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Der Alp-Traum vom ewigen Frieden


Über die friedliebenden Deutschen und die notwendige Gegnerschaft zu Old Europe.


    „’Es gibt nur Fakten’, heißt entweder ‘alles ist Objekt’ oder ‘alles ist Subjekt’. Indem wir die Sache nur mehr objektiv betrachten, anstatt sie zu sein, verschwindet die Objektivität.“
    (Max Horkheimer, Notizen 1949-1952)
„Gegenstand des Spottes, des Hasses, der Lüge und der Verleumdung fast in der gesamten amerikanischen Presse“ sei man, beklagt ein alter europäischer Patriot, der Geschichte schrieb. „Die amerikanische Presse macht sich dabei eine besonders belustigende Aufgabe daraus, Deutschland gegenüber Grundsätze der Humanität, der Zivilisation, der Freiheit der Menschenrechte und der Kultur ins Feld zu führen.“ Und das „in einem Lande, in dem heute noch die Humanität ihren drastischen Ausdruck in der Lynchjustiz, die Zivilisation in zum Himmel stinkenden politischen und wirtschaftlichen Skandalen, die Freiheit der Menschenrechte in der Tatsache eines stetigen Vorhandenseins einer von den Betroffenen wahrscheinlich freiwillig in Kauf genommenen Arbeitslosigkeit und die Kultur in einer ständigen Ausleihe bei den alten europäischen Kulturstaaten findet.“ Dort also fühle man sich „berechtigt, mit souveräner Verachtung auf jenes alte Europa herabzuschauen, in dem Staaten und Völker schon auf eine Jahrhunderte, ja Jahrtausende alte unermeßliche Kulturleistung zurückblickten, ehe Amerika überhaupt entdeckt wurde.“
Nun, wer wohl ist dieser alteuropäische Patriot, der hier so subtil seine geistige Überlegenheit demonstriert? Ist es Günter Grass, Frau Wieczorek-Zeul, Jungle World-Autor Tobias Rapp, ein Stammgast in der veganen „Volxküche“ Ihrer Wahl? Oder gar ein Neonazi? Weder noch. Es ist ein waschechter Nationalsozialist alter Schule. Und er heißt: Joseph Goebbels. Der tat diesen Ausspruch am 21. Januar 1939 unter dem Titel „Was will eigentlich Amerika?“.
Was will eigentlich Amerika? Eine gute Frage des Dr. Goebbles. Und wie man derzeit feststellen kann, gleichen sich die deutschen Antworten von damals und heute verblüffend. Man stelle sich einmal vor, ähnlich wie im Film „Good by, Lenin“ läge jemand seit den Tagen des NS im Koma und käme gegenwärtig wieder zu Bewußtsein. Wenn es um das Verhältnis von Deutschland und den USA ginge, bräuchte man um die Lebenswelt des Wiedererwachten keine antiamerikanischen Potemkinschen Dörfer errichten wie man es in besagtem Film hinsichtlich der Vortäuschung falscher realsozialistischer Tatsachen erleben kann.
So fanatisch wie die Deutschen früher in die Welt ziehen wollten, damit alles in Scherben zerfällt, so fanatisch leugnen sie heute, daß Scherben Glück bringen können. Von Goebbels' totalem Krieg zu Schröders totalem Protest ist es ein kurzer deutscher Weg. Denn was die Amerikaner „eigentlich“ und „an sich“ treiben und bezwecken, das weiß heute wie damals jedes Kind. „Worum es den USA wirklich geht“, titelte Der Spiegel vor geraumer Zeit. „Worum geht es eigentlich im kommenden Irak-Krieg?“, so der Titel eines Internet-Forums der Süddeutschen Zeitung. An den Fragestellungen allein kann es wohl nicht liegen, daß die ressentimengeladenen Antworten in Deutschland durchaus variantenreich immer dasselbe Thema beinhalten. Selbst den alliierten Reeducation-Versuch hat die urdeutsche Liebe zu Blut und Boden hartnäckig überdauert. Sie äußert sich heute darin, daß wertvolles Blut um Gottes Willen nicht für Öl vergossen werden dürfe und von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll, weil einem die Scholle dafür viel zu wertvoll ist.
Stellt man sich einmal die Frage, was denn wohl, wenn es um die USA geht, zuerst da war – die Frage oder die Antwort –, dann läßt sich feststellen: Zu Anfang war die deutsche Antwort. Daß das tatsächlich jeder Logik spottet, gehört bekanntlich zum Programm der Irrationalität, deren Subjekt der Irre ist. Über die Handlungsmaxime des Letzteren wußte Wolfgang Pohrt zu sagen: „Rational handelt, wer mit entsicherter Waffe auf den Bankdirektor zielt und eine halbe Million in kleinen Scheinen fordert; ein Irrer ist, wer dieselbe Summe verlangt und die Mündung dabei an die eigene Schläfe preßt.“ (konkret 5/90)
Nicht irre ist menschlich, sondern irren. Das wird in Deutschland traditionell verwechselt. Deshalb hält man den Irren auch für den besseren, weil nicht so verlogenen Typ. Und darum hat zum Beispiel der Antiimperialist und Arundhati Roy-Fan Ulrich Wickert seinen Bestseller auch „Der Ehrliche ist der Dumme“ und nicht „Der Dumme ist der Ehrliche“ genannt.
Weil man in Deutschland nichts als die Wahrheit fordert, weiß man auch, worum es den Vereinigten Staaten bei der Nichtunterzeichnung des Kyoto-Protokolls und dem Nichtbeitreten des Internationalen Strafgerichtshofes wirklich und eigentlich geht. In ersterem Fall ist die Wahrheit, daß gerade wir Deutschen schon einmal Menschen systematisch vergast haben, weshalb wir die Vergasung der gesamten Menschheit via Ozonloch verhindern müssen und die USA das einfach nicht akzeptieren wollen. Im zweiten Fall geht es um nichts als die reine Wahrheit, die die USA wegen ihrer Arroganz und Gerechtigkeitsfeindschaft nicht hören wollen und verkraften können. Wir Deutschen wissen außerdem: Der Internationale Strafgerichtshof könnte die Mißachtung des Völkerrechts zum Beispiel im Falle des Irak als das verurteilen, was sie ist: ein reines Kriegsverbrechen nämlich.
Man hat aus der Geschichte wirklich viel gelernt. Nur eines nicht: Daß Krieg Befreiung bedeuten kann. Deshalb „wissen wir uns als Deutsche in einer besonderen Verantwortung für den Bestand der Werte, die unsere demokratischen Gesellschaften ausmachen“, heißt es in der Erklärung gegen den Irakkrieg von 19 „deutschen Künstlern und Intellektuellen“ von ende Februar 2003, zu deren Unterzeichnern das übliche Kartell des buchstäblich schlechten Gewissens von Bissinger, Flimm, Grass, Westernhagen, Negt, Sloterdijk, Schorlemmer, Staeck bis Walser und Wesel zählt.

