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Die phantasmagorische Form


Einige kritische Anmerkungen zu Problemen der Wertrezeption


    „Wert (...) Seine Schmetterlingsentfaltung muß in der Zirkulationssphäre und muß nicht in der Zirkulationssphäre vorgehn. Dies sind die Bedingungen des Problems.“(1)
    (Karl Marx)

    „Daß der ‘allgemeine Gegenstand’ als solcher, das heißt der Wert als Wert sich gar nicht ausdrücken läßt, sondern nur in verkehrter Gestalt ‘erscheint’, nämlich als ‘Verhältnis’ von zwei Gebrauchswerten, entzieht sich dem Verständnis des Lesers.“(2)
    (Hans-Georg Backhaus)

    „Gerade weil die Form dem Wesen so wesentlich ist, als es sich selbst, ist es nicht bloß als Wesen, d.h. als unmittelbare Substanz, oder als reine Selbstanschauung des Göttlichen zu fassen und auszudrücken, sondern ebensosehr als Form und im ganzen Reichtum der entwickelten Form; dadurch wird es erst als Wirkliches gefaßt und ausgedrückt.“(3)
    (Georg Wilhelm Friedrich Hegel)

I. Vergegenständlichung und Schein

Die Rede vom Wert, als in der Ware vergegenständlichtes Quantum durchschnittlich notwendiger Arbeitszeit, scheint auf den ersten Blick gar nicht so problematisch zu sein, hat man sich doch daran gewöhnt, solche knackigen selbst bei Marx auftauchenden Wendungen zu übernehmen. Entscheidend dabei ist jedoch, ob derartige Formulierungen problematisiert werden oder nicht.(4) Man weiß was man hat und hat eigentlich gar nichts außer einer Bezeichnung für eine Sache deren Gehalt in derartiger Definition nur ungenügend zum Vorschein kommt.
Dass sich etwas vergegenständlicht, suggeriert zumeist sinnliche Erfassbarkeit und damit Messbarkeit, wie etwa im Falle von in einer Tonne aufgefangenem Regenwasser. Die Form einer Qualität (Wasser) ändert sich und wird unter Umständen dadurch für unsere Wahrnehmung gegenständlicher. Eine zunächst rein qualitative Erfahrung (Regenwasser) kann sich im Falle ihrer Reduktion auf reine Quantität vergegenwärtigen, indem sie sich in einer bestimmten Form (in diesem Fall Tonnenform) vergegenständlicht. Diese bestimmte Qualität wird durch Quantifizierung messbar gemacht (etwa in Litern pro Quadratmeter), so wie es allgemein wissenschaftliche Praxis ist. Wie aber – und das ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt der obigen Definition von Wert – vergegenständlicht sich ein Durchschnitt, in diesem Fall von Arbeitszeit?
Das Argument, dass sich in den Waren etwas vergegenständlicht, ist irreführend in mehrfacher Hinsicht. Zum einen muss man, hier insbesondere der in der Geldgenesis von Marx im Kapital entworfenen Darstellung, die von der „Elementarform“, der einzelnen Ware, zur abstrakten Geldware aufsteigt, folgen, und zwar zunächst aus einer Richtung, ausgehend von der konkreten Produktion einer Ware in ihrem Doppeldasein als Gebrauchsding und Wertding. Dabei erweist sich ihre Wertseite ausschließlich in Konstellation mit anderen Waren, d.h. im Tausch. Dort erst drückt die entsprechende Ware (in relativer Wertform) ihren Wertcharakter im Gebrauchswert einer sinnlich verschiedenen Ware aus (in Äquivalentform) und gewinnt dadurch ihre „Wertgegenständlichkeit“. Zugegebenermaßen scheint sich mit diesem auch bei Marx auftauchenden Begriff die Argumentation zu verstricken, weil davon gesprochen wird, dass sich hier doch etwas (Wert) vergegenständlicht, genaugenommen jedoch nur als Verhältnis zweier verschiedenartiger Waren zueinander. Wert erscheint im Verhältnis (!), ist weder der einen noch der anderen Ware zuzuschreiben, aber ist geltend für jedes Verhältnis innerhalb der Mannigfaltigkeit der Warenwelt. „Im graden Gegenteil zur sinnlich groben Gegenständlichkeit der Warenkörper geht kein Atom Naturstoff in ihre Wertgegenständlichkeit ein. Man mag daher eine einzelne Ware drehen und wenden, wie man will, sie bleibt unfaßbar als Wertding. Erinnern wir uns jedoch, daß die Waren nur Wertgegenständlichkeit besitzen, sofern sie Ausdrücke derselben gesellschaftlichen Einheit, menschlicher Arbeit, sind, daß ihre Wertgegenständlichkeit also rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch von selbst, daß sie nur im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware erscheinen kann“ (MEW Bd. 23, 62). Die abstrakte Geldware als sinnlich existierende, drückt dieses Verhältnis der Waren zueinander aus und ist quasi die Inkarnation eines ausschließlich gedachten abstrakten Denkvorganges. Alfred Sohn-Rethel hat dafür den Begriff der „Realabstraktion“ ins Spiel gebracht (vgl. Sohn-Rethel, 9 ff.). Was speziell hier gesagt werden soll ist, dass – wenn man der Darstellung von der „einfachen Wertform“ zum Geld im Kapital folgt (Wertformanalyse) – immer schon eine warentauschende Gesellschaft vorauszusetzen ist. Denn dort und nur dort kann es ein völlig vom Gebrauchswert losgelöstes synthetisierendes Denken geben, d.h. dass die Tauschabstraktion als das „a priori“ jeglicher Tauschpraxis bereits im Menschengeiste fungiert. Leider kann an dieser Stelle eine genauere Erörterung zum Sachverhalt von Tauschabstraktion und gesellschaftlicher Synthesis nicht erfolgen (dazu wie gesagt vgl. Sohn-Rethel). Die Form der Darstellung bei Marx im Kapital muss also an einem Ort beginnen (der Analyse der Ware), wo unser empirisches Wahrnehmungsvermögen schon immer konkrete Produktion identifiziert. Damit entsteht die Vorstellung eines Nacheinander von Produktion und Zirkulation in genau hier aufgeführter Reihenfolge. Was geschieht aber in einer entfalteten Warenwirtschaft, wo Voraussetzung und Resultat des Produktionsprozesses ineinander umschlagen und in der allgemeinen Formel des Kapitals (G-W-G’) ihr Dasein vorfinden? Oder zunächst einfacher: Wie ist der Wert zu begreifen, wenn er einerseits aus der Produktion hervorgeht, wobei der gewinnbringende Verkauf schon immer mitgedacht wird, und andererseits das in der Zirkulation realisierte Geld zur erneuten gewinnbringenden Produktion dient? Dieses „ineinander Umschlagen“ von Produktion und Zirkulation ist im Kapitalprozess nur Hegelianisch zu konzipieren. Das heißt, dass beide Seiten ineinander aufgehen, nicht als verschwimmende Unbestimmbarkeit der Kategorien, sondern als sich gegenseitig bedingendes Verhältnis, und nur als solches, in dem keiner der beiden Pole mehr separat zu denken ist. In diesem dialektischen Verhältnis (siehe Exkurs in Abschnitt II.), wobei der Wert in Geldform erscheinend, quasi das prozessierende Fluidum darstellt, kann eine Kategorie wie Vergegenständlichung demnach nur eines heißen, nämlich dass das, was vergegenständlicht in Warenform erscheint, also bspw. in einer Ware im Lagerhaus oder in einer bestimmten Menge Geld im Tresor, nur im Prozess des gesamtgesellschaftlichen Zwangs zur ständigen Verwertung des Werts seine Existenz findet. Nicht umsonst spricht Marx im Kapital vom Wert im ständigen Formenwandel von Ware und Geld, dem „automatischen Subjekt“. „Als das übergreifende Subjekt eines solchen Prozesses, worin er Geldform und Warenform bald annimmt, bald abstreift, sich aber in diesem Wechsel erhält und ausreckt, bedarf der Wert vor allem einer selbständigen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konstatiert wird. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Dies bildet daher Ausgangspunkt und Schlußpunkt jedes Verwertungsprozesses“ (MEW Bd. 23, 169). Nun ist aber die Kategorie der Vergegenständlichung im Hinblick auf den Wert nicht aus der Luft gegriffen und daher muss auch gefragt werden, wie dieser Schein genau zustande kommt. Redet man von Schein, und als solcher soll die Vergegenständlichung von Wert nun endgültig enttarnt werden, so muss man das eigene Bewusstsein in die kritische Reflexion hereinholen. Dieses ist als notwendig falsches dazu angehalten, beim Akt des Warentausches ständig Ware und Geld voneinander zu trennen und doch zu wissen, dass beides als Repräsentant von Wert gelten kann. Es sitzt dem Schein von Gleichheit und gleichzeitiger Unterschiedenheit von Ware und Geld auf und neigt deshalb dazu, den Wert als Menge vorzustellen, die aber qualitätslos bleiben muss – abstrakt.(5) Oder anders gesagt: Ich tausche qualitativ verschiedene Dinge gegeneinander (Ware gegen Ware) bzw. Qualitatives gegen sich selbst seiende Qualität – Qualitätsloses (Ware gegen Geld) mit dem Bewusstsein, dass dabei Wertmenge, qualitätslos wie auch immer, hin- und herspringt. Diese abstrakte Menge, wechselt also im Bewusstsein der Tauschenden zusammen mit den jeweiligen Zustandsformen (Ware oder Geld), zwischen den Tauschpartnern, wie diese gleichsam selbst ihren Besitz wechseln. Der Materielle Träger wechselt sinnlich fassbar, die abstrakte Menge nur im Bewusstsein den Trägern anhaftend. Dabei ist das an statisches Erfassen gewohnte Bewusstsein, wie erwähnt, dazu angehalten, nicht Fixierbares (weil in Bewegung – dazu genauer Abschnitt II.) in einer der wechselnden Formen zu fixieren. Das Geld ist der dingliche, im Bewusstsein zur Natürlichkeit geronnene Ausdruck dessen – daher auch das Bedürfnis, Wert in Geldmenge – bereits in der Preisform zu denken. Es ist das allgemeine Äquivalent und genießt damit allgemeine Akzeptanz, welche jedem Tauschakt bereits vorausgehen muss, deswegen auch die Bewusstseinsfixierung hin zur Geldseite. Das warentauschende Bewusstsein muss dieses Allgemeine denken als abstrakte Quantität, es ist fixiert darauf. Müsste es die ständig wechselnden Warenkörper fixieren, könnte es keine Allgemeinheit vorstellen, der Warentausch wäre völlige Irrationalität im Sinne einer warentauschenden Gesellschaft oder zumindest kein Äquivalententausch – daher die Notwendigkeit eines allgemeinen Äquivalents. Auf die Frage, was wir uns denn vorstellen, wenn wir Geld denken, müsste demnach geantwortet werden: eine abstrakte qualitätslose Menge. Neigt das Bewusstsein also dazu, Wert separat an den einzelnen Waren (nicht im Verhältnis zu anderen) wahrzunehmen, dann ist dies nur Schein – oder genauer gesagt objektiver Schein, nicht im Sinne eines bloß Gedachten, sondern gesellschaftlich wirkungsmächtig.

