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Invasion vom Planet der Affen

LAN-Parties als Ausdruck einer zu unterstützenden Subkultur?
Eine Kritik.

LAN-Party, 22.9k Gamer als Subkultur
Das Plenum hat genickt, die Orgas waren fleißig. Vom 8.-10. Juni trafen sich Zocker und wie üblich wenige Zockerinnen im Eiskeller, um zynische Strategiespiele zu spielen.(1) Um dies anzukündigen, hatte der veranstaltende Hellmaster-Clan im letzten CEE-IEH immerhin zwei Seiten zur Selbstdarstellung erhalten, anhand derer die Veranstaltung eigentlich hätte wieder abgesagt werden können: Das einzige Argument, das irgendwie für den Veranstaltungsort sprach, war ausgerechnet der Hinweis auf eine „neue ‘Sub’-kultur“, wobei man immerhin das ‘Sub’ noch in Anführungsstriche setzte, weil man sich dessen dann doch nicht so sicher war.
Auf der Suche nach zeitgemäßen Verbündeten interessiert sich das Conne Island nicht nur für musikalische, popkulturelle Phänomene. Anknüpfungspunkte an rebellisches Agieren werden offensichtlich auch in der jugendlichen Computerkultur vermutet. Schließlich verbindet sich Jugend mit Aufbegehren und dies äußert sich hier ganz konkret im Spielen von indizierten Spielen (Quake3Arena)(2). Dieses Aufbegehren ist allerdings auch erst ab P18 möglich, denn die Veranstalter sind „in unserem Clan durchaus der Meinung, daß einige Jugendliche noch nicht die Reife haben, die nötige Trennung von Spiel und Realität zu erkennen und umzusetzen“, wie es in besagtem Artikel heißt. Dieser vorauseilende Gehorsam muß nicht weiter kommentiert werden...

