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Arbeit ist Scheiße – immer und überall



    Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung gehende Arbeitssucht.
    (Paul Lafargue)

    Diese „Leistungsgesellschaft“ befindet sich in ihrer endgültigen Krise. Sie hat in der Absicht, immer mehr Lohnkosten zu sparen, auch immer mehr Arbeit wegrationalisiert. Endlich geht der „Leistungsgesellschaft“ die Arbeit aus – ein unaufhaltsam wachsendes Heer von Arbeitslosen beweist das. (...) Im produktionsorientierten Zeitalter des Kapitalismus hat sich die Ansicht durchgesetzt, Aufgabe des Menschen sei es, sich selbst durch Arbeit zu verwirklichen. Diesen Ansatz hält der Pogo-Anarchismus für grundsätzlich falsch und totalitär. (...) Nie wieder Arbeit!
    (Leitlinien der APPD)

    „So gut man den bestehenden Verhältnissen auch ihre eigene Melodie vorspielt, sie sind kaum noch zum Tanzen zu bringen. Je offener die Mächte zutage treten, die das gesellschaftliche Leben wirklich bestimmen, desto heftiger das Sträuben, sie ungeschminkt wahrzunehmen. Das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern wird täglich wahrer. Nur fehlt das erlösende Kinderwort. Die Nacktheit des Kaisers naiv auszusprechen, rührt keinen mehr. Die Abwehrmechanismen dagegen sind zu eingeschliffen und gewitzt. Kritik allein kann sie nicht durchbrechen, nur bloßlegen. Aber das bißchen, was sie kann, sollte sie auch auf Schritt und Tritt tun.“
    (Christoph Türcke)

    Die Kritik ist kein Mittel für Kolloquien, um fein säuberlich gut und böse und falsch und richtig zu scheiden, sondern die Kritik ist in diesem Sinne als eine Polemik ein Mittel des Kampfes.
    (Joachim Bruhn)

    Es gilt, die Formen einer gegengesellschaftlichen Praxis mit der offensiven Verweigerung der Arbeit zu verbinden. Mögen die herrschenden Mächte uns für verrückt erklären, weil wir den Bruch mit ihrem irrationalen Zwangssystem riskieren. Wir haben nichts zu verlieren als die Aussicht auf die Katastrophe, in die sie uns hineinsteuern. Wir haben eine Welt jenseits der Arbeit zu gewinnen. Proletarier aller Länder, macht Schluß!
    (Gruppe Krisis, Manifest gegen die Arbeit)

1. „lebensweltlicher Zugang“

Hände1, 27.9k

Identifizierung wäre vielleicht die Würze ...

Hände2, 24.7k

... einer befreiten Gesellschaft, das Unharmonische, ...

Hände3, 22.8k

... das dennoch nichts vom Zwang, vom Wahn ...

Hände4, 19.8k

... gegenwärtiger Identifizierung unterm Kapital hätte.
Unabhängig von aller Theorie sollte man zunächst die Ehrlichkeit aufbringen, zu sagen: – „Arbeit macht keinen Spaß, deswegen ist sie Scheiße.“
Das beruft sich auf die alte Gegnerschaft von Punk. Ganz einfach Dagegensein. „Arbeit ist Scheiße!“ Keine theoretische Durchdringung, sondern saufen. Keine Analyse, sondern Party. Nicht die schlechteste Reaktion auf die Arbeitswahnsinnigen.
So, wie theoretische Einwände sich meist nur mit theoretischen Einwänden auseinandersetzen müssen, hat diese o.g. Aussage meist die gesamte Front aller redlich denkenden Menschen gegen sich. Die Einwände sind so vielfältig, wie die Verhältnisse des Arbeitsscheuen zu den Arbeitenden.
Ein wohlmeinender Freund:
„Du willst nicht arbeiten? Mein Gott, was willst du denn den ganzen Tag machen? Also, mir würde da die Decke auf den Kopf fallen!“
Gutwillige SPD-Tanten, Sozialpädagogen, PDS-Ortsvorsteher und altlinke Gewerkschafter:
„Er ist noch ein junger Mensch, gut ausgebildet und hat keine Lust zu arbeiten? Er hat resigniert! Was ist das für eine Gesellschaft, in der den Menschen nicht einmal ein Arbeitsplatz garantiert werden kann?!“
Die Eltern:
„Arbeit ist einfach notwendig, denn wir haben ja auch unser Leben lang gearbeitet.“ (Auf die Unlogik, dass etwas deswegen notwendig sein soll, weil sie es so gemacht haben, kommen sie nicht. Von dem versteckten Sadismus – „wir hatten es auch nicht besser, also soll auch unser Kind arbeiten“ – mal ganz abgesehen.)
Beim Thema „Arbeit“ schlägt die formale Logik Purzelbäume und kommt doch immer wieder auf den festen Boden des real existierenden Kapitalismus’ zu stehen.
Ich habe keine Lust zu arbeiten und tue es doch. Alle stöhnen unter der Arbeit und sagen, sie ist notwendig. Was alle machen, ist selbstverständlich. Also ist die Unlust in dieser Welt einfach selbstverständlich. (Danach folgen die obligatorischen Seufzer über diese nun mal nicht perfekte Welt, die aber doch die beste aller möglichen sei.)
Aber da gibt es auch den früheren Schulfreund, heute Inhaber einer kleinen Software-Bude:
„Ich kann gar nicht anders. Ich will immer was bewegen, immer neue Projekte durchziehen. Das ist mein Leben.“
Ein Selbstverwirklicher. Er gehört zu denjenigen, die glauben, das, was sie da tun, hätten sie sich wirklich selbst gewählt und nicht vielleicht doch auch aus Angst vor regulären Lohnarbeitszwängen und der Sucht nach Erfolg, die eben nicht völlig frei von einem gewählt wird, sondern stark davon geprägt ist, dass in dieser Gesellschaft eben Erfolg zur Bedingung wird. Überangepasste Charaktere können leicht an so etwas scheitern und scheitern auch permanent, machen irgendwelche Computernotdienst-Buden auf, setzen für ein paar Monate übelste Selbstausbeutung ins Werk, werden zahlungsunfähig und machen ihre Bude wieder zu, nur um sofort wieder an einer neuen Geschäftsidee zu stricken.
Der Gesellschaftskritiker dagegen:
„Ich finde Arbeit Scheiße. Arbeit ist ein Zwangsverhältnis, dem ich mich solange es irgend geht, entziehen will.“
Die Erwiderung der Wohlmeinenden:
„Also ich könnte das nicht, den ganzen Tag nur rumsitzen und vielleicht anzufangen, zu saufen.“ Der Kritiker: „Nichts gegen Saufen! Aber ich sitze nicht den ganzen Tag rum, ich muß Texte schreiben, Treffen besuchen, Bücher lesen.“ Die – erleichterte – Erwiderung: „Na siehst du, dann machst du ja doch was, dann arbeitest du doch! Nur nicht für Geld.“ (Hier ließe sich auch die Selbstausbeutung in alternativen Projekte, bzw. der new economy anführen).
Von „Jungle World“ über „Konkret“ bis hin zu „Klarofix“ und „CEE IEH“ werden mehr oder weniger schale Witzchen mit dieser Selbstreferenz gemacht. Ich meine die Selbstreferenz, dass die Gegnerschaft zur Arbeit ganz schön viel Arbeit machen könne. Man kommt sich ausgesprochen geistreich vor, wenn man behauptet: „Mit deinem Vortrag hast du dir ja auch Arbeit gemacht!“ Hab ich mir eben nicht. Kein bißchen Arbeit hat mich der gekostet, wohl aber einige Anstrengung.

2. Also: Was ist Arbeit denn nun, wenn es soviel unterschiedliche Deutungen und soviel unterschiedliche emotionale Besetzungen ihrer selbst gibt?

