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Kritik der Antifa – Teil 2

Um zu wissen, daß Politik scheiße ist, muß man sie nicht erst auf den Begriff bringen, sondern sie kritisieren.
von Ralf

„(...) Die aktive Beteiligung an der Gestaltung der Politik stagniert.“
(aus dem gemeinsamen Aufruftext mehrerer Antifa-Gruppen zum Antifa-Kongress 2001)
„Die größten Kritiker der Elche, waren früher selber welche.“
(Volksweisheit)
„Wir leben – von einem Glauben –, der unsrer Gegenwart – vorauseilt.“
(Die Rock&Pop-Gruppe Kante)
Wie sehr die Abwesenheit einer radikalen Staatskritik und die Ideologisierung in der Theoriebildung als hypostasierte Identität bei der Antifa den selbstgesetzten Radikalitäts-Anspruch automatisch unterminieren muß, sollte anhand der Bestimmung des positivistischen Charakters der Antifa verdeutlicht werden. Die Abwesenheit einer radikalen Kritik der Verhältnisse veranschaulicht sich zudem sehr gut an dem jeweils selbstgesetzten Zweck, die Welt und seine Erscheinungen unbedingt verstehen zu wollen, um daraus seine praktische Handlungsanleitung zu beziehen. Dieses Bedürfnis nach Lupen-reinem Hinschauen enthebt sich wie von selbst der radikalen Pflicht des Kritikers zur Abschaffung des Ganzen als dem Unwahren, wie Adorno es in der Minima Moralia formulierte – der Umkehrung des Hegelschen Diktums als sich entwickelndem ganzen Wahren zum quasi „vollendeten Wesen“.
Das Ganze überhaupt als objektives Wesen anzuerkennen, ist die Voraussetzung, sein eigenes Tun und Handeln, die eigene Erkenntnis, kritisch zu reflektieren und darüber das eigene Verhältnis zum subjektiven Sein zu bestimmen. Das maximale Erahnen von abstrakter Affirmation oder Negation – welches von beiden, sei hier jetzt mal dahingestellt –, läßt sich sonst überhaupt nicht kritisch verifizieren, sondern gerät von Haus aus zum reinen Differenzpoker um die kleinen Unterschiede in Lebensführung und -verhältnissen – der Differenz von Differenz. Kritische Reflexion als Erkenntniskritik und umgekehrt(!) hat zu bedenken, daß „die Metamorphosen von Kritik in Affirmation (...) auch den theoretischen Gehalt nicht unberührt“ lassen können und sich dadurch dessen „Wahrheit verflüchtigt“. (1) Das ist umso entscheidender, als „kein Ausdruck (...) sich mehr“ anbietet, „der nicht zum Einverständnis mit herrschenden Denkrichtungen hinstrebte“.(2) Der daraus resultierende Verlust des Individuellen an das bürgerliche Subjekt beschwört unvermeidlich die Gefahr herauf, Geschichte als abgeschlossen zu begreifen, wenn man dem Verschwinden des Individuums in der Totalität nicht gewahr wird. „Bestreiten, daß ein Wesen sei, heißt sich auf die Seite des Scheins, der totalen Ideologie zu schlagen, zu der mittlerweile das Dasein wurde. Wem alles Erscheinende gleich viel gilt, weil er von keinem Wesen weiß, das zu scheiden erlaubte, macht, aus fanatisierter Wahrheitsliebe, gemeinsame Sache mit der Unwahrheit.“ (3) Die Unverzichtbarkeit dialektischen Denkens erweist sich hier einmal mehr als einzigste Garantie radikaler Gesellschaftskritik. Das muß umso stärker betont werden, als die mikropolitischen Differenztheorien als zwingend auf den Ebenen der Erscheinungen verharrend, nicht als „thematische Ergänzungen“ (Jour-Fixe-Initiative Berlin) der materialistischen Dialektik, sondern als „Versuch, den Kapitalismus zu verstehen“, sonderbarste postmoderne Blüten innerhalb und außerhalb der Linken treiben. (4)
