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Die Pat.-Situation

Zur Geschichte der Neuen Frauenbewegung und eine handvoll Exkurse gratis
Von Ralf

„Wenn autonomes Männerverhalten nicht gerade offen in irgendwelchen Ritualen auftritt, dann ist neutrales Verhalten gegenüber Frauenpositionen angesagt. Dieses neutrale Verhalten vermeidet Zoff mit stärker gewordenen Frauenzusammenhängen, verändert aber wenig an den Strukturen und auch nicht am Bewußtsein. (...) Kritik ist eine Voraussetzung der Veränderung. Betretenes Schweigen oder softiemäßiges Anschleimen hält nicht in kritischen Zeiten.“
Veranstaltung, 6.4k (Klaus Viehmann u.a. in: Drei zu Eins – Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus, Edition ID-Archiv, Berlin-Amsterdam 1993)

„(...) Einen Haken hat dieses aus eigener Entscheidung gewählte (linke) Kollektiv, nämlich den, daß es selbst in Gestalt der hinterwäldlerischsten Antifa-Gruppe eines mit ‚abstrakten‘, dem persönlichen Wohlempfinden nicht unbedingt nützlichen Ansprüchen ist. Zielsicher richtet sich dann die Aggression nicht gegen die Verhältnisse, sondern gegen deren Kritiker, sofern diese unter ‚Verhältnissen‘ doch noch mehr als das nur indiviuelle Leid verstehen und sich taub stellen, wenn ihnen der gemeinste aller Vorwürfe, nämlich das ressentimentgeladene ‚Und was nützt mir deine Scheiß-Kritik jetzt, hä?!‘ entgegenplärrt.“
(in: Bahamas, Nr.32/2000)

Unterhalten sich zwei erfahrenere Antifa-Genossen, der eine männlich, die andere weiblich – beide gemischtgeschlechtlich organisiert. Sagt die eine: „Du, hast Du schon gehört, es gibt mal wieder eine Veranstaltungsreihe nur für Frauen. Was denkst’n , welche Themen behandelt werd’n?“ Er: „Nun, lass mich raten, komm’ ich bestimmt nie drauf bei so vielen Dingen über die geredet werden müßte. Aber vielleicht – rein ‚zufällig‘ etwa die wie immer spannendsten-aller-spannenden-Themen: ‚Frauen in der Nazi-Szene‘, ‚Frauen in der Musik‘ und ‚Frauen in der linken Szene‘?“ „Sie: Potzblitz! Stimmt haargenau! Ich merk‘ schon, Du bist schon genauso jahrelang dabei wie ich.“
(ein gerade entstehender Witz – soll kein Herrenwitz werden - in Antifa-Kreisen – noch ausbaufähig und unvollendet)

„Linke Politik muß feministisch sein oder sie ist nicht links.“
(Ingrid Kurz Scherf)

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Als die marxsche Kategorie der Arbeiterklasse noch unumwunden von allen Linken dieser Welt anerkannt war und aus ihrer Unterdrückung die objektive Befreiung gefolgert wurde, war die dichotome Welt der Ausbeuter und Unterdrücker noch in Ordnung. Erst die Neue Linke kam auf den Trichter, dass es so einfach ja nicht sein könne. Die neuen revolutionären Subjekte wie antikolonialistische Bewegungen oder Frauen durchbrachen zwar den marxistisch-leninistischen Tradionalismus, aber ohne tatsächlichen Bezug auf die ersten dekonstruktivistischen Theorien der Nach-68er Ära(1). So geriet Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“ von 1949 zum Standardwerk einer Neuen Frauenbewegung, die z.B. in Deutschland nicht gerade überraschend 1968 ihren Anfang nahm.(2) Die Hauptkritik der Neuen Frauenbewegung formulierte z.B. Helke Sander im Herbst 1968 auf der Delegiertenkonfenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), in dem sie darauf Bezug nahm, „dass man einen bestimmten Bereich des Lebens vom gesellschaftlichen abtrennt, ihn tabuisiert, in dem man ihm den Namen Privatsphäre gibt“. Mit dieser Kritik war das Diktum der Neuen Frauenbewegung klar genug formuliert. Es ging um die Durchbrechung der gesellschaftlich geteilten Sphären von privat und öffentlich, die sich marxistisch terminiert als Produktions- und Reproduktionssphäre unterteilen lassen und von der aus die gesellschaftliche Rolle der Frau in der sogenannten Frauenfrage kulminierte.(3) Befördert durch die Abwehr und Ablehnung der absolut männerdominierten politischen Gruppen und Organisationen(4) verfestigte sich die in der ausschließlich abgrenzerischen Identitätsbildung hin zur Frau angelegte Eigendynamisierung. Der in diesem Prozess innerhalb der Neuen Frauenbewegung angelegte Essentialismus der Frau-an-sich als das andere bessere menschliche Wesen sowie die immer wieder aufs neue praktizierte Wiederholung und Reproduktion der Geschlechtsidentität Frau führte in der Neuen Frauenbewegung zu einem Weg, „sich radikal von den Männern zu trennen, auch ihre Theorien und Forschung als männlich und gegen Frauen gerichtet zurückzuweisen und auf dem Boden des ‚Nichts‘ neu anzufangen“ – die autonome Neue Frauenbewegung ward geboren.(5) Seitdem ranken sich „um das Projekt der Frauenbewegung (...) unaufgedeckt und hartnäckig Illusionen, die kollektiv geteilt werden und die das Subjekt Frau bzw. den Kampf um Befreiung in den Rang einer historisch überlegenen Wahrheit erheben. So wie der Sozialismus von der Vorstellung lebte, der Mensch sei im Prinzip gut, wäre er nur von der Knechtschaft des Kapitals befreit, so ist im westlichen Feminismus die Frau immer noch das bessere Geschlecht, dessen Befreiung die Gesellschaft im ganzen zu zivilisieren verspricht. (...) Hier wird deutlich, wie über Jahrzehnte hinweg eine Verabsolutierung des Subjekts der Befreiung stattgefunden hat, die der Figur des Proletariers im Sozialismus vergleichbar ist.“(6) Gerade die Zeitschrift beiträge – zur feministischen theorie und Praxis und deren Autorinnen sind trotz ihrer fast 20jährigen Geschichte nicht müde geworden, insbesondere in den 90ern die (alte) autonome Neue Frauenbewegung hart aber gerecht zu kritisieren, weil sie größtenteils eine Stagnation verkörpere, die nicht nur eine Reflexionsunwilligkeit gesellschaftlicher Enwicklungen zur Folge hat, sondern auch kein wirkliches gesellschaftliches Interesse zu haben scheint. So schreibt z. B. Claudia Koppert in beiträge Nr. 42/1996: Das „Wir reklamierte die Gemeinschaft aller Frauen als Schwestern, repräsentierte aber faktisch vor allem Frauen der weißen Mitelschichten; propagierte die ‚Befreiung‘ aller und produzierte nach innen Ausschluß, neue Konformitäts- und Identitätszwänge (was allerdings, und das fällt manchmal unter den Tisch, nicht das einzige Ergebnis feministischer Politik war und ist). (...) Die kollektiven ‚Wirs‘ und ihre Grundlage – die Kategorie Frau, die Kategorie Lesbe – sind in Verruf gekommen, in der Praxis wie in der Theorie. (...) Bei vielen politischen/sozialen Bewegungen haben sich die Gewichte verlagert; Identität – eine ethnische, geschlechtliche, sexuelle oder nationale – wird vom provisorischen und zeitweiligen Hilfsmittel zum Erstrebten, wird vom Lot zum Notanker. Politisches Identitätsbewußtsein mutiert zur Identitätspolitik, einr Politik mit einer Identität und für eine Identität. Die Politik mit Identitäten erweist sich als problematisch. Einerseits ist sie für den kollektiven und individuellen Befreiungsprozeß unverzichtbar, andererseits birgt sie die Tendenz, Identität zum Ziel und Wert an sich zu setzen und damit den ursprünglichen Zusammenhang mit der ‚Befreiung aller‘ aufzugebn. Die Frage ist: Wann passiert dieser Umschlag, und warum? Das Patriarchat, von dem Feministinnen oft ausgegngn sind – das wurde deutlich - , ist stark von kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, etwa Rassismus überformt. Frauen sind keine Klasse und auch nicht einfach eine ‚diskriminierte‘ Minderheit. Sie nehmen im Gefüge von Dominanz und und Diskriminierung unterscheidliche Orte ein und agieren daher von unerschiedlichen Orten aus. Die jeweiligen Ziele und Ansatzpunkte ihrer sozialen Bewegungen entsprechen ihrer jeweiligen Situation und Interessenlage. (...) Ein stabiles kollektives ‚Wir‘ hat daher keine Gundlage. (...) Identitätspolitische ‚Ambitionen‘ schlagen immer auch bei Zusammenhängen durch, bei denen das nicht zu erwarten ist, weil sie sich ganz bewußt an übergeordneten Zielen orientieren, zum Beispiel Antirassismus-Initiativen. So verfolgen weiße Frauen hier immer wieder neben dem Kampf geen Antisemitismus und Rassismus unbewußt und dafür um so drängender ein persönliches Identitätsziel: die Selbstbefreiung von Schuldgefühlen, Scham, Privilegien, um den Beweis zu bringen, wenigstens auf der richtigen Seite, der Seite der Unschuldigen und der Gerechten, zu stehen.