Der Deutsche und der Antirassist, Freund des Fremden

Eine „neudeutsche Gelassenheit“ sieht die taz (vom 10.03.) am Werk: „In keinem anderen westeuropäischen Land wurden nach dem 11. September so wenig antiislamische Übergriffe registriert wie in Deutschland“, freut man sich: „Inzwischen, so scheint es, bringt die Deutschen nichts mehr aus der Ruhe, nicht einmal der Brandanschlag von Djerba, der vor allem deutsche Touristen traf. Im Gegensatz zu Großbritannien, Italien und den Niederlanden fehlt in Deutschland jeder Ansatz von antiarabischer und antiislamistischer Kampfbereitschaft.“ Eine Analyse, die auch ein Bündnis gegen Rechts aus Leipzig bestätigt, einem Haufen, der sich selbst linksradikal nennt, besser aber als ein Bündnis deutscher Ideologen für Wahrheitsverzicht und Kulturrelativismus beschrieben ist und wohl genau deshalb die Zustände unter Saddam Hussein radikal davor bewahren will, mit den viel schlimmeren in Deutschland gleichgesetzt zu werden: „Wo das bürgerliche Deutschland näher an emanzipierten Verhältnissen erkannt wird als der Irak, da ist der Schatten westlicher Arroganz und ein stets rassistisch gedachtes Überlegenheitsgefühl der `abendländischen Kulturen' nicht weit“, heißt es in einem Papier gegen die Befreiung des Irak von Saddam Hussein, als hätte man sich ein solches Denken im interkulturellen Selbststudium von Schriften der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung beigebracht – oder durch das kommunikative Handeln des Verfassungspatrioten Jürgen Habermas eintrichtern lassen. Der nämlich könnte zum Ehrenvorsitzenden dieses Leipziger Bündnisses ernannt werden: „Der universalistische Geltungsanspruch, den der Westen mit seinen `politischen Grundwerten', also mit den Verfahren der demokratischen Selbstbestimmung und dem Vokabular der Menschenrechte verbindet, darf nicht mit dem imperialen Anspruch verwechselt werden, daß die politische Lebensform und Kultur einer bestimmten, und sei es der ältesten Demokratie, für alle Gesellschaften exemplarisch ist.“ Und gegen die Befreiung des Irak durch die Amerikaner heißt es weiter: „In seiner selbstgewählten Isolierung könnte selbst der gute Hegemon, der sich zum Treuhänder allgemeiner Interessen aufwirft, gar nicht wissen, ob das, was er im Interesse anderer zu tun behauptet, tatsächlich für alle gleichermaßen gut ist.“ (FAZ 17.4.03)
Zynisch und menschenverachtend nennt man hierzulande denjenigen, der den Schluß zieht, daß die Deutschen angesichts der islamistischen Barbarei nichts zu verlieren glauben als ihre freiheitlich-demokratischen Ketten, die wie ein Alp auf der deutschen Völkerfreundschaft lasteten. Nicht von ungefähr wittert man nur in Deutschland allseits die „Gefährdung“ der Demokratie oder daß sie „schweren Schaden“ nehmen könne, denn man weiß insgeheim, wie schwach sie doch ist und wie künstlich sie den Deutschen nach `45 einfach übergestülpt und aufgezwungen wurde – erst gar nicht zu reden davon, daß man die wirkliche Stärke der Demokratie, die darin besteht, im Zweifelsfall gerade nicht auf „das Volk“ oder „die Straße“ hören zu müssen, nicht mal im Ansatz begreift.
Wer gegen den Islam kämpft, kann verlieren, wer es nicht tut, hat nichts zu verlieren. So und nicht anders muß man den Umstand werten, daß die Deutschen gut mit dem Islam können. Daß die taz eine führende Zeitung der Zivilisationsfeindschaft ist, weiß man zwar, doch ist es immer wieder gut, dies zu belegen. In besagter Ausgabe zieht der berüchtigte Antirassist Eberhard Seidel erwartungsgemäß den Schluß, daß „die Deutschen seit dem 11. September 2001 islamfreundlicher und aufgeklärter als ihre europäischen Nachbarn“ seien. Daß Gegenaufklärung und Zivilisationsfeindschaft in Deutschland in aller Regel Aufklärung heißen, ist ein offenes Geheimnis und gehört zum Pflichtbekenntnis eines guten Deutschen von Joseph Goebbels über Robert Kurz bis PDS-Chefin Gabriele Zimmer, die selbstredend weiß, daß „die US-Administration“ dabei ist, „zum größten Feind der Zivilisation zu werden“. (FAZ 7.4.03) „Wie kann es sein, daß der Sturz eines Tyrannen einen solchen Schwall von Ressentiments freisetzt? Eigentlich sollte es doch in Deutschland einen Sinn für die seelischen und politischen Kosten des Lebens unter einer Diktatur geben“, fragt Die Zeit (16.4.03) und in der Berliner Zeitung (11.4.03) findet sich eine symptomatische Antwort: „Die johlenden jungen Männer, die den Kopf der mit amerikanischer Hilfe gefällten Saddam-Statue durch die Straßen schleifen, zelebrieren ein barbarisches Ritual, das nicht zum Eintritt in die Zivilisation qualifiziert.“ Übler Rassismus? Mitnichten. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang daran, was Wolfgang Pohrt bei seinen Studien über die Ambivalenz des deutschen Sozialcharakters als den Satz bezeichnete, der auf Grund größter Zustimmung die „Grundstimmung“ der Deutschen offenbar am besten kennzeichnet. Er lautet: „Jeder unverklemmte Mensch hat das Bedürfnis, manchmal alle Fesseln der Zivilisation abzustreifen und sich richtig auszuleben.“ (konkret 01 u. 03/91) Dazu paßt auch hervorragend, was eine Umfrage des Allensbach-Institutes von März 2003 ergab: „Drei viertel der Deutschen stimmen heute der Aussage zu, die Amerikaner seien als Konsum- und Wegwerfgesellschaft ein abschreckendes Beispiel für die übrige Welt.“ (FAZ 19.3.03)
Die Behauptung, die Deutschen seien fremdenfeindlich, ist eine Lüge. Denn Fremdenfeindlichkeit ist ein Beleg für eine aufgeklärte kapitalistische Gesellschaft. In Deutschland dagegen ist man von jeher fremdenfreundlich. Und Fremdenfreundlichkeit ist das Herzstück der antirassistischen Ideologie. Insofern kann man sagen: Das deutsche Problem besteht darin, daß Deutsche traditionell eher antirassistisch sind, weil sie nämlich weniger gegen andere Rassen und Kulturen sind, sondern vielmehr für diese – die Juden als die unermeßlich leidtragende Ausnahme widerlegen dies nicht, sondern bestätigen diese Regel vielmehr gerade dadurch, daß sie als wurzellos und als eine Art Anti-Rasse angesehen werden.
Jede deutsche Generation findet ihren zeitgemäßen Weg zur barbarischen Denkform. Und so hadert taz-Autor Seidel noch ein wenig mit seiner Erkenntnis: „Die Deutschen sind weniger fremdenfeindlich als der Rest Europas!? Es fühlt sich noch ein wenig merkwürdig an, einen solchen Satz niederzuschreiben.“ (ebd.) Doch Seidel weiß, daß der intensive „Dialog der Kulturen und Religionen“, der „moderate migrationspolitische Diskurs“ von Rot-Grün, der „lebhaft durch die Medien unterstützte `Aufstand der Anständigen'“, die „Fülle staatlich alimentierter Initiativen und Projekte gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ ein in Deutschland „bislang unbekanntes zivilgesellschaftliches Klima (erzeugen), das nach dem 11. September die allseits befürchtete antiislamischen Ressentiments unter Kontrolle hielt“.