Der Mensch als „Ensemble der sozialen Verhältnisse“, ist, wie Marx feststellte, in der bürgerlichen Gesellschaft als Subjekt „Personifikation ökonomischer Verhältnisse“. Der Mensch gilt nur etwas, wenn er als Rechtssubjekt sein Leben fristen kann. Und schon das ist Privileg. Die Zwanghaftigkeit, mit der man in die Verhältnisse hineingeboren wird, ist die Rechtssicherheit per Gesetz, von der auf der Welt Abermillionen ausgeschlossen sind, die das Kapital entweder vollständig abgeschrieben hat oder die in der Warteschleife der Verwertung ihrer bürgerlichen Subjektwerdung harren. Die Würde des Menschen im Kapitalismus ist also die würdevolle Subsumtion unter das Kapital, welche diese Unterwerfung in aller Regel jenem Souverän überläßt, dem es sich zwecks notwendiger Rechtssicherheit und eigenem anarchischem Charakter entäußert hat: Der Staat erledigt das Geschäft der Politik und organisiert die bürgerlichen Subjekte als Staatsbürger, denen als Maximum der Freiheit anheimfällt, „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, (...) das Recht auf Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht nötig ist“, wahrzunehmen. (5) Im Gegenzug zu dieser unfreien Freiheit droht der Staat seinem Rechtssubjekt nicht nur mit Gewalt, sondern verpflichtet seine Staatsbürger auf die zweite Natur der Wertform als die eigentliche: „Der Staat schützt (...) die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ (6) Der Staat, als ein Teil der „invisible hand“, die bürgerliche Ideologen wie Adam Smith überall gesellschaftlich am Werk sehen, verlangt unbedingten Gehorsam der Rechtssubjekte. Wer aber, so fragte Erich Fromm, „könnte wohl dem ‘Vernünftigen’ den Gehorsam verweigern (...), wenn er nicht einmal merkt, daß er gehorcht?“ (7) Dieses quasi unbewußte Gehorchen ist Ausdruck eines Fetischdenkens, das sich an den Götzen bindet, um Beständigkeit und Kontinuität im Handeln zu erzeugen. Es schafft die Vorbedingungen, um sich im Konfliktfall mit einem mächtigen Angreifer zu identifizieren, in dem es ihn imitiert. Das Beklagen eines „Rückzugs aus der Politik“ (8) ist demzufolge die unbewußte Abwehr von Kritikern der Imitiation.
Politik ist maximal ein Imitieren von Staat – ob in größeren oder kleineren Schritten, mit höherem oder langsameren Tempo, radikaler oder softer, links oder rechts ist dabei völlig unerheblich. Nur die notwendige charakterliche Bestimmung auf diesem Abstraktionsniveau vermag das Wesen von Politik – eben auch ausnahmslos linker – überhaupt zu reflektieren. Daß dieses Abstraktionsniveau in den allermeisten Fällen erst gar nicht zum linken Politik-Geschäft gehört, kommt allerdings nicht von ungefähr. Die Machtfrage stellt sich, wie vom bürgerlichen Subjekt zwangsweise verlangt – immer konkret. Die Abwesenheit von radikaler Emanzipation wird darin verhüllt. Sie gerät eben auch in der Linken zwingend zu einem nicht-bewußten Herrschaftsanspruch.
