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Unglaubliche Schweinerei | |
Wie eine linke Leipziger Gruppe den Antisemitismus zur
perfiden Art des Politikmachens instrumentalisierte. Mit einem Vorwort zur
Psychoanalyse der deutschen Linken |
’Wahrnehmung von Opfern als Objekte’ – Plakat der Leipziger AG Öffentliche Räume gegen die Videoüberwachung des Mahnmals zum Gedenken an die 1938 zerstörte Synagoge in der Leipziger Gottschedstraße |
Es ist schwierig, ohne Menschen zu leben, mit denen man sich
identifizieren kann. Wer seiner Angst vor der Position des
Außenseiters erliegt, gerät in Gefahr, zum Mitläufer zu
werden.
Mit diesen beiden sich scheinbar widersprechenden Feststellungen benennt
Margarete Mitscherlich in Anknüpfung an das zusammen mit Alexander
Mitscherlich 1967 veröffentlichte Werk Die Unfähigkeit zu
trauern in ihrem Buch Erinnerungsarbeit Zur Psychoanalyse
der Unfähigkeit zu trauern jene Polarität deutscher kollektiver
und individueller Verdrängung der NS-Vergangenheit als
grundsätzliches Fehlen von Trauerarbeit (S.Freud).*
Die Frage, die die Mitscherlichs beschäftigt, ist die Frage nach den
Voraussetzungen für die Trauer über die Vergangenheit als deutsches
Kollektiv und innerhalb desselben: Kann ein Kollektiv überhaupt
trauern, ist trauern nicht Sache des einzelnen? (19) Die Antwort darauf
offenbart das Problem: (...) Wie beim einzelnen Menschen kann auch beim
Kollektiv nur Trauer über das Geschehene und die damit verbundene Schuld
zu Versöhnung mit der Vergangenheit führen. (03) Benannt ist so
die quasi unmögliche Voraussetzung, unter denen das deutsche Kollektiv
sich selbst aus den Angeln der existenten postfaschistischen Identität
heben könnte. Wenn (...) Verleugnung, Verdrängung, Derealisierung
der Vergangenheit an die Stelle der Durcharbeitung treten, ist ein
Wiederholungszwang unvermeidbar, auch wenn er sich kaschieren läßt.
Es wiederholt sich dabei nicht der Inhalt eines Systems, sondern die Struktur
einer Gesellschaft. (14)
Die Schwierigkeit, die der Wunsch mit sich bringt, sich vom deutschen Kollektiv
zu emanzipieren, besteht darin, sich objektiv von diesem nicht emanzipieren zu
können. Diese Zerissenheit erzeugt den schnelle(n) Wechsel zu neuen
Objekten, neuen Identifikationen und Idealen. (Den) Identitätswechsel
durch Identifikation mit dem Sieger. (13) (Denn) mit dem Verlust einer
geachteten Gewissensinstanz geht (...) unweigerlich auch der Verlust des
eigenen Selbstwertgefühls einher. (55) (...) Individuell gesehen, bleiben
wir alle Kinder von Eltern, deren Verhalten, Erziehungsstil, Moral wir, ob wir
wollen oder nicht, auf die eine oder andere Weise verinnerlichen. Je weniger
wir diese Verinnerlichungen unserer kindlichen Beziehungsfiguren, von
außen oder von innen, anerkennen, um so abhängiger werden wir von
äußeren Einflüssen und von unseren eigenen Affekten, denen wir
dann mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind. (64)
Linke deutsche Identität hat zweierlei zur Voraussetzung. Zum einen die
Identität des Deutsch-Seins und zum anderen die des Links-Seins. Im besten
antinationalen Sinne fallen beide Identitäten so auseinander, daß
sie in einem ambivalenten Verhältnis zueinander stehen. Dieses ambivalente
Verhältnis allerdings ist nicht aufhebbar. Der Unmöglichkeit der
Auflösung dieser Konstellation kann nur mit Bewußtwerdung begegnet
werden. Die Stärkung des Ich ist nur dann als Abwehr des kollektiven
Geistes zu haben, wenn dieser Geist nicht verdrängt wird, sondern als der
identitäre Ort begriffen, von dem aus die Nicht-Identität des Wir als
Ich bestimmt werden kann.