Tolerant sein heißt: Jedem das Seine

Daß der Dialog der Kulturen einen Fetischcharakter trägt, verdeutlicht sich insbesondere daran, daß der vermeintliche Dialog ein Monolog sein soll. Also ein Zustand, in dem der Deutsche das hören kann, was er hören will. Der christdemokratische nationale Sozialist und Buchautor Jürgen Todenhöfer, dessen Buch „Wer weint schon um Abdul und Tanaya“ wohl deshalb zum Bestseller wurde, weil der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Burda-Verlages den Deutschen aus dem Herzen spricht, taugt zum Prototyp. Denn Todenhöfer ist ein sekundärer nationaler Sozialist, einer nach und wegen Auschwitz, der, statt die Juden, heute den Krieg „an sich“ vernichten will – und außerdem selbst einst Verfolgter war: „Er, der enge Freund Hanns Martin Schleyers, der selber auf der Abschussliste der Terroristen stand, weiß, was Terror ist“, schreibt der Verlag. Und einer, der den Nazi-Schleyer einen Freund nennt, kann dem islamischen Schleier nur freundlich gesinnt sein. Deshalb erklärt er in der FAZ (2.12.02): „Der Islam erscheint vielen Menschen im Westen immer stärker als kriegerische Religion, der Toleranz gegenüber Andersgläubigen fremd ist. Ich weiß, daß der wahre Islam ganz anders ist.“ Man kann sich sicher sein, daß Todenhöfer ähnliches auch über den Altnazi Schleyer zum Besten gibt, und es außerdem nur zu dem einen Zweck so gut mit dem Islam meint, weil er, ähnlich wie die Deutschen den neonazistischen Schädlingen nicht die Volksgemeinschaft überlassen wollen, den Islamisten nicht den Islamismus auszuliefern gedenkt. Deshalb weiß er auch schon lange vor Beginn des Irakkrieges, wer aus ihm als Sieger hervorgehen wird: „Bin Laden wäre sein einzigster Gewinner.“ (FAZ v. 6.3.03)
Weil der Deutsche sich nach ‘45 nichts sehnlicher wünscht, als daß die Fremden nicht wie die Deutschen unter dem Wohlstand und der westlichen Freiheit leiden müssen wie sie selbst, sie also bloß nicht damit in Berührung kommen sollten, versteht er unter Integration die Förderung der interkulturellen Einpassung statt der leitkulturellen Anpassung an die Gesellschaft. Denn deutsche Toleranz ist, was auf den Toren von Buchenwald steht: „Jedem das Seine.“ Und deshalb gilt: Nur wer fremd ist, kann zu uns gehören.
Das wußten auch die rund tausend Teilnehmer am 9. Bundeskongress für politische Bildung in Braunschweig anfang März. „Dialog der Kulturen – Politik, Gerechtigkeit, Menschenrechte“, unter diesen geflügelten Worten der Barbarei versammelten sich hauptsächlich Pädagogen und andere verbeamtete Staatsangestellte, um die „letzten Zweifel an der Dialogbereitschaft der Republik“ auszuräumen, wie die taz (a.a.O.) verlautete. In Braunschweig, so das Blatt weiter, „demonstrierten die versammelten Pädagogen eindrucksvoll, wofür ihr Herz schlägt: für Frieden und gegen George W. Bush und Ariel Scharon. Folglich bekamen jene Redner den größten Beifall, die die Politik der USA und Israels als die eigentliche Ursache des Terrorismus brandmarkten.“ Unter solchem Pack fühlte sich dann auch der Chef des Epizentrums für postmoderne Verblödung durch Sprach- und Diskursanalyse, Siegfried Jäger vom DISS-Institut Duisburg, pudelwohl und bejubelte die unter solchen toleranten Vorzeichen nur zu konstatierende „Zurückdrängung des medialen und damit auch des alltäglichen Rassismus“. Vielleicht ist es angesichts einer solchen geschlossenen Formation von Gegenaufklärern wirklich besser, wenn es in Deutschland kein Antidiskriminierungsgesetz gibt wie in den USA, Großbritannien oder Holland. Denn die Deutschen können damit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht umgehen und halten beispielsweise aufgeklärte notwendige Intoleranz gegen Islamisten für rassistische Diskriminierung.
Die rot-grüne Berliner Republik ist so links, daß man links von ihr ins Leere tritt. Sie ist in ihren Grundfesten so antifaschistisch wie es ein Gerhard Schröder, ein Joseph Fischer, ein Martin Walser oder ein Jörg Friedrich auf Grund ihrer Biografien mit Fug und Recht für sich beanspruchen können. „Irgendwie“, so meint Horst Eberhard Richter, der notorische Vorzeigepsychoanalytiker der Deutschen in seinem Buch „Ist eine andere Welt möglich?“, ist den deutschen Friedensfreunden im Bezug auf die USA „bewußt, daß sie der Wild-West-Philosophie der Kriegsmacher menschlich überlegen sind. Das gibt ein erstaunliches Gefühl von Selbstachtung und Selbstsicherheit.“
Deutschland heute, das ist ein antirassistisches Friedensmonster mit einem seit 1945 ungebrochenem Herrenmenschen-Willen zur moralisch überlegenen antiimperialistischen Volksgemeinschaft. Geschaffen wurde es nicht zuletzt durch tatkräftige Mithilfe der Vereinigten Staaten von Amerika. „Niemand ist wirklich über die Haltung der Deutschen überrascht, schließlich haben wir euch so erzogen“, teilt ein ehemaliger Präsidentenberater dem Spiegel (11/03) mit. Doch kann man den Amerikanern ernsthaft verübeln, daß sie heute das bekämpfen müssen, was sie selbst geschaffen haben? Sicherlich sollte man bei Gelegenheit daran erinnern, daß Morgenthau doch Recht hatte. Nur was nützt das für die Gegenwart? In Anlehnung an einen alten SDS-Spruch läßt sich zumindest folgende Bauernregel für Deutschland aufstellen: Wenn in Deutschland alle über den Krieg reden, aber niemand übers Wetter, dann wird`s nicht nur besonders ekelhaft, sondern immer gefährlich.
George W. Bush sei „kein Partner, sondern ein Diktator“, erklärte der SPD-Verteidgungsstaatssekretär Walter Kolbow. (Kitzinger Zeitung 7.3.03) Und weil Deutsche wissen, daß Diktatoren wie Hitler einfach nur Wahnsinnige sind, kann dem Kolbow ein gestandener marxistischer Historiker wie Kurt Pätzold ohne Probleme sekundieren: „Wahn, das meint, der Erdbevölkerung vorschreiben zu können, was sie zu tun und zu lassen hat. Hier liegt die Geistesverwandschaft des US-Präsidenten und des gewesenen deutschen Führers“. Denn Bushs „Vorsatz erinnert an die Schaffung des `Tausendjährigen Reiches', weil er diesem klassenverwandt ist.“ (junge Welt 11. u. 26.3.03)
Ein Kolbow und ein Pätzold sind nicht einfach nur wahnsinnig, sondern schlicht und ergreifend deutsch. „Der deutschen Ideologie scheint es derzeit besser zu gehen als der deutschen Politik“, stellt Rainer Trampert, der Antiimperialist der harten Fakten, verdutzt fest. (Jungle World 12.2.03) Ewiger Frieden als der deutsche Exportschlager nach `45. Das bedeutet als Friedensbotschaft an den Rest der Welt: Der Hitler in uns, ist der Deutsche in euch, den ihr nur entdecken müßt, um dem ewigen Frieden auf Erden zugeneigt zu sein.
Wenn die german angst vor Krieg umgeht, dann kann einem nur angst und bange werden. Eine wesentliche Ursache dafür ist wohl in dem Reeducation-Versuch der US-Amerikaner zu suchen, zu dem es zwar keine realistische Alternative gab, dessen „Mangel an Entschiedenheit“ und dem damit verbundenen „Mißerfolg des Entnazifizierungsprogramms“ Max Horkheimer damals schon deutlich vor Augen hatte.(1) Tatsächlich aber haben die Deutschen etwas aus dem Nationalsozialismus gelernt. Nämlich: Wir sind einfach zu schwach, um stark zu sein. Deshalb muß „die Stärke des Rechts an die Stelle des Rechts des Stärkeren“ treten, wie Kanzler Schröder den USA den deutschen Weg zum ewigen Frieden erklärt. Weil die Unterordnung schon immer eine deutsche Tugend war, an die man zwar geglaubt hat, aber immer ihr Gegenteil praktizierte, bedeutet Schröders Ausspruch nichts anderes als das: Weil die Deutschen wissen, daß sie sich nicht unterordnen können, fürchten sie sich vor sich selbst, sind der Meinung, daß die USA es auch nicht könnten und wollen diese deshalb zwingen, sich genauso vor sich selbst zu fürchten.