Die französische Quelle des Wortes „Arbeit“ stammt vom lat. „tripaliere“ (=mit dem Dreizack foltern), die deutsche vom germanischen Verb „arbeo“ (=verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein), das lateinische „laborare“ bedeutet „Schwanken unter einer schweren Last“, im Slawischen gibt es Anklänge zu „Sklave“, im Mittelhochdeutschen zu „Mühsal, die man freiwillig übernimmt“. In der Antike bedeutete Arbeit die Tätigkeit des Sklaven (also des Unmündigen, sozial Abhängigen), die eines Freien unwürdig ist. (vgl. dazu R. W. Müller: Geld und Geist – Es ist nicht unwürdig, sich für eine bestimmte Tätigkeit anzustrengen und dabei auch bspw. heftig zu schwitzen. So ist der Held Odysseus bspw. stolz darauf, sein Bett selbst, mit eigenen Händen, gebaut zu haben. Nur: Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, seine Tätigkeit „Arbeit“ zu nennen. Weshalb nicht? Er hat nicht für einen Zweck außerhalb seiner Reproduktion stumpfsinnig vor sich hin gewerkelt, sondern – ganz konkret – ein Bedürfnis befriedigt und konnte mit Recht stolz auf die eigene Leistung sein.)
Die Quelle des Wortes „Arbeit“ verweist also auf Bedeutungen, die nicht unbedingt an Sinnhaftigkeit und freie Persönlichkeitsentfaltung denken lassen.
Spätestens da, wo Marx im Kapital I von der Arbeit als Vermittlerin des „Stoffwechsel(s) zwischen Mensch und Natur“ spricht, man sich aber auch folgende Äußerung von ihm vergegenwärtigt:
„Wo ihn das Kleidungsbedürfnis zwang, hat der Mensch Jahrtausende lang geschneidert, bevor aus einem Menschen ein Schneider ward.“, spätestens da beginnen die Probleme.
Also ist Arbeit nun überzeitlich oder nicht? Die Äußerung mit dem Schneider besagt doch nichts anderes als folgendes: Im zu einer bestimmten Zeit normalen Lebensvollzug hat sich dieser Mensch überlegt, dass es gerade im Winter günstig wäre, etwas zum Anziehen zu haben und angefangen zu schneidern (so, wie Odysseus sich mit seinem Bett etwas Gutes tun wollte). War das Kleidungsstück fertig, wurde nicht mehr geschneidert. Danach war Muße angesagt, oder es wurde irgendeine andere reproduktionsnotwendige Tätigkeit verrichtet. Ganz deutlich: Diese Art menschlicher Reproduktion hat nichts damit zu tun, das Leben in Sekunden zu zerhacken, die mit Schufterei ausgefüllt sein müssen. So beschwerlich und drückend diese Verhältnisse auch waren und so wenig man sich wieder dahin zurückwünschen sollte: all das war konkretes Tätigsein und nicht abstrakte Arbeit.
Es lässt sich nicht umgehen, hier historisch etwas weiter auszuholen und zunächst auf die Urromantik des warenproduzierenden Systems zu sprechen zu kommen.
Für die politische Ökonomie waren „im Anfang“ stumpf vor sich hin werkelnde Einzelproduzenten, Leute, die all das, was sie brauchen, auch wirklich selbst produzieren. (Das schlägt sich nieder in dem geradezu zu Tode strapazierten Robinson-Vergleich der politischen Ökonomie und der heutigen Vulgärökonomie, der VWL. Robinson auf einer Insel wird also nicht nur als Modell benutzt, sondern auch auf die Geschichte projiziert.)
Plötzlich haben ein paar dieser fleißigen Produzenten angefangen, zu tauschen und auf einmal merken alle, wie günstig es für alle ist, Dinge, die man noch nicht hat, sich durch Tausch zu beschaffen. Man lernt neue Waren kennen, entwickelt also neue Bedürfnisse und muß die eigene Arbeit intensivieren.
Ebenso plötzlich kommt jemandem die zweite Eingebung, nämlich die, dass unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge unterschiedlich gut können. Warum sollen die Tätigkeiten nicht so verteilt werden, dass alle nur das machen, was sie am besten können?
Tausch und Arbeitsteilung entwickeln sich also ganz natürlich aus einer idyllischen Situation heraus. Alle die an diesen Segnungen der Menschheit mitwirken, werden dafür belohnt. Nur die von Natur Faulen bleiben auf der Strecke. Die Entwicklung der Marktwirtschaft ist also Ergebnis des fleißigen Vom-Munde-Absparens aller arbeitsamen Leute. (Marx stellt mal polemisch fest, dass während in der Geschichte Raub und Gewalt die tragende Rolle haben, in der Politischen Ökonomie von je her die Idylle herrscht. K I, 752)

Contra!

