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Goldene Zitronen

Interview zum Beginn ihrer Tournee (aus junge Welt 1.11.1994)

Erzählt doch mal die Geschichte eurer neuen Platte.

Goldenen Zitronen: In der Planung ist die Platte seit zwei Jahren. Damals haben wir die Maxi mit den Hiphop Acts "80 Millionen Hooligans" gemacht und wußten, daß es davon eine Fortsetzung geben sollte und das ist die neue Platte: Von "80 Millionen Hooligans" über "Bürger von Hoyerswerda" bis "Das bißchen Totschlag" das ist unser Kommentar zur Entwicklung seit dem 8 November 1989. Es hat lange gedauert, die Form für diese Platte zu finden, weil wir uns nicht auf ein eindeutig erkennbares Genre wie Glam-Rock, Country, Punkrock oder Disco beschränken wollten. Das Stück "Wir wollen die Regierung stürzen" von unserer letzten LP "Punkrock" ist ein Beispiel für unsere bisherige Methode: Musikalisch ist es ein typisches Glam-Rock-Stück, das aber einen Text hat, wie ein Sex Pistols Stück diese Brechung war der Witz unserer früheren Platten. Diesmal wollten wir das anders machen - auch deswegen, weil unsere Texte angesichts der politischen Situation komplexer geworden sind und z.B. so ein einfaches Rock'n'Roll Schema mit Strophe-Refrain-Strophe nicht mehr genug hergibt. Als Orientierung für diese Art von Texten gibt es nur Hiphop oder den Liedermacher-Kram.

Und wieso habt ihr dann nicht nochmal an Eure Hiphop-Maxi angeknüpft?

Goldene Zitronen: Die haben wir mit anderen zusammengemacht, diesmal sollte es wieder unsere ganz eigene Platte werden. Der Einfluß dieses Hiphop Experiments ist aber schon zu hören, man könnte sogar sagen "Das bißchen Totschlag" ist in gewisser Weise ein Hiphop Stück, auch wenn wir uns nicht an die Instrumentierungs- und Aufnahmegepflogenheiten von echten HipHop-Gruppen gehalten haben, weil das eben nicht unserem Geschmack entspricht.

Zweite Zitrone: Uns ging es darum, einen harten Sound auf der Platte zu haben. Die Basis dafür ist ein Sixties-Sound, wir haben auch mit altem Equipment aufgenommen, mit dem heute niemand mehr eine Platte produziert und trotz dem ist sie zeitgenössisch und nicht nostalgisch.

Und darauf kommt es an. Meine Vorstellung von Härte funktioniert viel besser mit alten Sounds als mit neuen. Wir haben viel mit echten Räumen gearbeitet, statt Raumeffekte aus Digitalgeräten rauszuholen. Wir arbeiten auch mit krachigen Sounds, die nicht so richtig abgetrennt gemischt sind, wie man\'dds heute macht und die auch nicht diese sauber aufgeräumte Frequenzteilung aufweisen, die man heute machen kann, daß man ein ganz breites Spektrum hat von höchsten Tönen, dieses ja eigentlich so in der Natur nicht gibt, (lacht) also der Natur der Rockmusik, Goldene Zitronen: ...bei seltenen Vögeln nur ab und zu...

Zweite Zitrone: ...bis zu den tiefsten Bässen darauf verzichten wir. Wir wollten erreichen, daß die Musik ganz komprimiert klingt, daß es so rausballert. Das ist auch ein Sound, der nicht reproduzierbar ist. Das ist ja das Dilemma in den modernen Studios, daß das Equipment überall auf der Welt identisch ist und sich damit auch der Sound identisch anhört, Ob das Rock ist, Pop oder das, was man heute Soul nennt-die Härte ist da nach und nach völlig rausgenommen werden.

Ich nehme jetzt mal Hiphop und Techno raus, weil das ganz neue und durchaus innovative Entwicklungen sind. Aber für die Musik, die auf der Basis von Rock funktioniert, und da kommen wir her. gilt: Es gibt keinen charismatischen Sound mehr. Früher gab es den Mo-Town-Sound oder den Detroit-Sound oder den Elvis-Sound - und weil diese Platten in echten Räumen aufgenommen worden waren, klang das auch jeweils ganz eigenartig, . unverwechselbar und ließ sich nicht reproduzieren Für unsere Platte gilt das jetzt auch: Die klingt halt so, wie es in dem Bunker, in dem wir sie aufgenommen haben, klingt-und so klingt es nur da, und nirgends sonst. Ich will daraus jetzt keine Philosophie entwickeln, für uns ist das in erster Linie eine Geschmackssache. Wir haben diese Platte ja auch selber produziert, da mit uns da niemand reinreden kann...