Die Wahrheit der amerikanischen Neokonservativen

Einer, der diesen Hintergrund durchschaut hat, ist Robert Kagan. Seineszeichens einer der Opinion Leader des vielfach verteufelten amerikanischen sogenannten Neokonservativismus, dessen revolutionär und internationalistisch anmutendes „paradoxes Wesen“ sich aus den „Wurzeln in der liberalen Linken“ erklären läßt, wie die FAZ zu wissen glaubt. (19.3.03) Kagans Aufsatz in der Policy Review (Nr. 113) von mitte 2002 unter dem Titel „Macht und Schwäche“ sorgte seit seinem Erscheinen in den Vereinigten Staaten wie in Europa für endlosen Diskussionsstoff. Hat Kagan doch den Finger auf die größer und größer werdende Wunde des europäisch-amerikanischen Verhältnisses gelegt und unumwunden die Wahrheit über dieses Verhältnis ausgesprochen: „Wir sollten nicht so tun, als hätten Europäer und Amerikaner die gleiche Weltsicht oder als würden sie auch nur in der gleichen Welt leben“, meint er und hat, wenn er von Europa spricht, vor allem Deutschland und Fankreich im Visier, die „für das“ stünden, „was aus Europa werden soll“.
In leicht modifizierter und aktualisierter Form ist Kagans Essay in Buchform unter dem Titel „Macht und Ohnmacht – Amerika und Europa in der neuen Weltordnung“ mitte Februar auch in Deutschland erschienen. Sein mittlerweile vielzitierter Ausspruch, Amerikaner kämen vom Mars und Europäer von der Venus, bündelt die These, daß Europa auf Kosten der USA ein „posthistorisches Paradies von Frieden und relativem Wohlstand (ist), das der Verwirklichung von Kants `ewigen Frieden' gleichkommt.“ Den Preis für dieses „beispiellose Maß an kostenloser Sicherheit“ zahlten allein die Vereinigten Staaten, die „der Geschichte verhaftet“ blieben und „Macht in einer anarchischen Hobbesschen Welt“ ausüben müßten, „in der auf internationale Regelungen und Völkerrecht kein Verlaß ist und in der wahre Sicherheit sowie Verteidigung und Förderung einer freiheitlichen Ordnung nach wie vor von Besitz und Einsatz militärischer Macht abhängen“: „Tatsächlich haben die USA das kantische Paradox für die Europäer gelöst.“ Daraus leitet Kagan die „elementare Wahrheit“ ab: „Die USA und Europa sind heute grundverschieden“ und „die daraus erwachsenen Spaltungstendenzen könnten sich als irreversibel erweisen“, zumal „eine der größten Differenzen zwischen Europäern und Amerikanern (...) heute eine philosophische, ja metaphysische Kontroverse darüber (sei), wo genau die Menschheit auf dem Kontinuum zwischen Gesetzen des Dschungels und der Vernunft steht.“ Denn „anders als die Europäer glauben die Amerikaner nicht, daß wir kurz vor der Verwirklichung des kantischen Traums stehen.“
Was der „Meinungsmacher“ Kagan beschreibt, so Die Zeit (08/03), sei weniger eine „historische Analyse“ als ein „politisches Programm“. Und fürwahr sieht Kagan nur eine Rettung für das transtlantische Bündnis „des Westens“, wenn Europa aufrüstet und ernstlich etwas für seine Sicherheit täte. Denn „das große Paradox“, das die Europäer nicht sehen wollten, bestünde gerade darin, daß „Europa weder willens noch fähig ist, sein Paradies selbst zu schützen und es davor zu bewahren, geistig wie körperlich von einer Welt überrannt zu werden, die die Herrschaft des `moralischen Imperativs' erst noch akzeptieren muß“. Gerade deshalb aber müßten sich die Europäer an den Gedanken der „Doppelmoral“ gewöhnen, in dem man sich „im Umgang miteinander“ nach Recht und Gesetz richte, doch „im Dschungel“ nach den „Gesetzen des Dschungels“ handelte. Der Erfolg der USA bestünde gerade darin, daß sie diese Strategie der Doppelmoral praktizierten. Denn nur so könne man der „moralischen Spannung, die der gegenwärtigen Weltlage innewohnt“, entsprechen. So müßten die USA nicht deswegen „gelegentlich einseitig agieren (...), weil sie dem Unilateralismus so innig zugetan wären, sondern weil den Vereinigten Staaten in Anbetracht eines schwachen Europas (...) nichts anderes übrig bleibt.“ Kagan ist davon überzeugt, daß die Europäer es nicht schaffen werden, für ihre eigene Sicherheit in erforderlicher Weise zu sorgen. Deshalb könne „man vernünftigerweise davon ausgehen, daß wir gerade erst in eine lange Ära amerikanischer Hegemonie“ einträten, denn in Zeiten des Kalten Krieges hätten Europäer wie Amerikaner „die Macht Europas“ überschätzt.
Die Schlußfolgerungen, die aus dem Ende der Sowjetunion gezogen wurden, könnten unterschiedlicher nicht sein, so Kagan. Europas „neuer Idealismus“ als „neues Sendungsbewußtsein“ bestünde darin, „die Erfahrungen Europas routinemäßig“ auf die „gesamte Welt anwenden“ zu wollen. Daraus erkläre sich auch die „allgemeine Kritik an der amerikanischen Strategie gegenüber `Schurkenregimen'“, die zu so etwas wie einer europäischen „mission civilisatrice“ geworden sei, welche sich nicht zuletzt darin äußere, daß die Europäer „die globale Erwärmung beunruhigender finden“ als die „Bedrohungen der globalen Sicherheit“.
Zu Recht verweist Kagan auf die Tatsache, die man insbesondere in Deutschland nicht zur Kenntnis nehmen will: „In Wirklichkeit ist der Idealismus der Amerikaner nicht größer als vor fünfzig Jahren. Gewandelt hat sich die objektive Realität.“ Und wenn man dies schon Arroganz nennen müße, so sei das „wenigstens keine neue Arroganz“. Sarkastisch stellt er außerdem klar, daß die Europäer „verständlicherweise nichts dagegen“ hätten, daß „Amerika das Hauptziel und oft sogar das einzige Ziel“ all jener sei, die gegen „den Westen“ kämpften, vielmehr sogar inständig hofften, es bliebe auf Dauer so.
An einigen wenigen Stellen des Essays muten Kagans Ausführungen etwas krude an. So etwa, wenn er davon spricht, die USA hätten nach dem 11. September „zu sich selbst gefunden“. Oder wenn er behauptet, die „Europäer unserer Zeit streben nicht nach Macht und schon gar nicht nach militärischer Macht“, sondern hätten sich vielmehr „von der Machtpolitik verabschiedet.“ Sein schwerster Irrtum besteht allerdings darin zu behaupten, daß der Unterschied zwischen den Europäern und den Amerikanern „in der strategischen Kultur und nicht in den verschiedenartigen Nationalcharakteren begründet“ läge. Einzuwenden ist darauf nicht, vom genauen Gegenteil ausgehen zu müssen, sondern davon, daß unter dem objektiven Vorrang des Kapitals nicht die strategische Kultur den Nationalcharakter bestimmt, sondern der Nationalcharakter die Form der strategischen Kultur.