II. Wertentstehung

Wie oben bereits angedeutet, neigt das Bewusstsein dazu, Produktion und Zirkulation als ein Nacheinander zu denken. Das klingt ja auch logisch, weil – und so ist es empirisch wahrnehmbar – eine Ware ja erst produziert werden muss, um dann später verkauft werden zu können. Dies mag ja für jede einzelne Ware auch zutreffen, aber wird oft vorschnell darauf geschlossen, dass selbiges dann ebenso auf den Wert zutreffen müsse. Wert entsteht in der Produktion und erscheint danach in der Form des Geldes im Warenaustausch. So intendiert es zumindest in Ansätzen die Gruppe „Krisis“, wenn sie in persona von Norbert Trenkle schreibt: „Davon zu sprechen, dass der Wert in der Form des Tauschwerts erst auf der Ebene der Zirkulation erscheint, setzt bereits die Einsicht voraus, dass er nicht hier entsteht...“ (Trenkle, 437 f.). Obwohl Trenkle bewusst ist, „...dass der Wert partout nicht empirisch dingfest gemacht werden...“ kann und dass „...weder die Arbeitssubstanz aus den Waren herausgefiltert...“ noch „sich überhaupt von der Ebene der empirischen Erscheinung (also von der Ebene der Preise) in konsistenter Form auf die Warenwerte zurückrechnen...“ (vgl. Trenkle, 438) lässt, begeht er trotzdem den Fehler, dem abstrakten Verhältnis (Wert – erscheinend im Verhältnis zweier verschiedener Gebrauchswerte) einen Ursprung zuweisen zu wollen, wie es Voraussetzung der klassischen Arbeitswerttheorie (Adam Smith, David Ricardo) sein muss. „Der Wert entsteht in der Produktion!“, heißt es dann so schön einfach bei „Krisis“ wie im traditionellen ML.(6) Dass aber seine „Schmetterlingsentfaltung“, wie Marx so schön sagt, in Produktion und Zirkulation zugleich vorgehen muss, ist eine Frage der Dialektik. Wissenschaftler, Anhänger klassischer Logik und Krisentheoretiker begehen hier den Fehler, fein säuberlich einzelne Erscheinungsebenen und Erscheinungszeiten gegeneinander abzugrenzen, um solch klare Aussagen treffen zu können. Das dem Text vorangestellte Zitat von Marx dürfte somit eigentlich als Widerspruch in sich verteufelt werden, weil etwas an zwei verschiedenen Orten zugleich dem gemäß nicht sein kann. Dies mag zwar auf Materie zutreffen, aber ob das bei einem prozessierenden Abstraktum, das nur in verwandelter Gestalt konkret erscheint, gleichfalls ein Ding der Unmöglichkeit ist, kann und darf eine Kritik der politischen Ökonomie nicht dogmatisch behaupten. Wenn also Produktion und Zirkulation in einem wechselseitigen, dialektischen Verhältnis stehen, dann heißt das dementsprechend für die einzelnen Elemente in diesem Verhältnis, dass sie ebenfalls dialektisch zu fassen sind, d.h. sie sind von zwei Seiten zu betrachten. Im Falle des fertigen allgemein geltenden Äquivalents – des Geldes – hieße das, zu fragen, wie es dazu gelangte, jede Ware repräsentieren zu können. Im Falle der „Elementarform“ der Gesellschaft – der Ware – gilt es zu fragen, wie diese zu ihrem „zwieschlächtigen“ Charakter (Gebrauchswert und Wert zu sein) kommt und wie schließlich aus ihr heraus die abstrakte Geldform zu erklären ist. „Die Schwierigkeit liegt nicht darin zu begreifen, dass Geld Ware, sondern wie, warum, wodurch Ware Geld ist“ (MEW Bd. 23, 107). Diese Aufgabe stellt sich Marx – wie gesagt – bei der Analyse der Wertform im Kapital. Um dies zu können, muss versucht werden, Allgemeines (Geld) und Konkretes (Ware) zusammenzudenken als dialektisches Verhältnis, d.h. zu begreifen, dass beides das jeweils andere setzt sowie voraussetzt. Man muss begreifen, und hier ist zugegebenermaßen ein gewisses dialektisches Verständnis vonnöten, dass das Verhältnis, also die Form in der Allgemeines und Besonderes zusammentreten, eine übergeordnete Identität gewinnt – oder mit Hegel gesprochen eine „Identität der Identität und Nichtidentität“.

Exkurs: Was ist ein dialektisches Verhältnis?

