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Tiefen-Phraseologie

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Die, 2.4k Sterne, 1.6k
Nur einen Tag, nachdem Fugazi auf der C.I-Bühne rumturnen, kommen die Sterne zum wiederholten Male. In alter Frische, sollte man meinen. Doch was ist die alte Frische?
Das offene Geheimnis eines Sozialisierungspflichtprogramms läßt feststellen, daß auch die Sterne ihren Fugazi gehört haben - jedoch sicherlich noch viel mehr Minor Threat und Black Flag und Dead Kennedys. Und Slime erst recht, versteht sich.
Tja, was haben sie draus gemacht? Gute Frage in langanhaltend beschissenen Zeiten, die länger sind als eine Ewigkeit. Punk als Lebensschule, als Lebensschädigung? Zumindest als Blaupause oder Filter ist der unermeßliche Wert des Punk-Grundwertekanons unersetzlich und kaum zu vermitteln - es sei denn, man gehörte mal - irgendwie - dazu oder konnte sich das zumindest guten Gewissens einbilden. Davon zehren sie alle, die um die dreißig und vierzig sind - alle, die ich meine.
Die Sterne, 7.4k
Die Sterne vor dem Spex-Gericht
Sollte im Falle Sterne zutreffen, was im Begleitheft zur neuen Platte von Michael Girke zur ersten Sterne-Single „Fickt das System“ niedergeschrieben wurde, nämlich daß sich, wenn man jenen Sterne-Text „genau“ anhört, herausstellt, daß der Song eine „Kritik an Parolen“ sei, dann ist eines damit klassisch belegt: Das gepaltene Verhältnis zur Phrase als Mittel läßt bei den Sternen den Anti-Punk-Pilz innerhalb der eigenen Sozialisation wachsen.
Von dergleichen ahnt die aktive Sterne-Zuhörerschaft der Gegenwart allerdings gar nichts - geschweige denn, sie wüßte es. Bei der passiven Zuhörerschaft – denen, die ein neues Sterne-Album zwar nicht kaufen, aber mal gehört haben wollen müssen – jedoch schon ein erheblicher Prozentsatz.
Die Sterne sind sich auf der Rezeptionsebene selbst zur Referenz geworden. Ob bewußt oder unbewußt, findet dies eben auf der neuen Platte „Wo ist hier?“ seinen Niederschlag – zwar nicht durch die Band, aber wohl durch die geneigte Zuhöhrerschaft. Das ist unvermeidlich und folgerichtig, jedoch auch sehr problematisch. Baut diese projizierte Selbstreferenz doch auf dem Luftschloß, daß die Sterne irgendwann mal als Institution geschaffen(!) wurden – ohne Kontext, ohne Hintergrund. Klar weiß jeder Depp, was Hamburger Schule ist, (nämlich das jahrelange Warten auf große Plattenverträge und Musik-TV-Rotation, um dann endlich nachweisen zu können, daß Popularität doch nicht korrumpiert,) doch reicht das kaum aus, den Unterschied zwischen nichts weiter als sinnlos schöner Musik a’ la Smashing Pumpkins und der Tiefen-Phraseologie (jawoll!) des Sterne-Funk zu fressen.
Die Sterne, 8.4k
Die Sterne beim Spex-Gericht (mit dem Messer von Ralf)
„Fragen sind, besonders in Hamburg, lange genug gestellt worden, jetzt braucht man neue Strategien, jetzt, nach dem langen Weg nach Mitte, wo die Fragen zum Spiel dazugehören und eigentlich gar keine mehr sind.“ Ja ja, das muß man sich eigentlich gefallen lassen, weil es natürlich stimmt. Doch wenn, wie in diesem Falle, ein Blatt wie Spex in der Rezension zur neuen Sterne-Platte so etwas verlautbart, dann klappt bei mir das Messer in der Tasche auf und ich stellte mich allzugern schützend vor die Band. Ein Satz in so einem Blatt gerät zur blanken Farce. Niemand anderes als Spex hat sich so deutlich aus der Gesellschaftskritik katapultiert! Das Credeo von Spex war einmal: Die Musik interessiert, weil es die Gesellschaft um sie herum gibt. Unter diesem Aspekt machte es Sinn, über Pop-Subversion, -Rebellion, -Revolte, -Avantgarde u.s.f zu reden und zu schreiben. Doch das ist lange vorbei. Heute ist es genau umgedreht: die Gesellschaft interessiert nur noch, weil in ihr Musik vorkommt, und der geschlossene Musikkosmos - ohne Gesellschaft - leider (sic!) nicht existieren kann. Ich will’s mal auf den Punkt bringen. Stellt man sich die Frage, wer dieses Blatt noch braucht, dann bleibt nur die Antwort: Niemand mehr wirklich! Insofern ist das, was da monatlich erscheint, nur eine Interimslösung auf dem Weg zur Pop- und Musikbeilage der Süddeutschen Zeitung – der Zeitung von aufgeschlossenen Langweilern für aufgeschlossene Langweiler. Ein Vergleich der Spex mit den St. Pauli-Nachrichten von einst und heute bietet sich an: Als letzteres Blatt einst links war, zog der Sex dort ein, griff aber immer weiter Raum und dominierte das Blatt. Eine Weile lang fanden sich dann alibimäßig noch linke Themen im Heft – in diesem vergleichbaren Stadium scheint sich die Spex gerade zu befinden. Irgendwann war dann aber schluß und der eigentlichen Mission wurde ausschließlich nachgegangen: only Sex, Sex, Sex – und immer an die Männer denken!
Mina, 2.1k
Mina nach dem Gericht (gesättigt)
Aber zurück zu den Sternen. „Wo ist Hier?“, mit Sicherheit ein wichtige Frage und eine gute Platte. Doch läßt sich leider alles und nichts damit assoziieren. Ist diese Frage also gar eine nostalgische auf der Suche nach irgendwas wie Heimat? Oder gar der positive Bezug auf die erzwungene Mobilität im Turbo-Kapitalismus? Man weiß es nicht. Und das ist das Problem: „Radikalität, die alles und nichts bedeutet und die vor allem nichts und keine Auseinandersetzung kostet“, schreibt Michael Girke im Beiheft zu „Wo ist hier?“. Girke verwendet das zwar in seinem Text zu Entlastung der Band. Ich drehe hier mal den Spieß um und verwende das Zitat gegen seinen eigentlichen Sinn - auf die Sterne gemünzt. Das ist dann hier keine ästhetische Kunstspielerei, sondern wird als notwendig erachtet.

