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Islamisierung des globalen Wahns


Das einigende Band der friedensverliebten und gerechtigkeitsfanatischen Globalisierungsbewegung ist nicht die pluralistische Meinungsvielfalt, sondern der einfältige Hass auf Israel und die USA.

Natürlich stehen das demokratische Amerika und das verbrecherische Nazi-Regime nicht auf einer Ebene. Doch einige Parallelen in der Denk- und Argumentationsstruktur, mit denen der Präventivschlag gegen den Irak gerechtfertigt werden soll, sind zu ernst, als daß nicht vor der Gefahr eines Irrwegs gewarnt werden müßte. Wer sonst, wenn nicht Deutschland sollte es tun – vor dem Hintergrund seiner schmerzhaften Erfahrungen.“ So schreibt es ein Leser des PDS Haus- und Magenblattes Neues Deutschland namens Dieter S. Lutz in einem Brief an das ehemalige Zentralorgan, den das Blatt am 17.09.02 veröffentlichte. Die zitierten Zeilen allerdings sind nicht irgendwas Geschriebenes, sondern nichts geringeres als das zu Papier gebrachte Denken des Wissenschaftlichen Direktors des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Und es ist exemplarisch für das postfaschistische Selbstverständnis der Deutschen, die eben schon längst nichts mehr „trotz“ Auschwitz, sondern alles „wegen“ Auschwitz tun. Allerdings: Ob nun trotz oder wegen, sowohl oder als auch, am sachlichen Gehalt des deutschen Gemeinschaftsgeistes ändert dies wenig.
Man braucht in Deutschland nicht unbedingt aussprechen, daß man seine kollektive Friedenssehnsucht der glücklichen Volksgemeinschaftszeiten zwischen ‘33 und ‘45 verdankt, wo Opfer und Wille noch „wirklich“ Opfer und Wille waren. Der deutsche Staatsbürger hat dies verinnerlicht und zum originären Lustprinzip erhoben, wobei er sich jederzeit latent oder offen vom westlichen Realitätsprinzip der Demokratie angeekelt und penetriert fühlt. Der Zwang des Einzelnen zur Gemeinschaft findet seinen Ausdruck in der Friedenssehnsucht, weil mit Waffenklirren für die Deutschen im Weltmaßstab nicht so ohne weiteres ein Blumentopf zu gewinnen ist. Diese permanent erfahrene Kränkung der eigenen Großmachtträume traumatisiert dergestalt, daß man ohne Ressentiment nicht auszukommen vermag. Denn die Bösen sind immer die anderen, ob sie sich nun „Jahrhundertflut“ oder US-Imperialismus schimpfen.
Allerdings hat sich längst etwas im Weltmaßstab geändert. Wenn vormals der arabische Gemeinschaftsgeist der umma sich vom deutschen krankhaften antisemitischen Projektionswahn inspirieren ließ, so ist es heute umgedreht: die Deutschen lassen sich vom antiimperialistischen Wahn der Islamisten beeinflussen. Diese schleichende Islamisierung des Wahns drückt sich in der notwendigen Selbstvergewisserung aus, daß man grundsätzlich anders sei als die Amerikaner und die Juden. Manche drücken dies verklausulierter aus, manche offener, dritte wieder chiffrenartig. Allen gemein aber ist, daß man die Projektion auf die US-Amerikaner und die Juden zur Erklärung des Weltzustandes benötigt, weil man sich bezüglich des notwendig falschen Warenfetischbewußtsein zur Selbstreflexion als unfähig erweist: Was hinter den Rücken der Warenproduzenten sich vergegenständlicht, ist die Verkehrung der realen Tauschabstraktion zu mannigfaltigen Dingen. So wird auch die abstrakte Herrschaft des Kapitals als gesellschaflich totales Verhältnis zur persönlichen von Juden und Amerikanern über den Rest der Welt. Daß die Linken durchaus Vorreiter dieses Wahnsinns sind, muß mit Nachdruck unterstrichen werden. Gemeint ist dabei nicht nur der postkoloniale Befreiungskampf von Ché, Fanon oder Sartre, sondern weiter zurückgehend die Kategorie des Imperialismus und die Fokussierung auf das Finanzkapital. Denn es ist keineswegs zufällig, daß sich unter dem Gerechtigkeitsbanner des