Dialektisches Verständnis von einer bestimmten Sache ist nur durch die Reflexion auf sie selbst zu haben. Was heißt es jedoch, auf eine bestimmte Sache zu reflektieren? Es heißt, in Widersprüchen zu denken, die Wirklichkeit, die objektive Außenwelt – sprich die Sache – reflektierend ins Bewusstsein zu holen. Denken in Widersprüchen ist hier aber nicht aus dem luftleeren Raum gegriffen, wie es einigen an zweiwertiger Logik geschulten Leuten oft in den Sinn kommt, sondern es heißt, sich an die Sachen hinzugeben und durch die Reflexion selbiger, ihren widersprüchlichen Charakter zum Vorschein zu bringen. Es soll dadurch zu Tage treten, dass die Wirklichkeit (hiermit soll jede sinnlich erfahrbare Sache einbeschlossen sein) nicht logisch schlüssig vorliegt und nur noch klassifiziert werden müsse, sondern dass sie sich in einem Prozess innerhalb von Raum und Zeit vollzieht und somit als „Werden“ zu erkennen ist, nicht als absolute Gegebenheit, vielmehr als ständiges Wechselspiel von Statik und Dynamik – dialektisch. „Dialektik ist in den Sachen, aber wäre nicht ohne das Bewußtsein, das sie reflektiert; so wenig, wie sie in es sich verflüchtigen läßt. In einer schlechthin Einen, unterschiedslosen, totalen Materie wäre keine Dialektik“ (Adorno, 205). Die Wirklichkeit vollzieht sich in Relation, geltend für Natur einerseits und auch für Gesellschaft als hinzutretende „zweite Natur“; beide sind in ein dialektisches Verhältnis getreten, was sich permanent zwanghaft vollzieht, wobei das was als erste Natur bezeichnet werden kann, nicht mehr zu bestimmen ist, weil mit der kapitalistischen Warenproduktion ein auf alles übergreifendes System, eine Totalität existiert, wie das im vorliegenden Text lediglich angedeutet werden kann.(7)Wenn weiterhin dialektisches Denken Ausschluss von Absolutheit bedeutet, dann ist damit gemeint, dass etwa „schwarz“ oder „weiß“, „hell“ oder „dunkel“ als isolierte Bestimmungen in Reinheit nicht vorkommen, sondern sie lediglich Grenzbegriffe des Denkens sind, welches die Wirklichkeit ansonsten schon immer im Wechselspiel der Gegensätze – im Verhältnis wahrnimmt. Verhältnis ist hiernach nichts anderes als Trennung von Einheit und Einheit von Getrenntem. „Die Polarität“ der Dialektik kann weder als „letzte Zweiheit“ noch als „letzte Einheit“ verstanden werden. Die vermittelten Pole, die „Reflexionskategorien (...) konstituieren sich durch einander, wie sie vermöge solcher Konstitution auseinandertreten“ (vgl. Adorno, 176).
Wenn nun bei Hegel die Rede von einer „Identität der Identität und Nichtidentität“ ist, dann ist darunter zu verstehen, dass das Verhältnis als Ganzes schon immer mehr darstellt, als die bloße Addition der jeweiligen Gegensätze des zu bezeichnenden Sachverhalts, und zwar weil das Verhältnis sich real geltend macht, als real antagonistische Einheit.(8)
„Sie ist nicht bloß Einheit innerhalb der Mannigfaltigkeit sondern, als Stellung zur Realität, aufgeprägt, Einheit über etwas. Damit aber der puren Form nach antagonistisch. Einheit ist die Spaltung“ (Adorno, 311). Adorno spricht an anderer Stelle sogar davon, dass der Wert selbst „die Einheit des Vielen, der sinnlich verschiedenen Dinge, der Gebrauchswerte“ sei (in: Sohn-Rethel, 223).
Von Realität und Geltung ist hier insofern die Rede, als sich ohne Zweifel ideologiekritisch feststellen lässt, dass die Realität der Sachen nur als solche existiert, wenn jene zugleich im Denken reproduziert wird, wenn Vermittlung durchs Bewusstsein stattfindet. Subjekt und Objekt müssen vermittelt über bestimmte Denkformen zueinander finden, anders ist Praxis der vergesellschafteten Menschen nicht möglich. „Zwang wird ihnen zum Sinn. Nicht ohne allen Grund: denn das abstrakt Allgemeine des Ganzen, das den Zwang ausübt, ist verschwistert der Allgemeinheit des Denkens, dem Geist (...) Im Geist ist Einstimmigkeit des Allgemeinen Subjekt geworden, und Allgemeinheit behauptet in der Gesellschaft sich nur durchs Medium des Geistes, die abstrahierende Operation, die er höchst real vollzieht. Beides konvergiert im Tausch, einem zugleich subjektiv Gedachten und objektiv Geltenden“ (Adorno, 310). Warenproduzierende Verhältnisse vorausgesetzt hieße das, nach der Vermittlung von Warenform und Denkform zu fragen, einem Verhältnis also, welches ausschließlich als „’verrückte Form’, die sich an sich selbst dem Verstand entzieht“ und genau dadurch ihre eigne Rationalisierung hervorbringt. „Das ist die basale Denkform und zugleich die fundamentale Fetischform des Denkens. Rationalisierung ist Ideologisierung, ist notwendig falsches, nämlich explizit rationales Bewußtsein des an sich verkehrten, paradoxen Gegenstandes“ (Initiative Sozialistisches Forum, 30 f.). Was hier so mystisch umschrieben wird, ist letztendlich nichts anderes als dasjenige, was Marx den Fetischcharakter der Ware nennt, dessen Eigenschaft es ist, den Menschen, den „Austausch ihrer Arbeitsprodukte (...) nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“ (MEW Bd. 23, 87) zurückzuspiegeln. Dieser notwendige Schein, als ein sich ihrem Bewusstsein entziehender, ist ihnen nicht bewusst und damit reproduzieren sie ideologisch die ökonomischen Verhältnisse. „Es sind gesellschaftlich gültige, also objektive Gedankenformen für die Produktionsverhältnisse dieser historisch bestimmten gesellschaftlichen Produktionsweise, der Warenproduktion“ (MEW Bd. 23, 90). Es kommt zur „Verkehrung“ von ökonomischer Basis und ideologischem Überbau, d.h. zur notwendigen Dialektik von Basis und Überbau, einem Sachverhalt der dem traditionellen Marxismus-Leninismus gänzlich verborgen blieb. Dieser bestand darauf, dass der ideologische Überbau eine Ableitung aus der ökonomischen Basis schlechthin sei. Dass aber Basis und Überbau ineinander umschlagende Kategorien sind, daher nicht einfach einseitig auflösbar, beispielsweise durch ein neuartiges Verständnis von Warenproduktion auf Grundlage eines Klassenbewusstseins, macht schließlich die Dialektik dieses Verhältnisses aus. „In der gegenwärtigen Epoche der Menschheit ist die Ökonomie als die fundierende Schicht derart zum ‘Wesentlichen’ geworden, daß alle anderen Schichten zu ihrer ‘Erscheinungsform’ geworden sind (...) in den Antagonismen des kapitalistischen Produktionsprozesses ist es begründet, daß die zentralen mit diesem Prozeß verknüpften Phänomene den Menschen nicht unmittelbar als das erscheinen, was sie ‘in Wirklichkeit’ sind, daß sie sich vielmehr verdeckt, in einer ‘verkehrten’ Form darstellen“ (Marcuse, 69 f.).

