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Widerruf und Bekräftigung: Oekonux-Konferenz.


Ich habe mich im CEE IEH #74 über das Buch von Stefan Meretz “Linux & Co” lustig gemacht. Dies war falsch. Zur Entschuldigung fuhr ich zur Oekonux-Konferenz (Oekonux = Ökonomie & Linux). Dies war ebenfalls falsch. Denn darüber muss ich mich erneut lustig machen.

Widerruf

Es gibt in fast jedem Wissenschaftsbereich Menschen, die sich kritisch dünken und gleichzeitig an ihrem Gebiet hängen. Sie gründen dann Arbeitskreise, die sich „Kritische Medizin“, „Kritisches Bankwesen“ oder „Kritische Astrologie“ nennen – und nicht weiter von Interesse sind. Eine Ausnahme stellt vielleicht der Leipziger Arbeitskreis „Kritische Psychologie“ dar, der immerhin in der Lage war, zu einem interessanten Kongress nach Berlin zu fahren, in dem untersucht wurde, inwieweit die bürgerliche Subjektbildung im Kapitalismus mit der Psychologie zusammenhängt. Ein Bericht steht leider noch aus; hier soll nicht weiter die Rede davon sein. Die kritischen InformatikerInnen glauben allerdings, an einem großen Ding dran zu sein: Während die anderen „kritischen Menschen“ nur im Kopf herumanalysieren oder am System herumdoktern wollen, haben sie den Dreh raus, sowohl analytisch als auch praktisch – und das volle Kanne systemsprengend. Auf der Höhe der Wertkritik, Abteilung Krisentheorie, sich befindend, postulieren sie, dass der Kapitalismus eine selbstregulierende, kybernetische Maschine sei, deren einziger Sinn darin bestünde, Mehrwert zu schaffen. Die Maschine namens Kapitalismus produziere innere Widersprüche, gehe daran demnächst zugrunde und trage Keimformen einer neuen Gesellschaft in sich. Diese Keimformen sprießen jedoch nicht zwangsläufig, sondern müssen entdeckt und gepflegt werden.
Eine der Keimformen sei die Freie Software, die sich mittels besonderer Lizensen der Verwertung entziehe. Die „Kritischen InformatikerInnen“, die sich im Oekonux-Projekt zusammengefunden haben, wollen nun keine Freie Software programmieren, sondern untersuchen, inwieweit Freie Software ihre systemsprengende Kraft entfalten kann, wie dies befördert werden könnte und wie gesellschaftliche Utopien beschaffen sein müssten. Ein äußerst sympathisches Unternehmen, welches sich daran macht, auf der Höhe der Zeit eine Aufhebungsbewegung zu initiieren: „Aber was tun, wenn nicht am Kapitalismus herumreformieren? Einfach: Dämme bauen und Schiffe bauen. Dämme bauen bedeutet, Erreichtes zu verteidigen, aber keinen Pfifferling zu geben auf den Kapitalismus. Schiffe zu bauen bedeutet, den Kapitalismus nicht nur gedanklich abzuhaken, sondern hier und heute Neues erfinden.“ Dies klingt bei den „Kritischen InformatikerInnen“ so plausibel, da sie einerseits nicht wie die „Kritischen Landwirte“ zurück (zur Natur, in die Vormoderne etc.) wollen, anderseits nicht wie die „Kritischen KritikerInnen“ nicht über das Bestehende kühn hinaus. Sie verbieten sich nicht das Denken von Alternativen – und das, ohne gleichzeitig kitschige Gesellschaftsmodelle, die im Bestehenden verhaftet bleiben, zu entwerfen. Die Lektüre der entsprechende Texte und des damals geschmähten Buches sei hiermit ausdrücklich empfohlen.