Antiimperialismus vom Islamisten über den Nazi, den EU-Politiker bis zum linkesten Linksradikalen und Saddam Hussein alle versammeln können, um über die Feinde der „Völkergemeinschaft“ zu sinnieren. Die internationalistische Front der Antiimperialisten verkörpert jenen One-World-Gedanken, dessen Negativfolie ausschließlich die USA und Israel sind. Denn beide erfüllen den antiimperialistischen Tatbestand des unheilbaren ewigen Störenfrieds. Man ist sich weltweit auf den Sozialforen und -gipfeln dieser Welt einig: Wer von Kapitalismus und Imperialismus, von Unterdrückung und Ausbeutung, von Dekadenz und Entwurzelung redet, der redet von Israel und den USA. Und die weltweite Einheitsfront der Antiimperialisten steht enger zusammen als jemals zuvor: „Keine Frage“, weiß Der Spiegel in seiner Titelstory „Der neue Raubtierkapitalismus – Gier ohne Grenzen“ (Ausgabe 28/02), „das US-Modell hat seine Musterrolle, jedenfalls vorläufig, verloren; die Idee der schönen neuen Welt ist zur Karikatur verzerrt. Zum Vorschein kommt ein Raubtierkapitalismus, in dem das Gesetz des Stärkeren zählt.“ Der Romantizismus, daß es einen Kapitalismus gäbe, der nicht auf dem Recht des Stärkeren beruhe, ist jene deutsche Ideologie, vor der uns Karl Marx immer gewarnt hat. Ihre barbarische Konsequenz ist mit Auschwitz zur traurigen Gewißheit geworden. Deshalb muß man mit allen Mitteln diejenigen Feinde der Aufklärung und Emanzipation bekämpfen, die etwa wie der Professor für Öffentliches Recht und Politik an der FU Berlin, Ulrich K. Preuß, folgendes zum Besten geben: „Der Islam erinnert uns Bewohner der säkularen Verfassungsstaaten an die Möglichkeit, daß die Religion mehr sein könnte als nur eine Privatangelegenheit; diese Erinnerung ist eine Herausforderung an unser Selbstverständnis, auch wenn wir dem islamischen Vorbild nicht zu folgen vermögen.“ (Hrvg. von mir – S.P.) Solchen mordsgefährlichen Dreck liest man in einer Sonderbeilage der grünen Heinrich-Böll-Stiftung unter dem bezeichnenden und vielleicht ja gar nicht ungewollt doppeldeutig gemeinten Titel „Perspektiven im grünen Format“. (Ausgabe 5/2002)
Es sollte nicht verwundern, daß sich die 10 000 Demonstranten in Johannesburg anfang September anläßlich des Weltforums für sogenannte nachhaltige Entwicklung nur in zwei Punkten wirklich einig waren: „Immer wieder wurde in Sprechchören wie ‘Viva Irak’ und ‘Viva Palästina’ gegen den drohenden Angriff auf den Irak und Israels Politik protestiert.“ (junge Welt – jW – v. 02.09.02) Daß das hervorragend mit dem auf der Konferenz beschlossenen „Artenschutz“ für Lebewesen dieses Planeten aller coleur – einschließlich „bedrohter“ und „unterdrückter“ Völker – korrespondiert, sollte man zumindest reflektieren und als zwei Seiten derselben Medaille eines wahnhaften Welterklärungsmodells begreifen. Man kann durchaus festhalten, daß das, was der Australier Peter Singer mit seiner „praktischen Ethik“ von „Menschenrechten für Menschenaffen“ immer wieder als Zerstörung der Grenzziehung zwischen der Spezies Mensch und dem Tierreich gezielt ins Visier nimmt, um den utilitaristischen Gedanken der Eugenik und Euthanasie gesellschaftsfähig zu machen, sich in solchen Beschlüssen zum „Artenschutz“ wie dem in Johannesburg als One-World-Ethik der neuen Naturverfallenheit zuungunsten eines gesellschaftskritischen Geistes längst durchgesetzt hat. Die menschenverachtende vorzivilisatorische Jäger und Sammler-Ideologie der veganen Erdbefreier, „tree people“ – jenen Knallos, die auf Bäumen leben, damit diese nicht abgeholzt werden oder die Strommäste umlegen, damit man ohne Strom leben muß – und verkifften Rastafari-Reggae-Freunden hat längst den Traum von der Befreiung der Menschheit verdrängt zugunsten eines back to the nature als natürliches survival of the fittest.