Daß Denken immer identifizieren heißt (Adorno), sollte als
Grundlage jeglicher Identitätskritik verstanden werden. Und daß
Kritik immer den Gegenstand der Kritik voraussetzt, er also nicht einfach als
aufgelöst und nicht vorhanden gelten kann, ebenso. In diesem Sinne ist
also Nicht-Identifizierung nur über Bewußtwerdung der
Identifizierung denkbar. Wenn somit der Identifizierung mit dem
NS-Täter-Kollektiv die Identifizierung mit den Opfern dieses Kollektivs
entgegengestellt wird, so ist dies als links-deutscher Versuch der
Verdrängung zu charakterisieren, der geradezu dafür
prädestiniert, daß eine simple Umkehrung der Täterbenennung in
die Festlegung der Opfer vorgenommen wird: Wer Opfer ist, bestimmen
wir. Nach diesem Schema dürfen die Juden nichts anderes
sein, genauso wie die Ausländer, die Frauen,
die Junkies oder die Homos. Was in diesem ideologischen
Raster entgegen der empirischen Wirklichkeit keinen Platz hat, wird
retuschiert. Diese romantisierende Opferzuschreibung erzeugt so wiederum linke
Identität als ein kollektives selbstherrliches Dasein für Andere
für homogenisierte, widerspruchsfreie gesellschaftliche
Opfergruppen, an denen das linke kollektive Selbstwertgefühl durch
unbewußte Wiedergutmachung dem Abtragen von kollektiver Schuld
gestärkt werden soll. (...) Auch die Nachkommen der Täter
und Mitläufer haben, wie wir wissen, erhebliche psychische Probleme. Die
(positive) Identifikation mit den Eltern und das Selbstwertgefühl sind
stark gestört; eine Verleugnung der Probleme, Gefühlskälte und
Beziehungsabwehr ist bei ihnen häufig zu finden. Was nicht
ausschließt, daß gleichzeitig eine tiefe unbewußte
Identifikation mit der Elterngeneration besteht. Auch die Jüngeren sind
oft weder bereit noch fähig, zwischen Ideal und Wirklichkeit zu
unterscheiden. Idealisierung und Aggression sind auch bei ihnen eine
unglückliche Verbindung eingegangen, auch sie wehren die
untergründigen Depressionen oft mit Hilfe manischer Aktivität ab.
(101)
Diese Manie läßt sich durchaus als eine Art linker Opferkult im oben
beschriebenen verklärenden Sinne der Idealisierung bzw. Romantisierung von
Opfergruppen verstehen. Jene Form der Objektwahl wandelt in der Wahrnehmung
einer Opfergruppe deren Dasein als Subjekt also als handelndes
in ein Dasein als Objekt linker Begierde um. In der genaueren
Verwendung Freudscher Terminologie ist diese Wahl eine, die von narzistischer
Selbstverliebtheit motiviert ist: dem Widerspiegeln der eigenen halluzinierten
Opferrolle als von Schuld freie linke Deutsche in den homogenisierten,
widerspruchsfreien Opfergruppen, deren Subjektstatus zwar als Ideal
hochgehalten wird, in der Funktion als Instrument für die deutsche linke
Identität jedoch nicht über den Objektstatus hinauskommen soll.