Während idealistische Linkshegelianer, die sich Marx und Engels in der „Deutschen Ideologie“ vorknöpfen, sich wünschen, dass der Mensch wieder zu sich selber komme und ein ausgesponnenes, irgendwie menschlicheres System gegen die herrschenden Verhältnisse setzen, übt Marx immanente Kritik im besten Sinne des Wortes. Das heißt: eine Kritik durch Darstellung. Er nimmt die Kategorien der Politischen Ökonomie ernst, zeigt ihre Genesis (d.h.: ihr Werden) und weshalb sie so werden mussten, wie sie wurden (v.a. im „Kapital“ und den „Theorien über den Mehrwert“) und verwirft sie nicht pauschal. Er kritisiert also auf dem höchsten Niveau bürgerlicher Wissenschaft und schafft es damit, eben diese Wissenschaft als notwendige Ideologie zu demaskieren.
Eine Kritik der Arbeit, die den Anspruch hat, auf die Höhe der Kritik der Politischen Ökonomie zu gelangen, also eine, die nicht beim Nörgeln verharrt, müsste demnach eine Darstellung der Genesis, des Werdens der Arbeit sein. Es wären also einige Worte zur Durchsetzungsgeschichte der Arbeit zu verlieren.
(Für das folgende wurde diese Literatur benutzt: Kurz, Robert: Die Diktatur der abstrakten Zeit in: Feierabend: Elf Attacken gegen die Arbeit, konkret Literatur Verlag, 1999. Der Knall der Moderne, Jungle World 9.1.02 und hier: http://www.krisis.org/r-kurz_knall-der-moderne.html. Kapitel zur Ursprünglichen Akkumulation und über Kolonisationstheorie im 1. Band des „Kapital“ von Karl Marx.)
1. Den Auftritt dessen, was wir heute Moderne nennen, begleitet ein Knall. Ein Knall, dessen Quelle eine Feuerwaffe ist. Feuerwaffen lassen sich, sind sie erst einmal erfunden, auf die Dauer nicht dezentral in kleinen Handwerksbetrieben herstellen. Sie verlangen erste Formen einer Großindustrie. Ebenso ist die Nachfrage nicht mehr irgendeinem geschmacklich „bornierten“ Bedürfnis unterworfen, sondern mit der Entstehung großer stehender Heere wird sie permanent und in Grenzen planbar. Zur Koordination beider bedarf es unbedingt eines flächendeckend etablierten, anonymen Mediums – des Geldes. Mit diesen Heeren tritt der Lohnarbeiter auf den Plan, sein Lohn heißt „Sold“, die „Berufszeichnung“ des „Soldempfängers“ ist – Söldner oder Soldat. Kein Lohnarbeiter ohne Unternehmer: Er ist derjenige, der die Beutezüge plant, Soldaten „beschäftigt“. Diese Condottieri waren ursprünglich die frühmodernen Söldnerführer in Italien. Sie sind quasi militärische Subunternehmer im Dienste eines absolutistischen Staates. Wenn sie zu Geld kamen, gründeten manche von ihnen ihrerseits Dynastien.
2. Kriege müssen finanziert werden, Militärdespotien müssen Condottieri bei der Stange halten können – natürlich mit Geld. Der Staat entwickelt einen ungeheuren Geldhunger, den die ehemals freien, d.h. für sich produzierenden Einzelnen auf einem Staatsterritorium befriedigen müssen. Sie werden gezwungen, Geldsteuern zu zahlen. Der Unterschied zur Naturalsteuer ist der ums Ganze der modernen Gesellschaft. Denn: Dieser Wechsel von der Natural- zur Geldsteuer zeigt einen Wechsel der Produktionsweise an. Um seiner Abgabenpflicht zu genügen, kann man nicht mehr von seinem Produzierten etwas abzweigen, sondern man ist gezwungen, lohnzuarbeiten, denn nur so kommt genügend Geld rein. Das war also die Initialzündung für das Entstehen vereinzelter Einzelner im Kapitalismus: „Mit dem Gelde ist jede Verkehrsform und der Verkehr selbst für die Individuen als zufällig gesetzt.“ (Marx/Engels, Deutsche Ideologie, 56)
3. Diese militärische Logik hat also ihrerseits kräftig daran mitgewirkt, dass die Aufgabenorientierung vormoderner Zeiten sich nicht mehr halten ließ. Disziplinierung durch abstrakte Arbeitszeit in der Fabrik, Abstraktion von allen natürlichen Bedingungen prägten seitdem die Gesellschaft. (Die Schwierigkeiten der Menschen, sich diesem Regime unterzuordnen, sollten sich von Generation zu Generation verlieren. So diente die Einführung der ach so menschenfreundlichen Schulpflicht in erster Linie dazu, Kinder zu disziplinieren, sie an Regelmäßigkeit und Stumpfsinn zu gewöhnen, Dinge auf Zuruf zu apportieren und auf Glockenzeichen irgendwelche befohlenen Handlungen auszuführen – Tugenden, die das damalige Menschenmaterial dringend brauchte, so wie das heutige Humankapital die Schlüsselqualifikation „Flexibilität“.)
Die Entwicklung der Marktwirtschaft ist also in Wirklichkeit wesentlich das Ergebnis der Entwicklung von Feuerwaffen und ihres Gebrauchs durch machthungrige absolutistische Staaten und ihre Heerführer.
Bei Marx wird dieser Prozeß mit Geschichte der „ursprünglichen Akkumulation“ bezeichnet: Wenn der Kapitalprozess darauf angewiesen ist, dass etwas zum akkumulieren, nämlich Mehrwert da ist, dann hat man irgendwann das Problem, zu erklären, wie dieser ganze irrsinnige Kreislauf überhaupt mal beginnen konnte (vgl. „Kapital“ Bd. 1). Um sich Produktionsmittel zu verschaffen, mit denen sich in Zukunft Lohnarbeit ausbeuten lässt, wurde am Anfang nicht strukturell, über die Marktgewalt vermittelt, sondern ganz direkt, handfest geraubt. Das ist quasi der take off der flächendeckenden Warenproduktion. Er wird ermöglicht durch die Trennung zwischen den „Arbeitern“ und dem Eigentum an den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit, kürzer: durch die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln). Und so sah das aus:
• Enteignung der Bauern von ihren Feldern per Vertreibung,
• Zerstörung ihrer Wohnungen zugunsten der Schaffung von Weideland,
• Enteignung von Kirchengütern im Zuge der Reformation und Verjagen der auf diesen jeweiligen Gütern Ansässigen,
• Kolonialisierung und Auspressung fremder Kontinente (zur Gewinnung von Arbeitssklaven, gern genommen: Kinder, die in den ersten kapitalistisch geführten Unternehmen der Geschichte bis zur totalen Erschöpfung schuften mußten). Es wurde eine direkte, offene Aneignung fremden Eigentums betrieben (es gab fast keine Verrechtlichung dieses Prozesses) weil die Unterordnung der „Arbeiter“ unters Kapital erst noch hergestellt werden mußte.
• So lange noch andere Reproduktionsmöglichkeiten als Lohnarbeit zur Verfügung stehen, kann man sich immer wider dem Zwang zu ihr entziehen, fehlen also immer wieder Arbeitskräfte. Diese Reproduktionsmöglichkeiten mußten deshalb mit Gewalt beseitigt werden. Die Nutzung von Gemeindeland und Holzsammeln im Wald wurde durch Verpachtung und Bewachung unmöglich. Hier setzt denn auch die Verrechtlichung ein: Auch Betteln, Mundraub stehen jetzt unter Strafe – Segnungen des positiven Rechts.
• Beispiele: Hinrichtung bei wiederholter Landstreicherei; „Resozialisierung“, die allerdings im Arbeitshaus stattfand (Grundlage dafür ist eine geradezu arbeitsterroristische Gesetzgebung vgl. dazu das schon erwähnte Kapitel über ursprüngliche Akkumulation im 1. Band des „Kapital“. – Während der Zeit Edvards VI., die in diesem Kapitel erwähnt wird, warb übrigens ein gewisser Johannes Calvin gerade eifrig für die Reformation in der englischen Kirche, nicht ohne Erfolg. Zu diesem Finsterling gleich mehr.). Oft gebrauchtes Beispiel dieses Arbeitsterrorismus’ ist die Durchführung komplett sinnloser Tätigkeiten, nur um Regelmäßigkeit im Lebensvollzug einschleifen zu lassen: So gab es da diese sinnreiche Einrichtung eines Raumes, in den man gesperrt wurde und in den Wasser strömte. Durch regelmäßiges Betätigen einer Pumpe konnte er dann wieder von diesem Wasser befreit werden, zumindest so weit, dass man in ihm Überleben konnte.