Es läßt einen nur erschaudern, wenn jemand wie der Argument-Herausgeber und Verleger, der umtriebige Chefredakteur des „Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus“, Wolfgang Fritz Haug, nichts besseres bezüglich des Themas Terrorbekämpfung nach dem 11. September zum Besten zu geben weiß, als dies: „Zielwahl und Zeitpunkt der Angriffe folgen dem Prinzip America first und im Blick auf Zugang zum Erdöl. Globalisierung erscheint folglich immer mehr als Amerikanisierung.“ (jW v. 23.05.02) Warum Haug vorsichtshalber davon schreibt, daß die „Amerikanisierung“ nur als solche „erscheint“, liegt wohl bei dem Traditionsmarxisten weniger am Erfassen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie als Ideologiekritik objektiver Gedankenformen des Warenfetischs, als vielmehr an der Affirmation der weltweit gängigen antiimperialistischen Globalisierungskritik als Surrogat für eine unerfüllte Sehnsucht nach dem Klassenkampf. Denn die Quintessenz von Haugs Ausführungen bündelt sich in dem Ergebnis, die Amerikaner seien letztlich selber schuld daran, daß den Menschen der Weltzustand als ein einziges Amerikanisierungsprogramm vorkäme. Haug schreibt: „Ist es nicht, als hätte die US-Regierung es darauf angelegt, Michael Hardt und Antonio Negri zu widerlegen?“ – die ja immerhin noch soviel Grips im Schädel haben, daß ihnen, im offensichtlichen Gegensatz zu Haug, das abstrakte Grundprinzip des Kapitalismus fortwährender Expansion und Konkurrenz so bewußt ist, daß sie nicht den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika zum Kaiser des „Empire“ machen.
„Her mit dem schönen Leben“ brüllen derzeit die zahlreichen deutschen Globalisierungsgegner unisono im Chor der Unterdrückten – Mitte September waren es zum Beispiel allein in Köln an die 40 000. Und prompt nimmt sich der Papperlapop-Papst Diedrich Diederichsen diesem tollen und interessanten neuen Phänomen an. Scharfsinnig analysiert er: „’Her mit dem schönen Leben’ ruft uns die Organisation Attac seit einigen Wochen von ihren Plakaten (...). Früher hätte man kaum mit einem besseren Leben für ein gute Sache mobilisiert. Eher wäre die Solidarität als Zärtlichkeit der Völker, in jedem Fall aber eine altruistische Losung bemüht worden (...).“ Diederichsen meint allen Ernstes, natürlich nicht ohne wieder einige wunderbare Sätze seiner hohen Formulierungskunst des Schlagens inhaltslosen Begriffschaums zum Besten zu geben, darin „die existentialistische Wende, die Fokussierung auf das eigene Leben, die nach der Popliteratur nun auch die kritische Theorie und neue Politik erreicht hat“, erkennen zu müssen. (taz v.18.09.02) Nun mag das ja durchaus schön spannend für Diederichsens Welt der wunderbaren Diskurse sein. Die fatale Wirklichkeit allerdings sieht anders aus. Denn das naive Gerede vom „schönen Leben“ ist zum einen Ausdruck eines regressiven kritischen Bewußtseins, das sich nicht anders denn als infantil aktiv-gesellschafliches Mitmachen von Berufsjugendlichen äußert, und zum anderen unter einem „schönen Leben“ nichts weiter verstanden wird als das Ressentiment gegen Luxus, Bonzen und individuelle Unterschiede, welches sich schlußendlich in den USA und Israel vergegenständlicht. Das Ende Mai verabschiedete Grundsatzpapier von Attac Deutschland bringt es auf den Punkt: „Kulturelle Vielfalt wird durch eine ökonomisch mächtige Kulturindustrie eingeebnet. Die Suggestivkraft von Werbung und Markenlogos bestimmt immer stärker Wertorientierungen und gesellschafliche Leitbilder.