...Fortsetzung II. Wertentstehung

Kommen wir nun zurück zum Problem der Wertentstehung und fragen erneut, wo und wann der Wert entsteht. Die Gruppe „Krisis“ und deren Anhänger(9) scheinen diese Frage schon immer positiv beantworten zu können, indem sie zu wissen glauben, dass der Wert nur in der Produktion entstehen könne und damit des Rätsels Lösung auf der Hand liege. Dass sie dadurch eventuell mit dem Meister selbst in Konflikt kommen könnten fällt ihnen natürlich nicht ein. Dieser bemerkt nämlich: „Die politische Ökonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen Wert und Wertgröße analysiert und den in diesen Formen versteckten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Wertgröße des Arbeitsprodukts darstellt?“ (MEW Bd. 23, 94 f.) und weiter heißt es dort: „Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Ökonomie, daß es ihr nie gelang, aus der Analyse der Ware und spezieller des Warenwerts die Form des Werts, die ihn eben zum Tauschwert macht, herauszufinden.“ (MEW Bd. 23, 95). Es gilt – Marx zufolge – zu fragen, warum der Wert einzig quantitativ in der Erscheinungsform des Tauschwerts – als Geld den Warentauschenden gegenübertritt. Wie sich also deren abstrakte Vorstellung (wir erinnern uns daran, dass Wert sich nur im Verhältnis zweier sinnlich verschiedener Waren ausdrücken kann) plötzlich in die Gestalt eines Dings (nur Bares ist Wahres) verwandelt und folgend zum bestimmenden Allgemeinen der gesamten Gesellschaft wird. Der Wert kann – und das ist nun die schwer verständliche These – nur als übergreifende Kategorie gedacht werden, oder besser gesagt als das Übergreifende schlechthin. Übergreifend bedeutet demnach, dass er (der Wert) sowohl abstrakt im Denken als auch in konkreter Gestalt existiert, quasi intelligiblen und materiellen Charakters zugleich. Dies ist jedoch nur möglich, wenn er als vermittelndes Prinzip gefasst wird, einerseits vermittelnd zwischen Ökonomie als Ganzem und den Bewusstseinsformen der Menschen und andererseits in sich selbst vermittelt als Kapital. Als solches erhält er sich nur durch einen Formenwandel hindurch – fürs Bewusstsein unfassbar. Voraussetzend dafür ist die Spaltung der Kategorie Ware in zwei Daseinsformen – Ware und Geld. Das Prinzip Ware setzt sozusagen seine Elemente Ware (konkret verschieden) und Geld (abstrakt allgemein), welche sich nur im ständigen Formenwandel als Kapital geltend machen. „Kapital ist Geld, Kapital ist Ware“ (MEW Bd. 23, 169). Nur in diesem Medium, dem Kapitalprozess, hat der Wert die Möglichkeit seines Fortbestehens, nämlich als „Selbstverwertung“, als im Prozess begriffene Zusetzung von Mehrwert. Dadurch hat er „die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier. Als das übergreifende Subjekt eines solchen Prozesses, worin er Geldform und Warenform bald annimmt, bald abstreift, sich aber in diesem Wechsel erhält und ausreckt, bedarf der Wert vor allem einer selbständigen Form, wodurch seine Identität mit sich selbst konstatiert wird. Und diese Form besitzt er nur im Gelde“ (MEW Bd. 23, ebenda). Wenn also der Wert im anderen seiner selbst erscheint, im Tauschwert (als Geld), dann drückt er damit die ganze Wahrheit seines ihn setzenden und voraussetzenden Verhältnisses aus. Es ist sein Bekenntnis zu Arbeit als seiner Substanz, wie auch zu Produktion und Zirkulation als dem dialektischen Verhältnis, welches das Medium seiner Formwandlung darstellt. Nur durch Produktion und Zirkulation, „dieser verschiedenen Momente zueinander (...) findet Wechselwirkung (...) statt. Dies der Fall bei jedem organischen Ganzen“ (Grundrisse, 20 f.).(10) Der Wert, so soll hier angedeutet werden, ist ein sich in der Form des Tauschwerts (mal in konkreter Ware erscheinend, mal in Geldform erscheinend) durch die Momente seiner Form durchhaltendes konkret Allgemeines, das sein Dasein nur deswegen erhalten kann, weil es seinen Inhalt nur durch seine Form gewinnen kann und umgedreht, die Form nur in der Vermehrung seines Inhaltes besteht. Seine abstrakte Bestimmung, Wert zu sein, ist sich selbst Voraussetzung wie Ziel zugleich, es ist seine permanente Selbstverwertung in Kapitalform. „Im Kapital erscheint das Geld, der vorausgesetzte verselbstständigte Tauschwert – nicht nur als Tauschwert, sondern als Verselbstständigter Tauschwert als Resultat der Zirkulation (...) Andrerseits ist das Geld gesetzt als die Zirkulation als die Bewegung seines eignen Prozesses setzend, als Bewegung seiner eignen Realisierung des sich verewigenden und verwertenden Werts. Als Voraussetzung ist es hier zugleich Resultat des Zirkulationsprozesses und als Resultat zugleich Voraussetzung der bestimmten Form desselben (...) Es ist Einheit von Ware und Geld, aber die prozessierende Einheit beider, und weder die eine noch das andre, wie sowohl die eine als das andre“ (Urtext, 938 f.). Es ist die Bestimmung des Kapitals (sich verwertender Wert) alles andere auf sich zu beziehen, sein Prinzip, auf alles seinen Bann zu legen, so dass alles sich nach ihm (dem Wertverwertungsprinzip) ausrichtet, so ist es sich selbst Zweck, nach dem Motto: „Alle für mich und ich für mich.