Die Entwicklung und allmähliche Herausbildung der angeblich humansten aller Gesellschaftsordnungen ist also in Wirklichkeit ein Eroberungskrieg – „in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer“ (Marx).
Weniger idyllisch stellen sich denn auch die Verfechter des kapitalistischen Geistes dar. Beispielhaft sei hier eine der widerwärtigsten Gestalten der Menschheitsgeschichte vorgestellt: der reformatorische Prediger Johannes Calvin (1509-1564), ein kaltherziger, gegen sich selbst und gegen andere unglaublich strenger Workaholic, ein ideologischer Hetzer gegen Schönheit und Genuß, ein fanatischer Verfechter der protestantischen Arbeitsethik.
Schon im vermeintlich rein religiösen Bereich zeigt sich die Zwanghaftigkeit seiner Lehre: Sünden, Anfechtungen, aber auch religiöse Fortschritte seien in einem Tagebuch zu verzeichnen, es wird also eine sittliche Buchführung etabliert.
Calvin ist Verfechter der sog. Prädestinationslehre. Die besagt: Gott bestimmt vorher, wer gut und wer böse ist, wer also gerettet werden kann und wer ewige Verdammnis erleidet (Dordrechter Lehrsätze, Westminster Confession). Der Mensch kann nicht wissen, ob er erwählt ist, oder nicht. Die Calvinisten werden also ihr ganzes Leben lang von Ungewißheit gequält, ob sie nun erwählt sind, oder nicht. Sie versuchen demzufolge, sich an irgend etwas in ihrem irdischen Leben zu klammern, was einen Hinweis auf Erwähltheit bietet. Da Arbeit das gottgefällige Werk an sich ist und sich abrackern, ohne sich über das notwendigste hinaus materielle Annehmlichkeiten zu gönnen, erst Reichtum schafft, ist klar, dass Reichtum, der sinnlich nicht genossen werden darf, dieses Kriterium der Erwähltheit wird. Wer also durch Arbeitsausübung sichtbaren Erfolg in der Welt hat (noch mal: das setzt voraus, dass er die Früchte seiner Arbeit nicht verprasst, sondern für die Ermöglichung von Mehrarbeit einsetzt), der hat damit, trotzdem er die Erwählung nicht erzwingen kann, einen Hinweis auf seine Erwähltheit. (s. dazu Christoph Türcke, Sexus und Geist: Philosophie im Geschlechterkampf, zu Klampen, 2001, S. 191) Wichtig für den take off des Kapitalismus ist dieser absolute Selbstzweck: Man weiß, dass man Gottes ewigen Ratschluß nicht umstoßen kann, auch durch keine noch so harte Arbeit und doch müssen alle kirchlichen Regeln befolgt werden, muß bis zum Tod geschuftet werden, auch und gerade von denen, die verworfen sind. Gerade in dieser Unerforschlichkeit, dieser irdischen Ungerechtigkeit liegt nach Meinung der Calvinisten die Herrlichkeit Gottes.
Erfolg als Reichtum anzuhäufen, diesen aber nicht zu genießen, sondern zum Ausgangspunkt weiterer Plusmacherei zu erheben, um sich gottgefällig zu verhalten, über diesen religiösen Mechanismus, wird das in-Gang-Kommen des Automatismus’ der Wertproduktion wesentlich gefördert. Man bemüht sich quasi um eine Heiligung des eigenen Lebens, ja, um eine Erlösung durch Arbeit. Ich denke, es ist nicht falsch, von Calvins Lehre eine Linie zu „Arbeit macht frei“ über den deutschen Vernichtungslagern zu ziehen. Das Selbstzweckmotiv taucht dann später beim Begründer des deutschen Gesamtkunstwerks, dem ausgewiesenen Antisemiten Richard Wagner auf: „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen treiben.“ – Biographen sind sich übrigens einig, dass Johannes Calvin an zu viel Arbeit starb – ein erster Fall von karoshi also, dieser mysteriösen, in Japan aufgetretenen Krankheit „Tod durch Arbeit“.
(Nebenbei: Auch das wäre der Redaktion der Zeitschrift „Bahamas“ und ihrer innigen Preisung der Aufklärung mal vorzuhalten. Ganz davon abgesehen, dass Calvin, der das Luthertum radikalisiert hat und damit sehr wohl die alte erstarrte, kapitalismusinkompatible, katholische Religion kritisiert und damit geholfen hat, zivilisatorische Maßstäbe in der Gesellschaft zu etablieren, das große Ziel hat, eine Reformation der Gesellschaft nach der Norm der heiligen Schrift ins Werk zu setzen – kein islamistischer also, sondern ein christlicher Gottesstaat (s. das Stichwort „Calvin“ in der Theologischen Realenzyklopädie). So vertritt er bspw. die Ausübung der Kirchenzucht (strenge Überwachung der Lehre der Prediger und auch des sittlichen Lebens der Bürger); das gesamte gesellschaftliche Leben ist genau zu kontrollieren: es gibt Strafen für Ehebruch, Prostitution, Fluchen und Spotten, unerlaubten Luxus, leichtsinnige Lebensführung und den Besitz katholischer Bücher. Überhaupt haben die radikalreformatorischen Bewegungen (bspw. die dem gemäßigten Luther gegenüberstehende Bauernbewegung um Thomas Müntzer) sehr Ähnliches im Sinn wie Calvin. Betteln, Bordelle usw. werden mit der Begründung abgeschafft, die jeweilige Stadt von allem Makel zu befreien und die Reinen nicht von den Unreinen verderben zu lassen – dieses Motiv der Reinerhaltung, des Freien, zu Überschauenden ist ein eindeutig faschistisches Motiv. (vgl. Klaus Theweleit, Männerphantasien Bd. 2, April 1995) Ich sehe hier nur quantitative Unterschiede zu heutigen faschistischen Regimes in islamischen Gottesstaaten.)
Wir hatten gesehen: Jahrzehnte des Zwangs und nahezu Jahrhunderte des Einschleifens, des Gewöhnens waren nötig, damit Menschen „vergessen“, dass Sinn und Zweck des Menschen doch nicht die Aufhäufung abstrakter Arbeitszeitquanta ist, sondern ein gutes Leben zu führen, was immer im einzelnen das dann heißt. Und nun stehn wir da: Dieses Terrorregime der Arbeit hat sich geschichtlich durchgesetzt. Nahezu kein äußerer Zwang ist heute mehr notwendig, damit die Menschen das tun, wofür sie unterm Regime des Kapitals da sind: arbeiten. – Völlig irrsinnige Bedürfnisse wurden und werden entwickelt und müssen per verschärfter Schufterei befriedigt werden. Nur ein Bedürfnis ist nahezu abgestorben: das nach Müßiggang und Ruhe. Die Kategorie des „genug“ scheint nicht mehr zu existieren. Noch die vormodernen Arbeiter verschwanden einfach von ihrer Arbeit, wenn sie glaubten, genug verdient zu haben, um ihr Leben in gewohnter Weise weiterführen zu können. Undenkbar heutzutage, dass irgend jemand einfach seine Sachen packt – und geht.
Dieser Abschnitt soll nicht zu Ende gehen, ohne auch den „anderen“ Marx zu Wort kommen zu lassen, den erbitterten Arbeitskritiker:
„Es ist eins der größten Mißverständnisse, von freier, gesellschaftlicher menschlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die ‘Arbeit’ ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, von Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der Arbeit gefaßt wird.“ (Karl Marx: Über Friedrich List, Berlin 1972, S. 24)
Und in der „Deutschen Ideologie“:
„... in allen bisherigen Revolutionen (blieb) die Art der Tätigkeit stets unangetastet und es (handelte) sich nur um eine andere Distribution dieser Tätigkeit, um eine neue Verteilung der Arbeit an andre Personen, während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt...“ (59)
Also: Die kommunistische Revolution hat in dieser recht frühen Schrift von Marx und Engels nicht die Aufgabe die abstrakte Arbeit, die Arbeit für den Kapitalisten, die langen Arbeitszeiten, die entfremdete Arbeit oder die ungesunde Fabrikarbeit zu beseitigen – sondern DIE Arbeit – so schwer diese Einsicht altlinken, arbeiterbewegten Marxisten auch fallen mag.