Politik ist jenes Prinzip Staat als Prinzip Hoffnung (Ernst Bloch), welches dem immer schon verstaateten Denken nicht gewahr wird. Sie entpricht damit im besonderen jener bürgerlich-subjektiven Denkform, die Wert und Souverän zwingend verschmelzen muß. Weil es sich aber bei dieser Zusammensetzung um eine Form des Denkens handelt, ist sie nicht subjektiv-zwingend, sondern reflexiv vermeidbar. Der mögliche Verzicht auf Politik verweigerte sich demzufolge genau diesem „Spiegelspiel (...), durch das hindurch sich die materielle und formelle Legitimation politischer Herrschaft reproduziert. (...) Wer daher Politik macht, macht sie für Subjekte – gegen Individuen.“ (9) Und verdinglicht so die Menschen gleichsam zu jenen Tauschwerten, die dem „darin versteckten Wert“ nicht mehr „auf die Spur kommen“ können. Das wiederum heißt „erstens: die gültigen Tauschwerte derselben Ware drücken ein gleiches aus. Zweitens aber: der Tauschwert kann überhaupt nur die Ausdrucksweise, die ‘Erscheinungsform’ eines von ihm unterscheidbaren Gehalts sein.“ Das bedeutet demzufolge, daß politische Subjekte zwar in der Politik unterschiedlich erscheinen, sie es aber ihrem Wesen nach nicht sind. „Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Ware darstellt, ist (...) ihr Wert.“ Läßt sich der gesellschaftliche Zwangscharakter der Wertform maximal als „bloße Gallerte unterschiedloser menschlicher Arbeit“ erahnen (10), so ist Politik – zumindest – bestimmbar als „Prozeß der Verschmelzung von Legalität und Legitimität zur Souveränität. Der Bourgeois tritt an gegen den Citoyen, und der Citoyen strebt danach, den egoistischen Bürger der Konkurrenz in sich aufzuheben und zu vernichten. In diesem Prozeß erzeugt jeder ständig sein Gegenteil. Dieses Verhältnis selbst ist die Reproduktion der Souveränität.“ (11) Sie verdinglicht sich in dem Streben nach Humanität und Menschenrechten als Ursprünge linker Politik. Seit der Existenz der Linken als Produkt der bürgerlichen Gesellschaft ist sie unmittelbar in den Klauen des Souveräns gefangen. (12) Carl Schmitts Verweis darauf, daß der Begriff des Staates den des Politischen voraussetzt, hat immer noch allgemeine Gültigkeit. Jedoch, und das ist hier entscheidend, nicht absolut getrennt voneinander, sondern nur als dialektisches, synthetisiertes Verhältnis. „Politisches Handeln ist unter diesen Voraussetzungen nicht mehr nur ein unstrukturierter Kampf um Macht, sondern eine mehr oder weniger strukturierte Auseinandersetzung um die Chancen, die diese Ordnung demjenigen gewährt, der über ihre Mittel verfügt.“(13)
Den öffentlichen Raum als gleichzeitiges Podium und Verhandlungsmasse der Politik bestimmt der Souverän durch die Festlegung der grundsätzlichen Ordnung. Er kann sich mit anderen Souveränen im Prozeß der politischen Willensbildung oder als reine Usurpation der politischen Macht über einen erweiterten oder verengenden öffentlichen Raum im Sinne der jeweiligen Ordnung verständigen.
Die Politikwissenschaft, wie jede moderne Wissenschaft Ausgeburt des Kapitals, hat aus der Politik längst ein Naturgesetz gezimmert. In dem Politik als eine „Fundamentalkategorie menschlicher Existenz“ (14) begriffen wird, hypostasiert sie den Staat zur Naturkategorie.
Für radikale Gesellschaftskritik ist genau diese nicht durchschaute Naturhaftigkeit schon immer zur Fallgrube Staat geworden. Wenn sie nicht in der Lage ist, sich dem Kantschen „reinen Begriff der Rechtspflicht“ oder dem von Max Weber bestimmten Wesen der Politik als reines Machtstreben – für andere, für sich selbst oder beide – zu entledigen, läuft alles Handeln immer wieder auf das von Engels falsch prognostizierte angebliche Absterben des Staates hinaus. (15) Dieser Irrglaube der direkten Subsumtion des Staates unter das Kapital ist Ausdruck der leidvollen Staatableitungsthese, der die Linke zuhauf auf den Leim gegangen ist.
