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gwar +s.u.f.f., 3.6k
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Das GWAR-Projekt

Seit Jahren betreiben die durchgeknallten Typen aus den Staaten ihre Monstercomedy. Die blutige Stage-Performance hat einen Polit-Backround. Gemocht wird sie aber wegen ihrer Schweinereien.

Das Konzept ist simpel. Eine von Tour zu Tour variierende Anzahl von Kreaturen, gefertigt aus Gummi und Papmaché veranstaltet auf der Bühne ein dramaturgisch ausgeklügeltes Gemetzel. Dabei werden traditionell und sehr zur Freude des Publikums hektoliterweise Kunstblut und Spermien-Imitat in der Gegend verspritzt. Die Opfer des Schlachtfestes haben oft auffällige Ähnlichkeiten mit Persönlichkeiten des aktuellen Tagesgeschehens oder stehen idealtypisch für die eine oder andere verabscheuungswürdige Bewusstseinsregung im Volk.
Das GWARaner-Kollektiv, einst Mitglieder einer Künstlerkommune, kämpft in den Gestalten der fürchterlichen Rächer mit Plastikschwertern und Metal-Rock gegen Doppelmoral und Spiessigkeit, gegen Bullenterror genauso wie gegen Kindesmißssbrauch. Dass sie die Schweinereinen darstellen, dessen Verwerflichkeit sie propagieren wollen, hat ihnen dabei nicht wenige Scherereien bereitet.
Klar, dass die religiöse Rechte keine Glückwunschtelegramme schickt, wenn der Papst als hochdekorierter Abtreibungsgegner nach öffentlichem Geschlechtsverkehr im Hexler verschwindet. Ebenso einleuchtend die Misslaune, die Polizeibeamte erfassen muß, wenn klischeehaft gezeichnete Kollegen auf der Bühne die Skandale der Vergangenheit wiederholen, im Gegensatz zur Realität aber nicht nur nicht gerade glimpflich sondern überhaupt nicht davon kommen.
gwar, 30.5k Folgerichtig hagelte es eine zeitlang rechts motivierte Hasspamphlete und handfeste Restriktionen, beispielsweise Konzertverbote.
Nach eigenen Auskünften legt sich aber mittlerweile zumindest im Herkunftsland der Ärger, den GWAR immer wieder anzieht. “In den USA pinkelt man uns mittlerweile weniger ans Bein. Da haben es die rechtslastigen Moralapostel jetzt mehr auf Schwule, Schwarze und Abtreibungskliniken abgesehen, was natürlich noch erschreckender ist.“
Um so erstaunter registrierte man die Massnahmen der deutschen Behörden. „In Deutschland ist es besonders seltsam. Alles wird zensiert: Filme, Computerspiele und natürlich GWAR. Was tut ihr hier bloss.“
Dass von einer Rock-Band die deutschen Rechtslage beklagt wird, verwundert hierzulande ein wenig. Kämen ähnliche Statements von einer Teutonen-Truppe müsste man mit berechtigtem Misstrauen vermuten, es ginge nur darum, vermeintlich tabubrecherische Fascho-Ästhetik vor dem Index zu retten. Aber hier ist nicht Amerika. Deshalb dauert es eine Weile, zu verstehen, dass die Gruselrocker von GWAR einfach aus einem ganz banalen liberalen Selbstverständnis handeln.
In hiesigen Metal-Kreisen muß man das demokratische Motiv und seit seeligen Rumble Militia-Zeiten erst recht das linke Engagement für unmöglich halten. Der Blick auf die regionale Szene kann einem jedenfalls im Gegensatz zu GWAR und Blair Witch Projekt wirklich langsam das Gruseln lehren. Nicht, dass die psychisch ohnehin etwas labil veranlagten Freunde der harten Musik wieder massenhaft – wie Anfang der 90er – das Rekrutierungsmaterial der dörflichen Kameradschaften abgeben. Aber wenn im Lieblingsklub des Headbanging (Hellraiser in Engelsdorf – was für eine Kombination!) politisch motivierte Glatzkopfträger, die schon aus rituellen Gründen wenigstens scheel angeschaut gehörten, ein und ausgehen, als gehörten sie dazu, dann tun sie das wahrscheinlich auch. Das örtliche Einvernehmen und sei es auch nur auf einer so oberflächlich-symbolischen