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Unglaubliche Schweinerei

Wie eine linke Leipziger Gruppe den Antisemitismus zur perfiden Art des Politikmachens instrumentalisierte. Mit einem Vorwort zur Psychoanalyse der deutschen Linken
Von Ralf

Plakat, 20.8k
’Wahrnehmung von Opfern als Objekte’ – Plakat der Leipziger AG Öffentliche Räume gegen die Videoüberwachung des Mahnmals zum Gedenken an die 1938 zerstörte Synagoge in der Leipziger Gottschedstraße
„Die Stadt Leipzig nutzt selbst den manifesten Antisemitismus zur Rechtfertigung der Ausweitung der Videoüberwachung.“
(Gamma – Newsflyer des Antifa-Infotelefons Leipzig v. 30. Juni 2001)

Es ist schwierig, ohne Menschen zu leben, mit denen man sich identifizieren kann. Wer seiner Angst vor der Position des Außenseiters erliegt, gerät in Gefahr, zum Mitläufer zu werden.
Mit diesen beiden sich scheinbar widersprechenden Feststellungen benennt Margarete Mitscherlich in Anknüpfung an das zusammen mit Alexander Mitscherlich 1967 veröffentlichte Werk „Die Unfähigkeit zu trauern“ in ihrem Buch „Erinnerungsarbeit – Zur Psychoanalyse der Unfähigkeit zu trauern“ jene Polarität deutscher kollektiver und individueller Verdrängung der NS-Vergangenheit als grundsätzliches Fehlen von „Trauerarbeit“ (S.Freud).*
Die Frage, die die Mitscherlichs beschäftigt, ist die Frage nach den Voraussetzungen für die Trauer über die Vergangenheit als deutsches Kollektiv und innerhalb desselben: Kann ein Kollektiv überhaupt trauern, ist trauern nicht Sache des einzelnen? (19) Die Antwort darauf offenbart das Problem: (...) Wie beim einzelnen Menschen kann auch beim Kollektiv nur Trauer über das Geschehene und die damit verbundene Schuld zu Versöhnung mit der Vergangenheit führen. (03) Benannt ist so die quasi unmögliche Voraussetzung, unter denen das deutsche Kollektiv sich selbst aus den Angeln der existenten postfaschistischen Identität heben könnte. Wenn (...) Verleugnung, Verdrängung, Derealisierung der Vergangenheit an die Stelle der Durcharbeitung treten, ist ein Wiederholungszwang unvermeidbar, auch wenn er sich kaschieren läßt. Es wiederholt sich dabei nicht der Inhalt eines Systems, sondern die Struktur einer Gesellschaft. (14)
Die Schwierigkeit, die der Wunsch mit sich bringt, sich vom deutschen Kollektiv zu emanzipieren, besteht darin, sich objektiv von diesem nicht emanzipieren zu können. Diese Zerissenheit erzeugt den schnelle(n) Wechsel zu neuen Objekten, neuen Identifikationen und Idealen. (Den) Identitätswechsel durch Identifikation mit dem Sieger. (13) (Denn) mit dem Verlust einer geachteten Gewissensinstanz geht (...) unweigerlich auch der Verlust des eigenen Selbstwertgefühls einher. (55) (...) Individuell gesehen, bleiben wir alle Kinder von Eltern, deren Verhalten, Erziehungsstil, Moral wir, ob wir wollen oder nicht, auf die eine oder andere Weise verinnerlichen. Je weniger wir diese Verinnerlichungen unserer kindlichen Beziehungsfiguren, von außen oder von innen, anerkennen, um so abhängiger werden wir von äußeren Einflüssen und von unseren eigenen Affekten, denen wir dann mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind. (64)
Linke deutsche Identität hat zweierlei zur Voraussetzung. Zum einen die Identität des Deutsch-Seins und zum anderen die des Links-Seins. Im besten antinationalen Sinne fallen beide Identitäten so auseinander, daß sie in einem ambivalenten Verhältnis zueinander stehen. Dieses ambivalente Verhältnis allerdings ist nicht aufhebbar. Der Unmöglichkeit der Auflösung dieser Konstellation kann nur mit Bewußtwerdung begegnet werden. Die Stärkung des Ich ist nur dann als Abwehr des kollektiven Geistes zu haben, wenn dieser Geist nicht verdrängt wird, sondern als der identitäre Ort begriffen, von dem aus die Nicht-Identität des Wir als Ich bestimmt werden kann.