(...) Eine Identität will anerkannt und gewürdigt werden. Jede Nichtanerkennung wird heute als persönliche Verletzung empfunden. So wird persönliche Identität für sehr viele zum wunden Punkt. (...) Identitätspolitik verstellt in selbstorganisierten politischen Gruppen die Perspektive einer allgemeinen Befreiung.“
Die schon zitierte Dörthe Jung stellt z.B. in Heft Nr. 35, 1993 in Bezug auf das Ende des realen Sozialismus fest: „(...) Von feministischer Seite gab es keine vergleichbaren Debatten, wie sie im linksorientierten Spektrum durch den Zusammenbruch des Sozialismus ausgelöst worden sind. Es äußerte sich (maximal – R.) eine nachträgliche Genugtuung, mit der feministischen Kritik am Marxismus sich schon in den siebziger Jahren von dieser Ideologie losgesagt zu haben. (...) Während all diese Turbulenzen sich weitreichend auf die innere Struktur dieser Gesellschaft, ihrer sozialen Systeme, Normen und Moral, ihrer politischen Kultur und der sie tragenden Ideologien auswirken, erscheint schweigend ein System wie ein Fels in der Brandung unberührt geblieben zu sein: der westliche Feminismus. (...) Backlash-Argumente(7) als dominante Reaktion von Frauen auf die Weltlage sind vertraut: So entwerfen sie sich immer wieder nur als Opfer von gesellschaftlicher Entwicklung. (...) Und dass die Erfolge auch von Frauenpolitik in eine historische Entwicklungsdynamik eingebunden sind, die Mißerfolg und Scheitern möglich macht, lehrt uns schon ein ganz unprofessioneller Blick auf die Geschichte jeder Befreiungsbewegung, nicht nur auf die der alten Frauenbewegung.“ Ausserdem, so Jung weiter, sei es für den westeuropäischen Feminismus typisch, dass das Patriarchat „die Qualität eines alleinigen Erklärungmusters“ erhalte, als „Basis für alle anderen Formen ökonomischer und politischer Herrschaft“ und es überspanne „als solche alle gesellschaftlichen Systeme gleichermaßen. Die differenten gesellschaftlichen Bedingungen erscheinen so in der Tendenz nur als unterschiedliche ‚Spielarten‘ ein und desselben Grundübels. Daraus hat sich zumindest im westlichen Feminismus eine seltsame Abstinenz – sowohl nach der Seite der Kritik wie nach der von Perspektivenentwicklung – gegenüber den existierenden Gesellschaftssystemen ergeben, und es haben sich Formen von politischem Desinteresse und Ignoranz gegenüber realen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen herausgebildet, die bewirkt haben, daß bei fast allen gesellschaftlichen Umbrüchen der letzten (...) Jahre von seiten der Frauenpolitik wenig politisches Einmischen stattgefunden hat. (...) Die sich an unterschiedlichen Orten der Frauenpolitik breitmachende Ohnmacht und Lähmung verdanken sich (...) nicht zuletzt einem Beharren darauf, in der bedrohlichen aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung unsere Analysen über patriarchale Strukturen intellektuell bestätigt zu sehen und in einer Art politisch passivem Erleiden immerhin noch die an das Subjekt Frau geknüpften Hoffnungsvisionen unbeschädigt zu belassen. (...) Ein großer Teil der Ermüdungserscheinungen und Resignationsanfälligkeit waren als Krisensymptome des Feminismus schon vor der Vereinigung, dem Wegfall des eisernen Vorhangs, dem Manifestwerden eines totgeglaubten Rechtsradikalismus und nationalistischer Tendenzen vorhanden. In den achtziger Jahren konzentrierte sich die politische Kraft der Frauenbewegung in der alten Bundesrepublik auf Institutionalisierungsprozesse: die autonomen Frauenprojekte machten so etwas wie einen internen Kosolidierungsprozess durch (...). Veränderungen von politischen Praxisforen scheinen auch im Hinblick auf die Strukturen der feministischen Praxis angesagt Die aktuelle gesellschaftliche Dynamik zwingt uns nahezu zu einer Neukonzeption, einem Umdenken in unseren bisher praktizierten Politikmodellen. (...) Nach einer zwanzigjährigen frauenpolitischen Praxis haben wir Frauen allemal unsere politische Unschuld verloren – wenn wir jemals eine solche besessen haben. Die gesellschaftlichen Umbrüche im eigenen Land und in globaler Dimension sollten wir für eine Erweiterung der frauenpolitischen Praxis nutzen.“
„Mehr und mehr“ so konstatiert beiträge,(8) „wurde in Teilen der autonomen Frauenbewegung das feministische Politikverständnis vom Privaten abgeleitet – in kurzschlüssigem Verständnis, daß das Private mit dem Politischen zusammenfalle, was u.a. zur feministischen Abstinenz gegenüber jeglichen etablierten Politstrukturen und -institutionen führte.“ Nicht zuletzt aus diesem Grunde habe sich „die westliche feministische Theoriebildung (...) in die dünne Luft des universitären philosophierenden Diskurses verflüchtigt. (...) Und diese Praxisabstinenz auf der einen Seite führt zur Theorieabstinenz auf der anderen Seite. (...) Der westliche Feminisms (aber) wird scheitern, wenn er in seiner Selbstbezogenheit verharrt und seinen Universalismusanspruch mit der Setzung der ‚archetypischen Frau‘ aufrechterhält, wenn ihm also Kategorien zur Realitätswahrnehmug fehlen.“(9) Die Entkoppelung von Theorie und Praxis geht insbesondere auf die schon erwähnte Unbeweglichkeit der ehemaligen, längst nicht mehr existenten neuen Frauenbewgung und auf die Ende der 80er und besonders in den 90ern aufkommenden dekonstuktivistischen feministischenTheorien zurück. Um diesen „Gegensatz“ aufzulösen, so schlußfolgert die beiträge-Redaktion, wäre einzig und allein „eine lebendige Frauenbewegung nötig“. Aus dieser reflektierten Notwendigkeit als Ausweg aus dem Dilemma der autonomen Neuen Frauenbewegung, so konstatiert die Redaktion weiter, „entspringt eine Solidarität und Erwartungshaltungen, die auf Identifikationsansprüchen basieren“, und die Gefahr in sich bergen, „daß sich die politische und persönliche Ebene in den Auseinandersetzungen vermischen (auch in der Form), statt produktiv miteinander verbunden zu werden“.(10) Viele Frauen sind von dem aussichtslosen Unterfangen getrieben, eine Frauenbewegung ohne mögliche Frauenbewegung aufleben zu lassen. Sie verkennen vielmehr oder wollen gar nicht erkennen, dass ihrer sozialen Bewegung kein anderes Schicksal erspart bleiben konnte wie allen anderen sozialen Bewegungen der 70er und 80er auch.
Die Hinwendung der feministischen Theorien zu dekonstruktivistischen Ansätzen und zum akademischen Elfenbeinturm beschleunigten die endgültige Abkehr von einer Linken, deren Kapitalismuskritik nicht von der Ökonomie abzulassen gewillt ist und auch auf den von Marx analysierten Widerspruch von Kapital und Arbeit als weiterzuentwickelnde Grundlage jeder Erkenntnistheorie beharrt.(11) Gerade in der Analyse der gegenwärtigen sozio-ökonomischen Prozesse innerhalb des Kapitalismus, ob nun Neoliberalismus, Postfordismus, Deregulierung, Globalisierung oder sonstwie genannt, stehen die meisten feministischen Theorien und Ansätze vor dem Dilemma, im jahrelangen Abwehrkampf gegen den tatsächlichen und vermeintlichen Ökonomismus der alten wie Neuen Linken die gesellschaftliche Relevanz der Ökonomie völlig aus dem Blick verloren zu haben. Dadurch offenbart sich eine fast durchgehende Unfähigkeit, z.B. die tatsächliche Auflösung urpatriarchaler Milieus wie z.B. Kleinfamilien durch einen kräftigen individuellen Mobilitätsschub unvoreingenommen zur Kenntnis nehmen zu können. Erst mit dem Ende der 90er lassen sich relevante Diskussionen im Zusammnhang mit der sogenannten Globalisierung konstatieren. Einen sehr lesenswerten Überblick veröffenlichten erst jüngst Regina Stötzel und Sabine Reiner in der Zeitschrift Forum Wissenschaft(12): „In feministischen Diskursen werden der Globalisierungsprozess bzw. die neoliberalen Umstrukturierungen als ambivalent beurteilt. Die Veränderungen auf den Arbeitsmärkten stellen ein Chance für die Auflösung der traditonellen und eindeutig hierarchischen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern dar. (...) ‚Feminisierung der Arbeit‘ lautet folglich die häufig verwendete Beschreibung der Entwicklung in beiden Teilen des Globus. (...) Gemeint ist die Annäherung der männlichen (Erwerbs-) Biografien an weibliche Standards, Unterbezahlung und/oder Überqualifizierung, die Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen, das Verschwimmen der Domänenaufteilung und der klaren Grenzen zwischen dem öffentlichen ‚männlichen‘ Produktions- und dem privaten ‚weiblichen‘ Reproduktionsbereich sowie das Anwachsen des informellen Sektors. (Faktisch wird) lebenslange Vollzeiterwerbstätigkeit in wenigen Jahren ein absolutes Auslaufmodell sein – für Frauen wie Männer. (...) Auch unter weißen Frauen bspw. in Deutschland muß unterschieden werden zwischen Geldvermögensbesitzerinnen, Mitgliedern der Arbeitsgesellschaft und ‚Anderen‘. Kurz: Die Rolle der Frau als Opfer patriarchaler Strukturen gibt es nicht mehr. Ungleichheit zwischen Frauen nimmt drastisch zu. Eine annähernde Gleichstellung der Geschlechter, und sei es auf Kosten neuer hierarchischer Arbeitsteilungen zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft, würden wir dennoch nicht vorschnell prognostizieren.“(13) Und dennoch konstatieren die beiden Autorinnen: „Angesichts dieser Entwicklungen ist doch zu fragen, ob Geschlechterverhältnisse nicht endgültig zum so beliebten Nebenwiderspruch degenerierten, der mit einer Auflistung all dessen, was ja schon erreicht worden ist, hinten angestellt oder gänzlich vom Tisch gewischt werden kann, wenn ‚wichtige‘ Fragen und Probleme anstehen. (Es) müssen neue Strategien für eine emanzipatorische, linke Politik die Bedürfnisse von Frauen und Männern in den Blick nehmen, um an der alten Utopie ‚jeder und jede nach seinen und ihren Fähigkeiten und jedem und jeder nach seinen und ihren Bedürfnissen‘ festzuhalten. (...) Und Frauen müssen sich vor allem beim scheinbaren Hauptwiderspruch einmischen.“(14)
Dieser Text ist gerade auch mit der Motivation verfaßt, einen Beirag dazu zu leisten, mit den Mythen der Autonomen aufzuräumen, zu verdeutlichen, dass die gesellschaftliche Realität auch die letzten Zuckungen einer Praxis gerade der verstorbenen autonomen Bewegung – inklusive die der Frauen - zur Disposition stellen muß.
