. [...] [D]er deutsche Bürger [weiß] seinem Feinde nicht besser entgegenzutreten [...], als indem er ihm einen moralischen Makel anheftet, seine Gesinnung verdächtigt, nach schlechten Motiven für seine Handlung sucht, kurz, indem er ihn in üble Nachrede bringt und persönlich verdächtigt [...].“ Seinen vermeintlichen Feinden Habgier und Asozialität zu unterstellen, statt die Asozialität der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu kritisieren, die sich durch jedes Partikularinteresse zur Geltung bringen, bedeutet in der Konsequenz, diesen falschen Produktionsverhältnissen eine politische Gewalt hinzuzusetzen, welche darin besteht, die vermeintlichen Feinde und das Partikularinteresse überhaupt zu bekämpfen. Da die unerkannten Ursachen der Projektion fortbestehen, reproduziert sich diese Gewalt unaufhörlich(13). Wer Unternehmen als Heuschrecken beschimpft, will sie als Schädlinge bekämpfen. Während das von Müntefering kritisierte Primat der Ökonomie darin besteht, dass die Einzelnen einer Gewalt ausgesetzt sind, die sich über die Konkurrenz und den Markt vermittelt, besteht das beschworene Primat der Politik letztlich darin, direkte Gewalt auszuüben – durch einen Staat oder eine Gemeinschaft.

„...da wendete der Herr den Wind...“ – Bolschewistische Herrlichkeit

Eventuell waltet in Müntefering auch nicht deutsche, sondern traditionsmarxistische respektive leninistische Ideologie. Diese möchte zumindest nicht zurück zu einem ursprünglichen Gemeininteresse und begreift das Partikularinteresse nicht als moralische Verfehlung und Entfremdung, sondern als Ausdruck einer Klassengesellschaft, die historisch aufzuheben sei. Da der Traditionsmarxismus die kapitalistischen Produktionsverhältnisse aber nicht als einen Zwang der Verhältnisse begreift, die sich durch die bestimmten politischen und ökonomischen Formen der Beziehungen sowohl zwischen den Menschen als auch ihnen und der Natur reproduzieren, sondern als direkte Herrschaft einer Klasse über die andere, stellt er die Frage nach der politischen Herrschaft. Er glaubt, die politische Herrschaft wäre Dreh- und Angelpunkt der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und verfällt in den Wahn, die Formen der kapitalistischen Vergesellschaftung beherrschen und lenken zu können (so predigte Stalin die sozialistische Anwendung statt die Abschaffung des Wertgesetzes). Das sei dann Sozialismus, der Weg zum Kommunismus. Das Primat der Politik, das der Traditionsmarxismus also fordert, will im Gegensatz zu deutschen Ideologen kein ursprüngliches Gemeininteresse gegen die Partikularinteressen stark machen, sondern eine völlig neue Gesellschaft, in der das Gemeininteresse zum ersten Mal an die Stelle widerstreitender Klasseninteressen tritt. Die völlig neue Gesellschaft entpuppt sich aber als hölzernes Eisen. Die sozialistische Politik wählt sich die kapitalistischen Formen zum Mittel. Das Ergebnis ist Staatskapitalismus, dass heißt kapitalistische Produktionsverhältnisse, in denen der Staat an Stelle der freien Konkurrenz den „stummen Zwang der Verhältnisse“ (Marx) durchzusetzen versucht, um das Kapital so stark zu akkumulieren, dass seine staatlich regulierte gerechte Verteilung irgendwann den Anschein von Kommunismus erweckt. Solange statt diesem Anschein Mangel herrscht, solange vermeldet die Propaganda, dass der Klassenfeind noch nicht besiegt sei. Dieser Feind seien ausländische Imperialisten und unverbesserliche Restbestände und Vertreter bürgerlicher Klassenherrschaft im Inland. Letztere wurden in der leninistischen und stalinistischen Propaganda der Bevölkerung als gemeinsam zu bekämpfende Blutsauger vorgestellt. Da die Diktatur des Proletariats, die immer auch eine gegen das Proletariat war, die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu keiner Harmonie zu transformieren vermag und die Akkumulation des Kapitals nur durch ständige Kampagnen zur Hebung der Arbeitsproduktivität und ständigen Terror gegen Arbeitskräfte und Angestellte aufrecht erhalten kann, endet der Wahn schlimmstenfalls sogar in der Errichtung von Gulags(14).

„...der hob die Heuschrecken auf...“ – Soziale Marktwirtschaft

Die Soziale Markwirtschaft kann sich entweder als Kompromiss von deutscher Eigentlichkeit und kapitalistischen Produktionsverhältnissen oder als Kompromiss von traditionsmarxistischer Staatsgläubigkeit und kapitalistischen Produktionsverhältnissen oder auch als staatlich regulierte Vermittlung der Partikularinteressen zu Gunsten der ärmeren Bevölkerungsschichten konstituieren. Die deutsche Variante der Sozialen Marktwirtschaft wird in Zeiten der Krise die Widersprüche gen deutsche Eigentlichkeit versuchen zu lösen und den deutschen Gemeinnutz gegen vermeintliche, jüdische und amerikanische Blutsauger stark machen. Die traditionsmarxistische Variante wird in Zeiten der Krise die Widersprüche mittels Klassenkampf und der Ergreifung der politischen Macht durchs Proletariat lösen wollen. Und diejenige Variante der sozialen Marktwirtschaft, die von sich weiß, dass sie nichts als die staatlich regulierte Vermittlung der Partikularinteressen zu Gunsten der ärmeren Bevölkerungsschichten ist, wird angesichts der ökonomischen Krise, um die sie weiß und die sie nicht als Heuschreckenplage halluziniert, weiter versuchen, das Beste für die ärmeren Teile der Bevölkerung rauszuschlagen.
Welcher Variante redet Müntefering das Wort? Nimmt man ihn bei ebenjenem, dann verrät ihn sein Affront gegen die sogenannten Heuschrecken als Vertreter der traditionsmarxistischen oder der deutschen Variante. Dass er von Unternehmen ausgeht, die sich sozialer und patriotischer Verantwortung nicht entziehen, verrät ihn nicht gerade als Traditionsmarxisten. Er unterscheidet de facto zwischen schaffendem und raffendem Kapital, wenn er nicht alle Unternehmer auf die Liste setzt. Dass er nicht die Herkunft oder die rassische Disposition der Unternehmen zum Kriterium macht, unterscheidet ihn wiederum von extremen deutschen Ideologen.

