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Wahnsinn ohne Methode.

In den zurückliegenden Ausgaben von KlaroFix und CEE IEH demonstrierten zwei Autoren unabhängig voneinander, wie sehr diese Gesellschaft ihre InsassInnen zum Wahnsinn treibt und klare Gedanken vernebelt.

Obwohl es nicht möglich ist, einen durchgehenden Argumentationsstrang in einem der Texte zu finden, beschäftigen sich oberflächlich beide mit dem gleichen Thema: Der Videoüberwachung des Mahnmals für die Leipziger Jüdinnen und Juden. Mit etwas Mühe kann man noch erkennen, daß es den Autoren Andrew (KlaroFix) und Ralf (CEE IEH) um eine Kritik der in diesem Zusammenhang von der „AG Öffentliche Räume beim BgR“ (AGÖR) gestarteten Aktivitäten geht, das schlägt jedoch gründlich fehl.
Zu groß sind die Diskurs-Brocken, die sie sich selber in der Weg der Reflexion gelegt haben. Andrew stolpert zuallererst einmal über seine bürgerlich-pluralistische „Wir müssen uns doch alle Seiten anhören“-Haltung, die man zur Genüge aus Akzeptierender Sozialarbeit oder Death in June-Diskussionsforen kennt: „Nicht nur weil es einst eine Partei des Immerrechthabens gab, sondern weil auch die vom BgR als Gegner Erklärten meinen, das Richtige zu tun. Wenn zwei meinen, über gegenteilige Wahrheiten zu verfügen, werde ich stutzig und setze nicht zwanghaft eine von mir ebenso erkannte Dritte entgegen, sondern stelle beide anderen Wahrheiten in Frage.“(1) Versucht man, diesen Stolperstein aus dem Weg zu räumen, sieht man an seiner Rückseite die nächste Falle kleben: Die DDR war (mit)schuld. Eine „Kritik am alles nivellierenden antifaschistischen Anspruch der DDR...“ wäre „mit angebracht“. Da das nicht ansatzweise begründet wird, muß wohl von unterbewußten „Reflexen“ ausgegangen werden, die sich zum kognitiven Bereich Zugang verschafft haben.
Ralf dagegen hat das Problem, der Welt mitteilen zu wollen, welches Buch er gerade gelesen hat (Margarete Mitscherlich: Erinnerungsarbeit – Zur Psychoanalyse der Unfähigkeit zu trauern), und das mit dem Thema in Verbindung bringen zu wollen. Dazu reicht es aber nicht, jenes Buch in der ersten Hälfte und am Ende des Textes ausführlich zu zitieren und dazwischen die (wirklich schlecht begründete) Kritik an der AGÖR einzuschieben. Die Anschlüsse zwischen Rezension und Kritik-Teil sind ausschließlich rhetorischer Natur und haben keinerlei Zugfestigkeit.
Das zentrale Problem, das beide Autoren zu haben scheinen, ist, gelesenen Stoff nicht richtig verarbeiten zu können oder – böswilligerweise – zu wollen. In Ralfs Abschnitt über den vermeintlichen theoretischen Ansatz der AGÖR kann man den Schaum vor seinem Mund fast sehen. Vergeblich wird man etwa nach Belegen dafür suchen, daß die AG eine „Subjektwerdung der Technologie propagieren“ würde. Ausgerechnet Ralf, der wenige Zeilen später den „objektiven Verhältnissen“ subjektive Handlungsweisen zuschreibt(2), unterstellt der AGÖR Platitüden wie die, daß Kameras, ja alle Technik überhaupt, schlecht an sich wären. Wo er das gelesen haben will, bleibt er schuldig. Und wie sich die Begriffe „Selbstverwirklichung“ und „eigene Kreativität“ in die Argumentation geschlichen haben, erklärt sich wahrscheinlich auch nur aus privaten Antipathien Ralfs und weniger aus inhaltlichem Zusammenhang. Letztlich besteht ein Gutteil der Abhandlung darin, mittels wilder Behauptungen über den jeweiligen Widerpart Pappziele aufzubauen, um anschließend auf das dann natürlich deutlich erkennbare Böse einzudreschen. Nun gut. Dann behaupte auch ich: Ich bin Katharina die Große. Und ich habe nicht nur den ersten Akt von Hamlet geschrieben, sondern ebenso den Rest...