Daß Denken immer identifizieren heißt (Adorno), sollte als Grundlage jeglicher Identitätskritik verstanden werden. Und daß Kritik immer den Gegenstand der Kritik voraussetzt, er also nicht einfach als aufgelöst und nicht vorhanden gelten kann, ebenso. In diesem Sinne ist also Nicht-Identifizierung nur über Bewußtwerdung der Identifizierung denkbar. Wenn somit der Identifizierung mit dem NS-Täter-Kollektiv die Identifizierung mit den Opfern dieses Kollektivs entgegengestellt wird, so ist dies als links-deutscher Versuch der Verdrängung zu charakterisieren, der geradezu dafür prädestiniert, daß eine simple Umkehrung der Täterbenennung in die Festlegung der Opfer vorgenommen wird: ‘Wer Opfer ist, bestimmen wir’. Nach diesem Schema dürfen „die Juden“ nichts anderes sein, genauso wie „die Ausländer“, „die Frauen“, „die Junkies“ oder „die Homos“. Was in diesem ideologischen Raster entgegen der empirischen Wirklichkeit keinen Platz hat, wird retuschiert. Diese romantisierende Opferzuschreibung erzeugt so wiederum linke Identität als ein kollektives selbstherrliches Dasein für Andere – für homogenisierte, widerspruchsfreie gesellschaftliche Opfergruppen, an denen das linke kollektive Selbstwertgefühl durch unbewußte Wiedergutmachung – dem Abtragen von kollektiver Schuld – gestärkt werden soll. (...) Auch die Nachkommen der Täter und Mitläufer haben, wie wir wissen, erhebliche psychische Probleme. Die (positive) Identifikation mit den Eltern und das Selbstwertgefühl sind stark gestört; eine Verleugnung der Probleme, Gefühlskälte und Beziehungsabwehr ist bei ihnen häufig zu finden. Was nicht ausschließt, daß gleichzeitig eine tiefe unbewußte Identifikation mit der Elterngeneration besteht. Auch die Jüngeren sind oft weder bereit noch fähig, zwischen Ideal und Wirklichkeit zu unterscheiden. Idealisierung und Aggression sind auch bei ihnen eine unglückliche Verbindung eingegangen, auch sie wehren die untergründigen Depressionen oft mit Hilfe manischer Aktivität ab. (101)
Diese Manie läßt sich durchaus als eine Art linker Opferkult im oben beschriebenen verklärenden Sinne der Idealisierung bzw. Romantisierung von Opfergruppen verstehen. Jene Form der Objektwahl wandelt in der Wahrnehmung einer Opfergruppe deren Dasein als Subjekt – also als handelndes – in ein Dasein als Objekt linker Begierde um. In der genaueren Verwendung Freudscher Terminologie ist diese Wahl eine, die von narzistischer Selbstverliebtheit motiviert ist: dem Widerspiegeln der eigenen halluzinierten Opferrolle als von Schuld freie linke Deutsche in den homogenisierten, widerspruchsfreien Opfergruppen, deren Subjektstatus zwar als Ideal hochgehalten wird, in der Funktion als Instrument für die deutsche linke Identität jedoch nicht über den Objektstatus hinauskommen soll.
