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Retro

Hier zum zweiten mal unsere Retro-Kolumne. Was haben wir uns gefreut, als die SPEX zirka drei Tage nach Erscheinen unseres Heftes mit einem gleichnamigen Feature herauskam. War zwar ein anderer Kontext aber wen interessiert das schon?
Wesentlich interessanter war die Bühnenshow von Solitude Aeternus (am 29. April). Man glaubte sich fünfzehn Jahre zurückversetzt. Der Sänger kniddelte wie in der Oper, unterstützt von tonnenschweren MetalGitarren und der Mob vor der Bühne schwenkte die Haare und spreizte seltsamerweise Zeige- und kleinen Finger in Richtung des Interpreten, dessen Augen zeitweise genauso weiß erschienen wie sein Hemd. Abgefahrener Stuff.

Am nächsten Tag erwartete uns Leipzig in A House, das Meeting der Leipziger TechnoCrowd. Irgendwie verlief diese Party wie alle anderen in letzter Zeit, das heißt der Saal war mit allerlei buntem Stoff dekoriert und die Raver zappelten bis früh um acht. Das einzig Interessante für mich an diesem Abend war die Diskussion um Techno und Drogen, die sich im Nachhinein entspann (siehe auch der Artikel „Techno - Drogen - Conne Island“ in diesem Heft). Falls ich jetzt irgendwelchen Techno- oder HouseFreaks auf den Füßen herumtrampeln sollte, so sei ihnen gesagt: Das ist einfach nicht meine Art von Musik.

Das Konzert am 1.5. war dann schon eher was für mich. No Use For A Name, Good Riddance und SNFU hatten sich angekündigt, wobei die ersten zwei Bands aus Krankheits- und privaten Gründen leider nicht antreten konnten. Der schnell besorgte Ersatz passte meines Erachtens - und das ist vorsichtig ausgedrückt - nicht so ganz zu SNFU, die ihre Show wie erwartet charismatisch, mann könnte schon fast das Wort genial gebrauchen, regelrecht abfeierten. Liebes Publikum, warum, zum Geier, seid ihr immer so reserviert? Macht’s doch einfach wie der Sänger und springt und hüpft was das Zeug hält. Auf diese Art und Weise kommt die Party nicht erst bei der Zugabe in Gang.

Das nächste Wochenende stand ganz im Zeichen unserer Zweiradakrobaten. Zu den sportlichen Leistungen soll hier nichts weiter geschrieben werden. (siehe auch „Are You Men Enough“) Ich will mich hier auf den „kulturellen“ Teil beschränken. Das Auftaktkonzert von Take The Cake geriet mehr so zu einer Art öffentlicher Probe. Auch wenn ihr wunderschön Fahrrad fahren könnt, ihr elenden BMXer, scheint ihr mir doch ganz schöne Kulturbanausen zu sein. SIEBEN (!) (!!) Leute im Saal, so ein Verständnis von „Geheimtip“ ist mir wahrlich noch nie untergekommen. Zur Vorband fällt mir nur ein Zitat einer etwas gelangweilten Einlasskraft ein: „Wegen solchen Leuten hat sich Curt Cobain erschossen!“ Hart aber gerecht, Seattle ist ein paar tausend Kilometer entfernt und außerdem ist Grunge oder was immer die Mucke von SunBleach darstellen sollte schon seit Jahren TOT.

Am darauffolgenden Abend erwartete uns ein TRIP mit Maria’s Garden. Leider wurden auch sie von zu Wenigen auf selbigem begleitet. Trotz alledem: Es war GEIL - auch ohne LSD. Psychedelische Musik, Raumausgestaltung und überhaupt psychedelisches Feeling zeichneten diesen Abend aus. Seit Langem mal wieder ein Konzert, bei dem die Anwesenden zu sitzen wünschten. Ganz schön „Hippie-mäßig“. Das angekündigte Feuerwerk - auch PyroShow genannt - fiel eher dürftig aus aber das tat meiner Begeisterung keinen Abbruch.

Am 8. Mai, dem Tag der Niederlage, fand im Könich Heinz die dazugehörige Party unter dem zutreffenden Motto: „Heute ist nicht aller Tage - Heute ist die Niederlage“ und einem äußerst gut „aufgelegten“ DeeJay statt. Der erste Respekt-Ruf dieses Monats. Und ein wohlverdieneter, denn er verstand es die sonst eher triste Örtlichkeit in ein brodelndes „Dub-Jungle-House“ zu verwandeln. Der Weg dahin führte an allerei Hörenswürdigkeiten schwarzer Musik vorbei, angefangen bei Reggae-Tracks über moderne Spielarten des Dub bishin zu allerfeinster House-Musik - und dort angelagt riß es dann auch den Letzten vom Hocker. Die Dancehall tobte bis ins Morgengrauen hinein.

Am Rande noch der Take des Abends, diesmal vom Barkeeper, der auf das Verlangen nach einem Campari-Orange ziemlich deutsch mit „Sach mal spinnst du?“ reagierte.

Zwei Tage später fand dann der lang erwartete Gig mit 18th Dye und den Slags statt. Das war mal wieder eine GitarrenOrgie ganz nach meinem Geschmack und - was leider eher selten vorkommt - eine Frauenband, nämlich die Slags mischten kräftig mit. Der Sound, den sie herüberbrachten war m.E. zwar ein wenig zu dünn, dennoch wußten sie zu überzeugen. Als Hauptact betraten dann 18th Dye die Bühne und holten aus ihren Gitarren und Verstärkern alles heraus, was herkömmliche Technik so zu bieten hat. (Das heißt: Keine Sampler!) Selten funktionierte die Kommunikation zwischen Bühne und Pit so gut, es wurde gescherzt und das Ganze in einer angenehmen, entspannten lockeren Art und Weise. Noise-Pop macht eben Spaß.