“ Damit ist sein Prinzip, das einer Totalität, einer abstrakten Selbstbezüglichkeit, welche alles aus sich selbst heraus setzt und zwar für nichts anderes als sich selber. Darin muss jedes gesellschaftliche Verhältnis dem Bewusstsein der Menschen als „Verkehrung“ der wirklichen Verhältnisse erscheinen und nicht als das, was es wirklich ist, nämlich ein nicht nach ihren wirklichen Bedürfnissen gerichteter Prozess. Jeder Versuch, dem Kapitalverhältnis eine konträre Identität entgegenzusetzen, affirmiert es letztendlich nur. „Was strahlt, als wäre es über den Antagonismen, ist eins mit der universalen Verstrickung. Das Allgemeine sorgt dafür, daß das ihm unterworfene Besondere nicht besser sei als es selbst. Das ist der Kern aller bis heute hergestellten Identität“ (Adorno, 306). Jedes Einzelne gilt hier immer schon als aus dem Ganzen Gesetztes, als Moment des Prozesses, ob nun der politischen, privaten oder sonst einer Sphäre angehörend, nichts anderes besagt die Rede von der Warenförmigkeit der gesamten Gesellschaft. Der Wert als deren innere Bezüglichkeit kann, davon war hier schon mehrfach die Rede, nur als sich in seiner notwendigen Gestalt des Tauschwerts prozessierendes Abstraktum im Formenwandel zwischen Ware und Geld, demnach in der Form des Kapitals verstanden werden. Wenn er dinghaft erscheint, dann nur in seinen jeweiligen Momenten, alle anderen Momente sind aber darin inbegriffen – im Verhältnis der einzelnen Zustandsformen (Warenform, Geldform) die einander setzen als auch voraussetzen. Dies ist sein Erscheinen, das sein Wesen gleichzeitig dem Bewusstsein verbirgt. „Wesen ist, was nach dem Gesetz des Unwesens selber verdeckt wird; bestreiten, daß ein Wesen sei, heißt sich auf die Seite des Scheins, der totalen Ideologie schlagen, zu der das Dasein wurde. Wem alles Erscheinende gleich viel gilt, weil er von keinem Wesen weiß, das zu scheiden erlaubte, macht, aus fanatisierter Wahrheitsliebe, gemeinsame Sache mit der Unwahrheit“ (Adorno, 171). Dies macht den Zusammenhang von Warenform und Denkform aus, den es ideologiekritisch zu durchleuchten gilt. Ideologiekritik heißt in diesem Sinne, die Kritik der politischen Ökonomie zum ersten Gegenstand zu machen, weil diese den doppelt falschen Zusammenhang von „Sein“ und „Bewusstsein“ der Menschen konstituiert. „Die Wirklichkeit, in der über das Wesen des Menschen entschieden wird, ist die Totalität der Produktionsverhältnisse. Sie ist keine bloße ‘daseiende Mannigfaltigkeit von Umständen’; sie ist eine in ihrem Zusammenhang analysierbare Struktur, innerhalb der Inhalt und Form, Wesen und Erscheinung, Verdecktes und Offensichtliches unterscheidbar sind. Ihr Inhalt ist die Erhaltung und Erneuerung der Gesamtgesellschaft (...) Die Form, in der dieser Inhalt existiert, ist der Ablauf des Produktionsprozesses als Verwertungsprozeß des Kapitals“ (Marcuse, 80).
Wenn nun aber, und damit kommen wir zum eigentlichen Problem zurück, bei der „Krisis“ die Rede davon ist, dass der Wert in die Waren „hineinkommt“ und wieder „verschwindet“, wenn diese im Zuge einer Überproduktionskrise vernichtet werden, dann ist dies bereits ein fetischistischer Reflex des Bewusstseins, welches schon immer danach trachtet, sich Verhältnisse als Dinge vorzustellen oder diese zumindest gedanklich den empirischen Dingen anhaften zu lassen (siehe Abschnitt I. des vorliegenden Textes). Dabei wird genau Kapital nur in der Einzelheit seiner Momente separat gedacht, exakt dann, wenn „Wert“ auch nur annähernd in Reichweite des fetischisierten Bewusstseins kommt, d.h. wenn er in sinnlich erfassbarer Warenform erscheint. „Der Wert muss nach der Produktion schon drin sein“, heißt es dann recht nachdrücklich im Jargon der hier kritisierten Argumentation. Zwar gelangt beim beschriebenen Vorgang der Warenvernichtung das spezifische Substrat des gesellschaftlichen Gesamtverhältnisses, ergo Arbeit nicht zu ihrer eigentlichen Bestimmung (in der Form von Mehrarbeit, Mehrwertakkumulation zu ermöglichen), jedoch wird das was abstrakt „Wert“ bedeutet in der Gesamtform aufgehoben. Der spezielle Akt der Warenvernichtung dient somit den allgemeinen Verwertungsbedingungen insgesamt und stellt in diesem Sinne keine „Vernichtung“, sondern vielmehr ein „Aufheben“ (11)des konkreten Inhalts in seiner abstrakten Form dar. Auch dies ist „kein Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zur adäquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann“ (MEW Bd. 23, 117). Man kann demzufolge beim Akt der Warenvernichtung nicht ohne weiteres im Gleichklang von Wertvernichtung sprechen, denn Wert, als Vermittler und damit Einheitsstiftendem zwischen Inhalt und Form des gesellschaftlichen Gesamtverhältnisses, hebt sich in seiner Bestimmung als vermittelndes Prinzip auf. Man könnte davon sprechen, dass hier die Ware ihre Wertseite im Gesamtverhältnis der kapitalistischen Produktionsweise aufhebt, hingegen ihr Gebrauchswert seiner Bestimmung entzogen wird, indem ihm das Eintreten in den Tauschakt und die spätere Konsumtion versagt bleibt. Hierzu analog zu sehen wäre das Marxsche Verständnis einer möglichen Konsumtion der Ware: „Das reale Dasein der Ware, ihr Dasein als Gebrauchswert, fällt aus der einfachen Zirkulation heraus. So muß das Moment in den Prozeß des Kapitals, worin die Konsumtion der Ware als ein Moment seiner Selbstverwertung erscheint“ (Urtext, 939 – Hervorhebung im Zitat durch den Autor). Verstehen lässt sich das aber nur, wenn ein gesellschaftliches Ganzes vorausgesetzt wird, eine Totalität, worin Konkurrenz zwischen den verschiedenen Kapitalien herrscht. Dadurch erst existiert so etwas wie ein gesamtgesellschaftlicher Durchschnitt als regelloses Prinzip, das über Verkauf oder Vernichtung von Waren entscheidet und letztendlich auf die Einzelkapitale zurückschlägt. Jedes Moment dieses Prozesses muss demnach übergreifend betrachtet werden, als totalitätsstiftend.