„...dass nicht eine übrig blieb...“ – Deutsche Arbeiterstimme

Deutsche Ideologie in extremer Form verbreitet – anknüpfend an Müntefering – die diesjährige Mainummer des Monatsmagazins metall der IG Metall: „metall greift in dieser Ausgabe ein Thema auf, das vor allem durch den SPD-Vorsitzenden Müntefering in diesen Tagen angestoßen wurde: das asoziale Verhalten von Kapitalgesellschaften [...]. In unserem Fall ist es die Renditegier von US-Firmen. Sie kaufen deutsche Unternehmen auf, saugen die Euros aus den Betrieben ohne Rücksicht auf Menschen und Regionen wie Mücken das Blut, um den Rest dann weiter zu verscherbeln.“ (S. 3, Editorial) „Rücksicht auf Menschen, Regionen oder Traditionen nehmen die amerikanischen Finanziers nicht. [...] Sie haben unscheinbare Namen: [an dieser Stelle zählt der Autor Werner Hoffmann Firmennamen auf] So nennen sich >>Finanzinvestoren<< in New York, Houston und London. Man kennt sie kaum, aber sie haben eins gemeinsam: viel, viel Geld.“ (S. 15) Sie sind hinterhältig, haben viel Geld und saugen funktionierende Gemeinschaften aus. Kennen wir solche Charakterisierungen nicht aus vergangenen Zeiten? Und die, die solcherweise charakterisiert wurden? Waren das nicht die...
Die Illustrationen von Silvan Wegmann charakterisieren das Böse noch weiter. Blutsauger mit langen, gebogenen Saugnasen, Uncle-Sam-Zylindern, dunkler Montur, vollen Geldkoffern, Geldzeichen in den Augen, unförmigen Körpern und hässlichen Gesichtern, Zigarren und einem fiesen Grinsen, das einen blitzenden Goldzahn zum Vorschein bringt. Diese Blutsauger fliegen im Schwarm auf Deutschland zu, saugen Fabriken, gemeint ist sogenanntes schaffendes Kapital, mit ihren Saugnasen aus und fliegen mit dicken Bäuchen wieder davon. Der Stürmer wäre um den Abdruck dieser Illustrationen nicht verlegen gewesen.

Hannes Gießler

Fußnoten

(1) Karl Marx, Das Kapital Bd.1, Marx-Engels-Werke Bd. 23, Dietz-Verlag, Berlin 1975, S. 657
(2) vgl. Marx 1975, a.a.O., S. 246f., 271, 280f. und 426f.
(3) vgl. Marx 1975, a.a.O., 366f.
(4) Marx 1975, a.a.O., S. 618
(5) Marx 1975, a.a.O., S. 655
(6) vgl. meinen Artikel, Zwang zur Arbeit, CEE IEH Nr. 111, S. 32-41 (www.conne-island.de/nf/111/23.html)
(7) vgl. Marx 1975, a.a.O., S. 640-740
(8) Marx 1975, a.a.O., S. 654
(9) vgl. meinen Artikel, Über deutschen Antikapitalismus. Die deutsche Industrie in den Zeiten der Krise und der nationalsozialistischen Konjunktur, CEE IEH Nr. 105, S. 42-63 (www.conne-island.de/nf/105/21.html)
(10) vgl., Wolfgang Hock, Deutscher Antikapitalismus. Der ideologische Kampf gegen die freie Wirtschaft im Zeichen der großen Krise, Fritz-Knapp-Verlag, Frankfurt am Main 1960, S. 49
(11) Marx, Karl: Über Friedrich Lists Buch „Das nationale System der politischen Ökonomie“; dieses Manuskript wurde veröffentlicht in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 14, Heft 3, 1972, S. 425-446
(12) Deutsche Ideologie zeigt sich auch dort, wo Entfremdung angeprangert wird. Dann scheint es so, als wäre die versöhnte Gesellschaft nicht das Resultat von Geschichte und Vermittlung, sondern ein Ursprung respektive ein Eigentliches, zu dem zurückzukehren sei.
(13) Vgl. meinen Artikel: Über deutschen Antikapitalismus. Die deutsche Industrie in den Zeiten der Krise und der nationalsozialistischen Konjunktur, a.a.O.
(14) Der Unterschied von stalinistischen Gulags und nationalsozialistischen Vernichtungslager besteht hauptsächlich 1. darin, dass der Tod der Insassen in ersteren eingeplant und letzteren intendiert war, und 2. darin, dass in Gulags vermeintliche politische oder ökonomische Gegner interniert wurden, denen niemals ihre „Gegnerschaft“ wesensmäßig zugeschrieben wurde, während die Juden und Sinti und Roma von den Nationalsozialisten per se als Feinde definiert und vernichtet wurden. (Im Stalinismus konnten Kinder von verfolgten Kulaken Mitglieder der Kommunistischen Partei werden.)


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last modified: 28.3.2007