Es ist kein Wunder, dass gegenwärtig eine exemplarische Abwehrschlacht seitens der Autonomen tobt, die noch ihre letzten Pfründe könnte zu Fall bringen. Das Scheitern der Linken zwar begreifend, doch unfähig zuzulassen, dass gerade deshalb über alles neu diskutiert und verhandelt werden müßte, werden die autonomen Restmilieus besonders dort zu Angstbeißern, wo sie sich zum einen noch stark genug fühlen und zum anderen andere Organsierungsmodelle ihnen genügend Abgrenzungsfläche bieten.(15) Der exemplarische Streit um das sogenannte unhintergehbare alleinige Definitionsrecht der betroffenen Person bei einer Vergewaltigung fördert zum Glück auch zu Tage, worüber dringend diskutiert werden müßte. Nicht zuletzt deshalb ist es notwendig, an dieser Stelle darauf einzugehen.
Die Debatten der letzten Jahre um die Bedeutung, Dimension und den Charakter der Shoa haben für den Autor deutlich werden lassen, dass für Linke die Moral tatsächlich in Auschwitz vernichtet worden ist. Moral als linkes Kriterium kann somit letztlich nur im Bezug auf die Opfer und deren Täter sowie deren Nachfahren Anwendung finden. Dieser geschichtlichen Herausforderung, die eine materialistisch-fundierte Gesellschaftskritik von einer Linken abverlangt, muß sich stellen, wer an einer Kapitalismuskritik ohne antisemitisches Ressentiment Interesse hat. Und das sollten gerade jene Linken, die aus den Fehlern der Autonomen lernen wollen. Moralische Kategorien sind also insbesondere in der Gegenwart, wo sich der notwendige Neubeginn einer emanzipatorischen Linken immer mehr aufstaut, untauglich geworden. Links-Sein basiert ausschließlich auf einem gesellschaftskritisch-materialistischen Weltbild, das theoretischen definierten Kriterien unterliegt, die niemals von der Subjektivität einer apolitischen Handlungsweise ausgehebelt werden können. Oder anders: wenn „das Gefühl“ oder „der Bauch“ als Willkür das politische Argument ersetzt, stellt sich die Frage, was daran links sein soll.(16) Der Kernstreit, um den es sich in der Auseinandersetzung mit den Autonomen – und dort insbsondere mit den Resten der FrauenLesbenbewegung – bei denen drehen muß, die sich mittel- oder unmittelbar in der Tradition der Autonomen sehen, muß sich zwangsläufig im Zuge des Endes der (Neuen) Sozialen Bewegungen um die Neubestimmung von öffentlich und privat drehen. Genau dies macht auch den Hauptgegenstand der sogenannten o.e. Vergewaltigungsdebatte aus. Das heißt, wie politisch kann das Private sein, wenn erst das Öffentliche – im Gegensatz z.B. zur alten Hausbesetzerszene – das Politikum erzeugt. Der private (symbolische) Ausbruch aus den vorgefundenen privaten Verhältnissen wie etwa bei den mutmaßlichen subversiven Jugendkulturen von einst, gehört wahrscheinlich endgültig der Vergangenheit an – zumindest aber steht so etwas auf längere Sicht nicht zur Debatte. Das heißt wiederum, alle führen im privaten ein „normales“ Leben, das inzwischen aber so individualisiert und flexibilisiert ist, daß es z.B. nicht unabdingbar das Soziale patriarchal reproduziert, sondern das Patriarchale wird – im Rahmen des überhaupt möglichen (!) – gar ausgehebelt, aufgehoben. Dagegen wird man heute erst dann politisch, wenn man sich in der Öffentlichkeit präsentiert. Deshalb muß sich auch bei der „Vergewaltigungsdebatte“ die Diskussion um die Grenzen für politische Interventionen im Privaten drehen, wenn Regelungen für noch öffentlich existente linke bzw. linksradikale Milieus, Gruppen oder Organisationen getroffen werden sollen. So z.B.: Wie weit reicht das Interventions- und Sanktionsrecht bei einer Vergewaltigung durch einen organisierten (!) Linken?
Man darf sich letztlich nichts vormachen: Die Deutungsmacht über das Private wurde endgültig verloren, das Sanktionsrecht auf die Subkultur, die jugendkulturellen Szenen auf nimmer Wiedersehen eingebüßt. Es können in diesen Bereichen höchstens Handlungsmaximen als Empfehlungen gegeben werden.
Wird diese veränderte Situation ignoriert, ist der Preis dafür die Realitätsverzerrung, die aber dazu führt, dass genau jene den Preis zahlen sollen, die den Blick für die Entwicklung nicht verloren haben. Sie werden mit aller Schärfe attackiert und sollen isoliert werden. Festzustellen bleibt nachdrücklich, dass angesichts der Agonie bzw. des schon längst eingetretenen Endes der autonomen Bewegung folgender Pradigmenwechsel gerade vonstatten geht: schon längst nicht mehr bestimmt das Soziale das Politische, sondern maximal das Politische das Soziale (als individuelle freiwillige Entscheidung).
Innerhalb der Linken muß alles auf den Prüfstand – so also auch berechtigterweise die Grundlage und die Anwendung des Definitionsrechtes selbst, ebenso wie die Sanktionierung und Repressionen gegen Vergewaltiger in linken Gruppen. Diese eigentlich einleuchtende Logik wird aber von vielen Autonomen in einer Weise attackiert, die scheinbar, zumindest auf den ersten Blick, nicht nachzuvollziehen ist. Einiges über die diesbezüglichen Hintergründe ist bereits weiter oben festgestellt worden.
Vieles Einfordern autonomer Lebensweise ist von Beginn an davon getrieben gewesen, dass die „Utopie“ im hier und Jetzt – der Gegenwart – schon im „kleinen“ gelebt werden könnte, ja müßte. Die Unverfrorenheit, mit der dabei jahrelang geglaubt worden ist, man könne sich aller Sachzwanglogik entziehen und sich gesellschaftlich abnabeln, ist von der kapitalistischen Wirklichkeit längst überholt worden.
Die Sanktionsmaßnahmen bei einer Vergewaltigung sind von ihrem historischen Zustandekommen her unabdingbar mit einer diffusen aber großen linken und pseudolinken Bewegung verknüpft, wo das Soziale, das Private und das Politische überhaupt nicht voneinander getrennt werden mußte und sollte. Diese Zeiten, wie schon mehrfach betont, sind endgültig vorbei. Praktisch überlebt aber haben z.B. die antisexistischen Repressionsmittel, obwohl der Bezugsrahmen für deren Anwendung sich kategorisch geändert hat. Als eine Form von frauenspezifischem Massenansatz (ohne Marxismus) entpuppt sich so mittlerweile der Anspruch, „Freiräume“ innerhalb linker Strukturen auch für unpolitische Frauen zu schaffen, denen dann automatisch das Recht zufällt, eine Vergewaltigung „in linken Strukturen“ öffentlich zu machen und Sanktionen einfordern zu können. Insbesondere fliegt an dieser Praxis auf, daß niemand das Recht hat, nach der Intention der mutmaßlich vergewaltigten Frau zu fragen. „Oft wird gleich zum Vorwurf übergegangen, dass Frauen dieses Recht durch Falschaussagen missbrauchen würden, um Männern eins auszuwischen. Hinter diesem Vorwurf steht wieder die sexistische Ideologie, dass Frauen lügen oder die ihnen zugestandene Macht missbrauchen würden.“(17) So moralisch abgecancelt und quasi heilig gesprochen wegen perfekter christlicher Tugendhaftigkeit (Du sollst nicht lügen und nicht missbrauchen.), trifft all jene, die nun immer noch nachhaken, die harte Frage: „Nun sag mir mal, was es einer Frau für einen Nutzen bringt, wenn sie eine Vergewaltigung öffentlich macht!?“ Abgesehen davon, dass dem Autor so viele nützliche und unnütze Dinge einfallen würden, wie es individuelle Interessen von Menschen gibt, offenbart gerade diese Fragestelltung, daß hier per se eine apolitische Gutwilligkeit der mutmasslich vergewaltigten Frau (scheinbar qua Geschlecht) vorausgesetzt wird. Diese Gutwilligkeit aber vorausszusetzen, ist genauso falsch, wie grundsätzlich zu unterstellen, Frauen würden ein Definitionsrecht immer nur „missbrauchen“. Tatsächlich aber gibt es – wie gesagt – tausend Gründe, warum eine Frau eine Vergewaltigung öffentlich macht.(18) Und, wenn, ja wenn „hinter diesem Vorwurf (...) die sexistische Ideologie“ lauert, dann kann es der Autor auch nicht ändern, denn was richtig ist, muß richtig bleiben.
Ein Mensch kann immer nur bedingt für seine Sozialisation. Das enthebt niemanden der Schuldfähigkeit, der Kritik oder macht ihn gar unangreifbar. Aber gekoppelt an den Gegenstand, den Zweck und den Adressaten muß es zwingend Differenzierungen geben. Dass ein Begriff von Objektivität nirgendwo mehr Bestand haben kann, heißt noch lange nicht, dass dadurch individuelle Subjektivität innerhalb der Linken einen Siegeszug feiert. So muß es beim Definitionsrecht um die Einigung auf allgemeine Kategorien gehen. Um es klar zu sagen, letztlich ist nicht das Definitionsrecht der betroffenen Frau (bzw. anderer) das Problem, sondern nach welchen Kriterien dieses Defintionsrecht Anwendung finden kann. Das heißt, diese Kriterien müssen linke zeitgemäße Begriffe von Gesellschaftskritik als Grundlage enthalten und als Voraussetzung kennen, um einen Begriff von Vergewaltigung entwickeln zu können. Und einen verallgemeinenderen Begriff braucht es. Der Autor behauptet gar, daß die willkürlich dehnbare Begrifflichkeit von Vergewaltigung in der Endkonsequenz eine Ungenauigkeit erzeugt, die verharmlost, weil sie die Besonderheit einer Vergewaltigung als immer noch Ausnahme im täglichen Sexualleben einer Frau – so häufig sie dennoch auch vorkommen mag – statt zum Sonderfall zum alltäglichen Standard verklärt. Das macht tatsächliche Traumatisierungen dadurch zu einer tendenziellen Farce und schürt darüberhinaus zusätzliche Ängste und befördert ein falsches Arrangement mit der Opferrolle. Geschichte und Erlebtes von den Opfern her zu schreiben, kann nur dann gelingen, wenn der Gegenstand, um den es sich dreht, ausreichend definiert ist.(19)
Das subjektiv-willkürliche Defintionsrecht gilt als Errungenschaft und wird gerade deshalb so verbissen in seiner jetzigen Form verteidigt, weil sonst gerade für die autonome Frauenbewegung nichts mehr zu holen ist. Sie ist durch die gesellschaftliche Entwicklung in ihrer Form als Bewegung zum Anachronismus geworden.