Das Wesenhafte der Politik als „System der Machteroberung, -erhaltung und -ausübung“ verfestigt sich am Gegenstand, in dem es in der Reproduktion immer wieder „gesellschaftliche und ökonomische Herrschaft übersetzt“ (J.Agnoli). Dadurch verliert Politik nicht etwa den emanzipatorischen Anspruch, nein, sie besitzt ihn vielmehr gar nicht. Und so kann man sich nur in der Kritik der Politik vergegenwätigen, „wie aus emanzipatorisch scheinenden Forderungen Erfordernisse der Disziplinierung und der Repression entstehen.“(16)
Die gerade auch von der Antifa gepriesene und halluzinierte Autonomie der Politik – die Existenz also ohne zwingendes Abhängigkeitsverhältnis – ist in ihrer Naivität Garant des Mitmachens für andere. Die Antifa ist somit nichts weiter als eine kleine Einheit emsiger Staatsdiener, die sich wild gibt aber wehleidig in der Politik ersäuft, weil sie sich im modernen Gemeinwesen als „Akteure (...), die die politische Willensbildung prägen“ (Stefan Breuer), verdingen. Es ist das Ringen um Einfluß im Staat, das sich in die unsägliche Floskel von „gesellschaflticher Relevanz“ übersetzt. Als Antifa geriert man sich bestenfalls als ein Interessenverband der eigenen Interessen „und zur Vertretung derselben gegenüber anderen sozialen Gruppen sowie den Organen der politischen Willensbildung und der staatlichen Herrschaft.“ (17) Daraus resultiert nicht zuletzt die von der Antifa zwar strikt geleugnete aber für sie konstitutive grundlegende Versachlichung ihres politischen beschränkten Themenfeldes in der öffentlichen Repräsentanz, das da den verwegenen und blödsinnigen sachkompetenten imaginierten Anspruch erhebt, die ganze Welt über Nazis und Faschismus zu definieren und erklären zu wollen. Darüber hat sie folgerichtig einen gesellschaftlichen Expertenstatus errungen, welcher sie an ihre konstruktive Mitgestaltungspflicht jederzeit öffentlich erinnern soll. Dieser gesellschafliche Status hat die Antifa in die Rolle der Politik-immanenten Vermittlungsinstanz radikaler Politik gezwängt. Die angemahnte Konstruktivität kennt sie aus dem Efef. Sie hat sie im selbstgesetzten politischen Anspruch der Vermittlunsgarbeit so verinnerlicht, daß die Identitätskrise nicht etwa als Problem durch den Anspruch der Vermittlung, sondern als Resultat von fehlender Vermittlung reflektiert wird, was sich gerechterweise zum endgültigen Dilemma auswachsen mußte.
Es war schlußendlich der sogenannte verordnete Antifaschismus in der Berliner Republik, der die Antifa gesellschaftlich so in die Zange genommen hat, daß sie nur wehleidig rumjammern konnte, sie sei ihres als exklusiv begriffenen Themenfeldes beraubt worden und sie wüßte jetzt nicht mehr weiter.
Konstruktivität als positive Form der Kritik ist Politik. Sie beraubt sich selbst jeglichem subversiven Gehalt als radikale Kritik der Verhältnisse und begräbt so die notwendige Minimalforderung der Abschaffung des Ganzen unter sich. Sie drängt jeden kritischen Gehalt auf die bürgerliche Spielweise der Meinungspluralität ab.