Gamer als Jungs
Computer-Zocker sind hauptsächlich Jungs(3), die ihre Zeit damit verbringen, an ca. 1000-2000 DM teuren Rechnern Spielen nachzugehen, die in vielfacher Hinsicht patriarchale Rollenmuster produzieren und reproduzieren. Erste, visuelle Auskunft darüber geben martialische, männliche Spielerfiguren und nicht minder klischeebeladene Frauen, deren mit sexistischem Blick konstruierte Kurven-Körper mittels männlicher Ikonographie muskulös, aggressiv aufgeladen werden. Eine ironische Brechung in möglicher Girlism-Attitüde findet nicht statt.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die LeserInnenschaft langweile, wenn ich erneut auf Waffen als Phallussymbol verweise, die als wesentliches visuelles Element ganz klar den patriarchalen Blick referenzieren. Soviel zur symbolischen Ebene, die ihrerseits von interessanten Strukturen getragen wird.
Spiele und andere Software werden von Programmierern hergestellt. Programmierer sind für gewöhnlich ein Haufen apolitischer Männer, die ihre Jugend damit zugebracht haben, Spiele zu spielen oder allgemein einen spielerischen Umgang mit Computern zu pflegen. Daß die ganze Zeit fürs Zocken bzw. spielerisches Programmieren draufgegangen ist, deutet auf die Ursachen fehlender Selbstreflexion und damit einhergehender patriarchaler Verhaltensmuster hin. Wer sich mit Politik nicht auseinandersetzt, kann auch keinen kritischen Blick auf die Welt und auf die eigene Verortung in dieser Welt werfen.
Der Begriff des Spiels ist aber noch aus einem anderen Grunde interessant. Dazu der Hellmaster-Clan: „Spiele begleiten den Menschen schon seit Jahrtausenden, sei es, um sich zu entspannen oder sich zu messen, oder auch nur als Balzritualersatz.“ Eigentlich meinte der Hellmaster-Autor: „Spiele begleiten den Mann schon seit Jahrtausenden, sei es, um sich zu entspannen oder sich zu messen, oder auch nur als Balzritualersatz.“ – in seiner Welt existiert der Mensch nur als Mann.(4) Der zweite Teil des Satzes aber legt eine interessante Perspektive auf das Spiel frei.
Überlegenheit, Wettbewerb, Eroberung sind eben nicht nur im Fußball, sondern auch für Quake3Arena die wesentlichen konstituierenden Elemente. Game means Competition. Eine männliche Spielekultur reproduziert permanent patriarchale Struktur. Von genau diesem spielerischen Antrieb ist im übrigen auch der Lernprozess der Jungs geprägt, die damit in die Hacker- und Gamer-Kultur eintauchen. Der Computer stellt sich hier als zu eroberndes Territorium da, dessen Verweigerung in Form von Fehlermeldungen es zu überwinden gilt und das letztendlich beherrscht sein will. Von distinktiven Prozessen á la „Ich hab’ eine 3D-ATi Rage Pro mit 4MB onboard Memory und was hast Du?“ ganz zu schweigen. Spielen und Programmieren sind Tore in die patriarchal dominierte Computerjugendkultur, in der Frauen nur dann Einstiegs-Chancen haben, wenn sie diese Normen grundsätzlich mittragen.
Einen Verweis auf diese Situation gibt die Diskussion um die „scene whores“ (Szene-Huren), denen unterstellt wird, mittels sexueller Attraktion männliche Hacker zu verführen, um jene dann auszunutzen. Behauptet wird dabei, daß die „Whores“ den ihnen hörigen Hackern Anweisungen zu Hacks geben, um anderen, ‘feindlichen’ Hackern eins auszuwischen. Inwiefern dies tatsächlich so ist, läßt sich nur schwer nachprüfen.(5) Allein die Tonart dieser Debatte und der gesetzte Schwerpunkt machen jedoch die Verfaßtheit der Scene deutlich. Frauen tauchen hauptsächlich als Ausnahme von der Regel auf und falls es dann doch mal knapp wird, kann man ihnen immer noch unlautere Absichten unterstellen.
Das Geschehen lässt sich allerdings auch unter anderen Vorzeichen lesen, wenn nämlich die Vorgehensweise der als „Whores“ bezeichneten Frauen als Strategie zur Selbstermächtigung in einem patriarchalen Kontext interpretiert wird.
Schließlich wäre es ganz spannend, genauer zu beschreiben, wie koedukativer Mathematik- und Informatikunterricht als weiteres Puzzleteil diese Entwicklung begünstigt. Da ich das hier aus Papierkostengründen allerdings unzulässig verkürzt darstellen müßte, sei an dieser Stelle auf entsprechendes Quellenmaterial verwiesen.(6)