3. Sphärentrennung

Als Einstieg greife ich ein Argument aller dem Arbeitsscheuen gut Zuredenden auf. „Arbeit macht mir auch keinen Spaß, das geht vielen Menschen so, aber sie ist einfach notwendig (naturnotwendig sagt ja schließlich schon dein komischer Marx!), weil wir sonst alle verhungern.“
Es wurde schon früher contra gegeben: Reproduktive Tätigkeiten waren immer notwendig, aber nicht als ausgelagerte Sphäre, in der nichts anderes getan wird, als abstrakt irgendwas (!) vor sich hinzuackern – Arbeiten eben.
Wenn „arbeiten“ jede Art von konkretem Schuften bezeichnen kann, dann ist dieser Oberbegriff eben – abstrakt. Er fasst unter sich viele einzelne Tätigkeiten, deren gemeinsames Merkmal eben nur „Schuften überhaupt“ ist, wie Marx sagt: „produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand usw.“
Dieses „Schuften überhaupt“ ist aber nun nicht von spinnerten Philosophen als Oberbegriff in die Welt gesetzt, sondern höchst real. Es ist ja wirklich egal, welche Schufterei sich in einem verkaufbaren Produkt realisiert – Arbeit ist also eine besondere Art Abstraktion – eine Realabstraktion (Sohn-Rethel). Damit gelangt man bezüglich der Unterscheidung abstrakte (tauschwertschaffend, in der Wertsphäre verausgabt)/konkrete Arbeit (in einem bestimmten Gebrauchswert resultierend) auch über Marx hinaus – Arbeit ist immer schon abstrakt; abstrakt weil Menschen in ihrem Tun „arbeiten“ von jeglicher Besonderheit absehen müssen, sie müssen die Bedürfnisbefriedigung qualitativ darauf reduzieren, Antriebsmittel dafür zu erlangen, im Produktionsprozeß zwanghafte Tätigkeiten auszuführen, um weiter Gefangene eines nicht eingebildeten (wie bei einer Zwangsneurose), sondern eines Realzwangs zu sein.
Keinem vormodernen Jäger oder Hirten wäre je eingefallen, das, was er da treibt, als Arbeit zu bezeichnen. Es war nötig, qualitativ und quantitativ bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen und also wurden die dafür notwendigen Tätigkeiten auch qualitativ und quantitativ bestimmt. „Arbeiten“ fällt mit „Für die eigene Reproduktion tätig sein“ nur im Kapitalismus zusammen. (Ganz davon abgesehen, daß Tellerminen und Handgranaten nur höchst vermittelt menschlicher Reproduktion zugute kommen.)
Wie ist die Situation im Kapitalismus? Ein Segment zur Verfertigung von Kleidung produziert solange und soviel, wie es der Markt irgendwie hergibt, zur Not über alle Bedürfnisse hinaus (s. z.B. Imelda Marcos, die ehemal. philipinische First Lady mit ca. 10 000 Paar Schuhen), andererseits wird die Verfertigung von Kleidungsstücken auch dann sofort eingestellt, wenn keiner mehr etwas zahlen kann/will, auch dann, wenn dringender Bedarf danach besteht und die Leute im Winter frieren (so z.B. in der Weltwirtschaftskrise).
Durch Verausgabung abstrakter Arbeitszeit wurde eine riesige Masse an Kleidungsstücken ausgekotzt und bei wirklichem sinnlichem Bedarf lässt sich ums Verrecken niemand mehr zur Produktion von auch nur einer Hose bewegen – die ganz natürliche Logik des Marktes.
Worauf es hier ankommt, ist die Abstraktheit des ganzen Vorgangs. Es wird vollkommen von sinnlichen Bedürfnissen abstrahiert (= von ihnen abgesehen, sie werden als unwesentlich aussortiert). Stunde um Stunde wird eine Hose nach der anderen zusammengenäht (bzw. ein linkes Hosenbein nach dem anderen; das rechte näht ja jemand, dessen Namen ich auch nach jahrelanger gemeinsamer Tätigkeit nicht zu kennen brauche) ohne jeden direkten Zusammenhang mit dem, der sie einmal gebrauchen wird.
Natürlich wären die Menschen – auch nach bürgerlich-wissenschaftlichen Maßstäben – längst verrückt, wenn das ganze Leben unter dieser Diktatur der abstrakten Zeit stünde. Offensichtlich hat aber mit dieser Sphäre der abstrakten, unterm Wertregime verrichteten Arbeit auch ihre Gegenseite (sozusagen die andere Seite der Medaille, man könnte mit Roswitha Scholz auch vom „Schatten“ sprechen) entstehen müssen: die private Sphäre, in der Luft geschöpft werden kann, in der die direkte Verwertungslogik stillgestellt ist, in der die Träger des variablen Kapitals (= die Arbeitskräfte) wieder fitgemacht werden zur Verwertung. Es ist die „Sphäre des privaten Haushalts, der Familie und der Intimität. In diesem als ‘weiblich’ definierten Bereich verbleiben die vielen und wiederkehrenden Tätigkeiten des alltäglichen Lebens, die sich nicht oder nur ausnahmsweise in Geld verwandeln lassen: vom Putzen und Kochen über die Kindererziehung und die Pflege alter Menschen bis zur ‘Liebesarbeit’ der idealtypischen Hausfrau“ (Manifest gegen die Arbeit) Dennoch: Hier findet nicht das gute Leben frei von der Verwertung statt, sondern diese Sphäre ist ebenso borniert, denn sie hat Existenzberechtigung nur mit der Wertsphäre. Die Wertsphäre der abstrakten Arbeit gibt es nicht als solche, sondern sie gibt es als Abspaltung vom Wert. Deshalb kann Roswitha Scholz formulieren: Der Wert ist das Abgespaltene und das Abgespaltene ist der Wert. Medaillenseiten kommen nur zusammen vor und ein Schatten als solcher existiert nicht, es gibt ihn nur als Schatten von etwas. (dazu erschöpfend: Roswitha Scholz, Das Geschlecht des Kapitalismus: Feministische Theorien..., Horlemann, 2000)
Eine Parallele: Pausen im Sport sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf den jeweiligen Sport bezogen sind und nur in seinem Zusammenhang vorkommen. (Niemand würde sich im normalen Leben einfach so konzentriert 5 min ausruhen. Wovon auch?) Sie haben aber dennoch das Hauptcharakteristikum, dass in ihnen eben genau kein Sport gemacht wird. Ebenso ist es hier bei der Trennung der Sphären voneinander: Damit es überhaupt eine Verwertungssphäre gibt, bedarf es einer Sphäre, in der die abstrakte Arbeit als Strukturprinzip nichts zu schaffen hat. (Dass Verhaltensweisen innerhalb der Verwertungslogik auf die Privatsphäre übergreifen – Stichwort: Schnäppchenjägerei – steht auf einem anderen Blatt. Dennoch: Schnäppchenjägerei darf niemals „Verwertung des Werts“ sein.)
Krisis („Manifest gegen die Arbeit“): „Es war erst das moderne warenproduzierende System mit seinem Selbstzweck der unaufhörlichen Verwandlung von menschlicher Energie in Geld, das eine besondere, aus allen anderen Beziehungen ‘herausgelöste’, von jedem Inhalt abstrahierende Sphäre der sogenannten Arbeit hervorbrachte – eine Sphäre der unselbständigen, bedingungslosen und beziehungslosen, roboterhaften Tätigkeit, abgetrennt vom übrigen sozialen Zusammenhang und einer abstrakten „betriebswirtschaftlichen“ Zweckrationalität jenseits der Bedürfnisse gehorchend. In dieser vom Leben abgetrennten Sphäre hört die Zeit auf, gelebte und erlebte Zeit zu sein; sie wird zum bloßen Rohstoff, der optimal vernutzt werden muß: ‘Zeit ist Geld’. Jede Sekunde wird verrechnet, jeder Gang zum Klo ist ein Ärgernis, jedes Schwätzchen ein Verbrechen am verselbständigten Produktionszweck. Wo gearbeitet wird, darf nur abstrakte Energie verausgabt werden. Das Leben findet woanders statt – oder auch gar nicht, weil der Zeittakt der Arbeit in alles hineinregiert. Schon die Kinder werden auf die Uhr dressiert, um einmal ‘leistungsfähig’ zu sein. Der Urlaub dient bloß der Wiederherstellung der ‘Arbeitskraft’. Und selbst beim Essen, beim Feiern und in der Liebe tickt der Sekundenzeiger im Hinterkopf.“
Es ist oben schon angedeutet worden: Arbeit ist ein Abstraktionsprozess, der Teil des gesellschaftlichen Seins ist. Sie ist keine Abstraktion durch Denken (Bewußtsein), sondern durch gesellschaftliches Handeln (Sein)! Das ist natürlich schwer zu denken. Der gesellschaftliche Prozeß zwingt den an ihm Beteiligten ein Handeln auf, das eben gerade nicht konkreter Prozeß ihrer Reproduktion ist, sondern von allem Konkreten, Qualitativen absieht und reduziert bleibt auf die Anhäufung gesellschaftlich anerkannter Arbeitszeitquanta. Konkretes ist notwendig für die Abstraktheit dieser Anhäufung. Wie schon erwähnt: Es hat also nicht irgendein Wissenschaftler mehrere Tätigkeiten unter einem Begriff unter Absehung des für sie jeweils Spezifischen zusammengefasst und das ganze als Arbeit bezeichnet, nein: Die Menschen handeln täglich so, dass alles qualitativ Bestimmbare für den Prozeß als solchen nicht zählt, sondern nur die Abstraktheit vorkommt. Sie abstrahieren nicht durch Denken, sondern durch Tun.
Wie vorhin schon kurz erwähnt, ist die Sphäre, die vom Wert als seine Voraussetzung, die nicht er selber ist, abgespalten wird, nicht geschlechtsneutral. Der Aufstieg der abstrakten Arbeit ist gleichzeitig der Aufstieg des männlichen Prinzips. Zugespitzt: „Der Wert ist der Mann.“ (R. Scholz). Klassische männliche „Tugenden“ wie Durchsetzungsfähigkeit, Forscherdrang, Zielstrebigkeit stehen den Frauen zugeschriebenen Eigenschaften „Sinnlichkeit, Charakter- und Verstandesschwäche, Passivität u.ä.“, (Scholz) gegenüber. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass die abstrakte Wertproduktion auf Zweckrationalität angewiesen ist und sich damit auf die männlichen Eigenschaften stützt, während sich die weiblichen im reproduktiven Bereich bewähren können, in einer Sphäre, in der es gerade darauf ankommt, es „sich schön zu machen“, nicht nach der Uhr zu hetzen, sondern Zeit zu verausgaben (bspw. kann ein Abendessen kaum als besonders gut angesehen werden, wenn es extrem zeitsparend hergestellt wurde – es zählt das Ergebnis, nicht die Kürze der Zeit).
Abstrakte Arbeit entsteht also nicht als ontologische Entität, sondern als Differenz, deren Pole dialektisch vermittelt sind (sie sind nur deswegen durch einander, weil gegeneinander und umgekehrt, es kann nicht eins aus dem andern abgeleitet werden). Und zwar als die Differenz: Wert (Produktionssphäre, Einsaugen von Wert, produktiv), Abgespaltenes (Reproduktionssphäre [Hausarbeit, Kinderbetreuung usw.], Abfluß des Werts durch Vernichtung des Gebrauchswerts im Konsum, unproduktiv).
Durch diese Differenz werden die Sphären Öffentlichkeit/Privatheit konstituiert. (Diese sind denn auch klar empirisch bestimmbar, in dem Sinne, dass eindeutig gesagt werden kann, welche Tätigkeit in welche Sphäre gehört. Bei der zugrundegelegten Unterscheidung, die ein Prinzip beschreibt, ist das m.E. nicht möglich. Dieses lässt sich nicht auf empirische Männer und Frauen zurechtbiegen, d.h., Träger des weiblichen Prinzips kann sehr wohl ein Mann, Träger des männlichen eine Frau sein. Noch verschärfter: Die Wert-Abspaltung geht m.E. heutzutage direkt durch die einzelnen Menschen hindurch. Wie sollte es auch anders sein – ließe sich ja sonst die Karrierefrau X, Vorstandsvorsitzende irgendeines Unternehmens, ebenso wie der schwule Haushalt, in dem nur einer arbeitet, nicht erklären!)
Beide Seiten der Unterscheidung sind somit zwar gesellschaftsimmanent, aber nur eine ist wertformimmanent (Scholz).