Tatsächlich gibt es eine zu erbringende Vorleistung für eine unbelastete Diskussion aller Interessenten. Diese Vorleitung ist die Kritik der Autonomen und ein gemeinsames Interesse an einer organisierten Linken – gerade auch seitens sogenannter FrauenLesbenzusammenhänge. Der Autor ist sich inzwischen sicher, daß man innerhalb der Linken in etwa fünf Jahren berechtigt verwundert fragen wird, was das für Zeiten waren, in denen ohne politische Kategorie das ausschließlich individuelle Befinden Vergewaltigung definieren konnte. (Man erinnere sich beispielsweise nur daran, wie schwer viele in der Linken von der Konstruiertheit der Nationen zu überzeugen waren – heute ist es längst usus und Grundstandard.)
(Der Autor widmet diesen Text all jenen Genossinen und Genossen, die sich für eine notwendige neue emanzipatorische Organisierung der antifaschistischen radikalen Linken entschieden haben.)

(In der nächsten Ausgabe des CEE IEH erscheint ein weiterer Beitrag des Autors zu Lust und Sexualität.)

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Fußnoten:
(1) Martha Zapata Galindo, z.Z. wissenschaftliche Assistentin am Lateinamerika-Institut der FU Berlin dazu im Arranca!-Interview (Nr.19, Spätwinter/Frühling 2000): „Die ersten AutorInnen, die auf dem wissenschaftlich-theoretischen Feld mit einem neuen Ansatz intervenierten, waren die jungen fanzösischen Strukturalisten, die nach 1968 in den Universitäten in Frankreich oder ausserhalb der akademischen Institutionen begannen, andere Wege der Human- bzw. Sozialwissenschaften und der Philosophie zu beschreiten. Autoren wie Derrida, Foucault, Deleuze, Guattari, Lyotard und Althusser sowie die feministischen Theoretikerinnen Kristeva und Irigara bezeichneten sich selbst damals natürlich nicht als DekonstruktivistInnen. Der Begriff wurde Ende de 80er Jahre in die feministischen Debatten, die in den USA geführt wurden, eingebracht. (...) Im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzungen standen die Dezentrierung des Subjektbegriffes und die Formulierung eines neuen Machtbegriffes, was zur Infragestellung des traditionellen Basis-Überbau-Denkens der hegelianisierenden marxistischen Tradition führte, auf Grund des Ökonomismus und Reduktionismus dieses Modells. (...) Die dekonstruktivistischen Ansätze brechen radikal mit der Auffassung eines entfremdeten Subjekts, die sich seit den dreissiger Jahren in Westeuropa breit gemacht hatte. (...) Während (z.B.) Althusser das Ökonomische als ein Art Bestimmung des Überbaus ‚in letzter Instanz‘ begreift und die Autonomie der Praxen und Instanzen des Überbaus betont, verabschiedet sich Focault von jeglichem ökonomischen Determinismus.“
(2) Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Gechlecht“ (Rowohlt-Verlag Reinbek 1983) versucht aus sozialistischer Perspektive innerhalb einer Klassengesellschaft die Rolle der Frauen zu verorten. Insbesondere stellt Beauvoirs heraus, daß sich Frauen gesellschaftlich immer als „das Andere“ des Mannes empfinden und ihnen so der Subjektstatus vorenthalten würde, da einzig die Männer über die gesellschaftlichen und diskursiven Ressourcen wie Besitz und Definitionsmacht verfügten.
Bezugnehmend auf die andere im Text erwähnte Subjektkonstitution antikolonialistischer Bewegungen sei auf das Standardwerk „Die Verdammten dieser Erde“ von Franz Fanon aus dem Jahre 1966 verwiesen.
Eine interessante vergleichende Kurzstudie beider Werke hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Identitätspolitik der zwei erwähnten Bewegungen findet sich in der Zeitschrift Arranca! Nummer 19/2000.
(3) Dazu heißt es z.B. bei Brunhilde Sauer-Burghard in ihrem Artikel Frauenewegung und feministische Forschung, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis Heft 53, 1999: „Auch in linken Theorien, die zum Ziel hatten, die Gesellschaft zu revolutionieren, kamen seltsamerweise Frauen als Subjekte nicht vor. Hausarbeit wurde sogar explizit in den Marx-Engelsschen Ansätzen nicht als Arbeit gedeutet. Nur als Erwerbsarbeiterinnen wurden Frauen zu revolutionären Subjekten erklärt und waren insofern mitgemeint. Das patriarchale Herrschaftsverhältnis zwischen Männern und Frauen aber galt auch bei Linken nur als privat und als auf der politischen Ebene nicht thematisierbar. Darüber hinaus sollten Frauen auch nach der Revolution weiter exklusiv für die Kindererziehung und Haushalt zuständig bleiben, weil sie angeblich von Natur besser geeignet seien als Männer. So wurde übrigens die in der DDR praktizierte Doppelrolle der Frau legitimiert.“
Friedrich Engels schrieb z.B. zum „Ursprung der Familie“ (in MEW 21, S. 158): „Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem, gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich selbst beteiligen kann und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maße in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich geworden durch die moderne große Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf großer Stufenleiter zuläßt, sondern förmlich nach ihr verlangt.“
Weiterhin soll die Darstellung der Kritik der neuen Fauenbewegung an der traditionsmarxistischen Sichtweise hier exemplarisch mit dem Zitieren einiger Passagen aus dem Text „Zur Rolle der Frau in der kapitalistischen Welt“ einer Autorin namens Eva Braun erfolgen. Der Text wurde 1973 in Heft 2-3 der damals für die Neue Linke sehr wichtigen Fankfurter Studentenzeitschrift diskus veröffentlicht. Er nimmt wiederum positiven Bezug und zitiert das „Frauenpapier“ der damaligen Frankfurter Gruppe Revolutionärer Kampf – nachfolgend mit RK gekennzeichnet: „(...) Mit keinem Wort erwähnt Engels, daß keine Kausalität zwischen großer Beteiligung an der Produktion und Verringerung der häuslichen Arbeit besteht. Mit keiner Silbe werden die gesellschaftlichen Werte und Normen, mit denen Frauen zu Frauen erzogen werden, angesprochen. (...) Frauen haben grundsätzlich Objektstatus. Sie haben gelernt, sich über den Mann zu definieren, sich nach seinen Bedürfnissen auszurichten, um überhaupt eine günstige Lebenschance zu erreichen und um Anerkennng zu finden. (...) Nur durch den Mann und nur durch die Familie ist für die Frau die Kommunikation mit anderen erreichbar. (Die) Hauptaufgabe der (Frau) heißt: ständig neue Möglichkeiten zur Reproduktion der Arbeitskraft anzubieten. ‚Der Bezug auf die Männer hat aber auch bei den Frauen zur Herausbildung einer spezifischen sozialen Sensibilität geführt. Die Fähigkeit, sich in andere Menschen und Situationen einfühlen zu können, kann in dem Sinne auch positiv bewertet werden, als sie mit der Fähigkeit zu emotionalen Kontakten überhaupt einhergeht.‘ (RK) Er (der Mann) ist auf Grund seiner Sozialisation gar nicht mehr in der Lage, die Schwierigkeiten im emotionalen Bereich zu erkennen. (...) Die Tatsache, die Fähigkeit, in sachlichen Diskussionen von sich selbst zu abstrahieren, nicht zu besitzen, läßt die Frau zum ‚Gebrauchsgegenstand‘ des Mannes werden. (...) Sie (die Frauen) identifizieren sich mit den männlichen Autoritäten, mit ihren Normen und Werten. (...) Die Unterdrückung der Frau äußert sich in der Trennung von ‚öffentlichem‘ und ‚privatem‘ Leben und der damit verbundenen totalen Isolierung im Privatbereich. (...) Die Veränderung der tradierten Frauenrolle können nur wir Frauen leisten. Dazu ist notwendig, die an männliche Normen gebundene politische Identität selbst umzuorientieren. Der Bezugsrahmen für diese Arbeit kann nur eine Frauengruppe sein. Hier sollten gegenseitige Identifikationen aufgebaut werden, um schrittweise die eigene negative Einstellung zum eigenen Geschlecht abzubauen. (...) Gleichzeitig ist das, was diesem Anspruch als verinnerlichter Zwang immer wider entgegensteht (unbedingte Sachlichkeit, vollkommene Abstraktion von der eigenen Person) mitzureflektieren und bewußt zu machen. Denn nur durch das ständige Miteinbeziehen von uns selbst, durch die Diskussion unseres Verhaltens zueinander, wird es überhaupt möglich sein, kollektives – d.h. herrschaftsfreies – Arbeiten zu erlernen. Wir müssen den Versuch unternehmen, Intellekt und Emotionalität miteinander zu verbinden. (...) Wir müssen versuchen, unsere Phantasie gegenseitig weiterzuentwickeln, in dem wir die noch unstrukturierten Gedanken anderer aufgreifen, sie damit zu unseren eigenen machen, um uns ein Stück weiter zu bringen. (...) Unter diesen Bedingungen ist eine sinnvolle Kooperation mit den Männern erstrebenswert.“
(4) So konnte beispielsweise Helke Sander in der erwähnten Rede im Herbst 1968 bei der Deligiertenkonferenz des SDS, an die anwesenden Männer adressiert, nur erzürnt feststellen: “Wir sehen, welche Bretter ihr vor dem Kopf habt, weil ihr nicht seht, daß sich ohne euer Dazutun plötzlich Leute organisieren, an die ihr überhaupt nicht gedacht habt, und zwar in einer Zahl, die ihr für den Anbruch der Morgenröte halten würdet, wenn es sich um Arbeiter handeln würde.“
(5) in: beiträge – zur feministischen theorie und praxis Heft Nr. 53/1999
(6) Dörthe Jung „Abschied zu neuen Ufern – Frauenpolitik in der Krise“, in: beiträge Heft Nr. 35/1993
(7) à la das Patriarchat oder die Männer würden zurückschlagen. Unverkennbar ist in dem Begriff ausserdem eine symptomatisch konnotierte Verschwörungstendenz angelegt (Männer untereinander im Bündnis mit böswilligen Frauen, die sich gerade mit solchen Männern einlassen würden, deren einziges Ziel die Übernahme des feministischen Diskurses durch den Mann sei. Insbesondere ruft diese Paranoia auch das vom Autor schon desöfteren erlebte Konformitätsressentiment hervor, nach welchem Frauen als „vermännlicht“ oder aus „Sicht der Männer“ denkend beschimpft werden. Diese Beleidigungen gegen Genossinnen machen nur allzu deutlich, wie sehr Identität das Denken verdrängt. Denn gegen diese tendenziell irrationale Gefühlswelt hat das sachliche Argument schon im Vorhinein verloren). In Teilen heutiger FrauenLesebenmilieus wird, angesichts eines entworfenen Untergangsszenarios, das alle als Erfolge begriffenen Entwickungen angeblich hinwegzuspülen droht, umso verhementer an dem traditionellen Separationsdiktum festgehalten, das in den beiträgen 1986 so beschrieben wurde: „Einen Schutz gegen die Vereinnahmung feministischen Denkens, feministischer Begriffe, feministischen Engagements, gibt es offensichtlich nur durch Basisanbindung, durch Verankerung in Frauenzusammenhängen“ (in: Nr. 18). Es läßt sich in diesem Sinne konstatieren, daß, umso mehr die letzten Partikel der nicht mehr existenten autonomen Frauenbewegung von der gesellschaftlichen Entwicklung zur Neubestimmung ihrer Positionen gedrängt wären, ein umso vehementerer Abwehrkampf und Stellvertreterkrieg vom Zaun gebrochen wird, dessen Ergebnis aber unwiderruflich die endgültige Reflexionsunfähigkeit bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen zur Folge haben wird.