Bekräftigung

Vom 1. bis 3. November fand in Berlin die 2. Oekonux-Konferenz unter dem Motto „Wertfrei und Spaß dabei! Von der Freien Software zur Freien Gesellschaft“ statt. Die 100 TeilnehmerInnen enttäuschten die OrganisatorInnen vor allem quantitativ – sie hatten einfach mehr erwartet. Dabei hätten sie mehr über die Qualität der Referate und Diskussionsbeiträge erschrocken sein sollen. Aber wahrscheinlich sind sie das schon gewöhnt. An das Niveau der wenigen Oekonux-MacherInnen kommt die Masse auf absehbare Zeit nicht heran. Oekonux ist als politischer Zusammenhang so ehrlich, dies nicht zu vertuschen – und so naiv, dies für eine politische Qualität zu halten. Das Ergebnis ist indymedia-like: Eine gute Idee wird von unterschiedlich stark verwirrten Menschen dazu genutzt, ihren Müll abzuladen.
Oekonux-Logovorschlag: Linuxpinguin als Freiheitsstatue, 12.5k
Logovorschlag für Oekonux #1: Linux bringt Fortschritt und Freiheit.
Oekonux hatte im Vorfeld dazu eingeladen, eigene Vorträge und Workshops anzumelden. Während wir in Leipzig dachten, zu „dumm“ dafür zu sein, fehlten es einigen anderen an der richtigen Mischung aus Schüchternheit, Respekt und Schamgefühl, im Kontext der Oekonux-Konferenz Diplomarbeiten einer Zweitverwertung zuzuführen oder – viel schlimmer – krude Projekte, die nicht einmal in einer Freien Schule durchgeführt werden könnten, vorzustellen. Die MacherInnen schienen dies schon geahnt zu haben und versuchten erst gar nicht, ihren theoretischen Ansatz auf der Konferenz zu vermitteln oder zu diskutieren. Vielmehr begaben sie sich in eine Diskussion um technische Detailfragen, denen das Publikum aber auch nicht gewachsen war.

Ein paar Auszüge aus den Ankündigungen zu den Veranstaltungen mögen zur Veranschaulichung genügen (alle Rechtschreibfehler im Original): „Virtuelle Welten – Kulturelle Aspekte – Revolutionäres Potential ... Im Vortrag geht es ... um die virtuelle Abbbildung einer real existierenden Stadt als Möglichkeitserweiterung der darin lebenden Bürger. ... zusätzliche Persönlichkeiten, kreative Möglichkeiten und revolutionäres und somit Weltfriedenspotential eines solchen Projektes – alles am Beispiel der Friedensstadt Osnabrück :-)“ Die Nazis von Osnabrück können sich im Internet transidentitäre Identitäten zulegen und ganz friedlich mit dem türkischen Gangs chatten, während der Bürgermeister auslotet, wieviel Schmiergeld von den örtlichen Rüstungsfirmen die Bevölkerung moralisch angemessen finden. Alles sehr revolutionär das.

Revolutionär ist auch die „Revolutionäre Bildungsarbeit. ... Jeder Mensch ist ein Experte ... Linux ist ein Computer Betriebssystem ..., das viele Eigenschaften einer ‘anderen Welt’, eines solidarischen, kooperativenn Lebens und Arbeitens verbindet. ... Gleichzeitig liefert diese Form der Produktion ... die hoehere Qualität! Davon ist inzwischen auch die deutsche Regierung ueberzeugt. Der Bundestag stellt auf Linux um, andere Behoerden wollen nachziehen.“ Ein Linux-Bundestag führt plötzlich nur noch friedliche Menschenrechtskriege und der Verfassungsschutz kann mit Freier Software effektiver Telefonate von bösen AntimilitaristInnen überwachen. Was eigentlich zum Nachdenken über das Potential von Freier Software anregen sollte (Linux im Bundestag), wird lediglich als mühsam erkämpfte Anerkennung von der Gegenseite verstanden, für die mensch sich rühmen kann. Aber weiter im Text: „Linux Lernen, Lieben, Leben ist auch ein ernsthafter Angriff auf das Monopol von Micro$oft ... Mit selbstorganisierten, politischen Linux Seminaren fuer AnfaengerInnen und Fortgeschrittene wollen wir unser Wissen mit Euch teilen und Euch die Moeglichkeit geben, Euch aus den Klauen von M$ und anderen zu befreien. ... Auf der Oekonux Konferenz moechten wir mit anderen ueber einen ReferentInnenpool und Vernetzung der verschiedenen Kurse nachdenken.“ Sind eigentlich Umlaute nach der Revolution noch erlaubt?