Es ist somit festzustellen, daß die deutsche linke Identität durch ihre historische Prägung und direkte Abhängigkeit von der individuellen wie kollektiven deutschen Vergangenheit ein instrumentelles Verhältnis zu den wirklichen und von ihr dazu bestimmten gesellschaftlichen Opfergruppen pflegt – man ist „gut“ als Subjekt und deshalb eins mit den Opfern als Objekt. Ohne eine schmerzliche Trennungs- und Trauerarbeit gegenüber bisherigen Idealen und Denkmustern geraten wir in Gefahr, Opfer rigider Rationalisierungen, Phantasien und Projektionen zu werden. (77) Letztere Formen sind Produkt eines kollektiven Traumas nach 1945, das sich in der Geschichte der Bundesrepublik wie der der DDR insofern gleicht, als daß in beiden Hälften Deutschlands die Identifizierung mit den Siegern zu einer Verdrängung von Schuld und Scham führte, dessen Ergebnis eine untergründige Depression (war), die es wiederum mit Hilfe von Konsumbetäubung und Habgier zu verdrängen galt. Diese Verdrängung des bereits Verdrängten (08) erzeugt das Fehlen der libidonöse(n) Kraft und (des) von innen kommende(n) Wunsch(es) nach einer real umgesetzten Wiedergutmachung. Die Fähigkeit zur Wiedergutmachung (aber) setzt eine bewußte Auseinandersetzung mit und ein Ertragen von Schuld- und Schamgefühlen und deren Ursachen voraus. (85)
Die Wahrnehmung von Opfern als Objekte ist bei deutschen Linken die Folge einer unverarbeiteten Mischung aus Schuldgefühlen und gekränkter Wut darüber, der eigenen Vergangenheit nicht entrinnen zu können. Insofern unterscheidet sich die linke Erinnerungskultur in nichts von der populären der deutschen Gegenwart. Das Ritual verklärt die Normativität der historischen Fakten. Die Suche nach der „inneren Wahrheit“, nach dem „wahren Selbst“, nach dem „Gefühl der eigenen Existenz“ hat etwas vernebelnd Idealisierendes und Selbstidealisierendes an sich. Mit solchen Sehnsüchten ist die Selbsttäuschung verbunden, der Mensch könne mit seinen Trieben konfliktfrei leben. (142)

Die Instrumentalisierung des politischen Sachgebietes Antisemitismus
Die öffentliche Beschäftigung der sogenannten Bewegungslinken als ein Zerfalls-Produkt der 68er Linken im Jargon der „Politik der ersten Person“ war und ist reine Selbstbeschäftigung mit mehr oder weniger geschichtlich vorgegebener Objektwahl. Dabei geht es hinsichtlich erwählter Opfergruppen nicht in erster Linie um das Verhältnis zu den Opfern, sondern um die Klärung, welche gesellschaftliche Stellung man als Linker einnimmt bzw. einzunehmen hat.
Hinsichtlich des Antisemitismus und seiner wirklichen Opfer findet also in besagter Form einer Mechanisierung des Vorgangs eine Instrumentalisierung statt. Juden werden den Linken so genauso Mittel zum Zweck wie das Thema Antisemitismus generell. Daß beides nicht zufällige Objekte linker Begierde darstellt, ergibt sich aus der kollektiven Identität und historischen Konstellation: Ob sie wollen oder nicht, sind sie mit ihren Eltern identifiziert, übernehmen entweder deren Verleugnungen oder Verdrängungen oder befinden sich in einem blindwütigen Kampf gegen die älteren Generationen. (125) In diesem Spiel sind die wirklichen Opfer demzufolge ohnhehin nur Manövriermasse. Aber: Mögen nun, als Folge der Abwehr, bei manchen Deutschen sich aggressiv-antisemitische, bei anderen idealisierend-philosemitische Tendenzen durchsetzen, beides behindert, wenn es darum geht, traumatisierten Überlebenden der KZs zu helfen oder sie zu verstehen. Beide Haltungen haben mit der eigenen Person, dem eigenen Abwehrsystem weit mehr zu tun als mit den jüdischen Mitmenschen. Die Idealisierung wie die Verteufelung von Juden und Israelis verhindern es, sie in ihrer seelischen und historischen Wirklichkeit wahrzunehmen. (105)
Unter der Voraussetzung dieser Sichtweise kann eine scharfe Kritik an der Vorgehensweise einer sogenannten AG Öffentliche Räume im Leipziger Bündnis gegen Rechts (AGÖR) nicht ausbleiben. Seit gut anderthalb Jahren beschäftigt sich die AGÖR mit der zunehmenden Überwachung öffentlicher und privater Räume. Von einer sogenannten Überwachungsgesellschaft ist dabei die Rede, die die Persönlichkeitsrechte der Staatsbürger peu a peu einschränken würde. Zum Sinnbild der Sicherheitsphobie ist dabei die Überwachungskamera geworden. An ihrer zunehmenden Verbreitung soll mittels politischer Vermitllung verdeutlicht werden, wie sich der gesellschaftliche „Überwachungsdiskurs“ gegen die Menschen richten würde. Dem zunehmenden Mißverständnis verfallend, daß die normative Kraft der Technologie (hier der Überwachungstechnologie) als Ideologie ein Ergebnis der Herrschaft der Technik über den Menschen sei, bei der es zwar noch den Staat als Drahtzieher gebe, dieser aber selbst sich der technologischen Ideologie unterwerfen müsse – ob er wolle oder nicht –, propagiert die AGÖR nichts minderes als die Subjektwerdung der Technologie: Eine Kamera ist schlecht, weil sie schlecht ist, als würde sie das selbst festlegen. Technik, die ansonsten begeistert, wenn es um die „eigene Kreativität“, die „eigene Selbstverwirklichung“ geht, wird zusehends zum Bösen an sich, zum Instrument des Unheils, zum Teufelszeug.