Feindbild Europa

Robert Kagans „Macht und Ohnmacht“ stellt ein Korrektiv zu Zbigniew Brzezinskis Annahme dar, der in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ von 1999 die „zentrale Frage“ für die Vereinigten Staaten so formulierte: „Wie baut man ein auf der deutsch-französischen Partnerschaft basierendes, lebensfähiges Europa, das mit Amerika verbunden bleibt und den Geltungsbereich des demokratischen Systems internationaler Zusammenarbeit erweitert, auf das ihre wirkungsvolle Wahrnehmung seiner globalen Vorrangstellung so sehr angewiesen ist?“ Allerdings dient diese Frage nicht dem Zweck einer Neubestimmung der zukünftigen Rolle der Vereinigten Staaten, sondern nur dem der Bestimmung des Weges zur Aufrechterhaltung und Festigung der amerikanischen Führungsrolle. Somit ist Kagans Position einer Mindergewichtung der Europäer eine Korrektur des von Brzezinski vorgeschlagenen Weges, nicht aber des Zieles.
Tatsächlich scheint zwar nicht der Wille zum endgültigen Bruch mit Europa, so doch aber der zur zukünftigen Vernachlässigung sukzessive in der US-Politik wirkungsmächtig zu werden. Nicht zuletzt deshalb, weil sich in den USA im Gegensatz zu den Europäern ein Bewußtsein davon durchgesetzt hat, welch ungeheurliche Gefahr aus der instabilen arabischen Region erwächst, der man seitens der Vereinigten Staaten begegnen müsse. Insofern wäre auch der Historiker Paul Kennedy zu korrigieren, der in seinem ‘93er Buch „In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert“ das „amerikanische Dilemma“ darin gesehen hat, daß die Vereinigten Staaten sich zukünftig ohne Großentwurf, ohne „koordinierten, zentralisierten Angriff auf die Probleme (...) durchwursteln“ müßten und darin seine These seines vielbeachteten 87er Buches „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ spezifizierte, mit der er den Vereinigten Staaten einen stetigen Niedergang als Weltmacht prognostizierte. Ganz richtig liegt wohl Joseph S. Nye, stellvertretender Verteidigungsminister unter Clinton, der in seinem Buch „Das Paradox der amerikanischen Macht“ darauf verweist, daß die Vereinigten Staaten „nicht nur gezwungen sind zu führen“, sondern auch „zu kooperieren“, was nichts anderes verlange, als „eine intelligente Kombination aus harter und weicher Macht.“
Die Stärke des Kaganschen Essays liegt im besonderen darin begründet, daß er zum einen auf die historische Rolle Deutschlands und deren Bedeutung für den heutigen Zustand Europas verweist und zum anderen auf die Konsequenzen aus der Appeasement-Politik gegenüber Deutschland in den 30er Jahren eingeht, die in der US-Politik gezogen wurden. Das brachte ihm unter anderem den Vorwurf ein, einem „militärischen Marxismus“ (Tagesspiegel 20.2.03) das Wort zu reden oder einer „materialistischen Reduktion“ aufzusitzen. (Berliner Zeitung 4.3.03)
Kagan stellt unmißverständlich klar, wie ungern sich doch die Europäer daran erinnerten, „daß die militärische Zerstörung Nazi-Deutschlands die Voraussetzung für den späteren Frieden in Europa war. Vielmehr möchten die meisten Europäer gern glauben, daß es ein Wandel des europäischen Denkens, des Geistes, gewesen sei, der die `neue Ordnung' ermöglichte.“ Die „Lektion von München“, wie Kagan die Erfahrungen mit der Appeasement-Politik der 30er nennt, brachte die Vereinigten Staaten zu der „Grundannahme“ einer „Logik der Stärke“: Die „Lektion von München bestimmte das strategische Denken der USA, und obgleich sie kurzzeitig von der `Vietnam-Lektion' abgelöst wurde, ist sie immer noch das bestimmende Paradigma.“ Angesichts solcher Zeilen eröffnet sich erst die Dimension, die hinter einem Schröderschen Satz steckt, mit dem er auf „die Stärke des Rechts“ pocht. Er offenbart nicht nur, daß die Situation in der arabischen Region überhaupt nicht als riesige Gefahr begriffen wird, sondern darüberhinaus, daß aus dem Dilemma des Appeasements überhaupt keine Konsequenzen gezogen wurden. Insbesondere die Endlosschleife einer vehementen Verurteilung jeglicher Formen sogenannter Präventiv- und Angriffskriege belegt, daß man zum einen aus der Situation in den dreißiger Jahren fatale Fehlschlüsse zieht, die sich nur damit begründen lassen, daß man wohl allen ernstes felsenfest davon überzeugt ist, im Falle des NS hätte als Prävention mehr Handel automatisch zum demokratischen Wandel geführt und zum anderen in der Folge damit, daß man sich permanent selbst suggeriert, „die friedliche Revolution“ von `89 und die Wiedervereinigung wären auf deutschem Mist gewachsen und nicht auf das Wettrüsten unter Führung der Vereinigten Staaten und das Einverständnis der Amerikaner zurückzuführen.
Wie wohltuend und beruhigend liest sich dagegen über Kagans Problembewußtsein im Falle Deutschland: „Die Vereinigten Staaten bieten nicht nur seit fast fünfzig Jahren einen Schutzschild gegen äußere Bedrohungen (...). Wichtiger noch ist die Tatsache, daß die USA der Schlüssel zur Lösung des `deutschen Problems' waren und vielleicht noch immer sind.“ Denn nicht zuletzt die bisherige „Zähmung und Integration Deutschlands“ sei „tatsächlich die bedeutendste Leistung (...) – weltgeschichtlich betrachtet vielleicht sogar die größte Errungenschaft internationaler Politik überhaupt.“ Kagan stellt klar, daß die pazifistische Gefahr des Appeasements mit der Barbarei, die von Deutschland ausgeht, keineswegs zu unterschätzen sei. So stehe Joseph Fischer an der Spitze eines „Spektrums des europäischen Idealismus“, bei dem es „im Grunde nicht um eine Frage von Rechts und Links“ ginge, sondern um „ein neues System“, den „internationalen Frieden zu wahren“ – Fischer seinerseits findet im übrigen, daß Kagan „allerlei Bizarres vom Stapel“ lasse, wenn er die deutsche Haltung als „die blaue Blume der Romantik“ darstelle. (FAZ 17.3.03)
Daß man den Vereinigten Staaten angesichts der Zustände im Nahen und Mittleren Osten gerade aus den von ihnen gezogenen Konsequenzen aus dem katastrophalen Scheitern der Appeasement-Politik einen insbesondere deutsch-französisch Völkerrechtsstrick drehen will, ist so etwas wie eine bittere Ironie der Geschichte, die sich insbesondere in dem Vorwurf Ausdruck verleiht, die USA würden „kaum noch den Unterschied zwischen Diplomatie und Appeasement erkennen.“ (Spiegel 12/03)
Gegen Kagans Essay traten bisher verdächtig wenig Europäer zur expliziten Widerrede an. Vielmehr sei es „erstaunlich“, wie die Süddeutsche Zeitung (29.1.03) meint, „wieviel Zustimmung“ er „sowohl unter Amerikanern wie unter Europäern“ gefunden hätte. Die Frankfurter Rundschau (28.2.03) gar lobt den „bestechend klaren Essay“ als „jene neokonservative Herausfordung, auf die Europa eine Antwort finden“ müsse. Im Parlament (14.1.03), dem propagandistischen Verlautbarungsorgan aus dem Innenleben der Berliner Republik, ist man sich sicher, daß Kagan „vor allem Deutschland im Sinne“ habe. Und deshalb verkündet man ebenda sogleich wie zur Bestätigung von Kagans Thesen zum Thema US-Politik und Irak: „Soll Deutschland um der multilateralen Orientierung der Außenpolitik willen eine Politik auch dann mittragen, wenn diese als strategisch falsch und moralisch fragwürdig eingeschätzt werden muß? Selbst bei einem klaren UN-Mandat und damit völkerrechtlicher Legalität bliebe die Frage nach der strategischen Rationalität und moralischen Legitimität eines Regimesturzes mit militärischen Mitteln. (...) Es wird darauf ankommen, die gerade von neokonservativer Seite propagierte neue Agenda (der Veränderungen in der arabischen Region – S.P.) aufzunehmen, ohne deren Illusionen und imperialen Versuchungen zu erliegen.
Zur expliziten Widerrede trat man im Merkur (März 2003) und in den Blättern für deutsche und internationale Politik (11/02) an. Kagans Essay sei „besonders schön falsch“ und nichts als „Unsinn“, schreibt Christoph Bertram, Direktor des Berliner Forschungsinstitutes der Stiftung Wissenschaft und Politik, in ersterer Zeitschrift. Er basiere auf der „intellektuellen Faulheit“ Kagans, die „als intellektuelle Brillanz“ daherkomme. Ganz im Sinne Kagans Rede vom europäischen „neuen Idealismus“ warnt Bertram in schrillsten Tönen eindringlich vor der Verbreitung des „Kaganismus“, der nicht wahrhaben wolle, daß „nicht Schwäche den Unterschied zu Amerika“ ausmache, „sondern Mangel an Ehrgeiz.“ Er schreibt: „Dieser Mangel an globalem Gestaltungsehrgeiz, diese Abneigung anzuerkennen, daß internationale Ordnung nicht von selbst entsteht: das ist Europas entscheidendes strategisches Defizit“. In den Blättern gar tritt ein ganzes Autorenbündel zur „Debatte“ über Kagans Thesen an. So unter anderem der Berliner Staatsrechtler Ulrich K. Preuß, der gegen Kagan einwendet, daß unter Schröders Stärke des Rechts nicht Schwäche, sondern die „Quelle von Stärke“ zu verstehen sei, und der Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, Otfried Nassauer, der „europäische Machtpolitik“ als „Wandel durch Annäherung“, dem „Motto der deutschen Ostpolitik“, verstanden wissen will.
Dem britischen Vorzeigegentleman für Deutsche, Timothy Garton Ash, ist klar, daß die „Differenz“ zwischen Europäern und Amerikanern jahrelang durch Bill Clinton, den „Ehreneuropäer im Weißen Haus“, verdeckt wurde. Mit der „Eskalation des israelisch-palästinensischen Konfliktes“, so Ash, „haben sich europäische und amerikanische Ansichten endgültig voneinander entfernt.“ Klar sei allerdings: Weil Europa „sein Selbstbild“ kläre, „indem es auflistet, worin es sich von Amerika unterscheidet“, existiere ein „amerikanischer Antieuropäismus“, dessen „Boten vielleicht die Schwalben eines langen, schlechten Sommers“ seien. (Die Zeit 06/03) Fürwahr sollte man nicht dem Trugschluß unterliegen, das Urteil eines Richard Perle, seineszeichens einer der wichtigsten Berater George W. Bushs, über ein Europa, das seinen „moralischen Kompass“ verloren hätte, oder das Henry Kissingers, daß der Anti-Amerikanismus zu einem „dauerhaften Kennzeichen deutscher Politik“ geworden sei, als einzelne Schwalben abzutun, die noch keinen anti-europäischen Sommer machen würden. „Es ist nicht leicht, das Wort auszusprechen“, stöhnt die Süddeutsche Zeitung (29.1.03) über den Begriff des Anti-Europäismus. Denn er „scheint alle bösen Energien in sich aufzunehmen, die bis vor kurzem eher diffus durch das konservative Amerika zogen.“
„Von Tag zu Tag vertiefen konservative US-Ideologen wie Richard Perle und Robert Kagan die Kluft, indem sie den Europäern wahlweise vorwerfen, arrogant, unfähig zum Handeln oder einfach nur dumm zu sein“, hetzt die taz (2.4.03) als Zeitung der losgelassenen german Angst-Beißer drauflos. Im Deutschland-Radio (14.2.03) dagegen versucht man sich Mut zu machen: „Unter dem Einfluß von Ratschlägen wie denen Kagans haben die USA (...) einen Weg eingeschlagen, auf dem sie zunehmend nur noch auf die harten Faktoren vertrauen und damit in die Falle ihrer eigenen Macht zu gehen drohen.“