Dies wird vielleicht im Deutschunterricht geklärt, der – wenn sich das Projekt „OpenWebSchool“ durchsetzen sollte – nur noch im Internet stattfindet: „Dabei sollen die Vorteile des Internets für Schulen und Schüler genutzt werden: Da diese Unterrichtseinheiten jederzeit zur Verfügung stehen, können alle Schüler und Lehrer diese zu beliebiger Zeit an beliebigem Ort einsetzen.“ Wenn die Lehrinhalte nach Hause kommen, ist es Schluss mit der Zeit, als es Kältefrei an der Schule gab. Aber auch die Werbung soll verstärkt in die Bildung Einzug halten: „Vielleicht gibt es auch Sponsoren, die Preise für die interessantesten, witzigsten, schönsten, lustigsten Programme aussetzen.“ Die perfekte Überwachung der SchülerInnen – wer guckt ab oder schaut sich die Werbung nicht lang genug an – ist gleich mit integriert: „Interessant dürften in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten der quantitativen Analyse von Lernverhalten am Computer sein: Durch modifizierte Scripts können leicht eine Menge von Daten über die Anwendung der Unterrichtseinheiten gewonnen werden. Die Erkenntnisse aus der Auswertung dieser Daten können umgehend in die Optimierung der Lehreinheiten fließen.“
Oekonux-Logovorschlag: Linuxmaschinen produzieren selbstständig Autos, 25.3k
Logovorschlag #2 als Bildrätsel: Linux produziert Autos – natürlich copyleft.
Weniger revolutionär ging es im Vortrag über „Kommerzielle Freie Software“ zu: „Weiterhin wird die These vertreten, dass kommerzielle Software im Umfeld von Freier Software zu begrüssen sind und positive Effekte für die gesamte demokratische Gesellschaft fördern. ... Es wird skizziert, wie Freie Software den Unternehmen und der Unternehmenskultur nutzen kann. Also die betriebswirtschaftliche Sichtweise im gegensatz zur reinen Volkswirtschaftlichen.“ Wie nur konnte dieser konterrevolutionäre Spaltpilz innerhalb der revolutionären Keimform übersehen werden?
Es gab noch andere giftige Pilze. Das „Projekt Hostsharing AG“ will „die Philosophie von Open-Source auf ein wirtschaftlich, tragfähiges Geschäftsmodell übersetzen. ... Ziel ist es, eine gesunde wirtschaftliche Basis zu entwickeln um äußere finanzielle Zwänge weitestgehend zu vermeiden. Gesundes Wachstum, Qualität und Kontinuität statt Masse“ – Deutsche Markenware eben! Im Vortrag „Management and Virtual Decentralised Networks. The Linux Projekt“ interessiert sich der Referent, wie sich die flachen Arbeitsstrukturen der Software-Entwicklung auf andere Industrie-Bereich übertragen lassen, z.B. in der Pharma-, Automobil- und Telekommunikations-Industrie sowie im Bankwesen.
