home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[82][<<][>>]

Der Foucault des Werts

Vom gebändigten Geist in der Flasche der wertkritischen Krisis-Bande und ihrem Anführer

„Es gibt Kompromiße und es gibt Kompromiße. Man muß es verstehen, die Umstände und die konkreten Bedingungen jedes Kompromisses oder jeder Spielart eines Kompromisses zu analysieren. Man muß es lernen, den Menschen, der den Banditen Geld und Waffen gegeben hat, um das Übel, das die Banditen stiften, zu verringern und ihre Ergreifung und Erschießung zu erleichtern, von dem Menschen zu unterscheiden, der den Banditen Geld und Waffen gibt, um sich an der Teilung der Banditenbeute zu beteiligen.“
(W.I.Lenin in: „Der ‘linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus“)

„Theorie und geistige Erfahrung bedürfen ihrer Wechselwirkung. Jene enthält nicht Antworten auf alles, sondern reagiert auf die bis ins Innerste falsche Welt.“
(Theodor W.Adorno, Negative Dialektik, S.41)

Wenn man sich über sich selbst erhebt, schwebt man im wertkritischen Himmelreich des absoluten Welt-geistes und heißt nicht mehr Napoleon, sondern Robert Kurz.
Noch kurz nach den Anschlägen auf WTC und Pentagon war es ihm, dem Eric Zabel des wertkritischen Krisisteams, darum bestellt, auf eine kritische Theorie im Sinne Max Horkheimers abzuheben und die fehlende „intellektuelle Reflexion über die ‘Dialektik der Aufklärung’“ als gespenstischen Rückfall in die Zeit der „ignoranten bürgerlichen Geschichtsphilosophie des 18. und 19. Jahrhunderts“ zu beklagen.(1)
Die kritische Denkart, die ja gerade darin besteht, wie Horkheimer in seinem Grundlagentext „Traditionelle und kritische Theorie“ schrieb, „(...) die ökonomischen Kategorien Arbeit, Wert, Produktivität genau als das, was sie in dieser Ordnung gelten“, auch gelten zu lassen, weil nur so „zugleich (...) als die gröbste Unwahrheit“ erschiene, „die Geltung einfach hinzunehmen“, ließ Horkheimer zu dem Schluß kommen: „Die kritische Anerkennung der das gesellschaftliche Leben beherrschenden Kategorien enthält zugleich seine Verurteilung.“ Nur so gelänge es, „den dialektischen Charakter der (bürgerlichen - R.) Selbstinterpretation“ als die Bedingung materieller Existenzweise des bürgerlichen Subjekts zu fassen: „Ein Verhalten, das, auf (...) Emanzipation gerichtet, die Veränderung des Ganzen zum Ziel hat, mag sich wohl der theoretischen Arbeit bedienen, wie sie innerhalb der Ordnungen der bestehenden Wirklichkeit geschieht. Es entbehrt jedoch des pragmatischen Charakters, der sich aus dem traditionellen Denken als einer gesellschaftlich nützlichen Berufsarbeit ergibt.“ (2)
Nun kann man der gesamten Kritischen Theorie zu Recht vorwerfen, sie hätte sich nur vulgärmarxistische Begriffe von der „dialektischen Kritik der politischen Ökonomie“ (Horkheimer) gemacht. Nun, man sollte dies wirklich keineswegs vernachlässigen. Doch die Dimension, und das ist ja wohl bekanntlich die Stärke der Kritischen Theorie, eröffnet sich eben erst in der Philosophiekritik an der Moderne.
Es ist kein Zufall, daß in den Veröffentlichungen des Robert Kurz von Antisemitismus nur immer glossenhaft die Rede ist und dies auch kaum Würdigung als ausschließliches Motiv für die Terroranschläge vom 11. September in seinen Texten fand. Und es ist fürwahr so, daß in der Logik seines Theoriegebäudes nur ein stilles Dachkämmerlein für die Besonderheit des maßlosen Vernichtungswahns reserviert ist. Kurz verdunkelt die Qualität und Dimension des Antisemitismus nicht etwa deswegen, weil ihm die ganze bürgerliche Scheiße im Dunkeln liegt, sondern weil es ihm ein störendes Nebengeräusch der Lokomotive der finalistischen Krisentheorie ist, als die sich wohl die Krisis-Gruppe nur allzugern begreifen würde und bei der einer wie Robert Kurz so nur folgerichtig, in den Gefilden von subjektiver Selbstherrlichkeitstheorie schwebend, mit Trillerpfeife und Schaffnerstab das Kommando zur fahrplanmäßigen Abfahrt zum Untergang des Kapitalismus geben könnte.