Paris-Berlin-Moskau, Achse der Zukunft

Irgendwie sei es „wie im Kalten Krieg“, frohlockt man im Spiegel. (11/03) Und tatsächlich schwingt wohl so etwas wie Nachkriegsnostalgie im neuen deutschen Selbstbewußtsein mit. Denn weil man keinen antiamerikanischen Stiefvater namens Sowjetunion mehr hat, der den Amis Paroli bieten könnte, muß man nun wieder selbst Hand an den Ami legen. Zwar ist den Deutschen offensichtlich immer noch ein wenig mulmig zumute. Mit welcher Radikalität aber, kaum daß man mal via UN-Sicherheitsrat auf der politischen Weltbühne ein bißchen was zu sagen hatte, der Schafspelz abgeworfen wurde, man die Franzosen, Russen und Chinesen vor sich hertrieb und so quasi eine zweite Front gegen die USA eröffnete, verzückt nicht nur Leute wie den französischen Antisemiten und Amerikafresser Emmanuel Todd, der seinen Bestseller „Weltmacht USA – ein Nachruf“ als Antwort auf Kagan begreift, darin den Abstieg der USA herbeisehnt und nur feststellen kann: „Das deutsche Nein hat auch Frankreich in seinem Verhältnis zu Amerika befreit. (Spiegel 12/03) Ergänzend dazu heißt es in seinem o.e. Buch: „Ohne den deutschen Widerstand gegen einen Irakkrieg hätte Frankreich nichts bewirken können. (...) Deutschland (...) hat gewissermaßen das Signal für den Aufbruch Europas in die strategische Autonomie gegeben (...). Erst wenn Rußland, Japan, Deutschland (...) ihre außenpolitische Handlungsfreiheit wiedergewonnen haben, wird die Epoche des Kalten Krieges (...) endgültig überwunden sein. Das Zeitalter der Ideologien wird vorüber sein. (Denn) es gibt keine globale Bedrohung, die ein besonderes Engagement der Vereinigten Staaten zum Schutz der Freiheit erfordert. Nur eine einzige Bedrohung schwebt heute über dem weltweiten Gleichgewicht: Amerika selbst (...).“
„Das Nein aus Berlin hat von Paris bis Moskau Hoffnungen geweckt“, stellt auch der Antiimperialist Jürgen Elsässer in seinem Buch „Der deutsche Sonderweg“ fest. Und weil er weder Sache noch Begriff kennt, sondern nur Fakten, entblödet er sich auch nicht, den deutschen Sonderweg gar nicht als gegen „`den' Westen im allgemeinen oder gar gegen Amerika, sondern gegen die europäischen Nachbarn“ gerichtet zu verorten: „Der singuläre Tiefpunkt des Sonderwegs, untrennbar mit dem Holocaust verbunden, war der Vernichtungskrieg im Osten. Das widerspricht der These, das deutsche Spezifikum sei die Frontstellung gegen den Westen“, läßt ihn sein investigativer, gegen dialektisches Denken völlig resistenter gesunder Menschenverstand erahnen, weil der Westen ja nun mal von Deutschland aus gesehen da sei, wo der Osten nicht ist. Damit aber erklärt sich zugleich, warum er vielleicht von deutscher VWL, nicht aber von deutschen Zuständen eine Ahnung hat. Und folgerichtig fordert er seinen Kanzler Gerhard auf, gegen Amerika hart zu bleiben: „Ein konsequenter Bruch mit den USA würde die Chance für eine Entspannungspolitik in Europa eröffnen. Eine stabile Freundschaft mit Paris und Moskau ist die beste Vorkehrung gegen einen neuen deutschen Sonderweg (...). Für Deutschland sind nationalistische oder islamistische Diktaturen ideal, die ihre Infrastruktur auf keinen Fall aus dem verhaßten Amerika beziehen wollen“, so Elsässer weiter in seinem quasi Bewerbungsschreiben für einen zukünftigen Posten im Auswärtigen Amt. Und als wäre er ganz dem Wahnsinn verfallen, zieht er aus der selbst von ihm anerkannten Tatsache, daß es „im Wettbewerb der Standorte (...) nicht Amerika“ ist, sondern Deutschland, „das einen rigorosen Verdrängungswettbewerb, also einen Raubtierkapitalismus praktiziert“, den Schluß einer notwendigen „Liaison Paris-Berlin-Moskau (, die) als Knoten in einem eurasischen Friedensnetz“ fungieren solle und von der „keine Ankurbelung der Rüstung, sondern allgemeine Demilitarisierung, keine weltweiten Interventionen, sondern Rückzug der Truppen“ zu erwarten sei und die ihre „Friedensdividende (...) für die zivile Wirtschaft sowie Bildung und Kultur verwenden“ würde. Ob solcher Zeilen kann es kaum noch verwundern, daß Elsässer den Friedensdemonstranten gegen den Irak-Krieg am 15. Februar 2003 in Berlin attestiert, der Antiamerikanismus hätte bei den 500.000 „nicht verfangen“. Was allerdings soll man auch von einem erwarten, der den Antisemitismus und seine Sonderform den Antiamerikanismus wie der dümmste M/Ler in seinem Buch als „Propaganda“ auffaßt.
Nicht weniger patriotisch als der Elsässer zeigte sich das feministische Fräuleinwunder Alice Schwarzer, die auf Befehl der FAZ (24.1.03) zusammen unter anderem mit den Gefreiten Sloterdijk und Habermas sowie den französischen Sergeanten Derrida und Virilio in den Feuilleton-Schützengraben stieg, um auf die „amerikanische Provokation“ Donald Rumsfelds, der über das „alte Europa“ witzelte, einen antiamerikanischen Schnellschuß abzufeuern: Stolz sei sie „auf den deutschen Kanzler. Denn er ist, was immer seine Motive sein mögen, zur Zeit führend bei dem Versuch Europas, Menschen- und Völkerrechte nicht ganz zu vergessen.