Nachtrag: Andeutung zum Theorieproblem(12)

Ein oft gehörtes Argument seitens des „Krisis“ -Umfeldes für die Untermauerung der These, dass „der Wert schon während der Produktion in die Waren hineingelangt“ lautet in etwa folgendermaßen: „Der Wert kann nur in der Produktion entstehen, sonst sind Krisen (zyklische Krisen sowie das von der „Krisis“ angenommene Zusammenbruchsgesetz) nicht erklärbar.“ Abgesehen von seiner inhaltlichen Unhaltbarkeit, die hier einige Zeilen zuvor angedeutet wurde, ist dieses Argument auch formell äußerst fragwürdig. Geht es der „Krisis“ sonst zumeist darum, jede konkretere ökonomische Kategorie (z.B. Profit) aus der allgemeineren (z.B. Wert) abzuleiten, so verstrickt man sich hierbei in seine eigene Argumentation. Das Problem der Wertentstehung, welches logisch kategorial weit vor einem eventuellen Profitratenfall anzusiedeln ist, wird praktisch mit seinem vermeintlichen und von der Krisentheoretikerfraktion herbeigezauberten Ergebnis, d.h. Krise begründet und einseitig aufgelöst – zur Produktion hin natürlich. Um dieses formell unzulängliche Argument noch etwas zu verdeutlichen, ein methodisches Beispiel: Angenommen wir haben es mit einem Problem zu tun, dessen Lösung wir nicht wissen können, weil sie empirisch in der Zukunft liegt oder aus dem Problem nicht analytisch entwickelt werden kann. Letzteres sei der Fall. Es ist also für den Krisentheoretiker im Fall seiner Krisenbegründung nur möglich, das Problem zu lösen, indem er mit einem vermeintlichen Resultat (Krise) sein Problem (Wertentstehung) begründet und es so überbrückt. Damit ist sein Argument ein zirkulär erzwungener Schluss. Weil eine logische Ableitung nicht möglich ist, soll das Resultat die Ursache erklären.
Dies ist ein Beispiel für eine Vorgehensweise (vorliegend in Form einer Hilfskonstruktion) von Theorie, die sich den Gegenstand entsprechend zurechtstutzt, damit die Theorie stimmig ist. Aussagen über den Gegenstand etwa die Wirklichkeit (Worauf sonst sollte sich Theorie beziehen?) sind quasi mit der Begradigung von Widersprüchen erkauft. Dem Theoretiker geht es darum, seine Theorie, koste es was es wolle, bestätigt zu sehen. Dazu ist er aber nur in der Lage, indem er seinen Standpunkt über die Wirklichkeit erhebt, sie praktisch auf sein Begriffssystem zuschneidet. Er rationalisiert die Wirklichkeit, das faktische „Auseinanderfallen von Wesen und Erscheinung, Ideal und Wirklichkeit, Wahrheit und Irrtum (...) in einer theoretischen Darbietung, die jeder rational nachvollziehen kann (...) In dieser Denkform interveniert der sich als praktischer Agitator übende Theoretiker, indem er vorgibt, Ideal und Wirklichkeit vermitteln zu können: deshalb ist der Theoretiker der Wert“ (Initiative Sozialistisches Forum, 91).
Kritik hingegen wäre die Darstellung des Irrationalen, des Form-Inhalt-Widerspruchs selbst, verbunden mit der, aus dem allgegenwärtigen Leiden der Subjekte, einsichtigen Forderung nach Abschaffung der zwanghaften Form des Kapitals und des sie reproduzierenden falschen Bewusstseins. Dies wäre im Kern die rational einsichtige Notwendigkeit des Reichs der Freiheit und dessen praktische Umsetzung als Konsequenz.