Es ist somit festzustellen, daß die deutsche linke Identität durch
ihre historische Prägung und direkte Abhängigkeit von der
individuellen wie kollektiven deutschen Vergangenheit ein instrumentelles
Verhältnis zu den wirklichen und von ihr dazu bestimmten
gesellschaftlichen Opfergruppen pflegt man ist gut als
Subjekt und deshalb eins mit den Opfern als Objekt. Ohne eine schmerzliche
Trennungs- und Trauerarbeit gegenüber bisherigen Idealen und Denkmustern
geraten wir in Gefahr, Opfer rigider Rationalisierungen, Phantasien und
Projektionen zu werden. (77) Letztere Formen sind Produkt eines kollektiven
Traumas nach 1945, das sich in der Geschichte der Bundesrepublik wie der der
DDR insofern gleicht, als daß in beiden Hälften Deutschlands die
Identifizierung mit den Siegern zu einer Verdrängung von Schuld und
Scham führte, dessen Ergebnis eine untergründige
Depression (war), die es wiederum mit Hilfe von Konsumbetäubung und
Habgier zu verdrängen galt. Diese Verdrängung des bereits
Verdrängten (08) erzeugt das Fehlen der libidonöse(n) Kraft
und (des) von innen kommende(n) Wunsch(es) nach einer real umgesetzten
Wiedergutmachung. Die Fähigkeit zur Wiedergutmachung (aber) setzt eine
bewußte Auseinandersetzung mit und ein Ertragen von Schuld- und
Schamgefühlen und deren Ursachen voraus. (85)
Die Wahrnehmung von Opfern als Objekte ist bei deutschen Linken die Folge einer
unverarbeiteten Mischung aus Schuldgefühlen und gekränkter Wut
darüber, der eigenen Vergangenheit nicht entrinnen zu können.
Insofern unterscheidet sich die linke Erinnerungskultur in nichts von der
populären der deutschen Gegenwart. Das Ritual verklärt die
Normativität der historischen Fakten. Die Suche nach der inneren
Wahrheit, nach dem wahren Selbst, nach dem Gefühl
der eigenen Existenz hat etwas vernebelnd Idealisierendes und
Selbstidealisierendes an sich. Mit solchen Sehnsüchten ist die
Selbsttäuschung verbunden, der Mensch könne mit seinen Trieben
konfliktfrei leben. (142)
Die Instrumentalisierung des politischen Sachgebietes Antisemitismus
Die öffentliche Beschäftigung der sogenannten Bewegungslinken als ein
Zerfalls-Produkt der 68er Linken im Jargon der Politik der ersten
Person war und ist reine Selbstbeschäftigung mit mehr oder weniger
geschichtlich vorgegebener Objektwahl. Dabei geht es hinsichtlich
erwählter Opfergruppen nicht in erster Linie um das Verhältnis zu den
Opfern, sondern um die Klärung, welche gesellschaftliche Stellung man als
Linker einnimmt bzw. einzunehmen hat.
Hinsichtlich des Antisemitismus und seiner wirklichen Opfer findet also in
besagter Form einer Mechanisierung des Vorgangs eine Instrumentalisierung
statt. Juden werden den Linken so genauso Mittel zum Zweck wie das Thema
Antisemitismus generell. Daß beides nicht zufällige Objekte linker
Begierde darstellt, ergibt sich aus der kollektiven Identität und
historischen Konstellation: Ob sie wollen oder nicht, sind sie mit ihren
Eltern identifiziert, übernehmen entweder deren Verleugnungen oder
Verdrängungen oder befinden sich in einem blindwütigen Kampf gegen
die älteren Generationen. (125) In diesem Spiel sind die wirklichen
Opfer demzufolge ohnhehin nur Manövriermasse. Aber: Mögen nun, als
Folge der Abwehr, bei manchen Deutschen sich aggressiv-antisemitische, bei
anderen idealisierend-philosemitische Tendenzen durchsetzen, beides behindert,
wenn es darum geht, traumatisierten Überlebenden der KZs zu helfen oder
sie zu verstehen. Beide Haltungen haben mit der eigenen Person, dem eigenen
Abwehrsystem weit mehr zu tun als mit den jüdischen Mitmenschen. Die
Idealisierung wie die Verteufelung von Juden und Israelis verhindern es, sie in
ihrer seelischen und historischen Wirklichkeit wahrzunehmen. (105)
Unter der Voraussetzung dieser Sichtweise kann eine scharfe Kritik an der
Vorgehensweise einer sogenannten AG Öffentliche Räume im Leipziger
Bündnis gegen Rechts (AGÖR) nicht ausbleiben. Seit gut anderthalb
Jahren beschäftigt sich die AGÖR mit der zunehmenden Überwachung
öffentlicher und privater Räume. Von einer sogenannten
Überwachungsgesellschaft ist dabei die Rede, die die
Persönlichkeitsrechte der Staatsbürger peu a peu einschränken
würde. Zum Sinnbild der Sicherheitsphobie ist dabei die
Überwachungskamera geworden. An ihrer zunehmenden Verbreitung soll mittels
politischer Vermitllung verdeutlicht werden, wie sich der gesellschaftliche
Überwachungsdiskurs gegen die Menschen richten würde. Dem
zunehmenden Mißverständnis verfallend, daß die normative Kraft
der Technologie (hier der Überwachungstechnologie) als Ideologie ein
Ergebnis der Herrschaft der Technik über den Menschen sei, bei der es zwar
noch den Staat als Drahtzieher gebe, dieser aber selbst sich der
technologischen Ideologie unterwerfen müsse ob er wolle oder nicht
, propagiert die AGÖR nichts minderes als die Subjektwerdung der
Technologie: Eine Kamera ist schlecht, weil sie schlecht ist, als würde
sie das selbst festlegen. Technik, die ansonsten begeistert, wenn es um die
eigene Kreativität, die eigene
Selbstverwirklichung geht, wird zusehends zum Bösen an sich, zum
Instrument des Unheils, zum Teufelszeug.