4. Arbeit und Identität

„Und was machst du so? Ich bin bei VW am Band.“
Derjenige sagt auf die gestellte Frage nicht, was er gerade liest, seit einiger Zeit gerne kocht oder ob er seine Beziehung kittet. Nein, er kommt auf die Arbeit und hat mit diesem Unfug in einer falschen Gesellschaft natürlich recht: Arbeit ist persönliche Identität, persönliche Identität ist Arbeit.
Und umgekehrt: Wer keine Arbeit hat, hat auch keine gesellschaftliche Identität, er hat einen Identitätsverlust erlitten, und sollte sich dringend bemühen, seine Identität wiederzuerlangen, um – so wie früher – wahrgenommen zu werden.
Denn ohne Arbeit ist man ja nicht befreit vom Arbeitszwang, quasi entlassen in die Freiheit, sondern in die Armut, preisgegeben der Disziplinierung durch Sozialbehörden. Man ist eben ein „Nichts“. (Natürlich kann das ein arbeitsscheuer Freundeskreis anders sehen und der ist auch nicht so ganz unwichtig, in dieser Arbeitslosigkeit psychisch befriedigend zu leben, doch hilft der ja nicht bspw. über den pausenlosen gesellschaftlichen Rechtfertigungszwang hinweg: „Warum hast du denn jetzt immer noch keine Arbeit? Da musst du eben auch mal längere Wege in Kauf nehmen. Hast du auch alles versucht?“ Von den vielen mit einem selbst irgendwie bekannten Leuten abgesehen, die einen pausenlos mit Tipps versorgen, wo man sich mal melden könne, weil irgend jemand ihrer Bekannten doch tatsächlich jetzt jemanden sucht, der Netzwerkbetreuer in dessen Firma sein will [„Und wenn’s nur was zur Überbrückung ist, du hast wenigstens was zu tun!“]. Man wollte diese Leute eigentlich schon längst aus seinem Bekanntenkreis aussortieren, erinnert man sich bei solchen Gelegenheiten.
Es ist schon so, wie der ehemalige Arbeitsminister unter Helmut Kohl, Norbert Blüm nämlich, sagte: „Wer lange genug Arbeit sucht, der hat genug Arbeit.“
Auch an diesem identitären Zwang hält der Arbeiterbewegungsmarxismus wieder ein großes Aktienpaket. Dieser Arbeiterbewegungsmarxismus ist historisches Resultat der sozialrebellischen Bewegungen (bspw. der Ludditen, der sog. Maschinenstürmer), die noch wußten, dass jede fremdbestimmte Schufterei ein Übel ist, während der Arbeiterbewegungsmarxismus im Gegenteil „die Arbeit“ befreien will, diese also allgemein, für alle (auch die vermeintlich schmarotzenden Kapitaleigner) verbindlich machen will.
Scheußlich in diesem Zusammenhang sind auch anarchistische Theoretiker wie Proudhon. Ich kann die Begeisterung auch von Zecken für diesen Dreck ganz und gar nicht nachvollziehen. Nach Meinung von Proudhon besteht das Heil der Menschheit in der Errichtung einer sog. „Volksbank“. Die hat die Aufgabe, alle wirtschaftlichen Tätigkeiten zu koordinieren; alle Betriebe können alle Produkte an sie absetzen, und es lassen sich alle Produkte von ihr kaufen. Zudem reicht sie zinslose – contra Wucher! – Kredite aus. Wenn jedes Arbeitsprodukt Absatz findet, kann nahezu jedes Geschäft gegründet werden. Reichtum ist in diesem System abgeschafft, doch ehe man hier jubelt, sollte man sich klar werden, was das unter diesen Verhältnissen bedeutet: Menschen haben nur noch die Chance, durch eigene Arbeit sich ihre Subsistenzmittel zu sichern. Was beim ersten Hören nach vollendeter Gerechtigkeit klingt, unterscheidet sich in Nichts von nationalsozialistischer Wirtschaftskonzeption. Denn was ist die Folge davon, dass die Anhäufung von Reichtum aus einer Gesellschaft verschwindet, in der dennoch der Wert herrscht? (denn natürlich wird auch eine Volksbank nicht verhindern können, dass 100 g Butter leichter zu haben sein werden als 2 Autos; d.h.: Die durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regulierender Faktor der Produktion und damit der Wert, ist nirgendwo außer Kraft gesetzt.) Die Folge ist: Niemand darf aus diesem Arbeitshaus ausbrechen. Alle sind ihr Leben lang auf irrsinnige Schufterei und Askese angewiesen. Im real existierenden Kapitalismus ist das Leben des Spekulanten in seiner ganzen normalkapitalistischen Scheußlichkeit immerhin noch ein Vorgeschmack auf die leiblichen Freuden des Kommunismus’. Es ist zwar vollkommen bornierter Genuß, den der Reiche aufgrund seines Reichtums pflegen kann und dennoch ist in ihm aufbewahrt, gerettet quasi, dass der Mensch für Genuß und Glück auf der Welt ist und für nichts sonst. Im Gegensatz zum Anarchismus á la Proudhon: Das Arbeitsleid erstreckt sich dort auf alle in alle Ewigkeit. – Solange Anarchos und sich antikapitalistisch dünkende Zecken diesen antiemanzipatorischen Dreck nicht endgültig in die Tonne kloppen, sollen sie sich über sozialdemokratischen Arbeitszwang nicht aufregen, sondern gefälligst arbeiten gehen.
Wie oben gesehen, hat Arbeit hat eine Durchsetzungs – und nicht eine friedliche Entwicklungsgeschichte. Zwang war nötig, um die Menschen vergessen zu lassen, weshalb sie auf der Welt sind – um glücklich zu sein. In modernen Zeiten ist es dahin gekommen, seine Aktionen unter der Fuchtel der Arbeit genau als das Glück zu bezeichnen, das man haben will. Insbesondere die Angehörigen der Kreativberufe sehen ausgesprochen viel Sinn in ihrem Tun. Denn: Es heißt doch, am Glück der Menschheit mitzuwirken, wenn neue Medikamente für heute noch unheilbare Krankheiten erforscht, neue Lagerstätten für Bodenschätze gefunden, neue Theaterstücke geschrieben werden?! Das alles kommt uns doch wirklich zu gute! im Gegensatz – “natürlich!“ – zu Landminen.
Drei Einwände:
a) Was ist das für eine schale Kreativität, wenn man Tag für Tag, Jahr für Jahr, nicht besser als in der finstersten Fabrik, irgendwelche Substanzen aus einer Glasflasche in die andere umfüllt? Hat man sich das wirklich ausgesucht? Wenn man kontinuierlich hintereinanderweg irgendwelche dramatischen Szenen verfertigt, die dann vor halbleerem, kommunal gestütztem Theater den Reichen dieser Welt ihren Reichtum moralisch madig machen – zum einzigen Zweck, dem Autoren des Stücks und den Schauspielern etwas von diesem Reichtum zuzuschanzen?
b) Wir haben es mit einer falschen Form zu tun, in der Kreativität sich zeigt, einer Form, in der das Glück nur die Möglichkeit hat, kurz aufzublitzen und wieder zu verschwinden. Wer in der „ganzen Scheiße“ (Marx), etwas schafft, was den Menschen das Leben erleichtert, es verlängert, ihnen etwas mehr Genuß gewährt, als vorgesehen, tut natürlich auch etwas Gutes. Doch er kann es nur tun in der gesellschaftlichen Form der Produktion unterm Regime des Werts (ob seine Arbeit damit automatisch kapitalproduktiv ist, soll hier nicht verhandelt werden). Und damit ist auch all seine Produktion infiziert mit der Abstraktheit und irrationalen Selbstzweckhaftigkeit jeder Produktion unterm automatischen Subjekt. Gegenteilige Beteuerungen sind rührend und oft ehrlich gemeint. Dennoch: „Das Glück ist der Wert“.
c) Dagegen wären die Gestehungskosten der Marktgesellschaft aufzurechnen. Nur ein Beispiel: Wie hoch ist der Anteil der kapitalistischen Vergesellschaftung an der Entstehung der modernen (noch) unheilbaren Krankheiten, deren Bekämpfung heute edles Menschheitsziel ist? Die Frage allein gilt heute als verwerflich, kennzeichnet den Fragesteller als vormodernen Blödmann, der wieder in Höhlen ohne elektrisches Licht leben will. Wer diese Frage auch nur stellt, will ja in der Einbildung antideutscher Verbalradikalinskis immer schon zurück in irgendeine heile Kommune-Welt und die Aids-Kranken dieser Welt ihrem Schicksal überlassen. Natürlich sollte man heute alle Register der modernen Medizin ziehen, um das Leid von Menschen zu lindern. Dennoch: Es muß erlaubt sein, zu fragen, was die kapitalistische Gesellschaft überhaupt erst für Krankheiten hervorgebracht hat. (Ich denke hier bspw. an die vielfältigen Allergien, bei deren Entstehung – nachgewiesenermaßen – der moderne Sauberkeitswahn und der überdimensionierte Einsatz von Desinfektionsmitteln eine Rolle gespielt haben. Weiter ist hier zu denken, an den bedenkenlosen Einsatz von Breitband-Antibiotika bei jeder kleinen Halsentzündung. Dieser Einsatz hat u.A. dazu geführt, dass erste Resistenzen gegen Antibiotika aufgetreten und bereits Todesfälle zu beklagen sind, weil ein wirksames Antibiotikum eben nicht mehr zur Verfügung stand.) Für Gruppen wie bspw. die Redaktion der antideutschen Zeitschrift „Bahamas“ spielen solche Erwägungen vermutlich keine Rolle. Bürgerliche Gesellschaft heißt „Glücksversprechen“ und das ist für alle da. Leider, leider reden sie nicht von dessen Gestehungskosten, davon nämlich, daß das Glück der größtmöglichen Zahl von Menschen, Verzweiflung, Unglück, Tod und Zerstörung produziert. Kommunistisch ist das nicht.
„Wenn ich schon arbeiten muss, will ich wenigstens etwas machen, was mir Spaß macht!“, hört man meistens von Leuten, denen das „muss“ im ersten Teil des Satzes nicht allzu weh tut, die also eben doch auf Selbstverwirklichung in der Mehrwertmühle aus sind. Sie scheinen ganz froh zu sein, zu müssen und schließlich kommt der Spaß ja nicht zu kurz. Doch seien wir nicht ungerecht, vielleicht ist ja doch etwas dran, an folgender Überlegung:
„Ja, es gibt den Arbeitszwang, ja, auch mir wäre lieber, wenn ich nicht arbeiten müsste, aber warum soll ich 8 h am Tag noch mehr leiden, indem ich etwas mache, was mir vollständig zuwider ist? Da bringe ich mich doch lieber ein, versuche etwas zu bewegen und bekomme dafür auch noch Geld.“