(8) Heft Nr. 35,1993
(9) ebenda
(10) Heft Nr. 46/1997
Letztgenannte Konstellation beschreibt nach Meinung des Autors auch recht gut seine sich sozial wie politisch überlagernden Dissensen mit getrenntgeschlechtlich organisierten Frauen des Antifaschistischen Frauenblocks Leipzig (AFBL). Aus dem Anspruch, mehr sein zu wollen als ein Politgruppe, in dem Frauen im sozialen subkulturellen Milieu quasi auf Grund des Geschlechtes „dazugehören“ würden, ergibt sich ein Fischen im Trüben, wo die politische und die soziale Grenze gewollt und bewußt verschwommen bleiben soll. Symptomatisch ist daher auch, daß insbesondere auf Initiative einzelner AFBL-Frauen mehrmals schon zu einem reinen „Frauenkoordinierungtreffen“ eingeladen worden ist, bei der die einzige öffentlich wahrnehmbare Message über den Zweck des Treffens die ist, daß es sich um ein Koordinierungstreffen eben von Frauen für Frauen handele. Eine Kritik an dieser nichtssagenden und unsäglichen Einladungspraxis auf Grund der nicht zu leugnenden Tendenz, daß hier die Frau zum Wert an sich verklärt würde, durch den Autor im privaten Gespräch mit AFBL-Frauen, wurde als persönliche Beleidigung der einladenden Frauen aufgefaßt. Der Autor vertritt die Meinung, daß eine (zwanghafte) Homogenisierung zu Opfern „des“ Patriarchats, und sei es „nur“ in der Linken, scheitern muß, weil die soziale Realität von Frauen trotz patriarchaler Realitätsebenen längst als ausdifferenziert genug gelten kann (z.B. Elternhäuser/Familie, Schulen, Milieus, Freundeskreise, politischer Organisierungsgrad oder auch Erwerbstätigkeit).
In derselben Ausgabe des CEE IEH, in dem auch dieser Text veröffentlicht wird, erklärt der AFBL in dem Papier „Es gibt tausend gute Gründe“ anläßlich einer Veranstaltungsreihe ausschließlich für Frauen seinen Ansatz. Der Autor möchte mit ein paar Worten darauf Bezug nehmen.
Zuvorderst soll hier die These aufgestellt werden, daß die eigentlichen Adressaten jeglicher Geschlechterseparierung - wider „besserer“ Beteuerungen -, immer „die“ Männer und nicht etwa „die“ Frauen sind. Dieses von Beginn an verdrängte psychosoziale Problem wird intensiv auf die Frau-an-sich projiziert. Demzufolge geht es letztlich gar nicht um „die“ Frau – wie auch -, sondern einzig und allein um das Verhältnis zum Mann, das durch die unbedingte Festschreibung seiner gesellschaftlichen Omnipräsenz bzw. -potenz erst ihre identitätsstiftende Funktion erfährt. Aus dieser Konstellation ergibt sich ein gestörtes Verhältnis zum „eigenen“ Geschlecht, das somit eben nicht „schlecht“, sondern per se „gut“ sei. Die Separierung, der Zusammenschluss in eingeschlechtlichen Gruppen, ist sicherlich eine Reaktion auf das Erlebte, auf die Alltagserfahrung. Doch diese Alltagserfahrung ist nicht wertneutral, sondern entsprechend vorbelastet. Insofern sind die Reaktionen auf die Erfahrungen als bewußte zu begreifen, die gerade den Einflüssen herumgeisternder Theorie und Praxis aus Jahrzehnten Frauenbeweung unterlegen sind. Auf deren Ideologeme, Aktionen und Praxis greift man gern dann zurück. Die scheinbar unendliche Suche nach dem Wesen des Subjektes Frau, ist ein Unterfangen, das logischerweise scheitern muß, weil es immer die Bestrebung enthält, das Patriarchale so auszublenden – also fast die gesamte Menschheitsentwicklung -, daß ein abgekoppeltes Etwas im Vakuum konstruiert wird, das mit wahren gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht nur nichts zu tun haben will, sondern auch gleich das Scheitern in der Messung am wirklichen Leben impliziert. Das angeblich Nichtpatriarchale einer „geläuterten“ Frau gerät so recht schnell zu einer Art zweiten Natur (Marx).
Frauenseparierung ist auch immer von der Angst getrieben, von einer Linken als Nebenwiderspruch, als „Frauenfrage“ des traditionellen M/L behandelt zu werden. Die Geschichte der Linken spricht leider dafür, daß feministische Positionen gegenüber linken Theorien notorische Skepsis haben sollten.
Es läßt sich feststellen, daß die Verantaltungsreihe des AFBL auf einen überdünkten Boden frauenbewegter historischer Praxis fällt, bei der der offensichtliche Versuch eines Spagats aus 80er Praxis und 90er Theorie von vornherein auf einem schwerbelasteten Terrain stattfindet. Nach Meinung des Autors hat die Geschichte der Frauenbewegung bewiesen, daß der Kampf um den Freiraum für das „eigene Geschlecht“ (logischeweise) innerhalb der Gesellschaft schneller als gedacht zum identitätsvernebelten Ressentiment gerät, weil nur ihm der als notwendig empfundene Irrglaube an die antipatriarchale Autarkie innewohnt. Der Auschluß qua Geschlecht ist somit immer nur anfänglich eine mögliche Lösung – verkehrt sich aber unversehens eigendynamisch absolut zum Problem, sobald sich erste Anzeichen von Erfolgen einstellen (Daß sich in Leipziger linken Antifa-Gruppen – und nur dort, nicht aber in der angeblich linken, in Wirklichkeit aber nicht-linken Subkultur! – mit etlicher Verspätung mit Sexismus auseinandergesetzt wird und Patriarchatsdiskussionen geführt werden, ist nicht zufällig – wenn auch nicht ausschließlich - auf Initiative und Intervention des AFBL zurückzuführen. Dieser Erfolg des AFBL führte auch in Leipzig zu einer veränderten Situation, die andere Konsequenzen notwendig macht als vordem.), das nicht linke Emanzipation fördert, sondern Abnabelung von einer Linken, die logischerweise immer nur bedingt besser sein kann als die Verhältnisse, in der sie existiert – ob sie will oder nicht. Somit löst sich der vielleicht anfängliche emanzipatorische Gehalt quasi von selbst auf, in dem an die Stelle des Emanzipatorischen pure Identitätshuberei statt emanzipatorischer Identitätskritik tritt und damit die einzig und allein erstrebenswerte geschlechterkillende linke Gesellschaftsoption aufgegeben wird. Der AFBL glaubt scheinbar fest daran, gerade in Leipzig das Fahrrad neu erfinden zu müssen, weil man angeblich „um jeden Qudratmillimeter Raum kämpfen, (...) begründen, diskutieren, argumentieren“ müßte. Jene halluzinierte Opferrolle basiert auf der sozialpsychologischen Gruppendynamik, entgegen der eigenen Beteuerungen, hoffentlich das Erkennen der „Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit Sexismus meist nur von Frauen“ auf längere Sicht zur Ausprägung größtmöglicher kollektiver Identität festschreiben zu können. Weil, wie es heißt, „patriarchale Gesellschaftsstrukturen“ überraschenderweise tatsächlich in noch stärkerem Maße die Gesellschaft durchziehen – wer hätte das gedacht –, legt die Folgerichtigkeit diese Ansatzes als Legitimation der Verantaltungsreihe den weiterführenden Vorschlag nahe, doch die gesamte Gesellschaft geschlechtersepariert zu gestalten. Als weiteren Grund für die Geschlechtertrennung werden „u.a. strukturelle Hierarchien zwischen Männern und Frauen“ in den pop- bzw. jugendkultrellen Milieus Leipzigs angeführt, die auf Grund notorischer Begriffsungenauigkeit durch den nichtssagenden Terminus „Szene“ extra-nebulös gehalten werden. Nach Meinung des Autors verlaufen diese Hierarchien jedoch nicht zwangsläufig und ausschließlich zwischen Männern und Frauen, sondern viel öfter als gedacht zwischen sozialisationsbedingten individuellen Rollen, in denen sich jeweils gefallen wird. Die oftmaIs, und im starken Maße auch hier zur Ideologie erhobene Empirie – also die rein individuell-subjektive Erfahrung – von „männlichen“ und „weiblichen“ Adjektiven wird auch nicht dadurch zur Wahrheit, dass sie zur Schaffung einer Identiätskonstruktion von „Mann“ und „Frau“ dient. Die Empirie ersetzt dann tendenziell das Denken. Insofern ist der grundsätzlich richtige Ansatz, die Kategorie Frau als analytischen Begriff „zur Erforschung gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse“ solange als Instrument einzusetzen, wie „ein soziales Ungleichheitsverhältnis und immer auch ein potentielles Gewaltverhältnis“ zu existieren scheint, einer Pflicht zur Begriffsgenauigkeit bei der Beschreibung des jeweiligen Gegenstandes unterlegen. Diese zwangsläufig notwendige Konkretion ergibt sich aus dem Zweck, daß der AFBL nach eigenem Bekunden auf eine, wenn auch unbestimmte nebulöse Binnenwirkung (hier „Szene“ genannt) und nicht auf eine allgemeine, abstrahiertere Außenwirkung abzielt (z.B. „die Linke“ oder “die Gesellschaft”). Es bleibt ausserdem festzustellen, daß, wenn überhaupt, ein Zusammenschluß in getrenntgeschlechtlichen Gruppen nur dann Sinn macht, wenn der Kontext und der Rahmen geklärt sind, innerhalb welcher eine Frauen- oder Männergruppe agiert (“linke Szene” als Begriff von alles und nichts reicht da, insbeondere geschichtlich und gesellschaftlich betrachtet, schon seit Ende der 80er nicht mehr!). Ohne konkrete Andockung, ohne strukturelle Einbindung in ein konkretes Ganzes (z.B. einer Organisation) macht der Zusamenschluß für ein linke Binennwirkung (was hier nur organisierte, koninuierlich und verbindlich existente linke Gruppen meinen kann!) keinen Sinn. Insofern hat jede eingeschlechtliche linke Gruppe die verdammte Pflicht, den Zweck, den Adressaten ihres Agierens konkret zu bestimmen. Wenn Linksradikalismus die „Gleichzeitigkeit von Möglichem und Unmöglichem“ (Günther Jacob) ist, dann ist, um das Mögliche greifbar zu machen, der Kontext, in dem das Mögliche mögliche werden soll, so genau wie möglich zu bestimmen. Darüberhinaus