Damit tappt die AGÖR in genau jene Falle, die die objektiven Verhältnisse „ausgelegt“ haben: was hinter dem Rücken der Menschen als „anonyme Macht“ (Marx) passiert, was sich als Ohnmacht der Menschen innerhalb der technisierten Welt darstellt, ist objektiv die Ohnmacht gegenüber dem Kapital. Sie erklärt sich aus der „okkulten“ (Marx) Eigenschaft des Kapitals als gesellschaftliches Verhältnis – es verwertet sich selbst, als das, was Marx ironisch automatisches Subjekt genannt hat, was nichts anderes heißt, als daß das Kapital automatisch „handelt“ – einerlei dabei, ob mit dem Willen oder gegen den Willen der Menschen.
Was sich zu einer irrationalen Überwachungsangst in den Kreisen der AGÖR ausgewachsen hat, benötigt dringend Verbündete zur Instrumentalisierung, um die mit der Irrationalitiät verbundene Angst vor Isolation, vor dem Alleinesein mit dem Thema, zu unterbinden. Was kann da gelegener kommen, als diejenige gesellschaftliche Opfergruppe Nummer eins – „die Juden“ – und das als Topthema begriffene Sachgebiet Antisemitismus.
Und so geschah es. Als die Stadt Leipzig ankündigte, das im Juni diesen Jahres eingeweihte Mahnmal zur Erinnerung und Mahnung an die Zerstörung der Synagoge 1938 in der Leipziger Gottschedstraße per Kamera überwachen zu lassen, um so Schändungen und Vandalismus zu unterbinden bzw. zumindest einzuschränken, sah die AGÖR ihre Stunde gekommen: „die Gegenwart des Antisemitismus“ sei in Leipzig gar „kein Thema“, hieß es in einem Beitrag der AGÖR in der Leipziger Szenegazette Klarofix, sich selbst als Linke dabei natürlich selbstredend ausnehmend. Und überhaupt sei das Mahnmal, so weiter in besagtem Text, als „Repräsentation des vernichteteten jüdischen Lebens in Leipzig“ einzig dem Zwecke dienlich, „eine Erinnerung zu inszenieren“, als wäre eine „Repräsentation des vernichteten jüdischen Lebens“ überhaupt denkbar und Erinnerung nicht immer schon Inszenierung. Man solle lieber „handeln statt filmen“, so schmettert man es mit geschwellter Brust und traditionell linker Selbstherrlichkeit anmaßend im Namen der Opfer hinaus.
