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Die Goldenen Zitronen, 1.4k

GS-SZ

Daß die Goldenen Zitronen ‘ne Scheibe haben, kann nicht mehr ernstlich überraschen.
Die neue heißt „Schafott zum Fahrstuhl“ und hält – Achtung, doch Überraschung! – mehr Fragen als Antworten bereit.

Goldies, 22.0k Das alte Kampfblatt des längst verstorbenen Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW), das sich zwar längst nicht mehr Arbeiterkampf sondern analyse und kritik aber immer noch ak schimpft, brachte auf den Rezensions-Seiten der Ausgabennummer 453 vom 30. August 2001 hintereinanderfolgend Besprechungen von der auf CD erschienenen Ernst Busch-Edition, einem Manu Chao-Konzert und der neuen Goldies-Platte „Schafott zum Fahrstuhl“ – einer Umkehrung des Filmtitels „Fahrstuhl zum Schafott“. Damit ist dort redaktionell wohl unbewußt ein Kontext hergestellt worden, in dessem Inneren eben auch über die Goldies zu reden ist. Der schnörkellose Prolet-Kult, der sich bei Ernst Busch um Arbeit, Blut und Brot drehte, verkam erst durch die Konstitutierung der Neuen Linken und ihrem Abrücken vom Subjekt der Arbeiterklasse und unter dem Einfluß amerikanischer Massenkultur auf das linke Selbstverständnis zum Kitsch. Die Leidenschaft von Ernst Busch und Genossen speiste sich zuvorderst aus dem Glauben an den unaufhaltsamen Fortschritt hin zur Diktatur des Proletariats als Ausdruck der befreiten Arbeiterklasse. Ihre Welt war eine Welt von Klassenkämpfen. Die Welt von Manu Chao und Kompagneros hingegen ist eine bunte Folklore-Schau aus Kiffern, archaischen aber lieben und naiven Naturvölkern, deren Führer in den Wäldern von Chiapas herumlümmeln und dessen Käuferschichten in Seattle, Göteborg oder Genua sich herumtreiben: so erweitert sich die projektive Revolutionsromantik dank dem Marktsegment Manu Chao von der Peripherie auch in die Herzen der Bestien.
Könnte man die Goldies ohne Probleme als die Schnittmenge aus beiden Künstlern bezeichnen, es wäre sehr einfach zu erfassen, was sie ausmacht. Daß das so einfach nicht geht, spricht in jedem Fall für die Band. Und daß ein Blatt wie der ak, der auf jede klitzekleine aufzuckende soziale Bewegung – bis auf die Nazis, versteht sich – aufsattelt, als führe jede einzelne von ihnen direkt zur Revolution als Lokomotive der Geschichte (Marx), nur konstatieren kann, daß sich die drei Jahre bis zur neuen Scheibe der Goldies „irgendwie gelohnt“ hätten, ebenso.
GZ gleich SZ: solange, wie es schlechte Zeiten (SZ) gibt, sollte es die Goldenen Zitronen (GZ) geben. Diese Formel verknüpft die Innenwelt der Goldies notwendig konsequent gegen ihr eigenes Statement mit der Außenwelt. Ihr Info zur neuen Platte ist mehr als gemein, wenn sie sich quasi selbst attestieren, daß sie „sich mit jeder Platte ihre derzeitige Welt zusammen“ bauten und so „der machtvoll vibrierende Klangkörper (seien), der mit jeder Platte immer wieder sein Eigenleben weiterzuführen scheint“. Wie wohl ist das zu verstehen? Sind die Goldies hier nur ein Opfer ihrer eigenen Sprachästhetik geworden oder unterliegen sie einem Realitätsverlust, der zu einer völligen Fehleinschätzung ihrer selbst führt?
Man könnte vermuten, daß hier die Begriffe „Klangkörper“ und „Eigenleben“ zur Analogie der Autonomie von Kunst taugen sollen – also einen Kunstbegriff verteidigen, der sich nicht so ohne weiteres dem Diktat und der Zurichtung durch die Allmacht der Kulturindustrie ausgesetzt sieht. Sollte dies so sein, wäre dem entschieden zu erwidern, daß dem Bann des industriellen Betruges (Adorno/Horkheimer), der bürgerliche Ideale wie den von individueller Kreativität zu schnöden Formen der Ware degradiert, nicht zu entfliehen ist. Diese materialistische Wahrheit über die moderne warenproduzierende bürgerliche Gesellschaft, das haben ganze Kunst-Generationen am eigenen Leib, an ihrer eigenen Gedankenwelt und ihrer Kunst und Vorstellung von Ästhetik erfahren, läßt sich nicht entfliehen, sondern eben, wie in den Thesen zur Kulturindustrie benannt, nur unter dem Einwand des Selbstbetruges verleugnen.