Damit tappt die AGÖR in genau jene Falle, die die objektiven
Verhältnisse ausgelegt haben: was hinter dem Rücken der
Menschen als anonyme Macht (Marx) passiert, was sich als Ohnmacht
der Menschen innerhalb der technisierten Welt darstellt, ist objektiv die
Ohnmacht gegenüber dem Kapital. Sie erklärt sich aus der
okkulten (Marx) Eigenschaft des Kapitals als gesellschaftliches
Verhältnis es verwertet sich selbst, als das, was Marx ironisch
automatisches Subjekt genannt hat, was nichts anderes heißt, als
daß das Kapital automatisch handelt einerlei dabei, ob
mit dem Willen oder gegen den Willen der Menschen.
Was sich zu einer irrationalen Überwachungsangst in den Kreisen der
AGÖR ausgewachsen hat, benötigt dringend Verbündete zur
Instrumentalisierung, um die mit der Irrationalitiät verbundene Angst vor
Isolation, vor dem Alleinesein mit dem Thema, zu unterbinden. Was kann da
gelegener kommen, als diejenige gesellschaftliche Opfergruppe Nummer eins
die Juden und das als Topthema begriffene Sachgebiet
Antisemitismus.
Und so geschah es. Als die Stadt Leipzig ankündigte, das im Juni diesen
Jahres eingeweihte Mahnmal zur Erinnerung und Mahnung an die Zerstörung
der Synagoge 1938 in der Leipziger Gottschedstraße per Kamera
überwachen zu lassen, um so Schändungen und Vandalismus zu
unterbinden bzw. zumindest einzuschränken, sah die AGÖR ihre Stunde
gekommen: die Gegenwart des Antisemitismus sei in Leipzig gar
kein Thema, hieß es in einem Beitrag der AGÖR in der
Leipziger Szenegazette Klarofix, sich selbst als Linke dabei
natürlich selbstredend ausnehmend. Und überhaupt sei das Mahnmal, so
weiter in besagtem Text, als Repräsentation des vernichteteten
jüdischen Lebens in Leipzig einzig dem Zwecke dienlich, eine
Erinnerung zu inszenieren, als wäre eine Repräsentation
des vernichteten jüdischen Lebens überhaupt denkbar und
Erinnerung nicht immer schon Inszenierung. Man solle lieber handeln statt
filmen, so schmettert man es mit geschwellter Brust und traditionell
linker Selbstherrlichkeit anmaßend im Namen der Opfer hinaus.
Daß dieser Parole nur mit der Losung: Lieber denken statt
handeln zu begegnen wäre, findet man in einem anderen Text der
AGÖR besser begründet, in dem offen dargelegt wird, worum es der
AGÖR wirklich geht. In einer Pressemitteilung anläßlich der
Einweihung des Mahnmals heißt es: Unser Anliegen ist es vielmehr,
gegen die erneute Ausweitung der Videoüberwachung vorzugehen, denn
der Zynismus der Stadtverwaltung sei ein weiterer Angriff auf
die Freiheit jedes und jeder einzelnen.