Daß dieser Parole nur mit der Losung: ‘Lieber denken statt handeln’ zu begegnen wäre, findet man in einem anderen Text der AGÖR besser begründet, in dem offen dargelegt wird, worum es der AGÖR wirklich geht. In einer Pressemitteilung anläßlich der Einweihung des Mahnmals heißt es: „Unser Anliegen ist es vielmehr, gegen die erneute Ausweitung der Videoüberwachung vorzugehen“, denn der „Zynismus“ der Stadtverwaltung sei „ein weiterer Angriff auf die Freiheit jedes und jeder einzelnen.“
Man wirft der Stadt Leipzig weiter vor, daß sie den „Antisemitismus zur Ausweitung der Videoüberwachung“ nutze und gleichzeitig einen offenen wie virulenten Antisemitismus in Deutschland wie in Leipzig leugnen würde. Daß dabei die Argumentation der Stadt, das Mahnmal wäre genau wegen des vorhandenen Antisemitismus gefährdet und eine Überwachung genau deswegen notwendig, einfach geleugnet wird, paßt gut in das Raster des instrumentellen Wunschdenkens, das weiter oben beschrieben worden ist.
Es gibt wohl letztlich keine Orte für eine Überwachungskamera in Deutschland, an dem diese notwendiger wäre als an jüdischen Einrichtungen und Mahnmalen für die Opfer der Shoah. Die einzig richtige darüberhinaus gehende Kritik als gleichzeitge Minimalforderung, statt eines Mahnmals mindestens den Wiederaufbau der 1938 an gleicher Stelle zerstörten Synagoge vorzunehmen, ließ man dann in Kreisen der AGÖR aus Gründen des rein instrumentellen Verhältnisses gleich ganz unter den Tisch fallen. Und die Wahrscheinlichkeit, daß ihnen dieses als minimalster und mindester Wiedergutmachungsakt erst gar nicht in den Sinn kam, ist sehr hoch und bezeichnend zugleich.
Das politische Sachgebiet Antisemitismus als Transportmittel „eigener Inhalte“ zu benutzen – hier der der Überwachungsphobie – ist die perfideste Art des Politikmachens linker Gruppen. Daß sich die AGÖR dieses Elementes bediente, ist eine unglaubliche Schweinerei, die allerdings in der deutschen Linken eine lange Tradition hat: für den politischen Vermittlungswahn tut man alles und geht selbst über die Leichen und Trümmer der Shoah hinweg. Man gibt vor, das Problem zu bekämpfen – „Antisemitismus angreifen“, so heißt es auf Plakaten – und nutzt es doch nur für seine politischen Zwecke. Dieses Trauerspiel linker Politik hat seinen Ursprung in der politischen Kampagnenhuberei.
Die Vorbedingung der politischen Instrumentalisierung ist die Vulgarisierung eines „Themenbereiches“, deren unausweichliches Ergebnis durch die Popularisierung zustande kommt und statt einer individuellen Auseinandersetzung nur zur Selbstbespiegelung taugt. Wer den Antisemitismus in diesem Sinne „aufarbeitet“, ist und bleibt Teil des Problems: Die Art des Trauerns sollte es möglich machen, sich mit der Rolle des Kritikers und Beobachters, des Selbstkritikers und Selbstbeobachters zu identifizieren, d.h. mit sich selber, mit eigenem Verhalten, eigenen Gefühlen und Denkweisen Kontakt aufrechtzuerhalten, eine Rolle, die man auch deswegen akzeptieren kann, weil sie menschlich und historisch die Wahrheit am ehesten zu erfassen vermag und Wiederholungen des Unmenschlichen und Niederträchtigen – auch im Alltäglichen – erkennen und verhindern hilft. (...) Wer aber letztlich nur um sich selbst trauert, um seinen eigenen Werteverlust (...), wer nicht um andere, um Liebesobjekte oder Opfer seines Opportunismus und seiner Ängste trauert, der kann auch nicht an Wiedergutmachung in dem einzig noch möglichen Sinn interessiert sein, nämlich an der Verhinderung ähnlicher zukünftiger Verbrechen, an der Durchleuchtung von Geisteshaltungen, die zu solchen Verbrechen führen können. (21/27)

Literatur:
Margarete Mitscherlich, Erinnerungsarbeit – Zur Psychoanalyse der Unfähigkeit zu trauern, Frankfurt am Main 1993

* Alle kursiven Passagen sind Zitate aus dem genannten Buch. Seitenzahlen in Klammern entsprechen denen der Taschenbuchausgabe.



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last modified: 28.3.2007