Zweite Zitrone: Wir hatten bei den vorherigen Produktionen immer Probleme mit den engineers, die uns bei eigenen Ideen gesagt haben:
Nein, So kann man das eigentlich nicht machen, das ist nicht erlaubt, man muß die Instrumente voneinander trennen, sonst gibt es Übersprechungen. Diesmal haben wir das einfach so durchgesetzt, wie wir es richtig finden und es ist gegangen.

Trotzdem habt ihr euch den Markterfordernissen gebeugt und eine CD pressen lassen. . .

Goldene Zitrone: Sonst wären wir gar nicht in die Läden gekommen. Es gibt ja ein regelrechtes Tonträgerkartell, das z.B. die CD auf den Markt puschen konnte, ohne daß der Konsument die freie Wahl auf dem freien Markt gehabt hätte.

Und dieser Vorstoß gegen die freie Marktwirtschafft gefällt euch nicht?

Goldene Zitrone: Darauf brauchen wir jetzt gar nicht zu antworten (lachen). Wer die CD kauft, ist selber schuld. Das ist eine Schallplatte, das Cover funktioniert auch nur auf der Platte, Ich hatte noch überlegt, daß wir für die CD ein weißes Cover machen und draufschreiben: Kauft euch die Platte, dann habt ihr ein richtiges Cover.
Aber das ist dann auch wieder so erzieherisch. Nein die Platte klingt auch auf CD ganz gut.

Ich hatte gedacht, mein Verstärker wäre kaputt.

Goldene Zitronen: So sollte es sein. Was uns wichtig ist, ist auf der Vielfalt der Möglichkeiten zu beharren. Analog produzieren wir zum einen, weil es uns gefällt. Zum anderen wollen wir uns damit aber auch die Möglichkeit erhalten, so arbeiten zu können. Wir haben z. B, für die Aufnahme eine alte Acht-Spur-Maschine verwendet, die ein breiteres Band hat, als die modernen, das heißt, daß jede einzelne Spur mehr Druck hat, das klingt nach mehr, Technik wird in der Musik Szene kaum hinterfragt Die Studios dominieren die Musik, setzen die Normen und stülpen ihre Technik über. Und wir haben herausgefunden, daß uns eigentlich die 60er Jahre Technik besser gefallt und wir haben uns lange damit beschäftigt, wie man damit am besten aufnimmt. Damit das Schlagzeug z. B. plausibel klingt. Heutzutage hat man ja völlig absurde Sounds, weil alles einzeln aufgenommen wird und die Bass Drum in einer 2000er Halle steht, und die Snare in der Toilette und die Becken was weiß ich wo das zieht alles auseinander. Und gerade ein so hartes Stück wie +Das bißchen Totschlag\'ab hätten wir mit diesen modernen Mitteln nicht machen können.

Ihr habt viel davon gesprochen, daß die Sixties für euch wichtig sind, ihr aber trotzdem zeitgenössisch sein wollt. Was ist denn die Musik, an der ihr euch heute orientiert bzw . von der ihr euch heute abgrenzt?

Goldene Zitronen: Seit Rock-Musik nicht mehr per se links ist oder subversiv, und seitdem es auch rechte Rock-Bands gibt, ist uns ziemlich daran gelegen eine Form zu finden, die nicht ohne ihren politischen Background konsumierbar ist, Unsere Platte wollen Nazis nicht hören, Unsere Platte erfordert die Bereitschaft, sich auch auf die politischen Analysen einzulassen, die kann nicht jeder mitnehmen - und Refrains zum Mitgröhlen gibt es auch nicht, Es ist keine Platte zum Feuerzeuge heben oder d n Arm recken, wo man die Bass-Drum mitstampfen kann, oder 2000 Leute im Chor mitsingen - wir haben eine musikalische Form gesucht, die der textlichen Ebene entspricht.

Das klingt so nach dem, was Spex auch immer über euch schreibt: Die Goldenen Zitronen auf der Flucht vor ihrem alten Fun-Punk-Publikum. Habt ihr denn eine neue Zielgruppe, welche Leute sollen eure Musik denn gerne hören wollen?

Goldene Zitronen: Das müssen wir mal sehen, wen wir erreichen. Also Linke, vor allem die, die ihre Punk Rock-Vergangenheit, wenn sie sie hatten, abgestreift haben, hören nach unseren Erfahrungen nicht gerne so nerviges Zeug, wie das, das wir spielen. Die haben mehr Interesse an niveauvoller, kultivierter Musik (lächelt milde).