Das Bankwesen hat allerdings Nachhilfe in Sachen modernem Management dringend nötig – schließlich wird im folgenden Workshop der Aufstand der verkürzten Kapitalismuskritik geprobt: „freie vernetzte kultur ... Sprachen darstellen und lernen im Web. ... Also z.B. suaheli für tuerken, fuer basken, fuer russen, fuer chinesen ... das web ermoeglicht es, wenn geeignete werkzeuge vorhanden sind, auch sehr seltene, vom aussterben bedrohte sprachen zu bewahren.“ Das Web ermöglicht es leider auch, sehr weitverbreitete und krude Gedanken zu bewahren. „Verwandt mit dem vorstehenden ist, sprachverwandtschaften aufzuspueren. ... die studien und ergebnisse koennten und sollten via web popularisiert werden. ... Beispielweise heisst in einer afrikanischen sprachhe mit einer nicht-monotheistischen goetterwelt ‘gott’ wodun. ... Die naehe von ‘wodun’ zum germanischen ‘wotan’ ist nun mehr als verblüffend.“ Wozu die ganze Sprachforschung gut ist? Wahrscheinlich für das babylonische Filmprojekt, welches im gleichen Workshop besprochen werden sollte: „weltweit via Web ein Video zu produzieren, worin man der Frage nachgeht, wie man zu einer Tasse Kaffee kommt. ... Das Video soll nicht nur Mutti zeigen, wie sie Pappi den Kaffee in die Tasse gießt, wie Männer in der Kaffeepause an der Kaffeebude steht und sich den Kaffee in den Kopf schütten, wie in Tiflis, in Rom oder Paris, in New Orleans oder Rio, in Nairobi oder in Mekka der Kaffee gereicht wird, in den Bars, zu Hause oder wie er bei der Arbeit aus dem Kaffeeblech getrunken wird. Das Video soll nicht nur zeigen, wie ein Campesino mit seiner Familie die Kaffeebäumchen pflegt, die Bohnen erntet, sortiert, trocknet, irgendwie vermarktet. ... Zur Tasse Kaffee gehört auch die Tasse: Den Kaffee in hohlen Hand kochen, das geht nicht. Also, wo kommt die Tasse her, der Wasserkessel? Wie werden diese produziert? Auf welchem Ofen oder Herd, mit welcher Maschine wird das Wasser für den Kaffee erhitzt? Wo kommt diese Maschine her? Der Stahl, der dafür verwendet wurde? Woher kommt das Wasser, durch welche Rohre fließt es? Wer hat die Kaffeemaschine, den Herd gebaut, die Rohrleitung für das Wasser, den Brunnen? Usw.“ Und wo in aller Welt kommen solche Menschen mit solchen Gedanken her. Und in welches Land können wir sie hinschicken, damit sie möglichst wenig Schaden anrichten? Vielleicht dahin: „Warsteiner laesst in Ruanda eine Hi-tech-Limonadenfabrik bauen. Die Limo wird spaeter nach Suedafrika gekarrt. (Quelle: Oral-history von einem, dessen Freund an der Fabrik mitbaut.)“

Limo ist böse, Biogas ist gut! Denn – so der Vortrag über „Biogas-Nutzung und Freie Software“ – die Forschung nach erneuerbaren Energien geschieht nicht „in den Labors der Großunternehmen ..., sondern oft sind es geschickte Techniker, die als ‘Bastler’ abqualifiziert werden oder Leute, die solche Anlagen selbst betreiben und Verbesserungen ersinnen. ... Erst seit neuem beginnen Großunternehmen Fuß zu fassen. ... Wie es auch anders gehen kann, zeigt die Entwicklung der Biogas-Technik in Deutschland und den unmittelbar angrenzenden Nachbarländern. Vor etwa 2 Jahrzehnten haben Landwirte, die den Platz und den Rohstoff in Form tierischer Exkremente hatten, in Zusammenarbeit mit entsprechend motivierten Technikern damit begonnen, Biogas als Energieträger nutzbar zu machen. Mit einfachsten Mitteln, die teils vom Schrott geholt wurden, sind die ersten Anlagen entstanden ... Ein wichtiger Akteur der ersten Stunde war die ‘Bundschuh-Biogas-Gruppe’, die Anknüpfend an die Tradition des Bundschuh aus den Bauenkriegen in Hohenlohe in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts den Kampf gegen eine Teststrecke von Mercedes-Benz aufgenommen und gewonnen hat. Man wollte nicht nur gegen etwas sein, sondern etwas Sinnvolles mit den Mitteln und Techniken der Landwirtschaft machen. Diese Mentalität ist heute immer noch spürbar und viele Landwirte, vom bäuerlichen Familienbetrieb bis zum großen Agrarunternehmen sehen in der Biogastechnik ein Instrument, das ihnen ein größeres Stück Eigenverantwortung zurückgibt ...“ Ein Vortrag, der bei der NPD, der PDS oder der UNO-Umweltabteilung genauso gut aufgehoben wäre.