Man wirft der Stadt Leipzig weiter vor, daß sie den Antisemitismus
zur Ausweitung der Videoüberwachung nutze und gleichzeitig einen
offenen wie virulenten Antisemitismus in Deutschland wie in Leipzig leugnen
würde. Daß dabei die Argumentation der Stadt, das Mahnmal wäre
genau wegen des vorhandenen Antisemitismus gefährdet und eine
Überwachung genau deswegen notwendig, einfach geleugnet wird, paßt
gut in das Raster des instrumentellen Wunschdenkens, das weiter oben
beschrieben worden ist.
Es gibt wohl letztlich keine Orte für eine Überwachungskamera in
Deutschland, an dem diese notwendiger wäre als an jüdischen
Einrichtungen und Mahnmalen für die Opfer der Shoah. Die einzig richtige
darüberhinaus gehende Kritik als gleichzeitge Minimalforderung, statt
eines Mahnmals mindestens den Wiederaufbau der 1938 an gleicher Stelle
zerstörten Synagoge vorzunehmen, ließ man dann in Kreisen der
AGÖR aus Gründen des rein instrumentellen Verhältnisses gleich
ganz unter den Tisch fallen. Und die Wahrscheinlichkeit, daß ihnen dieses
als minimalster und mindester Wiedergutmachungsakt erst gar nicht in den Sinn
kam, ist sehr hoch und bezeichnend zugleich.
Das politische Sachgebiet Antisemitismus als Transportmittel eigener
Inhalte zu benutzen hier der der Überwachungsphobie
ist die perfideste Art des Politikmachens linker Gruppen. Daß sich die
AGÖR dieses Elementes bediente, ist eine unglaubliche Schweinerei, die
allerdings in der deutschen Linken eine lange Tradition hat: für den
politischen Vermittlungswahn tut man alles und geht selbst über die
Leichen und Trümmer der Shoah hinweg. Man gibt vor, das Problem zu
bekämpfen Antisemitismus angreifen, so heißt es
auf Plakaten und nutzt es doch nur für seine politischen Zwecke.
Dieses Trauerspiel linker Politik hat seinen Ursprung in der politischen
Kampagnenhuberei.
Die Vorbedingung der politischen Instrumentalisierung ist die Vulgarisierung
eines Themenbereiches, deren unausweichliches Ergebnis durch die
Popularisierung zustande kommt und statt einer individuellen Auseinandersetzung
nur zur Selbstbespiegelung taugt. Wer den Antisemitismus in diesem Sinne
aufarbeitet, ist und bleibt Teil des Problems: Die Art des
Trauerns sollte es möglich machen, sich mit der Rolle des Kritikers und
Beobachters, des Selbstkritikers und Selbstbeobachters zu identifizieren, d.h.
mit sich selber, mit eigenem Verhalten, eigenen Gefühlen und Denkweisen
Kontakt aufrechtzuerhalten, eine Rolle, die man auch deswegen akzeptieren kann,
weil sie menschlich und historisch die Wahrheit am ehesten zu erfassen vermag
und Wiederholungen des Unmenschlichen und Niederträchtigen auch im
Alltäglichen erkennen und verhindern hilft. (...) Wer aber
letztlich nur um sich selbst trauert, um seinen eigenen Werteverlust (...), wer
nicht um andere, um Liebesobjekte oder Opfer seines Opportunismus und seiner
Ängste trauert, der kann auch nicht an Wiedergutmachung in dem einzig noch
möglichen Sinn interessiert sein, nämlich an der Verhinderung
ähnlicher zukünftiger Verbrechen, an der Durchleuchtung von
Geisteshaltungen, die zu solchen Verbrechen führen können.
(21/27)
Literatur:
Margarete Mitscherlich, Erinnerungsarbeit Zur Psychoanalyse der
Unfähigkeit zu trauern, Frankfurt am Main 1993
* Alle kursiven Passagen sind Zitate aus dem genannten Buch. Seitenzahlen in Klammern entsprechen denen der Taschenbuchausgabe.
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