aber hebelt innerhalb dieses Rahmens das Mögliche das Unmögliche nicht aus. Das positive Rekurrieren des Autors auf das zugegebene gepflegte intrumentelle Verhältnis zur Kategorie Frau seitens des AFBL offenbart im Kontext der (noch) existenten FrauenLesebenmilieus aber gleichzeitig, um wieviele Meilen der AFBL den meisten links-autonomen sogenannten FrauenLesbenzusammenhängen voraus ist, deren Theorieabstinenz in mehreren Fällen schon zu einer Abstinenz des Denkens überhaupt geführt hat. Es wäre einzig und allein richtig und verantwortungsvoll, eine Positionsbestimmung in der Richtung vorzunehmen, daß die feministische Grundposition entweder beim Stand des Dekonstruktivismus angekommen ist, oder aber, wenn nicht, dann nicht mehr feministisch relevant ist. (Dabei allerdings müßte bedacht werden, daß dekonstruktivistischer Feminismus immer nur ein Reformmodell innerhalb des Kapitalismus sein kann und eine wirklich optional überwindende Gesellschaftskritik eben die Kritik der politischen Ökonomie, ihrer totalen Warenförmigkeit als Wertvergesellschaftung notwendig macht.) Wer den Dekonstruktivismus für sich reklamiert, kann sich – in neuer Qualität wohlgemerkt – nur noch um sich selbst kümmern. Die entscheidende zu klärende Frage dabei aber ist, was dieses Selbst sein soll. Ist es Frau, ist es links? Linke, also auch linksradikale Feministinnen – so sie sich denn selbst so sähen -, müssen endlich begreifen, daß die Suche nach dem historischen Subjekt - also auch das der Frau – ein für alle mal vom Tisch ist. Deshalb hat sich jede linke Frau die Frage zu stellen: linke Organisierung oder Frauenorganisierung? Das eine schließt mittelfristig (nicht kurzfristig!) unter der Anerkennung des abhanden gekommenen historischen Subjekts letztlich das andere aus! Eine notwendige ernsthafte Debatte über diese Frage steht bis heute aus. In Abwandlung einer Polemik von Jürgen Elsässer („deutsch oder Mensch“) stellt sich durchaus die Frage, Links oder Frau (bzw. Mann). Nach Meinung des Autors haben diejenigen Linken bereits praktisch und theoretisch verloren, die sich nicht radikal davor hüten, das Frau- oder Mann-Sein auch nur zu irgendeinem Wert zu verklären – und sei es auch nur ein klitzkleiner, als unbedeutend empfundener.
Da auch der AFBL scheinbar unwillens ist, einigen „FrauenLesben-Zusämmenhängen“ die zweifelhafte Solidarität aufzukündigen und lieber noch den allergößten Blödsinn deshalb legitmiert, weil er von „FrauenLesbenzusammenhängen“, also solchen wie „wir“ verzapft wurde, ergibt sich so eine Atmosphäre, in der Kritik daran von blinder Identitätssolidarität abgewehrt wird. Die Sprecherposition eines Mannes z.B. gerät dadurch folgerichtig immer in die Rolle des potentiellen Angreifers, der ja nur „alles kaputtmachen“ wolle und verhindern will. Seine Position ist damit dem Automatismus ausgesetzt, als eine „Kritik der zweiten Klasse“ bewertet zu werden. Der Autor ist im übrigen der Meinung, daß der überwiegende Rest der noch existenten sogenannten autonomen FrauenLesbenzusammenhänge nicht die Klärung der Linken zu feministischen Positionen befördert, sondern sie blockiert und regelrecht verhindert.
Es ist nicht verwunderlich, daß der AFBL in dem Papier „Es gibt tausend gute Gründe“ die Meinung vertritt, es würden in Leipzig „Paranoia und Verschwörungstheorien nicht (nur) gegen den Staat, sondern besonders gegen Frauen gehegt und in Umlauf gebracht“. Abgesehen einmal von der bravourösen Freudschen Fehlleistung, zwar AFBL zu meinen, doch „Frauen“ zu schreiben, gibt der Autor zu bedenken, dass nach seiner Einschätzung gerade diejenigen – ob nun Männlein oder Weiblein – blinder Frauensolidarität als Ersatz für eigenes Denken huldigen, die gegen „Staat und Bullen“ auch nur die Waffe der Verschwörungstheorie zücken können. Interessant wäre tatsächlich einmal, den Zusammenhang eines links-traditionell dichotomen Weltbildes von „Oben“ und „Unten“, „Herrschern und Beherrschten“ und blindlings geäußerter Frauensolidarität, basierend auf der angenommenen gesellschaftlichen Allmacht „des“ Patriarchats zu untersuchen.
AFBL schreibt weiter: „Wenn sexistische Strukturen nicht aktiv angegriffen werden, wird sich nichts an ihnen ändern. Ein Weg, dies zu erreichen, ist für uns, Frauen die Möglichkeit zu geben, sich politisch auseinanderzusetzen, Inhalte zu diskutieren in einem Rahmen, der eine Machtvariable, das Geschlechterverhältnis, außen vor läßt. Nicht nur können Frauen bei Frauenveranstaltungen den Unterschied überhaupt erstmal bemerken, sie werden ebenso in die Pflicht genommen, kein Typ wird die erste Frage stellen, keiner die Diskussion an sich reißen oder vorantreiben, keiner mehr oder weniger posige Analysen darstellen.“ Deutlich läßt sich hier ablesen, daß AFBL eine selten geschichtlose Gruppe zu sein scheint, die unter Umständen, das sei jetzt unterstellt, gar die Irrungen und Wirrungen der Geschlechterseparierungen noch zum historischen Erfolg umzumünzen in der Lage ist.
Wenn dieser beschriebene „Weg“ es wirklich ermöglichen sollte, daß sich „Frauen (...) politisch auseinandersetzen“ (was immer das auch heißen mag), was, gelinde gesagt, stark bezweifelt werden kann, so wird der Preis dieser Auseinandersetzung eine realitätsverzerrte Rezeption möglichen politischen Engagements sein, die sich dem Irrglaube hingibt, das Gute im Schlechten zu verkörpern. Die daraus folgende politische Sozialisation stärkt nicht etwa das individuelle politische Selbstbewußtsein von Neueinsteigerinnen, nein, es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Anfang vom Ende emanzipatorischem Links-Seins, weil die Bedingungen bzw. Vorbedinungen, wo der eigentliche Zweck formuliert wird, eben gerade die sind, „sexistische Strukturen aktiv anzugreifen“. (Zum Verständnis sei insbesondere der historische Abriss im Text des Autoren empfohlen.)
Das Motiv, einen „Rahmen“ zu schaffen, „der eine Machtvariabel, das hierarchische Geschlechterverhältnis, außen vor läßt“, läßt durchaus den Schluß zu, daß dort „das“ Andere, „der Unterschied“ vorzufinden sei, wo die kollektive Aura „stimme“. Geht man davon aus, daß „das Andere“ in aller Regel eine Projektionsleistung vom „eigentlichen“ aus voraussetzt, und das mutmaßliche „Unbehagen“ durch Annahme der Opferrolle bei gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen (die in aller Regel aber männerdominiert sind) durch „die“ Frauen durchaus zur politischen Kategorie erhoben wird, dann ist der Gegensatz von unbehaglich, Behaglichkeit. Diese aber, begriffen über die krude Selbstaffirmation der ideologisierten Kategorie Frau als Opfer patriachaler Menschheitsgeschichte, impliziert automatisch das harmonisierte Miteinander, das, wie im Text des Autors belegt ist (siehe Fußnote 3, Auszüge aus dem Text „Zur Rolle der Frau in der kapitalistischen Welt“), zu den Mythen der neuen Frauenbewegung überhaupt zählt. Allein aus dieser historischen Herleitung und nicht etwa aus der subjektiven „männlichen“ Betrachtung von Frau X und Frau Z, entspringt die Skepsis des Autors. (Darüberhinaus vertritt der Autor ohnehin die Position, daß in politischen Gruppen, in denen man sich „wohlfühlen“ kann, grundsätzlich etwas schief läuft. Gerade in der Krise der Linken – und bei weitem nicht nur in der Krise – kann und muß der Maßstab sein: Wenn der Gruppenkonsens darin besteht, daß sich der überwiegende Teil in der Gruppe „wohlfühlt“, es „Spaß“ macht, läuft garantiert etwas schief. Grundlage jeder dringenden produktiven Kritik ist demnach die Unzufriedenheit und nicht die Harmoniesucht!) Wenn der AFBL in seinem Papier immer wieder betont, wie wichtig doch die Erfahrung für eine Frau wäre, daß „kein Typ die erste Frage (stellt), keiner die Diskussion an sich reißen oder vorantreiben, keiner mehr oder weniger schlaue oder posige Analysen vorstellen“ kann, dann läßt sich das durchaus auf die Frage zuspitzen, ob diese Sichtweise, hervorgerufen durch einen Glauben an die Allmacht der patriarchalen Herrschaftsverhältnisse und dem damit einhergehenden suggestiven Sendungsbewußtsein „geläuterter“ und so politisierter Frauen, überhaupt noch tendenziell (!) in der Lage ist, andere Frauen als vollwertige individuelle Wesen, zur bewußten Entscheidung fähig, ernst zu nehmen. In der Lesart des AFBL scheinen das Stellen der ersten Frage, das An-sich-Reißen und Vorantreiben einer Diskussion, schlaue (sic!) oder posige Analysen innerhalb gemischtgechlechtlicher Veranstaltungen, Plenas, Treffen etc. zu rein männlichen Eigenschaften verkommen zu sein. Dem Autor blieb dies bisher verborgen. Seiner Wahrnehmung nach erfüllen diese zugeschriebenen Klischees von angenommenen hundert Männern vielleicht allen Ernstes zwei. Die aus dieser Realität abzuleitende Zuschreibung als männlich erschließt sich dem Atuor nicht mal im Ansatz, zumal er auch noch von der Neugierde geplagt ist, was es denn dann im beschriebenen Fall mit den anderen 98 anwesenden Männern wohl auf sich hat. Darüberhinaus bleibt festzustellen, das Posing ja wohl ein legitimes Mittel der Selbstinszenierung sein muß, um in dieser Gesellschaft nicht unterzugehen. Frauen dieses Instrumentarium madig zu machen, grenzt da schon an Beihilfe zur Lebensunfähigkeit. Ebenso bleibt zu fragen, wie es sich mit rhetorischen Fähigkeiten und dominanter Mentalität verhält.