Tja und dann sitzt man eben abends am Kneipentisch mit völlig kaputtgerackerten Menschen, die 8 h (oder 10, oder 12, oder 14 – die Arbeitszeiten der new economy greifen ja so langsam auch wieder auf altehrwürdige Branchen über) etwas bewegt haben und seien es: Steine oder Müll bzw. Menschen – ja, auch die kann man bewegen, nämlich indem man als Sozialpädagoge den längst Ausgemusterten wieder völlig fiktives Selbstvertrauen in die eigene Kraft einflößt, die doch völlig nutzlos, sinnlos, unmenschlich ist, wenn sie dazu eingesetzt werden soll, sich an einem total überfüllten Arbeitsmarkt besser zu verkaufen, als der looser nebenan.
Überhaupt tummeln sich ja in den „weniger schlimmen Berufen“ (Sozialpädagogen in halbalternativen Projekten, Computerfreaks in der internet-new-economy, Medienbastelei jeder Art) die Allerverrücktesten; Leute, die das Flair der Fabriketage, die kalte Pizza neben der Tastatur und die gezwungene Ungezwungenheit der Computerblödmänner neben ihnen so zu brauchen scheinen, wie unsereins die Party; Leute, die frei und selbstgewählt etwas bewegen, grafisch immer ausgefeiltere und inhaltlich immer dümmere Computerspiele basteln und die einem dann in den wenigen freien Minuten, die ihnen pro Woche bleiben, erzählen, was das damals für wilde Zeiten gewesen seien (keine Ahnung, welche sie meinen). Heute hängen sie mit betont locker angezogenen Marketing-Fritzen auf Koksparties rum und halten linke Gesellschaftskritik für verbiestert und antiquiert.
Nein: Dann schon lieber Zwang zu irgendeiner Arbeit, statt dieses Kreativschuften, diesen menschlichen Bankrott auch noch lächelnd begleiten zu müssen. Robert Kurz macht in seinem Buch „Die Welt als Wille und Design: Postmoderne, Lifestyle-Linke und die Ästhetisierung der Krise“ (Edition Tiamat, Berlin, 1999) einer ätzenden, sehr vergnüglich zu lesenden Polemik neben Fahrradkurrieren, die sog. Medienkompetenzler als die Dümmsten der Dummen aus (vgl. S. 99).
„Die Müßiggänger schiebt beiseite“ (Internationale), „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“ – in einer Gesellschaft, in der im allgemeinen sadomasochistische Sexualpraktiken als Perversion verpönt sind, gilt offensichtlich dieser offen sadistische Dreck des Arbeitszwangs (den August Bebel als für die Arbeiterbewegung gültig begreift, s. „Die Frau und der Sozialismus“) als Richtschnur für menschliches Handeln überhaupt. Leider aber gibt es hier keine Möglichkeit aus der Session auszusteigen, das automatische Subjekt hält uns umklammert – das ganze ist kein Spiel, sondern bitterer Ernst.
Zwar sind die Produktivkräfte längst entwickelt dafür, dass alle ein gutes, genußreiches Leben haben könnten und dennoch muß weiter gelitten werden. Warum? „Weil es eben so ist.“ „Weil es alle gemacht haben.“ „Weil sich nur so die Menschheit weiterentwickelt.“ „Weil der Mensch nun mal schlecht, faul und ein Gewohnheitstier ist.“
Der real existiert habende Sozialismus des „ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden“ hat den Arbeitswahn nirgendwo durchbrochen. Im Gegenteil: Wer den Kapitalismus zwar nicht ein- aber überholen (E. Honecker) will, ist gerade darauf angewiesen. Menschen definierten sich und mußten sich definieren über ihre Arbeit. Es existierte ebenso eine Sphäre der abgetrennten Arbeit, die Produkte mussten und wollten sich laut Direktiven der Staatspartei (Stichwort: Arbeitsproduktivität) auch am Weltmarkt bewähren. Es war ein- und dieselbe Wert- und Warenlogik, wie im „richtigen“ Kapitalismus, die hier herrschte. Die Lehre, die aus dem Untergang des sozialistischen Weltsystems zu ziehen ist, ist eben einfach die, dass staatlich gelenkter Kapitalismus längst nicht so effizient wie Privatkapitalismus ist.
Und übrigens: Wer mit diesem ganzen Dreck von sozialistischem Wettbewerb, „Schule der sozialistischen Arbeit“ usw. usf. nichts zu tun haben wollte, wurde sehr schnell von den staatlichen Organen in seine Grenzen gewiesen und landete als Jugendlicher vielleicht im „Jugendwerkhof“ in Jena – sein Name: „Ehre der Arbeit“.
Und trotzdem: „Der Kapitalismus hat doch in seiner Entwicklung auch eine Verkürzung der Arbeitszeit gebracht, also mindestens die Chance eröffnet, dass irgendwann einmal ein arbeitsarmes Leben möglich wird!“ Dazu die „Gruppe Krisis“:
„In den vor- und nichtkapitalistischen Kulturen innerhalb wie außerhalb Europas war die tägliche ebenso wie die jährliche Zeit der Produktionstätigkeit weitaus geringer als selbst heute noch für die modernen ‘Beschäftigten’ in Fabrik und Büro. Und diese Produktion war bei weitem nicht derart verdichtet wie in der Arbeitsgesellschaft, sondern durchsetzt von einer ausgeprägten Kultur der Muße und der relativen ‘Langsamkeit’. Von Naturkatastrophen abgesehen waren die materiellen Grundbedürfnisse für die meisten weitaus besser gesichert als über weite Strecken der Modernisierungsgeschichte – und auch besser als in den Horror-Slums der heutigen Krisenwelt.“ (Krisis: Manifest)
„Ja, auch ich finde Arbeit Scheiße, aber ich habe mich dafür entschieden, mich anzupassen, weil ich Geld brauche, um mich in meiner Freizeit selbst zu verwirklichen und kreativ zu sein.“ – Natürlich im Vergleich zu den leicht durchschaubaren Illusionen der new-economy-Gurken ein durchaus respektabler Standpunkt, sage niemand, dass er kein Geld braucht und dass er von den Verlockungen der Warenwelt unbeeindruckt bleibt. Dennoch: Kann man nicht zugeben, dass man einfach ein höheres Konsumniveau will, als das, was A-Kohle gestattet? Muß dieser Selbstverwirklichungs-Unfug in die Rechtfertigung mit hinein? Denn Freizeit ist ja doch nur die andere Seite der Arbeit. Sie darf also nicht verwechselt werden mit der vormodernen Muße (d.h., mit dem, was zwischen den bzw. außerhalb der damaligen Reproduktionstätigkeiten lag). Arbeit hält uns also auch dann noch in ihrem Bann, wenn wir von ihr ausruhen. Ganz davon abgesehen, dass die selbst so domestizierte Freizeit kaum gesellschaftliche Reputation über die Regeneration der Arbeitskraft hinaus besitzt, denn:
1. es gilt die Freizeit zu minimieren
Wie schon erwähnt, ist die heutige Arbeitszeit sehr viel länger als die Zeit, die für die Reproduktionstätigkeiten vormoderner agrarischer Gesellschaften notwendig war. Ein Beispiel: die im Frühmittelalter als ungewöhnlich hart empfunden Regeln für die Arbeitszeit in Klöstern sahen dort 6 bis 7 h pro Tag vor. Wer das längere Zeit durchhielt, hatte schon einige Kasteiungen überstanden. Gewerkschaften würden es nicht wagen, heutzutage in Tarifverhandlungen so etwas auch nur zu fordern! Um die Mitte des 4. Jahrhunderts hatte die römische Republik mehr als 175 Ruhetage, auch für die Sklavenarbeit!),
2. Freizeit wird durchrationalisiert
Das Stichwort aus dem Realsozialismus dazu heißt: „sinnvolle Freizeitgestaltung“: immer muß irgend etwas passieren, muß etwas gelernt, gebaut, geschrieben werden, statt einfach auch mal dazusitzen, rumzugucken, nachzudenken; der moderne Mensch entwickelt gegen so etwas fast schon Widerwillen, mindestens aber ein schlechtes Gewissen.
3. in der Freizeit werden arbeitsähnliche Verhaltensweisen etabliert
Damit die Arbeitstiere keine Sekunde zur Ruhe kommen können, hält das System sie mit Konsum auf Trab. Stichwort: Schnäppchenjägerei. Wie unterm direkten Regime des Werts müssen auch auf der Freizeitseite pausenlos die Kosten gesenkt werden, von der Wertproduktion greift die sog. Zeitsparlogik (F. Haug) auf die Sphäre über, in der die Zeitverausgabungslogik zu Hause ist. Immerzu muß Zeit gespart werden, Zeit, mit der der kapitalistisch sozialisierte Normalmensch dann doch wieder nix Schönes anfangen kann, sondern sie – nun wirklich – verplempert im Stau auf der Fahrt zu einem Einkaufszentrum auf der grünen Wiese, um die neuesten Angebote zu sichten.
Was tun gegen Arbeit? Ein Appell ans pure Bewußtsein, den Unfug doch einzusehen und seinzulassen, hilft nicht weiter (s. Marx/Engels, „Deutsche Ideologie“). Man kann mit viel Raffinesse versuchen, sich den Zumutungen der Arbeitsgesellschaft, so gut es eben geht, zu entziehen. Klar ist natürlich auch, dass das nur für einen selbst eine Verbesserung bringt und keine befriedigende politische Praxis ist. Pauschal, aber dennoch nicht ungerecht, lässt sich sagen, dass bisher alle Versuche, die Arbeitsgesellschaft innerhalb des Kapitals zu überwinden, gescheitert sind. „Neue Arbeit“ zu definieren und zu leben, ist eben immer wieder in selbstausbeuterisches Klitschenunwesen mit Plenumszwang, abgeglitten. Schwer zu sagen, wie es in einer befreiten Gesellschaft aussehen würde.
Vielleicht wenigstens eine Bestimmung: Man könnte sich Identitäten einfach „geben“, sagen wir, so wie eine Droge. Um eine Äußerung von Christoph Türcke aufzugreifen: Identifizierung wäre vielleicht die Würze einer befreiten Gesellschaft, das Unharmonische, das dennoch nichts vom Zwang, vom Wahn gegenwärtiger Identifizierung unterm Kapital hätte. Dort wäre vielleicht das möglich, was Queer-TheoretikerInnen schon für heutige Zeiten behaupten tun zu können: ein Spiel mit Identitäten.
„...in der kommunistischen Gesellschaft, (hat) (...) Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, sondern (kann) sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden, die Gesellschaft (regelt) die allgemeine Produktion und (macht) mir eben dadurch möglich, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Marx/Engels, Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 33.