Die Visualisierung von Gegnerschaft, von Widerstand, die sich postmodern als die codierte Repräsentanz und Symbolik anti-metaphysischer tausender Plateaus versteht (Deleuze/Guattari) oder modern als Hierarchie von Kunst über Ästhetik (Schlegel) oder als Ästhetik über Kunst (Hegel) beziehungsweise als wechselseitiger Doppelcharakter, dem beide unterliegen (Adorno), hat dann die Aufgabe des Künstlers als eine Selbstaufgabe zur Folge, wenn man seine eigene Tätigkeit nicht mehr als Ästhetisierung von Wahrheit oder deren künstlerischer Umsetzung begreift, dem ein Streben nach derselben als Motiv überhaupt vorausgeht. „Den Wahrheitsgehalt begreifen“, schreibt Adorno in seiner Ästhetischen Theorie, „postuliert Kritik“. Weil es aber eben nur eine Wahrheit geben kann, lohnt es sich, nicht nur um sie zu streiten, sondern sie auch zu visualisieren.
Die Ästhetisierung von Wahrheit ist möglich aber nicht notwendig. Die Wahrheit von Ästhetik ist nicht möglich aber notwendig. So ungefähr läßt sich negative Dialektik im Sinne der Kritischen Theorie fassen. Denn die Grenze der Ästhetik ist die reine Kunst und die Grenze der Kunst die reine Ästhetik, die es aber nicht geben kann. Die Wahrheit, die allein in diesen Zeilen steckt, ist, und da sollte man eben der Kritischen Theorie folgen, um sich nicht selbst aufs Glatteis zu führen oder ins kalte Wasser zu stürzen – je nach dem – niemals zuvor eine reine als Ursprünglichkeit von Kunst oder Ästhetik, sondern eine dialektische. Aber, und das ist gegen das Blöken der postmodernen Lämmer zu betonen: sie ist verdammt nochmal eine!
Daß es keine Wahrheit ohne Macht gibt, ist die Dialektik von Gut und Böse (Nietzsche). Daß wer stets das Gute will, stets das Böse schafft (Goethe), realer Ausdruck davon.
Der Wille zur Macht (Nietzsche), der über den Willen zum Willen (Heidegger) zur poststrukturalistischen Beschreibung der Geneanologie der Macht (Focault) wird, macht es nicht so einfach, wie Marx und Hegel, aber gerade nicht mehr die Kritische Theorie glaubten, das Falsche in seiner dialektischen Gänze zu erfassen und in etwas Höherem aufzuheben.
Gerade davon ein Bewußtsein zu entwickeln, ist Grundlage von Kritik im allgemeinen und von Herrschaftskritik im besonderen. Es kann allerdings nicht zur Folge haben, auf einen Willen zur Wahrheit verzichten zu wollen. Kritik ohne Wille zur Kritik ist dem wirklichen Menschen als „Ensemble der sozialen Verhältnisse“ objektiv nicht möglich. Genau deshalb aber verpufft auch die meiste Kritik an Nietzsche als idealistischer Blindgänger. Denn er hat aufgezeigt, daß so etwas nur ein Übermensch vermöge seiner Kraft könnte, aber kein wirkliches menschliches Wesen als unabdingbarer Teil der Natur es zu leisten im Stande ist.
Daß ästhetisierter Widerstand nicht gleich links ist, darum muß an dieser Stelle hoffentlich nicht viel Federlesen gemacht werden. Und wenn einer wie Schorsch Kamerun mit einem seiner vielen Seiten- oder Hauptprojekte wie dem Sylvester Boy ein inkarniertes Patchwork des amerikanischen Patriotismus abgeben will(!), so muß diese Visualisierung zur Voraussetzung haben, daß ein wirklicher Antiamerikanismus unter dem unverwischbaren Eindruck der Dialektik der Aufklärung nur dann wahr ist, wenn er im Zweifelsfalle auf der uneingeschränkten Solidarität mit den USA basiert. Das ist, und da hat einer wie Gerhard Schröder oder George W. Bush wie viele andere die Wahrheit gesprochen, keine Frage des Standpunktes, sondern eine von Zivilisation oder Barbarei.
Ralf



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last modified: 28.3.2007