Der AFBL stellt abschließend fest, daß davon auszugehen ist, daß seine „Veranstaltungsreihe oder Frauengruppen eine Erweiterung der linken Szene darstellen (würden), von der am Ende nur profitiert werden“ könnte. Dazu ist festzustellen, daß es gegenwärtig bis auf weiteres nicht die Aufgabe der Linken sein darf und kann, eine „Erweiterung“, der Linken zu verzapfen. Es kann und muß um eine qualitative Verengung gehen. Die Zeit, in der sich jeder Trottel mir nichts – dir nichts links schimpfen konnte, muß bis auf weiteres vorbei sein. Ohne die permanente Betonung der Neuorganisierung, nicht zuletzt notwendig geworden durch das endgültige Scheitern der autonomen Bewegung – inklusive der Frauenbewegung –, wird sich nicht notwendigerweise die Spreu vom Weizen trennen, sondern alle in ihrem altbewährten Trott weitermachen. Die Pflicht zur geschichtlichen Analyse und zum Geschichtsbezug, wobei man sich dabei notwendigerweise als Subjekt, als Teil dieser Geschichte, in der Tradition stehend, begreifen muß, sollte dabei zur Meßlatte für all jene werden, die ein wirkliches Interesse an der Weiterentwicklung einer – sagen wir – neuen Neuen Linken haben.
(11) Festzustellen ist aber, daß ein Loslösung von der Linken schon immer in der Neuen Frauenbewegung angelegt war. Somit ist die getrennte Wahrnehmung der dekonstruktivistischen Theorien von der Linken eine Art Nebenprodukt als Ausweg aus der untergangenen neuen Frauenbewegung.
Hier eine kurze Begriffseinführung in die (geschlechtstheoretischen) Eckpunkte der Theorien – hier von Dorit Heinsohn aus ihrem Text „Feministische Naturwissenschaftskritik – eine Einführung“ übernommen (entnommen der Zeitschrift Forum Wissenschaft Nr. 02/1999): „Die Analysekategorie ‚Frauen‘ und die Analysekategorie ‚Geschlecht‘ sind nicht gleichzusetzen; ‚Geschlecht‘ ist eine Analysekategorie für alle sozialen AkteurInnen, nicht allein für Frauen. Die Kategorie ‚Geschlecht‘ umfaßt Geschlechterverhältnisse wie das System der Heterosexualität. Im Begriff der Geschlechterforschung sind sowohl Studien über Konzeptionen von Weiblichkeit als auch Studien über Konzeptionen von Männlichkeit und das Erhältnis, in dem beide zueinander stehen, gefaßt. Der Begriff ‚Geschlecht‘ verweist außerdem auf Geschlecht als soziale Strukturkategorie und wendet sich gegen biologistisch-deterministische Bestimmungen. In den 70er und 80er Jahren wurde mit dem ‚Sex/Gender‘-Modell zwischen einem biologistischem Geschlecht (Sex) und einem sozialen Geschlecht (Gender) unterschieden. In den feministischen Debatten der 90er Jahre wurde diese Unterscheidung reflektiert du an der Angemessenheit gezweifelt, eine definierbare Grenze zwischen einem außergesellschaftlichen biologischen Geschlecht und einem sozial hergestellten Geschlecht zu behaupten. Seitdem dominiert in feministischen Diskussionen der Begriff ‚Gender‘, und es erweist sich nicht mehr als Nachteil, daß es im Deutschen kein Pendant zu dem englischen Begriffspaar ‚Sex/Gender‘ gibt. Der Begriff ‚Geschlecht‘ ist ausreichend und angemessen.“ Unter diesen Prämissen stellt sich nicht nur für Dorit Heinsohn die entscheidende Frage: „Verlieren wir durch sozialkonstruktivistische Kritik die Möglichkeit, darüber zu urteilen, welches Wissen das ‚bessere‘ ist, da ja alles Wissen ohne Ausnahme konstruiert ist?“
Hier noch einige kurze Anmerkungen zum einzigsten Popstar des Feminismus, zu Judith Butler. Butler kritsiert u.a. an der feministischen Identitätspolitik die Verstrickung in Logik und Politik in das, was eigentlich bekämpft werden soll. Von einem unbelasteten und unhistorischen Subjekt auszugehen, auf das feministische Theorie und Politik zurückgreift, wiederhole den Fehler patriarchaler Subjektkonstitution, denn Subjeke seien stets durch Ausschlussverfahren und Zwangshomogenisierung hergestellt worden. Der Feminismus seinerseits befinde sich in dem Dilemma, dass er das Ausschließende abschaffen will, anderseits aber auch die Subjektwerdung zum Ziel hat. Butlers Kritik an der Kategorie ‚Frau‘ zielt aber nicht darauf ab, sich von de Kategorie gänzlich zu verabschieden, sondern strebt danach, die Ausschlüsse, die diese Kategorie mit sich bringt, zu hinterfragen, und die Kategorie aus ihrer Ausschließlichkeit herauszuführen.
Zur weiteren kurzen Erläuterung der Theorien sei auf das Papier „Es gibt tausend gute Gründe“ des Antifaschistischen Frauenblocks Leipzig (AFBL) hier im CEE IEH verwiesen und auf die erste Fußnote dieses Textes.
(12) Nr. 02/ 2 000
(13) In einer ergänzenden Bemerkung schreiben Stötzel/Reiner: „Einen irritierenden Blickwinkel brachte diesbezüglich Frigga Haug (eine marxistische Feministin – R.) in die Debatte, in dem sie darauf aufmerksam machte, dass einige der inzwischen klassischen Forderungen der Frauenbewegung von Neoliberalen implizit aufgenommen und ‚unser‘ Terrain auf diese Weise neu bsetzt wurde: Vor allem die feministische Kritik am Arbeitsbegriff erlebte eine ‚feindliche Übernahme‘ in diversen Zukunftsberichten wie dem der Bayern-Sachsen-Kommission. Die Betonung der produktiven sowie kreativen Aspekte von Haus-, Nachbarschafts- und Eigenarbeit zielt hier nicht auf Anerkennung der traditionell bisher von Frauen erbrachten unbezahlten Arbeit, sondern dient in erster Linie der psychologischen Entlastung des Arbeitsmarktes und versucht diejenigen mit ‚Bürgerarbeit‘ zu befrieden, für die der Markt weder Auskommen noch Anerkennung garantieren kann. Ebenso – wenn vermutlich auch unfreiwillig – beschleunigt der Neoliberalisms durch seinen Leitungs- und Flexibilisierungswahn die Auflösung der (Klein-)Familie, die Feministinnen seit den 70er Jahren als Ort der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht ins Visier nahmen: Wer auf dem Markt mithalten will, kann sich nicht binden, nicht mit einer festen PartnerInnenschaft und schon gar nicht mit Kindern. Durch diese Entwicklungen gewinnt die Kleinfamilie für einige schon wieder an Attraktivität als Rückzugsort im gnadenlosen Konkurrenzkampf.“
(14) Der gegenwärtige Diskussionsstand muß nach Meinung des Autors folgendes innerhalb der Linken nach sich ziehen: Nach dem es in der ernstzunehmenden Linken usus ist, daß Patriarchat und Rassismus auch ohne Kapitalismus weiter existent wären, drängt sich nur folgerichtig aus der ersichtlichen Entwicklung der gegenwärtigen sozioökonomischen Prozesse die Frage auf, ob der Kapitalismus auch ohne Patriarchat und Rassismus funktionieren kann, vielmehr beides nur konstruierte Instrumentarien zur Aufrechterhaltung der kapitalistisch notwendigen Konkurrenzsituation sein könnten. Dabei geht es nicht um die Renaissance alter M/L-Lehre, sondern um den Erkenntnisgewinn, daß die „Marxsche Kritik der politischen Ökonomie wesentlich als eine Kritik von Wert und Ware und, damit notwendig verbunden, von Arbeit als dem strukturierenden und basalen Moment kapitalistischer Vergesellschaftung“ (Norbert Trenkle) zu begreifen ist.
Hinsichtlich eines wertkritischen feministischen Ansatzes sei der Text von Roswitha Scholz, „Der Wert ist der Mann – Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis“ aus der Krisis Nr. 12/1992 empfohlen.