Roman

Literatur:
• Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1966.
• Backhaus, Hans-Georg: Zur Dialektik der Wertform, in: ders.: Dialektik der Wertform, Freiburg 1997, S. 41-64.
• Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988.
• Initiative Sozialistisches Forum: Der Theoretiker ist der Wert, Freiburg 2000.
• Kurz, Robert: Abstrakte Arbeit und Sozialismus. Zur Marx’schen Werttheorie und ihrer Geschichte, in: Marxistische Kritik Nr. 4 /1987, S. 57-108.
• Marcuse, Herbert: Zum Begriff des Wesens, in: ders.: Schriften Band 3 (Aufsätze aus der Zeitschrift für Sozialforschung 1934-1941), Frankfurt am Main 1979, S. 45-84.
• Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, 1. Band (MEW Bd. 23), Berlin 1974.
• Ders.: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Rohentwurf), darin: Urtext „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, Berlin 1974.
• Reichelt, Helmut: Zum Verhältnis von Psychologie und dialektischer Methode in der Marxschen Ökonomiekritik, in: Behrens, Diethard (Hg.): Geschichtsphilosophie oder das Begreifen der Historizität, Freiburg 1999, S. 79-126.
• Reitter, Karl: Der Begriff der abstrakten Arbeit, in: Grundrisse Nr. 01/2002, S. 5-18.
• Sohn-Rethel, Alfred: Geistige und körperliche Arbeit. Zur Epistemologie der abendländischen Geschichte (revidierte und ergänzte Neuauflage), darin: Notizen von einem Gespräch zwischen Th. W. Adorno und A. Sohn-Rethel am 16. 4. 1965, Weinheim 1989.
• Trenkle, Norbert: Was ist der Wert? Was soll die Krise?, in: Dornuf, Stefan; Pitsch, Reinhard (Hg.): Wolfgang Harich zum Gedächtnis. Eine Gedenkschrift in zwei Bänden, Band 1, München 1999, S. 424-443.