Gamer als Kapitalisten
Was wird eigentlich aus Gamern und Hackern, wenn sie älter werden?(7) Die meisten Hacker und Softwarecracker schlagen sich über kurz oder lang auf die Seite ihrer vormaligen ‘Feinde’. Sie werden Softwareprogrammierer oder Systemadministratoren, also zu genau denjenigen, mit denen sie sich zuvor kämpferisch-spielerisch auseinandergesetzt haben. Nachdem sie sich in ihrer Jugend an der Maschinerie abgearbeitet haben, werden sie selbst ein Teil von ihr.
Möglicherweise haben sie sich sogar kritisch mit diesen Positionen auseinandergesetzt, zum Beispiel im Rahmen des Chaos Computer Club(8). Mit diesem Prestige schmücken sie ihre Biographien, die sich nun im Graubereich aus Linux, alternativer Softwarefirma oder als Systemadministrator gewinnbringend entfaltet. Andere müssen zu Verleugnungsstrategien übergehen, wenn sie als Programmierer in den großen Softwareschmieden oder im Bereich der Sicherheits- und Überwachungstechnik arbeiten. Gerade in letzterer Branche arbeiten relativ viele Ex-Hacker, da sie sich ausgezeichnet mit der Materie auskennen. Irgendwoher müssen ja die Programmierer von Echelon, dem europäischen Überwachungssystem oder den zentralen Datenbanken der Polizei aber auch der Krankenkassen etc. kommen.(9)
Der Chaos Computer Club ist in diesem Zusammenhang im übrigen auch ein recht illustrer Haufen. Anfang der achtziger Jahre entsteht er eher aus Zufall aus der BTX- und Mailbox-Szene heraus und versammelt seitdem eine Vielzahl von Positionen, die ständig zwischen Technologiekritik und absoluter Technologiebegeisterung schwanken. Besonders beliebt sind technologische Lösungs- oder Verbesserungsvorschläge für gesellschaftliche Probleme, die strukturelle und materielle Gegebenheiten vorzugsweise ausblenden. So tummelt sich dort ebenso ein Andy Müller-Maguhn, der in der Organisation ICANN(10) als Vertreter Deutschlands sitzt, wie auch Wau Holland, der sich selbst als Linker bezeichnet.
Auf den jährlichen Treffen entsteht dann auch ein ganz eigentümlich euphorisches Gefühl von „Hier trifft sich die wirkliche Elite“ und „Wir durchschauen die Welt, denn wir durchschauen die Software“, dem man sich nur schwer entziehen kann. So wird das aus Hackersicht unwissende Außen gern mit dem Begriff DAU – Dümmster Anzunehmender User – bezeichnet, von dem man sich selbstverständlich abhebt.
Darauf aufmerksam wurde ich bezeichnenderweise erst im Gespräch mit Rena Tangens, einer Künstlerin und Häckerin, die in diesen Gefilden u.a. das Häcksencenter mitbetreibt, und sich ansonsten im Foebud(11) engagiert.
Über die qualitativen Auswirkungen auf die Software, die in einem männerfixierten, profitorientierten Umfeld entsteht, läßt sich nur in gebotener Unschärfe sprechen. Voranzustellen ist, daß mit Software nicht nur PC- oder Mac-Anwendungen in den gängigen Betriebssystemen gemeint sind. Software ist viel subtiler und in großer Quantität verbreitet in der Verwaltung/den Ämtern (Bibliotheken, Finanzamt), in Industrieprozessen (Maschinensteuerung, Projektmanagement), in Überwachungssituationen (z.B. zur Arbeitszeitkontrolle, An- und Abmeldung in Hotels), im Abrechnungswesen (Krankenkassen, Ärzte, Telefongesellschaften), in der Kommunikation (digitale Mobilfunknetze, ...) usw.
Software und Hardware durchdringen alle gesellschaftlichen Bereiche. Dabei ist davon auszugehen, daß User von Programmierern fast durchgängig als der User gedacht werden. Dies schlägt sich z.B. in einer oft miserablen Dokumentation nieder, die unterschwellig vom oben bereits beschriebenen spielerischen Lernen ausgeht.
Zu kurze Versionszyklen liefern immer neue fehlerhafte Programmversionen, die die NutzerInnen zu kostenlosen Fehlertests heranziehen. Dies hat in erster Linie mit dem Druck zu tun, immer neue Features und Programmversionen zu produzieren, die im kapitalistischen Wettbewerb einen Vorteil gegenüber der Konkurenz schaffen sollen. Ebenso läßt sich dieses Phänomen als Folge von subtil wirkendem Machbarkeitswahn konturieren, der führt dazu, daß einzelne Programmteile nicht genügend ausformuliert werden, da bereits nach neuen 1. Plätzen gestrebt wird.
Grundsätzlich läßt sich feststellen, daß Informatiker dazu neigen, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für die von ihnen erstellten Programme mit dem Hinweis zu entziehen, daß sie „lediglich programmieren“. Dies erweist sich als gefährlicher Humbug, denn wie wir gesehen haben, definieren sie nicht nur Computersysteme, sondern auch wirtschaftliche und mithin gesellschaftliche Systeme.
Linux, das Betriebssystem in Alternative zu Microsoft-Windows und Apples Mac-OS wird gern als positives Gegenbeispiel aufgebaut. Dabei schwingt immanent die Behauptung mit, daß es wirtschaftliche und gesellschaftliche Alternativen ermögliche, da es sich nicht an das micro$oftsche Geschäftsgebahren anlehne. In dem Rahmen, den ich hier aufzuspannen versucht habe, erweist sich der Glanz recht schnell als falscher. Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Die von Gamern beim (gemeinsamen) Ballern erlernten sozialen Kompetenzen wie z.B. Durchsetzungsfähigkeit, Teamgeist und bedingungsloses Ausschalten von Gegnern beweisen sich in diesem Kontext allenfalls als unternehmerische Kernkompetenzen. Gamer und Hacker reihen sich entweder in die kapitalistische Verwertungsmaschinerie ein oder gehören zu deren Protagonisten. Sie sind in ihren wesentlichen Funktionen systemkonstituierend, wobei hier kapitalistische Entwicklung und (Re-)Produktion patriarchaler Muster exemplarisch ineinander greifen.(12)
francis