Das wichtigste Element fundamentaler Gesellschaftskritik besteht tatsächlich darin, den Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen, weil nur so dieselben zum Tanzen gebracht werden können. Nur so gelingt die notwendige selbstreflexive Verortung, um nicht gleichsam mit der eigenen materialistischen Theorie in Richtung Idealismus abzuheben und sich so vom selbstgesetzten Anspruch zu entfernen.
Wertkritik ohne Erkenntniskritik ist keine. Diese These dürfte Kurz und der Krisis-Gruppe nicht unbekannt sein. Beinhaltet sie doch den Vorwurf, die Krisis schneide ihre Wertkritik eben von der Kritik ihrer eigenen Erkenntnis ab, um so als zugerichteter Theoretiker des Werts sich selbst feiern zu können.(3)
Das Zusammenzählen von Toten ist, wenn es in der Katastrophe vom Einzelschicksal zum massenhaften wird, bekanntlich in der Kälte bürgerlicher Rationalität nur noch eine Statistik. Davon sich zu lösen, vermag nur der heuchelnde Ideologe und der standfeste Theoretiker. Vom besonderen kapitalistischen Gebrauchswert des einzelnen Arbeitskraftbehälters namens Mensch wird somit zugleich von konkreten gesellschaftlich-historischen Situationen abstrahiert: das Sterben verkommt zur allgemeinen gesellschaftlich notwendigen durchschnittlichen Lebenszeit, zur Quantität von Leben als Ware. Hierin drückt sich die totale Dimension der Wertvergesellschaftung aus, die gänzlich zu erfassen Kurz und Krisis für sich in Anspruch nehmen und die Forderungen nach „Mitgefühl (...) für alle Opfer“ somit an sich selbst blamieren. (4)
Es ist das große Defizit der Krisis-Gruppe, gemeinhin nicht begriffen zu haben, was es heißt, wenn Marx davon sprach, daß man unter der Herrschaft des Kapitals immer schon gesellschaftlich gehandelt hat, bevor man überhaupt bewußt denken kann. Man braucht also keineswegs erst die Psychonalyse als Subjekttheorie zu bemühen, um zu dieser selbstreflexiven Erkenntnis der eigenen Existenzweise zu gelangen. Robert Kurz hat es in seinen Texten zum 11. September wieder mit Bravour geschafft, die Dimension der Wertvergesellschaftung auf eine bloße Frage des theoretischen Standpunktes herunterzubrechen. Alles Übel dieser Welt, so schreibt er, ist „kaum fürchterlicher (...) als die vielbeschworene ‘unsichtbare Hand’ der blinden Systemlogik“. (5) Oder: „Der religiöse Terror schlägt ebenso blind und sinnlos zu wie die ‘unsichtbare Hand’ der anonymen Konkurrenz.“(6)
Daß die invisible Hand des Werts auch vor Kurz’ Erkenntnis nicht halt macht, soll hiermit als belegt gelten. Sein theoretischer Blick, ausgerichtet nicht von ihm als Robert Kurz an sich, sondern von seiner persönlichen gesellschaftlichen Existenzweise, wie er zwar nicht denkt, aber handelt, plättet die Kritik auf dem Bügelbrett der Theorie. Der aus allen Rohren dringende wertkritische Dampf der abgelassen wird, gelangt aber gerade nicht als einer namens Hans in alle Gassen bürgerlicher Vergesellschaftung und muß deshalb idealistisch verpuffen. Genau das sollte eigentlich zur Vorsicht in der Theorie gemahnen, was aber gerade nicht in der Krisis-Theorie der Fall ist.