Zweite Zitrone: Wir haben uns nie Gedanken über unsere Zielgruppe gemacht. Auch nicht. als wir eine la-Fun Punk-Gruppe waren. Das war damals ja auch ironisch gemeint: Wir haben ja angefangen in einen Umfeld wie der Hafenstrasse. als alle Slime Texte gemacht haben, "Bullenschweine", hardcore halt. relativ stumpfe Musik. Slime war da mit Abstand die Beste - und da haben wir versucht, das Gegenteil dagegen zu setzen, aber eben auf der Basis von Punk-Sein - also uncool auftreten, in total lächerlichen Schlafanzügen und dann in den Songs Teenagermythen besingen . Das geriet durch die Popularität von Fun Punk plötzlich in einen total anderer Kontext, in dem das, wogegen wir uns gestellt haben, gar keine Rolle mehr gespielt hat . Fun Punk ist gerade bei den Kids so zum Blauen-Bock-Ersatz geworden: Alkohol, Mitgröhlen und unter vielen Leuten sein läßt den eigenen trüben, grauen Alltag vergessen, Der parodistische Ansatz von uns ist da plötzlich ernst genommen worden. Das beste Beispiel ist das "Für immer Punk"-Stück von uns - das ist ja eigentlich ein totaler Widerspruch: Für immer Punk ist das Blödsinnigste, was es gibt, der Verdienst von Punk war ja gerade nicht daraufzubauen. eine Jugendkultur zu etablieren, die dann durchgezogen wird bis zum Lebensende. Zumindest nicht in der äußerlichen Form. Als Widerstandshaltung vielleicht schon, aber das heißt, daß die Waffen, die man anwendet, sich auch wandeln können: Sobald gefärbte Haare in derWerbung auftauchen, ist das keine Waffe mehr. Ach ja und die Platten: Wir haben die erst fertig gemacht. entsprechend dem, wie wir uns gefühlt haben. Und dann haben wir uns erst gefragt: Wer soll das kaufen?

Jetzt ist ja eine fertig. Wer soll die kaufen?

Goldene Zitronen: Leute. die ein Interesse daran haben, wie wir uns entwickeln, Für mich ist die Entwicklung der Zitronen ganz logisch. Wir sind nicht eine Band, die plötzlich auf dem Trip ist, statt witziger eben politische Texte zu machen.
Aber jemand, der heute l6 ist und sich unsere Platte kauft, kennt die Entwicklung nicht und fragt sich deswegen: Was ist denn jetzt mit denen los.
Deswegen haben wir die umfangreiche Zeitung, die der Platte beiliegt (nein, nicht die Tournee Zeitung) dazu gemacht, um Leuten, die in den Themen nicht so drin sind, eine Möglichkeit zu geben, sich Hintergrund zu verschaffen.

Das. zeigt, daß ihr bei Themen wie Nazismus oder Staatsterrorismus als Band auch an Grenzen stoßt, wo die Musik alleine nicht mehr ausreicht?

Goldene Zitronen: Das sind die Unzulänglichkeiten der Kunst. Schon immer. Aber wir begreifen uns ja nicht als Künstler.
Auf eurer neuen Platte gibt's ja auch das Stück "Das bißchen Totschlag" das stark von Techno beeinflußt scheint. In der Szene ist Techno ja ziemlich umstritten...

Goldene Zitronen: Konzeptionell sind manche Sachen bei Techno sensationell. z.B. hat Punk ja immer eingefordert, aber nie eingelöst, den Abschied vom Starkult. Das ist in Techno realisiert - gut, da muß man sich jetzt fragen, ob es sinnvoll ist, die Personen, die für die Musik verantwortlich sind, völlig verschwinden zu lassen, aber es ist auf jeden Fall ein interessantes Phänomen. Es gibt wohl auch keine Musik sonst. die so extrem kurzlebig ist, es gibt oft keine Cover das ist eine extreme Demokratisierung von Musik.

Oder eine extreme Vermarktung der Markt ist ja auch anonym...

Goldene Zitronen: Ich denke, daß der Markt den Trend auch noch formen wird, weil Plattenfirmen auf Dauer natürlich ein Interesse daran haben, daß es dauerhafte Stars gibt.

Zweite Zitrone: Techno ist nicht per se links oder rechts, oder nur Unterhaltung, oder nur subversiv es gibt sofort einen mainstream und gleichzeitig zig undergrounds, das ist anders als früher, weil Jugendkultur heute per se sofort akzeptiert wird. Jugendkultur ist ja heutzutage ein Menschenrecht. Das konnte man nicht zuletzt in Rostock sehen, wo Faschisten, die versucht haben Leute anzuzünden, gesagt haben, sie fordern das Recht auf ein eigenes Jugendzentrum, und deswegen dürfe das Geld nicht den Asylanten in den Arsch gesteckt werden. Techno ist eben ein Zeitphänomen, das dokumentiert, daß alles für alle verfügbar ist. Wir leben in einer Zeit des totalen crossover...


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last modified: 28.3.2007