Vom 12. - 14. Mai fand dann der lang „befürchtete“ HausbesetzerInnenkongreß statt und siehe: Es wurde weder geplündert noch gemordert noch tauchten ungewaschene schwarze Horden auf, wie so mancher Schreiberling der Regenbogenpresse im Vorheinein den armen Bürgern glauben machen wollte. Für die Beteiligten hier im Laden bedeutete das Arbeit, Streß und Arbeit und Streß. Der zweite Respekt-Ruf des Monats geht an die Leute, die das Ganze organisatorisch und arbeitstechnisch absicherten, sei es durch Kaffekochen, Saal einräumen, Demovorbereitung oder die vielen anderen Dinge, die es bei so einer Sache zu tun gilt. „Vielen Dank“ auch an die zum Teil sehr weit angereiste Polizei, die an diesem Wochenende auf der einen Seite äußerst „mannhaft“ ihren Dienst versah und auf der anderen ihr Strukturförderungsprogramm zur Erhaltung der notleidenden Petrol-Industrie ein weiteres Mal sehr erfolgreich durchführte. (Näheres zum Kongreß siehe „Eine Abschlußbetrachtung des Leipziger BesetzerInnenkongresses“.)

Übergangslos kommen wir jetzt zu den Riffs, die eine Art von Publikum anziehen, was sich seit jeher auch der besonderen Fürsorge unserer wohlbekannten Förster-Truppe erfreuen darf. SKA heißt diese Musikrichtung und das Publikum besteht zur Mehrzahl aus Skinheads. Die Riffs boten meiner Meinung nach eher Ska für Spezialisten, also recht konventionell, was jedoch ein Garant für gute Party ist - nicht nur für Glatzen. Es wurde geskankt und Bier getrunken - es wurde gefeiert und Bier getrunken. Mehr bleibt zu diesem Konzert auch nicht zu sagen, außer vielleicht, daß ein paar Leute mehr hätten kommen können. Aber nicht nur BMXer scheinen mir Kulturbanausen zu sein, sondern auch der Großteil des Leipziger Publikums im allgemeinen.

Am Samstag darauf, kurzfristig noch hereingerutscht und zum dritten Mal: The Business. Fast das selbe Zielpublikum füllte den Saal, doch statt Studenten (ich meine hier die Klischeestudenten...) waren Punks anwesend. Denn Business spielen - für die, die es noch nicht wissen - Oi-Punk, auch StreetPunk genannt, vom (fast) Allerfeinsten und gehören zu den Old-School-Heroes dieser Sparte. Bei diesem Konzert passierten eigentlich nur zwei unerwartete Dinge, nämlich ein äußerst „entspannter“ Pogo, das heißt: Langhaarige, Glatzen und Punks vertrugen sich ausgesprochen gut, was bei solchen Konzerten eher selten ist und natürlich die spektakuläre Schnippselschlacht nach dem Gig, die bis weit auf den Hof ihre Fortsetzung fand.

Der Donnerstag darauf brachte uns Refused, Earth Crisis und Snapcase. SE-Ideologie einigt alle drei Bands und auch wenn das nicht gerade das ist, was ich vertrete, muß ich doch konstatieren, daß SE-Hardcorebands mit die kraftvollste Musik und die besten Bühnenshows liefern. Auf dem Hof liefen jede Menge Kids mit Kreuzchen, die auf die Hand gemalt waren herum und versuchten genauso tough auszusehen wie ihre Vorbilder. Am besten an diesem Abend fand ich Earth Crisis aus Schweden, wenn auch deren extreme Auslegung des Se-Gedankens mehr der Diskussion bedarf. Wenn schon ein allzu bekanntes Blatt aus der rechtsintellektuellen Ecke in einem Feature die SE-Bewegung als die einzige saubere und ordentliche - weil drogenfreie Jugendbewegung anerkennt, sollte das einem schon zu denken geben. Wenn einem dann noch Leute begegnen, auf deren T-Shirts in Frakturbuchstaben „Vegan Power“ oder solche Sprüche wie „SE means I’m better than you“ stehen, fällt es schwer, da nicht die Nähe zu rechtem Gedankengut zu sehen. Nicht das ich alle Veganer für verkappte Faschisten halten würde, oder die SE-Kids in diese Ecke stellen wollte, aber habt ihr schon mal die Texte dieser Combos durchgelesen? Ich für meinen Teil werde mich Wohl oder Übel mit dieser Materie beschäftigen müssen und ihr solltet das auch tun. Und denkt daran: Vegatarische oder vegane Lebensweise ist nicht unbedingt mit einem Missionierungsauftrag für den Rest der Menschheit verbunden.

Am 26. Mai hatten wir Leeway, Mean Season und eine deutsche Band namens Lavatory zu Gast. Die Überrschung des Abends war für mich zweifellos Mean Season. Wunderschön vertrackter Hardcore, der auch Pop-Einflüsse nicht verschmähte und ein charismatischer Frontmann taten das ihrige. So langsam fällt mir zu den einzelnen Gigs auch nichts mehr ein, aber das letzte Ereignis des Monats sollte erwähnt werden. Nämlich die Klasse von ‘95. Es wurde gehippt und gehoppt und gerappt, sodaß der Saal sprichwörtlich am Kochen war. Und das alles von Leuten, die sich selbst nicht so ernst nehmen, ich meine die Reimkünstler und nicht das Publikum, für welches fast das schon oben gesagte gilt. Alles in allem war es auf jeden Fall „Klasse“!

ooo

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last modified: 28.3.2007