Deutlich tritt in Kurz’ Texten zum 11. September zutage, wie sehr er selbst kalt-rationalistischer wertvergesellschafteter Statistiker des Todes ist, fordert er doch, wie schon weiter oben festgestellt, zur Abstraktion vom einzelnen besonderen toten Menschen auf, in dem er „Mitgefühl (...) für alle Opfer“ bürgerlicher Herrschaft einklagt und so auf ihren gesellschaftlichen Tauschwert als gleiche abhebt. Was wird er wohl auf diese Tatsache entgegnen? Ist seine kalte Rationalitiät dieselbe wie die eines bin Ladens? Nach Kurz’ theoretischen Ausführungen wohl ja, nach meinem Kenntnisstand aber gerade nicht. Und so unterscheidet meine als kritisch behauptete Weltsicht mich wohl tatsächlich von der Kurzschen Theorie der Welterklärung.
Totalität ist nicht homogen, wie Terry Eagleton in seinem Essay über „Die Illusionen der Postmoderne“ feststellte. Sie läßt also als heterogenes Ganzes einen minimalen Spielraum, der nach Auschwitz zum Unterschied ums Ganze geworden ist. Es ist der schmale aber vorhandene zwischen maßloser Ausbeutung und maßlosem Vernichtungswahn. Und nichts anderes meint die immanente Unterscheidung bürgerlicher Kälte als Ganzes, zwischen Rationalität und Irrationalität.
Die Welt in Gänze erfassen zu wollen, kann nicht den Verzicht darauf bedeuten, sich als Teil des Ganzen zu begreifen, nur weil man es sich theoretisch so halluziniert. „Was einmal Dogma und Bevormundung durch Selbstgewißheit überholen wollte, wurde zur Sozialversicherung einer Erkenntnis, der nichts soll passieren können“, formulierte einst Adorno wie für die Krisis-Gruppe gemacht. Und er schlußfolgerte: „Dem Einwandfreien passiert tatsächlich nichts.“ (7)
Die objektive Sehnsucht nach Eindeutigkeiten versagt entweder den Zugang zur Erkenntniskritik oder aber wird umgeleitet zu ganzheitssprengenden Theoriemodellen der „Vielheiten“ (Deleuze/Guattari). Beides ist gleichermaßen der Verzicht auf dialektische Selbstreflexion. Nur also, weil man sich zu den Feinden der Popperschen „offenen Gesellschaft“ zählt, heißt das noch lange nicht, sich von offener, unabgeschlossener Dialektik als einzigst akzeptables kritisches Denken zu verabschieden.
Robert Kurz ist mit der maßgeschneiderten exoterischen Wertkritik – und dieser Vorwurf wird ihn besonders wurmen, kann ihm aber nicht erspart bleiben – da angelangt, wo der deutsche Arbeiterbewegungsmarxismus vor dem Nationalsozialismus stand: der Klassenfeind in den eigenen Reihen von gestern, ist der Renegat, der Verräter an der Wertkritik, von heute. So tappt man von einer Erkenntnisfalle in die nächste.
Beredtes Zeugnis davon legt der Kurzsche Text „Mudschahidins des Werts – Bomben für den Warenfetisch: die aufklärerische Linke im letzten Stadium der bürgerlichen Vernunft“ ab. (8) Weil die Kritische Theorie immer ihren Zeitkern betont hat, zieht Kurz in dem Text daraus den Schluß, daß sie heute gar keinen mehr besitzen kann – nichts weiter wäre als verfaulter Appel und Ei. Was der Text großartig belegt, ist wieder mal die Tatsache, daß blendende Theorie und Verblendungszusammenhang unbedingt zusammen gedacht gehören, weil sonst folgerichtig die Theorie mit einem durchgehen muß. So erhebt sich eben der Krisis-Theoretiker zielsicher über die verwaltete Welt und damit leider auch über sich selbst. In dem die Krisis-Theorie sich dergestalt bodenlos wähnt, mit der materialistischen Wirklichkeit im Hier und Jetzt abgeschlossen zu haben, gerät ihre Theorie zur Geneanologie des Kapitals, nicht aber zur Kritik des Kapitals als totale Herrschaft.