Zur Vorband Mina

Wenn etwas als „außergewöhnliche deutsche Band“ angekündigt wird, ist dies eigentlich ein Ausschlußkriterium. Doch wäre das im Falle Mina nicht ganz richtig: Bandkonzept, House und Pop in Schädel und Herzen - und schon klappts auch mit der Musi. Bisherige Krönung war das Supporten von Galexico. Und jetzt von den Sternen.
Mina, 10.9k
Ein schöner Satz findet sich im Band-Info: „Mina (...) wird die Sterne (...) noch ein wenig heller strahlen lassen.“ Ojemineh, das wäre bitter - für die vierköpfige Combo aus Berlin. Deshalb meinen die das im Info auch anders. Es geht mal wieder um das Popuniversum und das Bandfirmament. Nur hält sich meine Euphorie in Grenzen. Es ist nämlich mittlerweile so: die Idee ist gut – aber die Welt längst bereit. Das ist tatsächlich eine veränderte Situation. Und ein Riesenproblem dazu.
Doch wen interessiert das wirklich, hm?
Ralf

  • Die Sterne aus CEE IEH #16
  • Über Die Sterne und Zeiten, in denen sich die Verhältnisse nicht zum Tanzen bringen lassen, aus CEE IEH #23
  • Die Sterne aus CEE IEH #33

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last modified: 28.3.2007