Als ebenfalls massenkompatibel erwies sich ein Vortrag über den Kampf der armen Bibliotheken gegen die „grossen Wissenschaftsverlage“, deren Verbrechen nicht etwa darin bestünde, Unsinn zu publizieren und zu verkaufen, sondern nur darin, „jahrelang enorme Preissteigerungen“ vorgenommen zu haben. Der Referent nimmt zwar für sich in Anspruch, die „Self-Archiving oder Open-Access Community ... aus marxistischer Sicht kritisch unter die Lupe“ zu nehmen – zu beklagen, dass reiche Profs für ihre Zeitschriften etwas tiefer in den Geldbeutel greifen müssen, ist aber weder marxistisch noch lupenrein kritisch.
Im Workshop „Freie Menschen in Freien Vereinbarungen“ steht fest, „was den Menschen im Kern antreibt: Sein Egoismus, der Wille nach einem besseren Leben, das Bedürfnis nach Sicherheit bzw. Geborgenheit, Lust und Befriedigung, Selbstentfaltung und Innovation – alles also Ziele, die vom Egoismus gespeist werden.“ Der Kapitalismus erzeugt also nicht den Egoismus der Menschen, sondern ist die falsche Hülle für den Egoismus. Der Mensch ist ein Wolf – diese Spielart des Anarchismus leistete erst kürzlich in der graswurzelrevolution ihren Offenbarungseid, als Pazifismus mit einem mathematischen Modell begründet wurde: Statistisch seien die Überlebenschancen im Krieg am höchsten, wenn die Soldaten nicht aufeinander schießen...
Unser Top-Favorit ist aber die folgende Ankündigung: „real-mapping. Wir sind an den ‘Voreinstellungen’ Sozialen Lebens interessiert, wie sie durch gesellschaftliche Interdependenzen hervorgerufen werden. Davon möchten wir eine Globale ‘Karte’ (Map) erstellen. Bei dem Projekt geht es um eine Re-Aneignung von Wissen. ... Die Projektidee des ‘realen Mapping’ basiert auf der These ästhetischer und technischer, sowie ökonomischer/historischer Verhaeltnisse. Davon ausgehend soll eine Art Kartographie als programmierten Beziehungsgeflecht, die Bedingungen und Möglichkeiten dieser Verhältnisse qualitativ in ihre politisch gesellschaftliche Relation setzen, um einen frei zugänglichen Ansatz zu einer möglichen Übersicht zu bieten. Das Mapping soll datenbankbasiert online (im WWW) und offline (CD-Rom) visualisiert werden.“ Wer sich darunter nichts vorstellen kann, der/dem sei gesagt, dass sie/er damit genau richtig liegt. Die beiden Referenten vollbrachten die rhetorische Meisterleistung, drei Stunden über dieses Nichts zu labern.
Aber selbst die MacherInnen der Konferenz glänzten nicht mit ihren Vorträgen und Workshops. Zum einen stellten sie das Buch „Empire“ von Hardt/Negri vor und versuchten, die Freie Software-Bewegung theoretisch einzugliedern. Da der Empire-Geist (InformatikerInnen als Multitude-Avantgarde) über der ganzen Konferenz schwebte, gelang ihnen keine Kritik an dem Buch. Vielmehr versuchten sie zu belegen, dass die Produktion der Freien Software alle Kriterien einer kommunistischen, immateriellen Produktion nach Hardt/Negri erfülle – und waren stolz darauf. Die „Freie Software“ wäre, selbst wenn sie der kapitalistischen Verwertung nutze, ein „vergiftetes Geschenk“, denn sie transportiere mit ihrem Code auch eine Idee. Außerdem solle nicht danach gefragt werden, ob etwas dem „System“ nutze – da es kein Außen gibt, nutze ihm alles –, sondern wie es uns nutzen könne. Da wird aber die Mehrheit der UserInnen sagen, dass Microsoft-Produkte für sie sinnvoller sind als Linux-Programme.