“ (jW v. 28.05.02) Hier wird etwas skandalisiert, das, indem man nicht in der Lage ist, sich einen materialistisch-dialektischen Begriff des Verhältnisses von kapitalistischer Produktionsweise, Staat, abstrakter Herrschaft und notwendiger Denkform zu machen, zu nichts weiter führen kann als einem personifizierten Feindbild. Wie sich das konkret äußert, dafür sei an dieser Stelle beispielhaft Christoph Bautz, Öffentlichkeitsreferent im Attac-Bundesbüro, zitiert. Anläßlich des Jahrestages des antisemitischen Massakers am 11. September in New York schreibt Bautz in der Sonderausgabe des „Netzwerk Friedenskooperative“, das von der Aktion Sühnezeichen über Attac, BUKO, Pro Asyl, Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär alles vereint, was in Deutschland an pazifistischen, antimilitaristischen und sonstigen außerparlamentarischen Friedensfreunden Rang und Namen hat, unter dem Titel „Ursachen des Terrorismus bekämpfen“: „Auf kultureller Ebene ist eine wichtige Ursache in der Arroganz des Westens zu suchen, mit der das angelsächsische Kulturmodell als universalistisch geltend und Formel zum guten Leben darstellend angepriesen wird. Andere Kulturen werden als rückschrittlich und dem westlichen Kulturmodell nachgeordnet betrachtet.“ Schaut man sich diese Zeilen einmal genauer an, stellt man fest, daß Bautz’ Begriff von Kultur ein freischwebender ist. Er meint, man könne Kultur mal so an sich betrachten, anstatt das Verhältnis der Kultur zu Staat, Nation und Kapital zu bestimmen. Weil er so nicht in der Lage ist, eine Formbestimmung vorzunehmen, durch welche Relation und wie die kapitalistische Warenproduktion zum Gebrauchswert von Kultur sich verhält, wie also Gebrauchswert wie Tauschwert aus der spezifischen kapitialistischen Produktionsweise und Warenzirkulation aus sich heraus die für das Kapital notwendige Kultur entfalten und verändern, kommt Bautz zu dem Schluß, die „Ursache“ für den islamistischen Terrorismus „in der Arroganz des Westens zu suchen“. Dieser Position werden Islamisten jederzeit zustimmen können, denn auch sie vertreten dieselbe Meinung, daß nämlich der böse Wille des Westens schuld an den Zuständen in den arabischen Staaten wäre. Doch das ist noch nicht alles, was Bautz zu einer Art unfreiwilligen Chefideologen des islamischen Faschismus macht. Bautz schreibt: „Gerade die intensive Parteinahme des Westens und insbesondere der USA für bestimmte Konfliktparteien und deren Verknüpfung mit macht- und wirtschaftspolitischen Zielen hat zu einem verfestigten Feindbild beigetragen.“ Hier nun liefert unser antiimperialistischer Öffentlichkeitsreferent den Wahnsinn frei Haus. Denn völlig irrational wird hier klargestellt, daß „der Westen und insbesondere die USA“, egal was er tut, sowieso immer schuld sei. Denn „intensive Parteinahme“ und „die Verknüpfung mit macht- und wirtschaftspolitischen Zielen“ werden hier, ohne auch nur ansatzweise nach Zweck und Mittel, nach Warum und Wieso zu fragen, zum generellen Übel und zur Eigenart „des Westens“ erklärt, als ließe die kapitalistische Wirklichkeit der Weltgesellschaft irgendetwas anderes zu. Das ist zwar ein paar Nuancen unter dem Niveau eines