Robert Kurz wird so also zum Michel Focault des Werts. Weil der Körper ja in der finalen Krise nicht mal mehr zum Arbeitskraftbehälter taugt, ist der Geist in der Flasche der Wertkritik gebändigt: das bürgerliche Subjekt ist nichtig aber zum Glück der gebändigte Geist die Willenskraft zur Macht der Wertkritik willig. Oder anders: Der Geist ist willig, aber das Fleisch einfach noch nicht bereit. Die Krisis-Gruppe verschreibt als Krankenhelfer am Bett des Kapitals (Initiative Sozialistisches Forum – ISF) tägliche Wertkritik als kräftigenden Hieb aus der Pulle ihres Geistes. Und als Krankentherapie verordnet man Gedankengymnastik im simulierten geistigen Vakuum der Krisis-Theorie. Mit der „Gedankenakrobatik“ (Adorno) negativer Dialektik hat das allerdings reinweg gar nichts zu tun.(9)
Die eingebildete Autonomie des Theoretikers, die Kurz unfreiwillig verkörpert, hebelt die Kritik des Ganzen in der Reproduktion traditioneller Theorie aus. Mit der Abstraktionskraft, mit der man eigentlich hoch hinaus möchte, fällt man so tief. Die Angst des Kritikers vor dem Elfmeter falschen Handelns in der Wirklichkeit der materiellen Gesellschaft läßt sich nicht dahingehend auflösen, in dem man platonisch entsagt – der Gesellschaft also eine Art Herr-Knecht-Gefolgschaft aufzukündigen gedenkt. Mit der Angst und der daraus folgenden Ohnmacht umgehen zu lernen, ohne sich handlungsunfähig zu machen, ist die erkenntniskritische Herausforderung einer Kritik neuen Typs, den die Kritische Theorie als praktische Vernunft des Geistes von Befreiung entworfen hat. Dieser neue Typ verfolgt weder den Zweck, sich den Citoyen selbst auszutreiben, wie es allem Anschein nach in der Krisis-Gruppe ritualisiert ist, noch denselben hoch, höher, am höchsten zu halten. Weil einmal gesagt ward, daß alle Kultur nach Auschwitz Müll ist, sind die Bildungsbürger noch lange nicht immer nur die anderen. Weil das aber so und nicht anders ist, gilt es, Vorsicht walten zu lassen, wenn man die Aufklärung endgültig dem Müllhaufen der Geschichte überantwortet.
Der Benjaminsche Engel der Geschichte hat bekanntlich nicht deshalb „das Antlitz der Vergangenheit zugewendet“, weil er auf dem Müllhaufen der Weltgeschichte rumlümmelt, sondern weil der Sturm „vom Paradiese her (weht), der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann“. (10)
Wohl generell angewidert von Fortschrittsgläubigkeit, auch von der Benjaminschen, wendet Robert Kurz sich von der Vergangenheit ab, um der definitiv kommenden Zukunft, die mit der finalen Krise längst begonnen hat, entgegenzueilen. Und dabei verrennt er sich schnellen Schrittes. Sein hehres Vorhaben, das Schlimme zu verhindern und die Emanzipation zu ermöglichen, muß so mißlingen. Denn er vergißt, daß er kein Engel ist und geflügelte Worte kein Flügelersatz darstellen können. Er verfällt also, wohlgemerkt ohne es zu wollen, zwingender theoretischer Geschichtslosigkeit. Das gipfelt in der selbstverordneten Neutralität gegenüber Israel, die durch fehlende Kritik deutscher Ideologie nur allzu folgerichtig mit der nicht mehr wahrgenommenen Unterscheidung von Besonderheiten vom american, german oder afghan Psycho zusammenschießt. Ihm dient die Waffe der Theorie längst als Ersatz für die Waffe der dialektischen Kritik und die Wirklichkeit wird in der Zukunft abgeheftet.
Das Allgemeine wird bei Kurz zum Besonderen und das Besondere zum Allgemeinen: Form und Inhalt werden so gegenseitig in der höheren Wertkritik aufgehoben. Doch was Hegel nicht schaffte, schafft Robert Kurz nimmer mehr. Denn die verhärtete Methode schafft nicht nur dialektische Offenheit ab, sondern die Dialektik schlicht und ergreifend selbst. Der Vorrang des Objekts wird zum Vorhang desselben und die Subjekte zu neutralen Zuschauern, durch die hindurch Robert Kurz als Filmvorführer den Splatter-Movie von der Theorie der finalen Krise nach gelüftetem Vorhang an die weiße, tadellos saubere Wand projiziert.