„Die notwendig gewordene Kritik der Politik kann sich mit der im Grunde immer noch affirmativen, weil die Normativität des bürgerlichen Staats durchaus akzeptierenden Überprüfung der normgemäßen Garantie subjektiver Rechte nicht mehr abfinden. (...) Die Kritik der Politik stellt vielmehr die Frage nach dem herrschaftssichernden Charakter aller Reformen und vergißt also die Frage nach dem cui bono (wem es nützt – R.) nicht und nach der Zweckrationalität irrationalen Verhaltens der politischen Macht.“(18)
Götze der Politik ist also die Staatsherrschaft. Wenn der Götze der Antifa die Politik ist, so ist damit hinreichend ausgedrückt, daß die Antifa eine rein staatsfetischistische Veranstaltung darstellt. Das zu begründen, hat viel mit ihrer historischen Konstitution zu tun. Es soll hier gar nichts geringeres behauptet werden, als daß Antifaschismus im Sinne der Kritik der Politik grundsätzlich eine Falle für Kommunisten ist. Politik als eine bürgerliche Kunst des immanent Möglichen findet im zwanghaften Volksfrontcharakter des Antifaschismus-Begriffes seinen besonderen Ausdruck. Das definierte Ziel des Antifaschismus ist und bleibt der antifaschistische Staat und nicht seine Abschaffung. Es mangelt dem Begriff des Antifaschismus hinsichtlich einer mit ihm verbundenen radikalen Gesellschaftskritik nicht etwa an richtiger radikaler Organisierung, sondern an unauflöslich falschen historischen wie inhaltlichen Grundlagen und Voraussetzungen. Die zwar manchmal geleugnete, dennoch aber grundlegende Irrung der Antifa, Nazis wären ein gesellschaftlicher Widerspruch in der aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft, den zuzuspitzen das kapitalistische Dilemma schon offenbaren würde, hat innerhalb der Antifa schon die unglaublichsten Blütenträume aufkommen lassen. Auch wenn man die Nazis nicht für das Wesen des Kapitalismus an sich hält, so treibt doch das schier unaufhebbare Widerspruchsdenken die Antifa (wie auch fast alle anderen Linken) von einer Politik-Falle in die nächste. Der Grundfehler der Linken, mutmaßliche systemimmanente „Widersprüche zuspitzen“ zu können, zermürbte auch die Antifa. Es ist die alte Entfremdungsleier vom gesellschaftlichen Antagonismus, der auch im Gewand der neuen Linken die historische Subjektbestimmung vornimmt. In genau dieser Tradition ist so auch linksradikale Bündnispolitik zu betrachten: Sie verfällt immer wieder aufs neue am Widerspruch „dem politisierenden Vermittlungswahn“ und verdrängt dabei immer wieder aufs neue die leisen Selbstzweifel daran, „daß der Kapitalismus in seinen Krisen geradezu begierig seine Linke dazu drängt, die Rolle des Krankenhelfers zu spielen.“ (19) Dem Vorwurf eines angeblichen Hauptwiderspruchsdenken, dem die „Fortsetzung der Kritik der Politischen Ökonomie in die Kritik der Politik“, welche „das Ökonomische ins Politische“ übersetzt (J. Agnoli), ausgesetzt ist, aus der Ecke vorgeblich geläuterter Bewegungslinker, läßt sich mit der Kritik an der offensichtlichen Fortsetzung des Subjektdenkens mit den Mitteln der Bewegung ausreichend begegnen. Die Bewegung diente auch der Antifa in zunehmendem Maße als Subjektsurrogat.
Es verböte sich eigentlich von selbst, den Politikbegriff gar noch mit Adjektiven wie „linksradikal“ oder „revolutionär“ zu würzen, um ihn so für die Linke erst noch richtig schmackhaft zu machen. So wird der Arm des Staates nur automatisch in die Linke hinein verlängert, an den man sich mit entsprechender Leidenschaftlichkeit klammert wie die Affen im Urwald an die Liane. Und diese Leidenschaftlichkeit soll auch noch als Vorzeigebeleg dafür taugen, wie radikal man doch ist. Die persönliche Glaubwürdigkeit bemißt sich so ausschließlich als Gegenüber seiner Selbst, dem Es als Unbewußtes, das aber – welch Überraschung – bei genauerer Betrachtung der Schein vom Über-Ich ist – verdinglicht als Souverän.
Kapitalismus kann man nicht an angeblichen Widersprüchen aushebeln, schon gar nicht mit Politik, man kann das Ganze nur als Unwahres abschaffen. Denn die angeblichen Widersprüche wecken einzig und allein nur ein bürgerliches falsches Bedürfnis: „Alles reformieren, um alles beim Alten bleiben zu lassen.“ (J.Agnoli) Das Ringen um Einfluß auf den Staat, macht den Reform-Charakter der Antifa aus. Schon der sozialdemokratische Revisionist Bernstein aber wußte, daß man mit Reform nur „unablässig“ dafür sorgt, „das Bürgertum oder Bürgersein zu verallgemeinern.“ In diesem Sinne ist es der Unterschied ums Ganze, ob ich die Autorität im Staat abschaffen möchte oder die Autorität Staat.