Trampert/Ebermann/Elsässer, aber leider nun weiß Gott nicht allzu weit davon entfernt. Denn alle drei reden ähnlich schwülstig von dem Skandal, daß die USA eigene machtpolitische und geostrategische Interessen verfolgten und nicht interesse- und selbstlos handelten. Und weiter im Text des Attac-Funktionärs: „Viele regionale Produktionszyklen und Märkte werden durch das Primat der internationalen Konkurrenz und die zunehmende Liberalisierung der Märkte für Güter, Kapital und Dienstleistungen zerstört. Plötzlich soll der indische Reisbauer mit dem US-amerikanischen Agrarmulti konkurrieren. Wer hier den Kürzeren zieht, liegt auf der Hand.“ Die Kategorie der Gerechtigkeit verbaut den Globalisierungskritikern generell den Zugang zum kritischen Denken. So gibt es auch für Bautz nur Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Wie nur, so muß man sich fragen, kommen diese Leute auf die Idee, daß heutzutage erst von einem „Primat der internationalen Konkurrenz“ zu sprechen sei? Und warum weiß der Öffentlichkeitsreferent nicht, was er da von sich gibt? Warum hat er keinen Begriff vom Weltmarkt, der überlebensnotwendigen Expansionstendenz des Kapitals und von der Geschichte des Handelskapitals? Nichts entsteht unter der Herrschaft des Kapitals „plötzlich“ – auch nicht das Konkurrenzverhältnis von indischem Reisbauern und US-amerikanischem Multi. Denn alles hat seine Geschichte, die Geschichte der Durchsetzung des Kapitalismus weltweit – spätestens seit der Kolonialzeit –, die wiederum nichts anderes ist als Ausdruck der Verwertungslogik des Kapitals und nicht von böser Absicht einer verschworenen Clique in den USA oder sonstwo. Das Problem, das sich hier auftut, ist eine einzige analytische Katastrophe. Denn, wer so wie Bautz argumentiert, und das ist der allgemeine Weltstandard auf den zahlreichen internationalen Treffen, der kann eigentlich gar nicht anders, als zum verschwörungstheoretischen Ticket zu greifen, um sich die Welt zu erklären. Genau da aber werden Bautz und Konsorten zu Feinden der Emanzipation, die man bekämpfen muß. Denn die Grenzen der rationalen Aufklärung liegen da, wo die Irrationalität zur Überempfindlichkeit gegen das rationale Argument wird, wo der Wahn zur pathischen Projektion auf diejenigen sich auswächst, die als die Schuldigen für alles Übel dieser Welt herhalten müssen. Man darf nicht vergessen, was Adorno/Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung zu den Elementen des Antisemitismus schrieben: „Nicht erst das antisemitische Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität überhaupt.“
Es geht darum zu begreifen, wie sich die Globalisierungsgegner einen Weltzustand genauso zurechthalluzinieren wie die Islamisten und was die Ursachen dafür sind. Daß man überall auf der Welt die gleiche Welterklärung parat hat wie der Bautz von Attac, hat einzig und allein seinen Grund darin, daß überall die gleichen kapitalistischen Vergesellschaftungsbedingungen herrschen: überall müssen Menschen ihre Ware Arbeitskraft verkaufen und es gibt nur verhältnismäßig wenige, die diese Ware kaufen können, weil sie über die Produktionsmittel verfügen. Es existiert ein großer Weltmarkt und keine voneinander abgeschotteten Märkte. Überall regelt das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis die Verkehrsformen der Menschen zu- und