“ Jenen Menschenrechten, so kann man anfügen, deren Verteidigung dem italienischen Heidegger-Schüler und Foucault-Fan Giorgio Agamben insbesondere unter deutschen Linksradikalen viele Verehrer beschert. Hat er schon in seinem ekelhaften Buch „Homo Sacer“ den Kern der Focaultschen Bio-Macht in den KZs verortet, so setzte er als Freund des Menschen- und Völkerrechts noch einen drauf. Den inhaftierten Islamisten auf Guantanamo Bay ginge es noch schlechter als den Juden im NS, durfte er in der FAZ (19.4.03) schreiben: „Der einzig mögliche Vergleich ist der mit der juristischen Lage der Juden in den nationalsozialistischen Lagern, die mit der Staatsbürgerschaft jegliche juristische Identität verloren, aber wenigstens noch die jüdische behalten hatten.“ Man kann sich sicher sein, daß ein solcher Schüler des deutschen Meisterdenkers in Blättern wie der Jungle World ähnlich dem Krypto-Faschisten Slavoj Zizek weiterhin abgefeiert wird, weil man seine Thesen „spannend“ und „interessant“ findet, ohne auch nur im Ansatz zu kapieren, inwieweit es sich ähnlich wie bei den postmodernen Franzosen oder Negri/Hardt bei den Genannten objektiv um Anhänger eines führerlosen Nationalsozialismus handelt.

Aus Gremliza wird Dieter Bohlen

Was die konkreten Vorgänge um den Irak betrifft, so hätte man der US-Politik vielleicht einfach beizeiten den Tip geben sollen, den Deutschen lang und breit einzureden, daß der Irak ein „Völkergefängnis“ a' la Jugoslawien ist, das befreit werden müsse. Dann zumindest hätte man sich wohl manchen Ärger erspart und die Deutschen an vorderster Kriegsbefürworterfront begrüßen können – auch dann, wenn ein Totalitarismus-Experte wie der Cohn Bendit den objektiven Unterschied zwischen einem Milosevic' und dem Baath-Regime jederzeit historisch genau verorten kann, wie er im Streitgespräch mit Robert Kagan versichert. Auf die Frage Kagans, was denn der große Unterschied zur Situation in Jugoslawien wäre, antwortet Cohn-Bendit: „Der Unterschied war, daß wir es damals (bei Milosevic') mit einem aggressiv-expansiven Regime zu tun hatten.“ (Spiegel 12/03
Ähnlich wie es Hegel mit der Figur Napoleons ging, kann ein Kommunistenherz, das das genaue Gegenteil von einer Mördergrube ist, derzeit nur höher schlagen lassen, wovon die Neokonservativen in den USA derzeit getrieben sind: Der Versuch der Umwälzung der Verhältnisse in einer ganzen Region, die es bitter nötig hat. Daß gerade jene, die es trotz der Tatsache, daß sie mit ihrer Friedensliebe zugleich ihre Bündnisfähigkeit mit der Barbarei unter Beweis stellen, immer noch wagen sich Kommunisten zu nennen, ist ein Umstand, der einen erzürnen läßt. Es handelt sich bei ihnen um Leute, denen es längst nicht mehr darum zu tun ist, Verhältnisse zum Tanzen zu zwingen, sondern im Gegenteil alles daran zu setzen, daß genau dies nicht eintritt. Deshalb verschanzen sie sich hinter Großtheorien, die über alles Bescheid geben, nur nicht über das konkrete Leiden von Individuen wie unter dem Baath-Regime. Sie sind mit den Deutschen so sehr im Bunde, daß sie als ihre radikale Antiimp-Vorhut bezeichnet werden müssen. Zu einem solchen Vorzeigeprotagonisten hat sich inzwischen der konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza gemausert. In seiner Mai-Ausgabe gelingt ihm nun nach mehrmaligen Versuchen auf regressive Weise endgültig der Vatermord an Karl Kraus, den er mit einem Satz gesteht, der ihn zugleich zum Chefpiloten eines geistigen Tieffliegertums macht: „Das tägliche Leben zeigt, daß gute Menschen aus besten Motiven Unheil anrichten können und böse aus miesen Nützliches.“ Tatsächlich vermag der Jargon der nichtssagenden Windungen die alten Bauernregeln nicht zu übertrumpfen, sondern nur ihren tautologischen Gehalt zu bestätigen. Drei, adäquat dem Sinn des Gremliza-Satzes, lauten so: 1. Wenn Hunde Katzen wär`n, würden sie auf Bäume klettern. 2. Wenn der Hahn kräht auf`m Mist, ändert sich`s Wetter oder es bleibt wie es ist. 3. „Bestünden die Bodenschätze des Iraks statt aus Öl aus Sauerkraut, hätte kein GI Bagdad je betreten.“ Nummer 3 stammt vom konkret-Herausgeber (ebenda) höchstselbst und macht den Kommunisten endgültig zum Kolumnisten, der auf die kolportierten Lügen derer setzt, die als organisiertes Analphabentum in Blättern wie iz3w, Jungle World oder Phase 2 ihr anti-antideutsches Unwesen treiben. Weil Form und Inhalt nun mal zusammengehören wie Henne und Ei, verschlägt es dem Gremliza nicht zufällig die Sprache, die zu retten er immer vorgab. Weil er also nichts mehr zu sagen hat, vertreibt er sich die Zeit damit, bei jenen kräftig nachzutreten, denen wie ein Mathias Küntzel im Überschwang seiner Leidenschaft eine Metapher in einem Blatt sprachlich mißlang, welchem die Ehre zuteil wurde, ein Interview mit einem Kommunisten abzudrucken, der im Gegensatz zu fast allen anderen dortigen Analphabeten zum Formulieren von Sätzen überhaupt in der Lage ist. Wer dergestalt den Oberlehrer ohne Grenzen nicht nur in München geben will, seine Schäfchen damit ins Trockene bringt, daß er sie entgegen seiner Pflicht zur rücksichtslosen Kritik verschont, der will nicht, daß dieser verkommenen Publizisten-Bagage auf Grund ihrer Friedensliebe heim ins Reich geleuchtet wird, weil ihr partout kein antideutsches Licht aufgeht. Anstatt also zu erkennen, daß der Daniel Küblböck der ideelle Gesamtleser von iz3w, Jungle World oder Phase 2 ist, macht der Gremliza den Dieter-Bohlen, der den nächsten konkret-Superstar sucht und deshalb wie der Dieter in seinem Buch in die Welt hinausposaunt, es ginge ihm um nichts als die Wahrheit.