Der inzwischen betriebsblinde Automatismus der Antifa soll hier als Prinzip Antifa wie folgt benannt werden: Augen zu und Blick erweitern. So läßt sich die historisch dichotome Antinomie von Radikalität und Antifaschismus auf den kritischen Punkt bringen. Die Bedeutungslosigkeit der Linken – insbesondere der Antifa – ist eine Bedeutungslosigkeit vor dem Herrn namens Staat. Der Phantomschmerz, der von der gesellschaftlichen Amputation der Linken von einstiger imaginierter Bedeutung herrührt, bürgt die Chance in sich, dem politikfeindlichen kritische Moment zum Ausbruch zu verhelfen. „Der Lockvogel der ‘politischen Verantwortung’“ (J.Agnoli) steht dem Dogma der Abschaffung der Verhältnisse diametral entgegen. Beide sind miteinander unvereinbar. Die zwingende Unhaltbarkeit eines radikalen Antifaschismusbegriffes – alles andere ist oder wird Farce – wird vermutlich nicht allzusehr ins Gewicht fallen. Dem bewegungslinken Denken sind inzwischen andere Teilbereiche des Ganzen in den Sinn gekommen: Antirassismus und Globalisierungsgegnerschaft heißen vermutlich die Zauberworte der Zukunft. Man wird dabei mit Sicherheit in dieselben Fallen tappen wie immer. Denn Politik ist auf der sozialpsychologischen Ebene immer der Drang zur Ersatzhandlung statt Radikalität.
„Die Negation als Element der Befreiung“ (J.Agnoli) oder „das Falsche (als) Index des Richtigeren, Besseren“ (Adorno), gerät so – wiedereinmal – erst gar nicht in den Blick: dem Positivismus als pure Lüge über Befreiung und Utopie sei dank.

(In der April-Ausgabe erscheint Teil drei zu Praxis und Kritik bei Antifa. Der erste Teil erschien im Februar-Heft)

Fussnoten:
(1) Max Horkeimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S.02, Frankfurt Main 1969
(2) ebenda
(3) Thedor W. Adorno, Negative Dialektik, Gesammelte Schriften Bd.6, S.171, hier aus: Gerhard Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung, S.77, Hamburg 1996
(4) vgl. Katja Diefenbach, (The crack up:) Kapitalismus verstehen. Postrukturalistische Mikropolitiken bei Guattari, Deleuze und Focault, S.85 in: Jour-Fixe-Initiative Berlin, Kritische Theorie und Postrukturalismus, Berlin 1999
vgl. dazu auch Gerhard Schweppenhäuser, Theodor W. Adorno zur Einführung. Er stellt fest: „Das Chaos ist für Adorno als eine Gestalt der Ordnung lesbar. Das Auseinanderklaffen von human-vernünftigem Potential und irrationaler Realität der modernen Gesellschaft, ihr widersprüchliches Ineinanderspielen von anomischem Zerfall und institutionell verhärteter Erstarrung wird hier radikal beschrieben. Dabei werden postrukturalistische Einsichten vorweggenommen und zugleich dialektisch relativiert. Erst in der Dekonstruktion enthüllt sich die Logik des gesellschaftlichen Zerfalls – aber diese Logik ist eine der institutionell verdinglichten Statik, und die Dekonstruktion wird nicht als bloße philosophische Technik aufgefaßt, sondern als negative Bewegung der Gesellschaft und ihrer ökonomischen Grundlagen selbst.“ (S.79)
Schweppenhäuser räumt außerdem ein: „Adornos ideologiekritischer Analyse der Genesis des Individuationsprinzips wäre heute die diskursanalytische Rekonstruktion der gewaltförmigen Disziplinierung der inneren Natur des Menschen im Übergang zur Moderne an die Seite zu stellen, die Michel Focualt geleistet hat.“ (S.91)
Ich möchte an dieser Stelle dafür plädieren, die postrukturalistischen Diskurstheorien innerhalb der Linken in ihre Schranken zu verweisen. Dafür aber, und das ist das eigentliche Problem, müßte man den postmodernen Flügel von der Unhaltbarkeit der Beschränktheit seines Gesellschaftsverständnisses im radikal-kritischen Sinne überzeugen. Diese hier als Vorwurf verstandene Feststellung ist aber gerade die Grundlage seines kritischen Geschäfts. Was also als Kritik gemeint, kommt bei ihnen als Bestätigung an. So erklärt sich auch, warum man sich innerhalb der Linken überhaupt so unheimlich schwer in der Kritik aufeinander beziehen kann. Die jeweils miteinander als unvereinbar verstandenen begrifflichen Vergegenständlichungen der Kritik verunmöglichen das. Hierin ist demzufolge einer der Hauptgründe für den erbärmlichen Zustand der radikalen Linken zu sehen.