In einem Workshop zur „Verteilten Theorie-Entwicklung im Web“ stellten die Oekonux-ProtagonistInnen ihre verschieden Internet-Werkzeuge zur Diskussion. Es handelt sich dabei um Programme wie Mailinglisten und Web-Datenbanken (Open-Theory, WikiWiki), die eine theoretische Diskussion nach den Prinzipien der Freien Software-Entwicklung – dezentral, hierarchiefrei, selbstbestimmt – ermöglichen sollen. Allerdings wurde in diesem Workshop lediglich technisch diskutiert (wie kann ich die Kommentare ausblenden und welche Exportformate gibt es) anstatt das Konzept zu hinterfragen: Für welche Inhalte werden die Plattformen genutzt und ist Theorie-Entwicklung mit Software-Entwicklung zu vergleichen, kann Theorie überhaupt im Internet entstehen. Ein Blick auf Open-Theory – das mit Abstand ambitionierteste Projekt (wer mag, soll sich den Unsinn auf der Oekonux-Mailingliste und das WikiWiki selbst ansehen!) – offenbart das Dilemma: Die anspruchsvollen Texte von der Krisis und den Oekonux-Leuten stehen da zwar im Netz, sie werden aber nicht diskutiert und weiterentwickelt. Mausebär z.B., dessen Texte im CEE IEH für viele Diskussionen sorgen, bekam auf seinen Text zur Krisentheorie auf Open-Theory nur einen Kommentar, an Robert Kurz traute sich gleich niemand ran. Lieber diskutieren die Menschen im Internet über Wasserräder, das Parteiprogramm der PDS, Kurzgeschichten mit geschlechtsneutraler Sprache (das Hauptheldis ist sächlich und hat nur das Problem, dass das Possessivpronomen von das sein und nicht ihr heisst) oder das Perpetuum mobile – über das wir erfahren, dass es möglich ist, wenn nicht der Geheimdienst wäre, der nicht will, dass eins erfunden wird. Letztendlich ist Open-Theory eine mißlungene Mischung aus anspruchsvoller Internetzeitung und einem belanglosen Diskussionsforum wie Indymedia – und auf keinen Fall ein hoffnungsvolles Projekt, welches sich die Erfahrungen der Software-Entwicklung zu Nutze macht.
Obwohl auf der Konferenz etliche Nicht-InformatikerInnen anwesend waren, wurde nicht die Chance genutzt, die Computer-Ebene zu verlassen und zu diskutieren, ob sich die Modelle der Freien Software-Bewegung überhaupt auf andere gesellschaftliche Bereich übertragen lassen. Dort, wo dies doch geschehen ist (Biogas etc.), kam nicht nur im wahrsten Sinn des Wortes ausschließlich Mist raus. Das Hauptproblem dieser Idee, nämlich dass elektronische Güter ohne Verlust teilbar und somit unendlich verfügbar sind, materielle Güter aber nicht, wird zwar in den Oekonux-Texten angesprochen, jedoch nicht gelöst. So schreibt Stefan Merten in seinem Grundlagentext „Gnu/Linux – Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft?“ davon, dass es „Universalmaschinen“ geben wird, die „computergesteuert mehr oder weniger beliebige Werkstücke herstellen“ könnten – das Problem der Endlichkeit der Ressourcen ist damit noch lange nicht gelöst. Und der Frage, ob es strukturelle Probleme bei der Übertragung auf andere Produktionsprozesse geben könnte, ist noch nicht einmal gestellt. Dies beweist schon die Euphorie, mit der versucht wird, die Prinzipien der Freien Software blind auf andere Bereiche zu übertragen (Bildung, Theorie-Entwicklung). Die technokratische Vision einer durch Computer freien Gesellschaft blamiert sich mit einem Blick in die „Länder der III. Welt“ – deren Probleme kann Merten im gleichen Aufsatz zwar nicht weiter erörtern, wie er in einer Fussnote betont, er weist aber darauf hin, „daß sowohl die Kostenlosigkeit von Gnu/Linux als auch die Verfügbarkeit des Source-Codes den Ländern der III. Welt Chancen bietet, die diese auch allmählich zu nutzen beginnen.“ Dabei beantwortet die Freie Software nur die Frage nach der Verfügbarkeit des Wissens, nicht die nach dem Zugang zu dem Wissen. Wer keinen Computer sein Eigen nennt, ja, wer nicht einmal einen Telefonanschluss oder Strom in seiner Hütte hat, wird sich darüber freuen, dass nicht nur der deutsche Bundestag, sondern auch das indische Parlament kostengünstige Software einsetzen kann.

Martin


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last modified: 28.3.2007