Darüberhinus stellt die Frage nach dem Zusammenhang von Patriarchat und Kapitalismus tatsächlich eine der Kernfragen der Linken und ein „immer noch ungelöstes Problem“ (Roswitha Scholz) dar. Dennoch oder gerade deshalb bestreitet der Autor, daß sich das patriarchale System im Kapitalismus erstens endlos transformieren kann und zweitens sich dadurch permanent reproduzieren würde, wie es z.B. auch in CEE IEH Nr. 60/1999 von einem unbekannten Autor oder einer unbekannten Autorin in dem Artikel „Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen oder vom naiven Verkennen des Widerspruchs zwischen bewußt artikuliertem Veränderungswillen und der alltäglich praktizierten Regenerationspolitik patriachaler Strukturen innerhalb linker Zusammenhänge“ behauptet wird. Dort heißt es: „Dieses System, flexibel und historisch stark veränderbar, nimmt Widersprüche, die das tradierte Geschlechterverhältnis angriffen, in sich auf und integriert sie als neuen Baustein in das Bild des hegemonialen männlichen Souveräns (...). Es zeigt sich also die ständige Flexibilität des patriarchalen Systems, das durch kapitalistische Krisen zu einer Vervielfältigung männlicher Positionen, nicht aber zu deren prinzipieller Entmächtigung und Aufhebung hegemonialer Männlichkeit führt, da die Einverleibung der Widersprüche immer auf Abgrenzung zum ‚anderen Geschlecht‘, zur Frau, basiert. Die Pluralisierung von Männlichkeiten stellen tatsächlich die hohe Flexibilität und Erneuerungskraft patriarchaler Herschaftsverhältnisse dar, statt Anzeichen ihrer gestörten Funktion zu sein.“
(15) Insbesondere meint das den Streit der autonomen Szene mit der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) wegen des Vergewaltigungsvorwurfes gegenüber einem vermutlich ehemaligen Mitglied der AAB. Rein an der Faktenlage orientiert, wird hier offensichtlich, wie eine autonome Szene versucht, den Streit zur eigenen Profilierung zu nutzen – besonders auffällig gerade dadurch, daß es ein inflationäres ungefragtes Leugnen dieser Tatsache gibt. Die mit Abstand erfolgreichste und größte linksradikale Gruppe, gerade auch im Hinblick auf emanzipatorische Strukturen, dient so einigen sogenannten autonomen Zusammenhängen als integratives Abgrenzungsmodell. Einige kommmentieren die Situation in Berlin gar spöttisch so, daß es nur dem Erfolg und der Existenz der AAB zu verdanken ist, daß es noch eine einigermaßen funktionieende Autonomren-Szene in Berlin gibt. Mit dieser These konfrontiert, bricht die dortige Szene immer in Hysterie aus.
(16) Das ist natürlich nicht so zu interpretieren, daß Linke vom Himmel fallen. Empfohlen sei deshalb der Text „Der Hase im Pfeffer – können Linke, sobald sie ich links schimpfen, automatisch antisexistisch und antipatriarchal sein?“ in CEE IEH Nr. 66/2000
(17) aus: Klarofix – das Leipziger Zeckenmagazin Nr. 07/2000. Mit einem „Positionspapier zum Umgang mit Vergewaltigungen“ hat die Herausgebergruppe des Klarofix, die Druck-Gruppe, ein Pamphlet abgeliefert, das mit einer gesellschaftskritischen Sicht, insbesondere mit einer linken, nur bedingt zu tun hat. Schon die Einleitung, „Der folgende Text beschreibt Frauen als Opfer von Männergewalt“ (sic!) offenbart, hier zwar als Lapsus, die reduktionistische verengte Sichtweise der Druck-Gruppe auf das Thema. „Frauen als Opfer“, um mehr als Message scheint es dabei gar nicht zu gehen. Nostalgisch-traditionalistische Romantik pur perlt aus den Zeilen, wenn es heißt, man wolle „sich weitestgehend auf gemischtgeschlechtliche Zusammenhänge, Gruppen, Bekanntenkreise mit links-emanzipativen Anspruch“ beziehen. Diese - Achtung, autonomes Zauberwort – „Zusammenhänge“, stellten „zumindest einen kleinen Lebensbereich dar, in dem eigene Prinzipien aufgestellt und gelebt werden können.“ Die kleinkarierte dichotome Weltsicht offenbart sich, als der Versuch losbricht, bezüglich von Vergewaltigung „verschiedene Ideologien“ aufzuführen. Und genau zwei gibt es da, (und mehr nicht), verrät uns Druck. Geht man also „von der Sicht der vergewaltigten Frau aus und betrachtet (...) Frauen, auch vergewaltigte, als verantwortungsbewußte, urteilsfähige und selbstbewußte Menschen, oder (wird) die Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit von Frauen wieder den Interessen von Männern (der) Betrachtungsweise zu Grunde gelegt.“ Merke: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Bei dieser schier unglaublich einfach gestrickten Weltsicht ist das Scheitern an der kapitalistischen Wirklichkeit vorprogrammiert – in guter alter autonomer Tradition. Der gute Mensch hier – der böse Mensch und seine Welt da. In ein paar Jahren werden die Verfasser dieser Zeilen nur noch stammeln, dass alles „so schlimm und kompliziert“ sei. Man kennt das zur Genüge, weil deren idealtypisches Denkschema sich permanent dagegen sträubt, sich an der Realität auszurichten.
Und es folgt gleich der nächste Hammer: „(...) Was an der ‚Vergewaltigungsdiskussion‘“ fehlen würde, seien „die Interessen von Frauen“. Nun, das Problem jeder halbwegs politischen Diskussion, und das sei selbst denen zugestanden, denen bei der Beteligung an der sogenannten Vergewaltigungsdebatte das Denken am schwersten zu fallen scheint, ist ja wohl, dass zumindest immer der Versuch unternommen wird, vom Konkreten zu abstrahieren. Wenn bei dieser Abstraktionsleistung für die Autoren die „Interessen der Frauen“ – was immer das auch sein mag – nicht berücksichtigt sind, dann liegt es wohl eher daran, daß sich die Druck-Gruppe mal ein paar mehr Gedanken zum Begriff des Politischen machen sollte. Es steht ernstlich zu vermuten, daß das, was dort unter „Interessen von Frauen“ gefaßt wird, wohl weniger in die Zuständigkeit von politischen linken Gruppen denn der Caritas, der Heilsarmee oder von Selbsthilefgruppen fällt. Unisono mit der Vereinigung des Weissen Ring e.V., dem Verein zur Hilfe für Opfer von Kriminalität – vermulich von dort stammt übrigens auch der unsägliche Terminus Täterschutz (kein Witz!) – wird auch in jenes Horn getrötet, dass sich immer niemand um die Opfer kümmern würde, sondern bloß alle um die Täter – die alte Leier jedes Stammtisches: „Wenn sich nur ein Bruchteil der Gedanken, die sich um die Situation des Täters gemacht werden, um die der Frau drehen würden, wäre schon ein riesiger Schritt getan.“
„Darüber hinaus“, so Druck weiter, seien „alle Frauen potentielle Opfer von Vergewaltigung.“ Dieser gleichmacherische, soziale Unterschiede und Lebensumfelder leugnende Homogenierungsversuch ist weiter oben im Text mehrfach kritisiert und widerlegt worden. Trotzdem gibt es auch tolle Sätze, die durchschimmern lassen, dass auch die Druck-Gruppe sich noch nicht gänzlich von dem Paradigma der Frau als individuelles plurales menschliches gesellschaftliches Wesen verabschiedet hat: „Frauen entwickeln ganz unterschiedliche Strategien und Umgehensweisen mit der Angst.“ Wer hätte das gedacht, scheinbar geht es da den Menschen wie den Leuten.
„Vergewaltigung“ sei, so heißt es weiter, „unabhängig vom einzelnen Täter ein strukturelles Machtmittel, um Frauen zu unterdrücken.“ Wer aber, so stellt sich die Frage, setzt dieses „strukturelle Machtmittel“ in der Linken, „unabhängig vom einzelnen Täter“ ein? Die AAB vielleicht?
Dass Druck mit linken Grundsätzen nicht viel am Hut zu haben scheint, offenbaren die folgenden Zeilen: Keine Frage, natürlich braucht es keine „objektive, allgemeingültige Definition von Vergewaltigung“. Denn, „es (braucht) es sie nicht zugeben, da diese ‚objektive‘ Definition von Vergewaltigung nur wieder den Zweck hätte, Dritten eine Richtlinie, die es ihnen erlaubte, die Tat als wirkliche Vergewaltigung zu bewerten oder als nicht so schlimm abzutun.“ Es tut dem Autor leid, darauf verweisen zu müssen, dass die Linke schon immer u. a. „den Zweck hatte, Dritten eine Richtlinie vorzugeben“. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Daß dabei allerdings einiges schief gelaufen ist, beweist die Druck-Gruppe zwar bravourös, steht aber auf einem anderen Blatt. Vergewaltigung, so weiß auch Druck, „wird von jeder Frau anders empfunden“. Aber was ficht es unsere Helden an, daß das ja bedeutet, daß dieselbe Situation in 99 von hundert Fällen keine Vergewaltigung bedeuten muß, in einem Fall aber ja. Und das, wo der Mann, der in allen 99 Fällen beteiligt war, bis dahin nichts als falsch empfunden hat. Aber, du blöder Schwanzträger, der du eh nur mit dem Ding zwischen deinen Beinen denken kannst, Pech gehabt, denn Druck spricht Recht: „Jeder Mensch hat eine gewisse Grundvorstellung von Vergewaltigung (...). Diese Grundvorstellung ist nicht für alle Zeiten starr festgelegt, sondern veränderbar (...).“ Tja Macker, so läuft das!
Wie schlimm alles wirklich ist, auch darüber klärt uns der Text natürlich auf: „Nicht jede From sexualisierter Gewalt wird wirklich als Vergewaltigung, als das Schlimmste empfunden, denn sonst könnte keine Frau in einer von Sexismus geprägten Gesellschaft leben, ohne durchzudrehen.“ Merke: Es gibt keinen anderen Grund, weder Verträglichkeit, Akzeptanz, Differenzierung, Lustempfinden, Verführung oder sonstwas. Daß die Frau immer nur gut, edel und weise ist, wird von Druck selbtsredend vehement verteidigt: „Mit dem Missbrauchsvorwurf, Frauen könnten außerdem jeden beliebigen sexistischen ‚Übergriff‘ als Vergewaltigung benennen, wird ihnen (den Frauen) ihre Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit abgesprochen.“ Ob Druck das gerne so hätte, will der Autor besser gar nicht wissen, mit einer einigermassen realistischen Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit seitens der Druck-Gruppe hat das allerdings recht wenig zu tun.
Nun, aus dieser wirklich schwer-verdaulichen Lektüre zieht der Autor das wohl einzig richtig Fazit: Bis auf weiteres kein Sex mit Leuten aus der Druck-Gruppe, nur das scheint sicher!
(18) Um nur einige zu nennen: ihre soziale Stellung, ihre Biografie, ihr soziales Umfeld, der Stress mit einem Typen, Verärgerung über eine politische Gruppe etc. pp.
(19) bei aller Unterschiedlichkeit: Vielleicht ließe sich dabei gar von der oral history der Shoa-Überlebenden etwas übernehmen.

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last modified: 28.3.2007