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Strategisch einwandfrei

Über die Folgen des Connewitz-Plenums

Eine widerstandslos geräumte Aurelienstraße, eine von den BesetzerInnen zerstörte und aufgegebene "Gute Quelle" und ein sich immer weiter verflüchtigender Mythos Connewitz - nicht gerade Ausdruck einer intakten Szene '94 - waren für das wöchentlich im Conne Island stattfindende Offene Antifa-Plenum (OAP) Anlaß, ein Connewitz-Plenum einzuberufen, wobei sich der Aufruf nicht nur auf BewohnerInnen des Stadtteils beschränkte, sondern sich an alle wendete, "...die am Erhalt und dem Ausbau von Freiräumen interessiert sind". Und genau jene schienen dann auch gekommen zu sein, denn die gesamte Diskussion über die Organisation möglicher Widerstandsformen gegen Häuserräumungen, die Leipziger Linie und städtische Vertragspolitik zeichnete sich durch einen fast schon unheimlichen, weil ungewohnten Willen zur Konstruktivität aus. Das Harmoniebedürfnis einiger ging stellenweise sogar so weit, reale Differenzen und Unterschiede der einzelnen Projekte in regelmäßig stattfindenden "Friedensrunden" wegzutransformieren und dabei auch gleich noch den Bäcker und arbeitslosen Spritter von nebenan mit einzubeziehen. Letzteres wurde dann aber für zur Zeit wenig aussichtsreich befunden. Aber es setzte sich die Anschauung durch, daß auch bei Unterschieden zwischen Projekten und "Szenemenschen" an einem Strang gezogen werden kann, um so dringlicher, wenn dies die Ereignisse in akuter Weise erfordern. Daß dabei relativ sichere Projekte, vor allem Conne Island und ZORO mit ihren vorhandenen Möglichkeiten vom Telefon über den Kopierer bis zu Räumlichkeiten und regelmäßiger Erreichbarkeit, eine zentrale Rolle einnehmen, wurde hinreichend begründet, denn nur über eine gefestigte Szenestruktur läßt sich effektiver Widerstand organisieren. Und dazu gehört auch die Schaffung einer möglichst breiten Öffentlichkeit mittels einer bereits vorhandenen Basis.
Eine ganze Weile wurde über grundsätzliche Fragestellungen debattiert. So schieden sich die Geister, ob eine Besetzung nun in erster Linie ein politischer Akt im Sinne purer Verweigerung oder mehr im Sinne der Organisation konkreter Gegenwehrformen sei - oder aber durchaus im relativen Einvernehmen mit der politischen Linie des Staates, aufgrund persönlichen Wohnraummangels und daraus folgender "einfacher" sozialer Probleme zu verstehen ist. Davon abgesehen, daß jede Besetzung spätestens dann einen politischen Charakter annimmt, wenn sie rückgängig gemacht werden soll und ein ernsthafter Wille zur Verteidigung (in welcher Form auch immer) besteht, entbehrt keine der genannten Motivationen einer Legitimation. Ob jene unbedingt gleichwertig zu betrachten sind, ist eine andere Frage und immer auch mit etwas Anmaßung verbunden. Aber Hausbesetzungen standen immer und stehen auch heute noch hauptsächlich in einem politischen Kontext und haben in diesem auch ihre erfolgreichsten Formen entwickelt.
Zurück zum Plenum. Genau im Sinne der bereits angesprochenen Konstruktivität hatte das OAP bereits mehrere Vorschläge zur Diskussion gestellt (siehe Aufruf). So wurden eine bundesweite BesetzerInnen-Demo, ein bundesweiter BesetzerInnen-Kongreß und eine Infoveranstaltung zur Lage der Leipziger Projekte als Mittel angesehen, die Leipziger Situation regional (sozusagen über den bundesweiten Umweg) zu beleben, indem durch solche Art Veranstaltungen ein breiter Sympathisantenkreis abgesprochen und, falls doch nicht so latent vorhanden wie vermutet, zumindest gebildet werden könnte. Obwohl diese konkreten Sachverhalte keineswegs vorbehaltlos aufgenommen wurden, es auf jeden Fall über Sinn und Zweck eines bundesweiten Rahmens unterschiedliche Anschauungen gab (gibt), schaffte es die "große Runde", sich unauffällig an den Vorschlägen vorbeizumogeln, was aber nicht heißen soll, daß das Plenum ergebnislos endete. Vom öffentlichen Friedensschluß der Projekte mal abgesehen, konnte sich weiterhin auf folgende Punkte im Zusammenhang mit bedrohten Freiräumen geeinigt werden:
  1. Sollten Freiräume, also besetzte Häuser, Projekte etc. geräumt werden, so findet am Tag der Räumung eine Spontandemonstration statt.
  2. Als Anlaufstelle für jegliche Informationen, welche mit Besetzungen und Problemen von Projekten zusammenhängen, fungiert der Infoladen im Conne Island, der donnerstags 15-20 Uhr und sonntags 14-20 Uhr geöffnet hat.
  3. Parallel dazu trifft sich jeden Montag in der Biedermannstraße ein BewohnerInnenrat. Dieser beschäftigt sich mit Vetragsverhandlungen, Mietproblemen und rechtlichen Aspekten, ist also eher aktuell ausgerichtet.