Anmerkungen:
(1) Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, 1. Band (MEW Bd. 23), Berlin 1974, S. 181.
(2) Backhaus, Hans-Georg: Zur Dialektik der Wertform, in: ders.: Dialektik der Wertform, Freiburg 1997, S. 44. Backhaus spielt hier auf die Darstellungsweise im Kapital an, die hinsichtlich der Lehre von der Wertform undurchsichtig bleibt.
(3) Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1988, S. 15.
(4) Stellvertretend für eine Wertinterpretation, die das Problem der Vergegenständlichung als Konflikt zwischen Substanz und Form des Werts gerne unterschlägt bzw. überbrückt, steht z.B. heute die Gruppe „Krisis“, die immer wieder die spezifische Form zugunsten der Substanz vernachlässigt. Bei der Übersetzung der Wertsubstanz (abstrakter Arbeit) in die Form des Tauschwerts, erscheinend im Geld, schlägt man sich undialektisch auf die Seite der Substanz als einzig wertbildender und folglich auch preisbildender Instanz. (Was hier Substanz heißt, also abstrakte Arbeit, muss selber schon als gesellschaftlich vermittelt gelten. Deshalb ist diese Kategorie auch nicht so unproblematisch wie es zunächst erscheint. – dazu ausführlich: vgl. Reitter bzw. Kurz) Man glaubt bei „Krisis“ damit das Transformationsproblem von Wert zu Preis (Geld) überbrücken zu können bzw. zu müssen, um anhand empirischer Geldbeträge Rechnungen vornehmen zu können, letztlich Theorie zu manifestieren (z.B. Zusammenbruchstheorie). Frage: Womit rechnen Ökonomen, wenn sie rechnen – mit Arbeitszeiten oder Geldsummen? Marx weist bereits auf das Problem hin, wenn er bemerkt: „Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform (Hervorhebung des Autors) des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitszeit.“ (vgl. MEW Bd. 23, S. 109). Nur durch diese notwendige Erscheinungsform, die sozusagen für das warentauschende Bewusstsein konstitutiv ist, lässt sich überhaupt warentauschende Gesellschaft machen – eine höchst reale Angelegenheit! (vgl. MEW Bd. 23, 85 ff. bzw. Sohn-Rethel, 22 ff.) – (Zum besseren Verständnis empfiehlt der Autor diese Anmerkung nach Beendigung von Abschnitt II. noch einmal zu lesen.)
(5) Helmut Reichelt beschreibt diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Woher nun der gegenständliche Schein der abstrakten Menge, die als ‘etwas Selbständiges erscheint’ (Schumpeter), als eine ‘metaphysische Entität’ (wie Bailey Ricardo entgegenhält), die ja nicht mit der Geldsumme identisch ist (diese soll ja nur ihr ‘Ausdruck’ sein), aber auch nicht mit einer Menge konkreter Objekte, von denen sie ja ebenfalls unterschieden wird. Es ist die Ware als prozessierendes Äquivalent, die einmal in unmittelbarer Äquivalentform, dann aber wieder in ihrer besonderen Gebrauchswertgestalt existiert; aber ist sie in der einen Form, dann ist sie nicht in der anderen, und umgekehrt. So ist sie mit beiden identisch und zugleich nicht identisch. Und als dieser beständige Wechsel wird sie vorgestellt, als ein ruhiges ‘Inneres’, als Wert, der selbständig ist, der sich erhält als ‘ewiger unvergänglicher’ Wert. Die Ware, das Äquivalent, wird gewissermaßen ‘angehalten’ in ihrer Nichtidentität mit beiden Formen, als ‘Abstraktion’ fixiert indem von der Bewegung abstrahiert wird, und es entsteht dabei die Vorstellung einer abstrakten, qualitätslosen Menge, die ‘irgendwie’ an den wirklichen Gegenständen ‘klebt’“ (Reichelt 1999, 121 f.).
(6) Die Lesart des traditionellen Marxismus-Leninismus ist es, den Wert ausschließlich als Arbeitsmenge aufzufassen. Die dabei vorherrschende Auffassung, die Wertgröße durch die Verausgabung der Arbeitsmenge zu bestimmen, findet sich jedoch bereits bei den Klassikern der Arbeitswerttheorie Adam Smith und David Ricardo. Beide, Klassiker und traditionelle Marxisten bleiben damit hinter dem Gehalt der Marxschen Arbeitswertlehre zurück, dessen Knackpunkt es ist, Wertgröße im gesamtgesellschaftlichen Kontext, das meint als Verhältnis von Substanz (abstrakter Arbeit) und Form (Kapital prozessierend in der doppelten Form von Ware und Geld), zu bestimmen (Bestimmung heißt hier nur kategoriales Fassen und nicht empirisches Messen). „Als wertbestimmend geht jedoch nicht die tatsächlich geleistete Arbeitszeit, sondern die durchschnittlich gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als Maßgröße des Werts in die Ware ein. Bei der gesellschaftlichen Bestimmung dieser Zeitdauer spielt die Produktivkraft der Arbeit eine wichtige Rolle. Die tatsächlich geleistete Arbeitszeit und die wertbestimmende Arbeitszeit können theoretisch wie praktisch niemals übereinstimmen“ (Reitter, 7). Dass demnach Wertgröße nicht durch eine bestimmte Zahl ausgedrückt werden kann, ist einer der entscheidenden Punkte der Marxschen Wertform.
(7) Zumindest soll hier die materialistische Auffassung formuliert werden, dass es sich bei Totalität keineswegs um ein theoretisches „Konzept“ handelt, wie ein Artikel aus der ehemaligen Leipziger Szene-Postille „Klarofix“ (Ausgabe 2/2002) nahe zu legen versucht, sondern dass die Wirklichkeit selbst, ausgehend von einer auf der Warenform gründenden Gesellschaft, totalitätsstiftenden Charakter hat. Dies begreift demzufolge auch den Anspruch mit ein, der jeglicher wissenschaftlichen Theorie inhärent ist, nämlich die Wirklichkeit möglichst widerspruchsfrei erfassen zu wollen.
(8) „Sie ist nicht bloß Einheit innerhalb der Mannigfaltigkeit sondern, als Stellung zur Realität, aufgeprägt, Einheit über etwas. Damit aber der puren Form nach antagonistisch. Einheit ist die Spaltung“ (Adorno, 311). Adorno spricht an anderer Stelle sogar davon, dass der Wert selbst „die Einheit des Vielen, der sinnlich verschiedenen Dinge, der Gebrauchswerte“ sei (in: Sohn-Rethel, 223).
(9) Robert Kurz, dem Aushängeschild der Gruppe „Krisis“, muss an dieser Stelle zugute gehalten werden, dass er in frühen Publikationen durchaus eine kritische Auseinandersetzung etwa mit dem Problem der Wertvergegenständlichung anstrebt (vgl. Kurz, 87 ff.). Warum dies heute tunlichst unterlassen wird, bleibt jedoch allein ein Geheimnis der Krisentheorie. In Leipzig wird diese Richtung des kritischen Marxismus hauptsächlich durch die beiden „CEE IEH“ Autoren Martin D. und Mausebär vertreten.
(10) Marx fasst jenes Verhältnis an dieser Stelle der Einleitung zu den Grundrissen noch spezifischer, nämlich als „Das allgemeine Verhältnis der Produktion zu Distribution, Austausch, Konsumtion“ (vgl. Grundrisse, 10 ff.), wobei er der Produktion den Charakter des übergreifenden Moments zubilligt, sicherlich weil dort die spezifische Ware Arbeitskraft angekauft bzw. verausgabt wird, welche allein mehrwertproduzierend ist und damit den ganzen Prozess der „Selbstverwertung des Werts“ am Laufen hält. „Das Resultat, wozu wir gelangen, ist nicht, daß Produktion, Distribution, Austausch, Konsumtion identisch sind, sondern daß sie alle Glieder einer Totalität bilden, Unterschiede innerhalb einer Einheit. Die Produktion greift über (...) die andren Momente. Von ihr aus beginnt der Prozeß immer wieder von neuem“ (Grundrisse, 20).
(11) Die Kategorie des „Aufhebens“ wird hier im Hegelschen Sinne verstanden, als Destruktion des Gegenstandes in seiner vorherigen Form und Bewahrung seines Substrats in der neuen Form. Bezeichnet wird damit der Vorgang der Synthetisierung der zur Auflösung treibenden Widersprüche, worin nun die vorherigen Bestimmungen in fremder Gestalt erscheinen. „Das innre Entstehen oder das Werden der Substanz ist ungetrennt Übergehen in das Äußere oder in das Dasein, Sein für anderes; und umgekehrt ist das Werden des Daseins das sich Zurücknehmen ins Wesen. Die Bewegung ist so der gedoppelte Prozeß und Werden des Ganzen, daß zugleich ein jedes anders setzt und jedes darum auch beide als zwei Ansichten an ihm hat; sie zusammen machen dadurch das Ganze, daß sie sich selbst auflösen und zu seinen Momenten machen“ (Hegel, 32).
(12) An dieser Stelle kann bestenfalls angedeutet werden, wo Schwächen einer jeden Theorie und somit auch einer Krisentheorie liegen und wo materialistisch dialektische Kritik anzuknüpfen, bzw. sich radikal gegenüber Theorie abzugrenzen hat. Dies wäre jedoch prinzipiell ein anderes Thema, dessen Ausführung es – wie gesagt – an anderer Stelle bedarf.


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last modified: 28.3.2007