Fußnoten:
(1) Leider war ich an diesem Wochenende gerade nicht in Leipzig und kann mich insofern nur auf Schilderungen Dritter beziehen
(2) www.quake3arena.com
(3) alle 12 Hellmaster-Clan-Mitglieder geben auf ihrer Website www.the-hellmaster-clan.de ihre Geschlechtsidentität als männlich an
(4) Dazu finde ich jetzt leider keine verlässliche Quelle, ich bin mir aber relativ sicher, daß Frauen an sportlichen Wettkämpfen und Spielen erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts teilnehmen durften. Spiel bedeutete für Mädchen vor allem das Erlernen sozialer Techniken und fand kaum in der Öffentlichkeit statt.
(5) siehe z.B. www.self-evident.com
(6) Nachzulesen in: Christiane Funken, Britta Schinzel „Geschlecht, Informatik und Schule. Oder: Wie die Ungleichheit der Geschlechter durch Koedukation neu organisiert wird“, Akademica Verlag, 1996
(7) Es mag etwas irritierend sein, daß ich mich hier im Text fast ausschließlich auf Jungs/Männer beziehe, das ist allerdings so beabsichtigt. Es gibt eine vergleichsweise ausführliche (feministische) Forschung, die sich mit Rollen und Positionen von Frauen auseinandersetzt und dies zu Männern vergleichend liest.
Ich versuche mich der Versuchung zu enthalten, einzelne erfolgreiche Frauen als positives Beispiel aufzubauen, auch wenn z.B. in der Wissenschaftsgeschichte und der Geschichte der Informatik einige aufzuzählen wären.
(8) www.ccc.de
(9) z.B. „Glimpflicher Ausgang einer Crackerkarriere“ von Florian Rötzer in Telepolis, 18.06.2001 www.heise.de
und Echelon-Spezial in Telepolis www.heise.de
(10) Die ICANN sieht sich als eine durch Internetwahlen legitimierte Internetregierung, die über die Einrichtung neuer Top-Level-Domains (also alles, was in einer Internet-Adresse nach dem letzen Punkt kommt; z.B. .de .org und jetzt neu .info .biz) entscheidet, sowie weitere admininistrative Aufgaben auf internationaler Ebene wahrnimmt. www.icann.org
(11) www.foebud.org
(12) Ich hüte mich im übrigen davor, so zu tun, als stünde ich über den Dingen, wie es im CEE IEH üblicherweise der Fall ist. Eine kritische Auseinandersetzung soll nicht darüber hinwegtäuschen, in welchem Maße ich selbst in die beschriebenen Verhältnisse verstrickt bin.


  • Ankündigung der LAN-Party (Chip im Kopf) aus CEE IEH #78

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last modified: 28.3.2007