Ebene spricht jedenfalls nicht gerade für gravierende Einstellungsunterschiede. Wer meint, dies wäre ja halb so schlimm, die paar Nazis im Langhaar-Zentrum machen doch das Kraut nicht fett, der irrt. So reproduziert sich unter dem Deckmantel des Andersseins, den die Engelsdorfer sicher noch für sich in Anspruch nehmen, ein Stück ostdeutsche Normalität. Und zu der gehört der bekennende Rassist, Schwulenfeind und Hitlerverehrer wie das Salz in die Suppe. Der junge Metal-Fan, und die gibt es ja seltsamerweise immer wieder, wird auf diese Beobachtung zurückgreifen, wenn in der Straßenbahn ein Punk zusammengelegt wird oder er bemerkt, dass das Held-Sein mit langen Haaren allen Bravehearts und Highlanders zum Trotz doch schwieriger ist als mit Glatze. Die Verantwortung mag ein bisschen konstruiert erscheinen, aber irgendwie liegt sie da in der Nähe. Nazis fallen nicht vom Himmel. Endschuldigung, kommen nicht aus der Hölle. Mit wem man seine ersten Bier zieht und über den Zaun kotzt, spielt jedenfalls eine verdammt wichtige Rolle.
Schon wegen dieser Spezifik dürfen die GWARaner nicht als Vorbote eines universalen kulturpolitischen Aufbruchs missinterpretiert werden, der dafür steht, daß die Kids bald wieder allright sind. Sie sind vielmehr, seit sie vor über 10 Jahren die Kunstakademie und ihre alten Punkbands verliessen, um mit blutverschmierten Gummikostümen und hartem Rock’n‘Roll für eine bessere Welt zu streiten, in Rückzugsgefechte verwickelt.
Ihre politisch-moralische Haltung ist trotzdem sympathisch, auch wenn sie ab und an gegen das eigene Darstellungskonzept verliert. Beispielsweise dann, wenn während der Show ein weiblicher Charakter ohne Arme und Beine, eine Figur bestehend nur aus Torso, Kopf, Titten und Muschi durchgenommen wird. Ein Optimist, wer meint, dass diese Szene nur wegen der kritischen Reflexion des Sexismus so gemocht wurde.
Wer nach diesem ganzen Gesülze die Lust auf einen Konzertbesuch verloren hat, sollte sich aus einem einzigen, nicht schlagbaren Grund eines besseren belehren.
S.U.F.F. spielen. Ganz legal und nicht wie sonst üblich als Piraten, die Schlagerstar-Bühnen entern. Sie veranstalten diesmal auch keinen Rekordversuch für das Guiness-Buch, aber ihren Blödeleien, ihren lächerlichen Verkleidungen und der Präsentation des schönsten Männerchors aller Zeiten wird das keinen Abbruch tun. Die Auftritte des sympathischen Haufens sind Legende – Wurzen don’t forget – so ist die Möglichkeit, dass sie GWAR toppen, nicht ganz ausgeschlossen.
Ulle
Noch was: Es steht in den Sternen, wer eigentlich noch CeeIeh-Musik-Artikel liest. Falls es Menschen gibt, die dies tun, so haben sie eventuell festgestellt, daß die Hard-Rock-Metal-Sachen nicht gerade mit überschäumender Liebe für ihren Gegenstand geschrieben sind. Vielmehr dürften aufmerksame Leser bemerkt haben, dass unter dem Signet „Ulle“ kaum getarnte Vergangenheitsbewältigung betrieben wird. Was zum einen richtigerweise einer kritischen Haltung geschuldet ist, ergibt sich andererseits einfach aus der fehlenden Lust und mangelndem Einblick. Wie soll man auch eigentlich einer Szene den Mund wässrig machen und ihr gleichfalls im richtigen Ton die Leviten lesen, wenn sie einem persönlich als weitgehend abgeschrieben gilt? Wenn es also im CeeIeh-Universum Leute gibt, die Nazis Scheiße finden, vom Rock’n’Roll aber nicht lassen wollen, wenn diese nicht unkritisch aber mit mehr Wissen und Freude an der Sache über die Bands, die im Conne Island spielen, berichten möchten, so wäre dies überhaupt kein Problem. Das CeeIeh-Plenum ist Montags 17.00 Uhr, im C.I. natürlich.


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last modified: 28.3.2007