Auch im Text von Andrew schimmern persönliche Ressentiments durch, die zu etwas unmotivierten Textbrocken führen wie: „Im Oktober des Vorjahres gab es dazu eine riesige propagandistische Veranstaltung“ (=die Überwachungsdemo) oder dazu, neben dem bereits erwähnten Gleichsetzungsargument auch noch das bewährte Reizwort „Identitätspolitik“ auszupacken: „Sie [die Verantwortlichen der Stadt] tun es, aber mit der selben objektiven Besinnungslosigkeit, doch Gutes zu vollbringen, wie jene, welche, um sich selber identifizieren zu können, dies ihnen permanent [...] absprechen...“. Wie zerbrechlich, ja in sich widersprüchlich die Textstruktur an dieser Stelle ist, möge sich geneigteR LeserIn anhand des ganzen Abschnitts des Originals selbst zu Gemüte führen.
Peinlich für den Autor ist der Appell an die AGÖR, diese hätte sich doch statt einer Diskussion über die Kamera am Mahnmal genau dorthin aufmachen sollen, um klarzuziehen, daß „Antisemitismus noch immer auch ein deutsches und nicht nur das Problem einheimischer Nazis ist“. Peinlich ist dies deshalb, weil genau das in den Texten der AG steht; und genau dort findet sich auch die Begründung, warum bei der Mahnmalseinweihung eben nicht demonstriert oder „artikuliert“ wurde(3). Regelrecht putzig wird es aber am Ende der Streitschrift. Da wirft Andrew der AG (!) Öffentliche Räume vor, ein „zum Schwerpunkt auserkorenes Lieblingsthema“ zu haben und sich nicht mal nach anderen Themen umzuschauen. Was hätten wir denn gerne? Die Arbeitslosigkeit im Osten? Die globale Erwämung? Kritik der Politik? Nur zur Erläuterung: AG steht für Arbeitsgemeinschaft zu einem bestimmten Thema(4).
Damit sei es genug der Belege für den Verfall von Reflexions- und Argumentationsfähigkeit in Teilen der AutorInnenschaft – wie man annehmen darf – linker Zeitschriften. Der Spaß hört jedoch dann auf, wenn zum offenen Täterschutz und der Rechtfertigung obrigkeitsstaatlicher Handlungen übergegangen wird. Beide Autoren nehmen die Videoüberwachung zumindest des Mahnmals in Schutz. Andrews Begründung, warum „eine Kamera dort ihre Berechtigung hat“, erschließt sich mir einfach nicht – sorry. Aber dafür versucht er den Ruf der Stadt Leipzig zu retten, indem er behauptet, Antisemitismus sei dort ein Thema. Nämlich, weil es „mindestens Menschen gibt, die sich offensiv damit auseinandersetzen“. Hm, ....Wer?
Ralf dagegen bastelt mit seinem Text weiter an seiner Bewerbung für den Job als sächsischer Innenminister im Jahre 2020. Er hatte ja bereits in vorangegangenen Ausgaben des CEE IEH zur schnellen Räumung besetzter Häuser aufgefordert, so ist es nur konsequent festzustellen, daß es „keine Orte für eine ...Kamera in Deutschland gebe, an dem diese notwendiger wäre als an jüdischen Einrichtungen...“; und es paßt in diese Logik, nur von „Staatsbürgern“ zu reden, wo vorher nie vom Staat die Rede gewesen war, oder von „Sicherheits-“ und „Überwachungsphobie“, als wenn der Ruf nach Innerer Sicherheit etwas Beruhigendes, Normales, Gutes wäre. Auch Ralf will übrigens die Stadtverwaltung vor linker Kritik in Schutz nehmen, indem er beschönigt, diese halte eine Überwachung genau wegen des vorhandenen Antisemitismus für nötig. (Tut sie eben nicht.)
Was veranlaßt also Menschen, solche Texte zu verfassen? Ist es die verpaßte Chance, selber etwas zum Thema Mahnmal unternommen zu haben? Immerhin bringen beide (auch hier sind die Texte kongruent) die interessante, weil gute Idee ins Spiel, einen Wiederaufbau der Synagoge statt eines Mahnmals zu fordern. Nur sind beide Texte eben erst im Nachhinein geschrieben worden – als Reaktion auf die (alleinigen) Aktivitäten der AGÖR. Wenn Andrew fragt: „Wer hat sich denn die Frage gestellt, ob nicht die einzige adäquate Handlung [....] die Wiedererrichtung der Synagoge wäre?“, fällt mir nur eine Gegenfrage ein: Du? Lucy

Fußnoten

(1) Oi.
(2) „jene Falle, die die objektiven Verhältnisse ‘ausgelegt’ haben“
(3) www.nadir.org/camera ... /chronik.htm und /presse.htm
(4) und falls die Bemerkung auf eine vermeintliche Beschränkung auf Kameras zielte, verweise ich nochmals auf www.nadir.org/camera, wo sich die Themen finden, mit denen sich die AGÖR beschäftigt und beschäftigt hat. Und das sind nicht nur Kameras.

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last modified: 28.3.2007