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Die vier Gören aus Hamburg: Deichkind.


„Wir wollten entertainy sein(...)Stimmungen transportieren. Man sollte nicht erwarten, dass wir zu Predigern werden. Das war nie unsere Motivation.“

Eigentlich ist Hip Hop nicht wirklich meine Welt, aber im strengen Sinne ist das hier nicht wirklich traditioneller Hip Hop.
Deichkind, 29.3k
Musikalisch spielt man mit Versatzstücken aus Soul, Funk, Elektrozeug, bisschen R’n’B Gesang und Country. Aber was ist mit den Inhalten, wollen die überhaupt irgendwas vermitteln? Treffer – versenkt, genau die falsche Frage bei dieser Combo. Wo andere die „Alte Schule“ predigen, es in der Szene „real keepen“ wollen oder im schlimmsten Falle irgendwelches esoterisches Glaubenszeug faseln, sind die vier Hamburger erfrischend ehrlich. „Wir wachsen nicht mit der Szene, wir wachsen mit der Industrie.“ Richtig, das ist in diesem sich selbst hätschelnden Business eine leider viel zu seltene Erkenntnis. Man will Kohle machen und schämt sich auch nicht, das auf dem neuen Album (Noch 5 Minuten Mutti, der geilste Titel eines deutschen Hip Hop Albums ever) offen zu gestehen. „Diese Shows füllen mich aus und auch mein Portemonnaie/Also hebt die Hände wenn das für euch in Ordnung geht“ heißt es in „Geborn für das!“. Wann hört man denn mal solch ehrliche Töne in Hallen wie diesen? Wie ich das bisher wahrgenommen habe, werden die erfolgreicheren Interpreten immer gedisst, was dann zum Problem wird, wenn man selbst populär ist. Irgendwann dissen sich halt alle Populären gegenseitig, wer nun real geblieben ist oder trotz des Erfolgs weiterhin Anspruch auf das Label Underground besitzt. Dieses obligatorische Dissing kommt von den Jungs auch und zwar gegen die eigene Crew im Battletext „Im Untergrund zu Haus“: „Deichkind ihr seid kommerziell für Bon Voyage/ihr habt zuviel verbrochen, die Hip Hop Welt zerbrochen/ihr seid kommerziell, First Class Hotels, ihr meint ihr macht das schnelle Geld, Fuck You“ Alles klar? Wo andere es schaffen, ein ganzes Album über Kiffen zu machen, handeln Deichkind das in einem Lied ab, in dem es auch noch hauptsächlich um Saufen geht. „Drogenrausch“ bietet mir tausend mal mehr Identifikation als diese ganze „Kiffen, Chillen, rote Glüsen“-Scheiße. Ach ja, klar geht’s auch um „Chicks“: „Wir spielen gerne mit Klischees, aber wir sind keine Moralisten.“ Man kennt die ganzen Produktionen zur Genüge, in denen Frauen als Statussymbol herhalten müssen, und gekonnt schaffen es Deichkind, dies zu persiflieren. „Chicks tragen Hotstrings ohne Topping/Und schwitzen trotzdem wie ihre Longdrinks/Eingeölt mit Hawaiian Tropic goldbraun/sehen alle top aus/Chicks in Bikinis Typen im Jogging Look/Weil die Ladies hier alle wie/Models aussehen“. Hier geht es nicht um irgendeine Party an einem tropischen Sandstrand, sondern um einen Abend an der Hamburger Küste. Also ehrlich, wer den Witz im Detail nicht zu finden vermag, dem ist eh nicht mehr zu helfen. So oder ähnlich klingt eigentlich alles, was die vier Fischköppe verzapfen. Fast alle Hip Hop Klischees werden auf die Schippe genommen und wenn es dienlich ist wird, um die Aussage zu unterstreichen, die Stimme in’s lächerliche gepitcht. Das neue Album ist auf jeden Fall das humorvollste, selbstironischste, was ich im deutschen Hip Hop je hören durfte. Deichkind, 25.9k Die Videos von denen da sind eh der Hammer, erinnert sei nur an das stylische „Komm schon“ im wischiwaschi 80er Softpornolook und wenn ich dann lese, dass die nächste Auskopplung „Pferd im Stall“ (so’n typischer Pimp-Song) wirklich um echte Pferde sich drehen soll, lieg ich flach. Was ist mit der Politik, müssen so richtig real Hip Hops nicht auch politisch Stellung beziehen? „Politik ist viel zu unerotisch.“ Woher haben die das denn, fragt man sich und die Vermutung liegt nahe, dass die Gören in der Vergangenheit Erfahrungen mit der Bewegung sammelten. Trotzdem spielten sie mal umsonst für ein Benefiz zur Freilassung Mumia Abu Jamals. Na ja, lasst mal die Finger von der Politik, ist alles komplizierter als es aussieht. Allerdings las ich, das sie es gut finden würden, zur Unterstützung von Flüchtlingen aus Afganistan oder für die Opfer des 11.Septembers zu spielen. Das sind ehrliche humanistische Beweggründe und mir tausend mal lieber als ein „Bundestag brenn“. Als Fazit lässt sich ziehen: Eine lustige Band für lustige Menschen, die sich selbst nicht zu ernst nehmen und das auch von ihrem Publikum erwarten. Außerdem haben die ‘ne humorvolle Bühnenshow, deshalb an dieser Stelle das obligatorische KOMMEN IST PFLICHT, für das ich bezahlt werde.

Tim

P.S.: Manchmal reicht auch ein einfaches „Auf der Demo wird gebattlet wie die Antifa“ (Fachjargon/Bitte ziehen sie durch) als Statement. Props zurück nach Hamburg.

alle Interviewauszüge irgendwo aus’m Netz.


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last modified: 28.3.2007