Ewiger Krieg – ewiger Friede

Der vorgebliche deutsche „Wille zur Machtlosigkeit“ (Wolf Biermann), für den die Irrationalität quasi konstitutiv ist, kann unter den Bedingungen von Staat und Kapital und dessen Bewegungsgesetzen nur barbarisch sein. Tatsächlich scheinen die Deutschen, einem Naturgesetz gleich, sich wieder Mal als antiimperialistische Speerspitze aller geknechteten Völker zu begreifen, die nicht etwa der politischen Ökonomie ihre eigene Melodie vorsingen wollen, sondern gegen die Realität abstrakter Herrschaft hinter die politische Ökonomie zurück zur „Unmittelbarkeit“ von Herr und Knecht. Geleugnet wird also strikt, daß Krieg nicht etwa die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln ist, sondern die letztinstanzliche Durchsetzungsform politischer Ökonomie. Man kann sich sicher sein, daß Marx und Engels ihre hochachtungsvolle Würdigung der politischen Ökonomie als den Zwang, „die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen“, wie es im Kommunistischen Manifest heißt, nicht etwa trotz der Tatsache vornahmen, daß der Krieg zur politischen Ökonomie gehört wie das Ei zur Henne, sondern auch gerade deswegen – erinnert sei nur an den von Marx verfaßten Brief an Abraham Lincoln. (MEW 16, S.18) Weil die Sehnsucht nach ewigem Frieden unter dem Kapital nur eine nach Barbarisierung sein kann, ist diese Sehnsucht das genaue Gegenteil von dem, was Adorno in den „Minima Moralia“ fernab der Unversöhnlichkeit darunter verstand: „Keiner unter den abstrakten Begriffen kommt der erfüllten Utopie näher als der vom ewigen Frieden.“ (Sur l'eau)
Was den Deutschen einst der „Schandvertrag“ von Versailles, ist der antiimperialistischen Phalanx von heute die „schändliche“ Macht der Vereinigten Staaten, die sich wie damals dem Völkerbund heute der Völkergemeinschaft verschließen würden. Insofern birgt die sich selbst imaginierte Ohnmacht gegenüber der US-Politik jenes irrationale Moment in sich, das sich in Krisenzeiten notwendig potenziert. Das Regredieren auf den Bewußtseinsstand angeblicher Ohnmächtigkeit nicht etwa gegenüber den Verhältnissen, sondern angesichts eines halluzinierten Feindbildes USA, erzeugt statt einer subjektiven Leidenserfahrung kollektive Rachegelüste. Und der pathische Rachefeldzug gegen die USA und für den ewigen Frieden hat längst begonnen. „Erst muß das schauerliche Nachspiel, der Niedergang des liberalen Imperiums, durchgestanden sein. Und erst dann kann eine neue, andere politische Weltordnung auf den Plan treten“, heißt es im regierungsoffiziellen völkischen Beobachter, der sich taz nennt. (13.03.03) Denn eines sei sonnenklar, teilt ein Friedensberichter von der Front ebenda mit: „Den Westen wird es von nun an nicht mehr geben. Es gibt nur noch die USA und die anderen“. Für die attac-Postille Le Monde Diplomatique (März 03) steht fest, daß es zukünftig nur eine „bipolare Welt“ geben könne, deren einer Pol einsam und verlassen die USA darstellten und an der Spitze des anderen „entweder die EU oder die Achse Paris-Berlin-Moskau“ stünde, wobei klar sei, daß „Präsident Bush und seine Umgebung“ – wen überrascht es – den „ewigen Krieg“ verkörperten.
Angesichts des Nato-Bombardements Jugoslawiens stand in großen Lettern auf einem Kreuzberger Dach gegen die rot-grüne Regierung zu lesen: „Wer Müll trennt, wirft auch Bomben.“ Das aber ist falsch. Denn erstens haben 1999 nicht die Deutschen Raketen auf Belgrad abgefeuert, sondern die US-Air Force zu dem hauptsächlichen Zweck des „Zusammenhalts der Nato“, wie der amerikanische damalige Nato-Oberbefehlshaber Wesley K. Clark erklärte. Und zweitens muß der Spruch richtig heißen: „Wer Müll trennt, wirft auch keine Bomben.“ Dies allerdings ist angesichts des gegenwärtigen Weltzustandes die große Gefahr für eine „erfüllte Utopie“ vom ewigen Frieden, von der Adorno zeitlebens träumte.

Sören Pünjer

Fußnote:
(1) Aus: „Lehren aus dem Faschismus“; in: ders. Gesammelte Schriften Bd.8, Frankfurt am Main 1985, S.28f. Ebenda heißt es außerdem: „ (...) Die Institutionalisierung der Entnazifizierung hat das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen sollte (...). Was hat der durchschnittliche Europäer für die Zukunft aus den Nachkriegsverhältnissen im besetzten Deutschland gelernt? Er mußte zu der Überzeugung kommen, daß es in Perioden des Totalitarismus nicht klug sein mag, an der Spitze zu stehen, aber ratsam, sogar vorteilhaft, zu den Sympathisanten zu zählen; daß es riskant sein mag, aktiv an den ärgsten Greueltaten beteiligt zu sein, aber völlig gefahrlos, kleinere Verbrechen zu begehen. Es wird ihm beigebracht, daß das ideologische Element des Krieges nichts als ein Vorwand war, der die wirklichen, letztlichen Motive verbarg.“ (Hrvhbg. S.P.)

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last modified: 28.3.2007