Was Kurz nicht sehen will, ist die Tatsache, daß es angesichts der Terroranschläge keine dritte Position geben kann. Indem er sie dennoch einnimmt, macht er sich der Wirklichkeit äußerlich. Und so steht er vor dem Dilemma, daß sich hinter ihm gleich alle verschanzen können, weil alle miteinander jeweils keinen Deut besser seien als die anderen, wie er meint.
Die Kritik der deutschen Ideologie als besondere Ausformung verlangt dem Kurz nichts ab. Da steht er theoretisch und dialektisch drüber, meint er, und kann somit auch nicht wahrhaben, daß die deutsche Ideologie erst über Kurz und die ganze Welt zum Stehen kommen möchte. Viel mehr fühlt er seine Theorie von denen umzingelt, die „das ausgeleierte Muster (...) wie eine hängengebliebene CD“ (11) ständig wiederholten. Und weil diese halluzinierte Umzingelung auch gleichzeitig das eigene Terrain absteckt, sondiert Kurz die Lage als eine falsche. Überall würden die bis „vor kurzem noch linksradikalen Publikationen wie Bahamas und Jungle World eine humane bürgerliche Zivilisation“ beschwören, wo doch klar sei, daß eine „einmalige Situation“ wie der Nationalsozialismus, wo man „mit dem Kapitalismus gegen den Kapitalismus“ kämpfen mußte, nie wieder eintreten würde. Denken nach Auschwitz? Pustekuchen, wird’s nicht nochmal geben, braucht man nicht wirklich. Hier wird es nochmals deutlich. Das Allgemeine wie das Besondere spielen bei ihm keine Rolle mehr. Robert Kurz zufolge besteht somit nie wieder die Gefahr, daß Auschwitz sich wiederholt, weil nichts Ähnliches geschehen könne. Das ist, gelinde gesagt, schön für ihn, aber verheerend für eine auf den Begriff gebrachte objektive Wertvergsellschaftung. In gar keinem Falle, so schreibt er, sprächen die Anschläge für „dieselbe Qualität“ und wirft damit vermutlich nur folgerichtig Quantität und Qualität zusammen.
Weil ihm als kritischem Ringrichter – also gerade nicht Aktiven – der Weltgesellschaft von heute die Wettkampfregeln zum Überdruß bekannt scheinen, geht er davon aus, daß ohnehin irgendwann alle k.o. gehen. Und so nimmt er Adorno und Horkheimer im Vorbeigehen hopps, weil die, im Gegensatz zu ihm, „das aufklärerische Denkmuster noch nicht überwinden konnten“, als wäre das Institut für Sozialforschung zu seiner Zeit ein Selbstversorgungsladen gewesen wie das Moskauer M/L-Institut. Na dann, herzlichen Glückwunsch.
Gerne reiche ich die Zeilen durch zur Ideologiekritik, die nach seiner Gedankenwelt gar keiner mehr zu leisten imstande ist. Denn „die Enkel der kritischen Theorie in der radikalen Linken haben den theoretischen Ansatz der ‘Dialektik der Aufklärung’ nicht weiterentwickelt, sondern verflacht.“ Doch das, was Kurz verflachen nennt, ist tatsächlich das, was ihn von erkenntniskritischen Subjekten unterscheidet: Im Gegensatz zu ihm nehmen sie die Kritische Theorie ernst. Weil das aber bedeutet, nicht den gesicherten Standpunkt der Kurzschen Theorie einzunehmen, wird denen auch jegliche kritische Begriffsbildung abgesprochen – sie seien eben „Simulanten der kritischen Theorie“. Um es zu wiederholen: Kurz’ Luftschloß der Theorie ist nur zu erhalten, in dem er sich des Materialismus bedient, anstatt ihn ideologiekritisch als Teil seiner selbst sich anzueignen.
Weil die Aufklärung mit Auschwitz mehr als ihre Unschuld verlor, die sie eh nie besaß, wird sie bei Kurz zu einer „nicht einmal mehr stinkenden Leiche“. Der Geruch allerdings, der ihm in die Nase steigt, ist nicht der Verwesungsgeruch, sondern der der nach wie vor funktionstüchtigen dialektischen Einheit von Rationalität und Irrationalität in verwilderter Form. Darüber die Nase zu rümpfen, als ginge ihn das alles nichts an, ist nicht Beweis für sinnliche Sensibilität, sondern für theoretische Hochnäsigkeit eines Kritikers, bei dem die Ideologie langsam aber sicher von den Zehen aufwärts in den Kopf steigt – als wäre sie nur die Wahrnehmung der Kälte des bürgerlichen Subjekts bei anderen, von Kabul über die Bahamas bis nach Washington.