5. Einwände

OK, du sagst, pure Bedürfnisbefriedigung vorkapitalistischer Zeiten sei keine Arbeit gewesen, aber „wenn keiner auch über seine Bedürfnisse hinaus etwas getan hätte, würden wir noch auf Bäumen leben wie die Affen, also hatte dieser Prozeß eine gewaltige emanzipatorische Kraft. Und wenn man Marx liest, wird ja auch klar, dass die Menschheit erst durch dieses Tal der Tränen hindurch muß, ehe der Kommunismus kommt“.
Contra: Es hat sich niemand freiwillig dafür entschieden, „etwas mehr zu tun“ und die Menschheit voranzubringen, sondern genau diese zivilisatorische Potenz der Arbeit hat ihre Schattenseite, um die es in diesem Vortrag ging. Das Herumreiten auf dieser emanzipatorischen Potenz dient heute fast nur noch dazu, das Bestehende zu affirmieren. Nachdem diese blutige Geschichte der Arbeit abgerollt ist und die Produktivkräfte vollkommen dafür ausreichend sind, um sicherzustellen, dass niemand auf dieser Welt mehr Not leiden muß, wird das Festhalten an einem protestantischen Arbeitsethos nur deshalb, damit ein paar Leute in den Weltraum fliegen und die Computerspiele noch ausgefeilter werden können, komplett lächerlich und verrückt.)
Ein weiterer Einwand in Form einer anderen Fassung des Arbeitsbegriffs: Arbeit ist das Reich der heutigen Notwendigkeit, d.h., „alles das, was ich im hier und heute gezwungen bin für meine Reproduktion zu tun, all das, was nicht freie Kreativität ist, also auch bspw. Abwaschen“.
Ich halte das für sehr bedenkenswert, aber eher weniger für eine kritische Analyse des heutigen Arbeitswahnsinns, sondern für Überlegungen, wie menschliche Reproduktion in einer befreiten Gesellschaft aussehen könnte. (Denn der Grundgedanke: All das, was nicht der freien Entfaltung des Menschen dient, ist immer noch außerhalb einer emanzipatorischen Gesellschaft, ist ja ganz richtig.). Dennoch: Mit dieser Ausdehnung des Arbeitsbegriffs rückt das konstituierende Prinzip dieser Gesellschaft – der Wert – in der Phantasie aus ihrem Zentrum, plötzlich ist es allen Einzelnen anheimgestellt, alles Mögliche als Arbeit zu bezeichnen. Und dann ist die „Beziehungsarbeit“, das „Aufarbeiten der eigenen Biographie“, die „Trauerarbeit“ und ähnlicher Blödsinn nicht mehr weit. Doch von Beziehungsarbeit lässt sich nun mal nicht physisch leben, sie wird nicht in einer festgelegten Zeitspanne verrichtet. Und zur Beschreibung des Arbeitsleids hier und heute ist dieser Vorschlag wohl auch kaum geeignet: Wer nie abwäscht, ist Unannehmlichkeiten ausgesetzt, wer sich der Arbeit verweigert, ist im Kapitalismus nahezu überall existenziell bedroht. Ein Unterschied ums Ganze.
Am Ende dieses Vortrags, möchte ich inhaltlich zu dessen Anfang zurückkehren. Dass Arbeit Scheiße ist (mit genau der emotionalen Empörung, die in diesem Satz liegt), lässt sich theoretisch nicht herleiten. Theorie vermag zu zeigen, dass die Durchsetzungsgeschichte der Arbeit anders verlaufen ist, als von bürgerlicher Wissenschaft behauptet und welche Charakteristika die Arbeit kennzeichnen.
Weshalb Menschen etwas gegen sie haben sollten, ist kein Gegenstand von Kolloquien und Seminaren. Entweder es kotzt einen an, knuffen gehen zu müssen, oder nicht. Wen es ausreichend ankotzt, der bemüht sich um eine Kritik dessen, worunter er leidet, wen es nicht ankotzt, den überzeugen keine wohlformulierten Argumente, sanft in die Arbeitskritik hinüberzugleiten. Was Kritik tun kann, ist (Marx im Rücken), den Leuten den Druck, dem sie ausgesetzt sind, bewußt zu machen, ihn womöglich noch zu verschärfen und über diesen Leidensumweg den Weg zur befreiten Gesellschaft zu ebnen.
Mausebär


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last modified: 28.3.2007