Ebenfalls und besonders wichtig wurde die Bildung einer Koordinationsgruppe beschlossen, welche die vom OAP bereits angeregten Vorschläge aufnehmen und konkretisieren soll. Jene trifft sich nun auch regelmäßig Dienstag 20 Uhr im Conne Island, verfügt noch über keinen Namen und dreht sich, so jedenfalls der Stand nach den ersten vier Treffen, noch ein wenig im Kreis. Das heißt, die Ergebnisse sind eher gering. Anders ausgedrückt, die Gruppe befindet sich in einer Phase der Selbstbestimmung, noch anders ausgedrückt, es gibt die unterschiedlichsten Meinungen über auf den ersten Blick selbstverständliche Sachen. Also alles normal. Die Koordinationsgruppe einigte sich während der ersten Treffen darauf, als erstes den BesetzerInnenkongreß anzugehen. Wobei die Bezeichnung "Kongreß" schon für erste Beanstandungen sorgte. Genauso prompt tauchten (im Connewitz-Plenum eher unterschwellig gelaufene) Kontroversen über den Sinn einer bundesweiten Veranstaltung auf. Würde ein regionaler oder zumindest ostdeutscher Rahmen nicht ausreichen? Schließlich wurde doch ein das gesamte Bundesgebiet umfassender Kongreß beschlossen, da zum einen die Erfahrungen der westdeutschen BesetzerInnenbewegung auf allen Gebieten reichhaltiger und vielschichtiger sind und die momentane "Bewegung" immer noch von solchen Mythen wie Hafenstraße und Kreuzberg lebt. Danach wandte sich die Diskussion dem Zielpublikum zu. Sollte die Veranstaltung mehr den Charakter eines Erfahrungsaustausches unter Insidern tragen, also Leute ansprechen, die selber in Besetzungen oder Projekte involviert sind, oder sollte sie eher auf einem allgemeinen, theoretischen Level ablaufen, d. h. auch Personen mit einbeziehen, die eher einem Sympathisantenkreis zugeordnet werden könnten und außer über die bereits angesprochenen Mythen der Häuserkampfbewegung noch nicht weiter mit heutigen "Ausläufern" davon konfrontiert wurden ? Nach heftiger Debatte, ob nun potentielle Besucher eher im Hörsaal an der Uni ("intellektuelle Spinner"), in der Backstube in Connewitz ("Bäcker oder Bäckerlehrling") oder in der teilweise befriedeten Stö ("BesetzerInnen") anzutreffen seien, löste sich dieses Problem dann auch irgendwie. Mittlerweile ist klar, ein solches Treffen soll auf möglichst breiter Linie ansprechen, weil sonst auch der Sinn einer bundesweiten Veranstaltung in Frage gestellt wäre. Es wurde noch ein bißchen theoretischer. War die Gruppe schon kurz vor der Festlegung einzelner Themenvorschläge bzw. der Zusammenfassung der Vielzahl dieser auf hauptsächliche Bereiche, da wurde noch einmal, und diesmal mit Nachdruck, die Frage nach dem generellen Sinn gestellt. Auf der einen Seite Praxisschulung für junge BesetzerInnen (wie organisiere ich eine AnwohnerInnen-(Bäcker-)Demo für meine Interessen), auf der anderen neuer Wind nicht nur für die regionale Freiraumbewegung, sondern über Leipzig, ja Sachsen und den Osten hinaus, bis hin zu einer Einbettung der Veranstaltung in eine völlige Neubestimmung (besser gesagt Wiederbestimmung) der hiesigen Linken in Richtung "antiautoritär, außerparlamentarisch". Kurz gesagt: Der Kongreß wird bei den dienstäglichen Treffen immer schon ein bißchen vorweggenommen, aber meist gibt es dann doch noch eine Einigung im Sinne realer Gegebenheiten.
Rein thematisch ist Fakt: es wird ein Einleitungsreferat geben, in dem die Geschichte der Hausbesetzungen seit den 70ern die zentrale Rolle einnehmen wird. Es wird weiterhin um den Widerspruch zwischen Freiraumkultur und bloßer Verweigerungshaltung gehen. Fragen über reine Wohnprojekte, Öffentlichkeitsarbeit, Kiezpolitik überhaupt usw. usf. werden irgendwie bei den noch zu findenden Themenkomplexen mit eingehen. Die bundesweite Demonstration ist ebenfalls noch angedacht, obwohl sich noch keiner so richtig vorstellen kann, wie dies alles zeitmäßig und organisatorisch über die Bühne gehen soll. Die Veranstaltung zur Lage der Leipziger Projekte wird im Vorfeld oder im Nachhinein zum Kongreß stattfinden. Zu erwähnen wäre vielleicht noch, daß eine enge Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Projekten, vor allem dem BewohnerInnenrat angestrebt wird (was zum Teil schon über personelle Verflechtungen funktioniert), um so auch eine breitere Verteilung der Organisations- und Informationslast zu erreichen. Wer nicht warten will, bis er von einem Aufruf oder ähnlichem gezwungen wird, mitzumachen, sollte bei einem der Treffen vorbeischauen, die Innovationsgrenze ist noch nicht erreicht. Ansonsten werden die einschlägigen Szenegazetten (Conne-Island- und ZORO-Newsflyer, KlaroFix) über den Stand der Dinge berichten.
U.S.

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last modified: 28.3.2007