(5) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20
(6) a.a.O. Artikel 20a
(7) Erich Fromm, Über den Ungehorsam, S.17., München 1985
(8) vgl. Das Projekt Antifa, in: Klarofix, Januar 2001. In dem Leipziger linken Szeneblatt heißt es: „Politik gegen das konkret Herrschende kann auch jenseits von Reformismus Erfolge zeitigen.“ Daß sie es im radikalen Sinne schon ihrem Wesen nach nicht kann, wird zu zeigen sein. Bezeichnenderweise rekurriert der besagte Artikel auch gar nicht erst darauf, die „Erfolge jenseits von Reformismus“ überhaupt zu benennen. Zumindest wird uns die Ahnung eröffnet, daß Erfolg sich wohl daran knüpfe, daß „diese Gesellschaft gar nicht zu bieten vermag, was wir wollen.“ Verknüpft mit der ebenfalls beklagten fehlenden „gesellschaftlichen Relevanz“ von Antifa, kommt hier alles zusammen, was der Reproduktion staatsförmigen Denkens als Politik immanent ist: Erfolg bestimmt sich im aktiven Mitmachen und bemißt sich in „gesellschaftlicher Relevanz“. Politik hat zur Voraussetzung, immer schon seinen Frieden mit dem Ganzen der Gesellschaft gemacht zu haben. Nur en Detail liegt man noch im Klinsch um die Vermittlungsformen der Herrschaft.
(9) Initiative Sozialistisches Forum, Der Theoretiker ist der Wert, S.108, Freiburg 2000
(10) Karl Marx, Das Kapital, Erster Band, S. 41 ff., Berlin 1955
(11) Joachim Bruhn, Was deutsch ist, S.158, Freiburg 1994
(12) Linke Politik heißt im übrigen nicht zufällig links, sondern bezeichnenderweise deshalb, weil die Linke bekanntlich erst in der Zuordnung innerhalb des parlamentarischen Systems ihren Platz im Souverän zugewiesen bekam: links von der Mitte ist also ohnehin die affimierte Definition seitens des Souverän.
(13) Stefan Breuer, Der Staat, S.168, Hamburg 1998
(14) Hans J. Lietzmann/Peter Nitschke (Hrsg.), Lehrtexte klassische Politik, S.08, Opladen 2000
(15) Engels schreibt in Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft: “Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt – die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft –, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht ‘abgeschafft’, er stirbt ab.“
(16) Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, S.15, Freiburg 1990
(17) Stefan Breuer, Der Staat, S.221, Hamburg 1998. Er schreibt dort auf S.224 weiter: „Die Interessenverbände sind für den Staat ein unverzichtbares Mittel, sich in einer veränderten wirtschaflichen und gesellschaftlichen Gesamtlage zu behaupten. Sie verschaffen ihm Informationen über gesellschaftliche Interessen und über die Auswirkungen seiner Politik, an die er sonst niemals käme.“
(18) Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, S.17, Freiburg 1990
(19) Initiative Sozialistisches Forum, Der Theoretiker ist der Wert, S.105, Freiburg 2000


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last modified: 28.3.2007