miteinander. Es stellt die mannigfaltige Einheit von Produktion, Zirkulation und Reproduktion her. Daß dort, wo allgemeine weltweit gleiche Akkumulationsbedingungen herrschen, auch jeweils regional besondere existieren müssen, läßt sich nur dialektisch erfassen. Daß also erkannt wird, daß die Verwertungsbedingungen zugleich allgemein gleiche und besondere sind, ist eine Frage des notwendigen dialektischen Geschichtsbegriffs und nicht einer wahnsinnigen Verschwörungstheorie, der die Islamisten letztlich genauso anhängen wie die weltweiten Globalisierungsgegner. Und so wundert es auch nicht, welchen Schluß Attac-Bautz aus seiner Verschwörungstheorie zieht: „Die Folgen sind für viele Menschen Perspektivlosigkeit, regionale Entwurzelung und Individualisierung.“ Hier nun bricht das Ressentiment ungebremst aus Bautz heraus und die Islamisten können sich mit ihm vollends darauf verständigen. Denn gerade das, was Bautz „Individualisierung“ nennt, haben die Islamisten zu ihrem Hauptfeind auserkoren, gegen den sie die bedingungslose Unterwerfung unter Allah und unter das Kollektiv der Gläubigen setzen.
Es gehört zu den größten bewußten Verarschungen im Selbstverständnis der antiimperialistischen Globalisierungsgegner weltweit, daß sie überall behaupten, sie seien pluralistisch. Daß dies nicht stimmt, sollte man durchaus immer präsent haben. Sie sind nämlich nicht meinungsvielfältig, sondern gefährlich einfältig. Denn ihr gemeinsames ideologisches Fundament ist die Eine-Welt-Ideologie des Antiimperialismus inklusive ihrer Zwillingsschwester Antirassismus, die sich nur konkret im Hass auf die USA und Israel Ausdruck verleihen kann. Genau darin besteht auch die Gemeinsamkeit mit allen antiimperialistischen und antirassistischen Freunden dieser Welt, die nach ihrem eigenen Selbstverständnis nur Frieden und Gerechtigkeit im Sinn haben, ihrem wirklichen Weltbild nach aber nur dem antisemitischen Wahn falscher Welterklärung verfallen können. Denn halten wir fest: Wer gegen „Entwurzelung“ und „Individualisierung“ redet, ist Propagandist des völkischen Wahns von Blut und Boden, der hinter allem letztlich notwendig eine Weltverschwörung am Werk sieht.
Man darf sich nichts vormachen, mit wem man es weltweit zu tun hat. Die weltweite antiimperialistische Phalanx gegen Israel und die USA reicht von den Globalisierungsgegnern über die Islamisten, alle anderen linken und rechen Antiimps, Multikulti-Freunde, die EU und Deutschland. Diese Phalanx anzugreifen und zu schwächen sowie die konkrete Hilfe für den zunehmend von wirtschaftlicher Rezession geplagten und von seinen zahlreichen Feinden in die Mangel genommenen Staat Israel zu organisieren, damit diejenigen, die der völkische Wahn in seiner barbarischen vernichtungswütigen Objektwahl solange immer in erster Linie treffen wird, solange es die abstrakte Herrschaft des Kapitals gibt – die Juden nämlich –, nicht ihre einzige Zufluchtstätte verlieren, sollte die Herausforderung für all jene sein, die sich weder die Kritik der politischen Ökonomie als kommunistische Kritik der Verhältnisse noch die Kritik der deutschen Ideologie als einzige emanzipatorische Kritik aus dem Kopf schlagen lassen und deswegen auch zur Verteidigung Israels bereit sein sollten.

Sören Pünjer


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last modified: 28.3.2007