Wer dagegen den Islamismus richtig als „Heidegger für Analphabeten“ (Bahamas) bezeichnet, wird des „antiarabischen Rassismus“ bezichtigt. Und so kann sich der Herr Kurz der Sympathie der Multikulti-Linken sicher sein: wenn sie auch sonst vom Kurzschen Text nicht viel begriffen haben, das Ressentiment gegen die menschenverachtenden Feinde des Antirassismus verstehen sie bestimmt. Da ist man gar versucht zu rufen, daß es so etwas früher in seinen Texten nicht gab.
Er scheint schon bessere Tage gesehen zu haben, wenn er so etwas nötig hat. Enthält doch sein Text nicht nur die Forderung nach bedingungslosem Verzicht auf immanente Kritik, sondern auf gänzlich „positive Parteinahme“. Stattdessen fordert er die Hinwendung zu einer Kritik, die „die eigene theoretische Befangenheit in der Subjektform des Warenfetischs und in der dazugehörigen aufklärerischen Geschichtsmetaphysik“ durchbrechen könne. Und hier wird er gar zum traumwandlerischen Schlauberger. Denn die verdinglichte Zurückspiegelung des eigenen Idealismus bleibt Idealismus in materialisierter Form. Darin nur verhüllt sich die Kurzsche Kritik. Und weil das realiter passiert, blamiert sie sich so.
Da an Israel sich die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem bricht, die bei Kurz schon längst ins Kraut geschossen ist, weil ihm „Fortschritt und Reaktion, Aufklärung und Gegenaufklärung (...) unmittelbar zusammen(fallen)“, sich also gar nichts mehr in seiner Denke brechen kann, bricht die Kurzsche Theorie spätestens hier ein. Und weil er darauf abhebt, daß es nach Auschwitz überhaupt möglich sei, „unbefangen auftreten zu können“, in dem er dies anderen abspricht, sich selbst aber zugesteht, gerät ihm das Diktum, „nicht das kleinste Zugeständnis an dieses System“ geben zu wollen, zur Blamage. Denn er offenbart damit, daß er sogar bereit ist, jenes Zugeständnis preis zu geben, daß so ungeheuer schmerzvoll dem System abgerungen werden mußte: Israel nämlich.
Ralf

Fussnoten:
(1) vgl. seinen Text „Totalitäre Ökonomie und Paranoia des Terrors: Der Todestrieb der kapitalistischen Vernunft“ auf www.krisis.org
(2) Max Horkheimer, Traditionelle und Kritische Theorie, Frankfurt am Main 1992, S. 225
(3) vgl. dazu Initiative Sozialistisches Forum, Der Theoretiker ist der Wert, Freiburg 2000
(4) Robert Kurz in: „Mudschahidins des Werts“, aus: Jungle World vom 10. Oktober 2001 oder auf www.krisis.org
(5) aus „Politische Ökonomie des Terrors“, in Jungle World vom 26. September 2001
(6) vgl. seinen Text „Totalitäre Ökonomie und Paranoia des Terrors: Der Todestrieb der kapitalistischen Vernunft“ auf www.krisis.org
(7) Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1975, S.45
(8) in: Jungle World vom 10. Oktober 2001 oder auf www.krisis.org
(9) ebenda: „Nur solche Gedanken bieten der allmächtigen Ohnmacht des sicheren Einverständnisses die Stirn, die bis zum Äußersten gehen; nur Gehirnakrobatik hat noch Beziehung zu der Sache, die sie nach der fable convenu ihrer Selbstbefriedigung zuliebe verachtet. Kein unreflektiertes Banales kann, als Abdruck des falschen Lebens, noch wahr sein.“
(10) Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte, in: ders. Sprache und Geschichte, Stuttgart 1992, S. 146
(11) alle nachfolgenden Zitate von Robert Kurz aus: „Mudschahidins des Werts“, in: Jungle World vom 10. Oktober 2001 oder auf www.krisis.org



home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[82][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007